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beiden können wir die Virtuosität eines Menschen bewundern. Ja die Ähnlichkeit geht sogar noch weiter. In beiden Fällen ist der Inhalt der Wahrnehmung nahezu derselbe, nämlich ein Pferd mit einem Reiter darauf, wenn man will, die Macht des Reiters über das Pferd.

Woher kommt es nun, dass trotzdem die Wirkung eine ganz verschiedene ist, dass uns das Bild des Velazquez eine dauernde intensive Lust, die Zirkusproduktion dagegen nur ein vielleicht ganz lebhaftes, aber doch im Grunde ziemlich schales und oberflächliches Vergnügen gewährt, dass wir den Schöpfer der einen Kunstleistung als grossen, unsterblichen Meister verehren, den der anderen aber höchstens für einen ganz geschickten Menschen halten, dessen Person uns weiter nicht sehr interessiert?

Man könnte vielleicht daran denken, dies doch auf den Inhalt zu schieben, da sich uns zwar beide Male ein Reiter, aber das eine Mal eine historische Persönlichkeit, König Philipp IV., das andere Mal nur der simple Zirkusdirektor Herr so und so darstellt. Aber sollte es wirklich ein so besonderer Genuss sein, einen unbedeutenden Fürsten wie Philipp IV., den degenerierten Sprössling einer alten Fürstenfamilie, für den wir im allgemeinen sehr wenig Interesse haben, im Bilde zu sehen? Oder ist es die Form, die uns an dem Bilde mehr reizt? Aber niemand wird doch im Ernste das ausdruckslose blasierte Gesicht des unbedeutenden Habsburgers oder die zwar kräftigen, aber für unseren Geschmack höchst plumpen Formen des andalusischen Pferdes für besonders reizvoll halten wollen. Ein eleganter Reiter auf einem englischen Halbblut gefällt ohne Zweifel den meisten Leuten viel besser.

Der Unterschied der Wirkung kann also weder auf dem Inhalt noch auf der Form beruhen. Worauf beruht er aber sonst? Der gesunde Menschenverstand lehrt uns, dass bei zwei Produktionen, die so verschieden auf den Beschauer wirken, der Unterschied der Wirkung unmöglich in dem gesucht werden kann, worin sie miteinander übereinstimmen, sondern nur in dem, worin sie voneinander abweichen. Das einzige aber, worin sie voneinander abweichen, ist, dass der gemalte Reiter gemalt, d. h. tot, der wirkliche dagegen wirklich, d. h. lebendig ist. Nun sollte man freilich denken, das müsste für den lebendigen Reiter ins Gewicht fallen. Denn es ist klar, dass uns unter normalen Verhältnissen das Lebendige mehr gefällt als das Tote, das Bewegte mehr als das Unbewegte. Wir schliessen daraus, dass die un

mittelbare Ursache unseres Genusses gar nicht das Objekt der Wahrnehmung hier Bild, dort Reiter ist, sondern vielmehr der psychische Vorgang, der sich an diese Wahrnehmung anschliesst. Dieser ist aber in beiden Fällen ganz verschieden, insofern wir uns bei der Anschauung des Porträts das Tote als lebendig denken, den toten Reiter in einen lebendigen übersetzen.

Diese Übersetzung, die ein rein geistiger Akt des Beschauers, ein reines Spiel seiner Vorstellungen ist, bezeichne ich nun als Illusion. Wir sagen einem solchen Bilde gegenüber: der Maler versetzt uns in Illusion, er bietet uns den Anblick einfacher Leinwand, einfacher Farben, die darauf aufgetragen sind, und zwingt uns mit diesen toten Stoffen die Vorstellung des Lebens auf. Die Illusion ist also hier nichts anderes als die durch bestimmte Farben auf einer Fläche erzeugte Vorstellung einer Sache oder einer Person, die in Wirklichkeit gar nicht da ist. Was der Maler uns giebt, ist ein Scheinbild, und wenn wir dieses Scheinbild sehen und in die Wirklichkeit übersetzen, so vollziehen wir einen schöpferischen Akt des Bewusstseins, bei dem uns der Künstler durch die Arbeit seiner Hand hilft, zu dem er uns mit seiner Kunst anregt. Und dieser schöpferische Akt ist es offenbar, auf dem das Plus an Lustwert beim Anblick des gemalten Reiters beruht. Wir müssen annehmen, dass er unser Seelenleben in ganz besonderer, sehr starker Weise in Anspruch nimmt. Denn nur daraus ist es zu erklären, dass der tote Reiter uns so sehr gefällt, der lebendige dagegen unserem Gefühl so gar nichts bietet, uns so leer, so schal vorkommt. In ihm sehen wir eben immer nur diesen lebendigen Zirkusdirektor. Wir können an diese Wahrnehmung zwar alle möglichen Gedanken anknüpfen, aber gerade das, was wir bei dem gemalten Reiter thun können und thun müssen, nämlich ihn uns als etwas Anderes, Lebendiges vorstellen, können wir nicht. Er bedarf unserer Phantasie nicht um lebendig zu werden, er ist schon von selbst lebendig. Er ist für unsere Phantasie unfruchtbar, anregungslos, trotz all seines Lebens tot.

Nun ist ja natürlich nicht gesagt, dass unser Genuss beim Anblick des gemalten Reiters einzig und allein auf diesem belebenden Akt unserer Phantasie beruhe. Wir können uns auch freuen über die elegante und stolze Haltung des Reiters, über sein schönes Kostüm, über die bunten, leuchtenden Farben u. s. w. Aber alles das sind Dinge, die auch bei dem Zirkusreiter nicht aus

geschlossen sind. Und wenn dieser uns nun trotzdem, wie ja empirisch leicht festgestellt werden kann, weniger Genuss bereitet als das Bild, so geht daraus wie ich glaube mit absoluter Sicherheit hervor, dass diese - inhaltlichen und formalen - Reize bei weitem weniger Wert haben als die Eigenschaften des Bildes, die uns zur Illusion anregen. Wir schliessen daraus, dass die ästhetische Lust, die uns das Kunstwerk als Kunstwerk verschafft, weder von der Qualität des Inhalts noch von der Beschaffenheit der Form abhängig ist, sondern dass sie lediglich auf der Stärke und Lebhaftigkeit der Illusion beruht, in die uns der Künstler durch sein Kunstwerk versetzt.

Diese Illusion ist nun eine Anschauungsillusion. Das soll heissen, dass sie sich auf eine Anschauung bezieht, dass ihr Inhalt eine Anschauung ist. Und zwar stellt man sich beim Anblick des Bildes vor, die Anschauung eines lebendigen Reiters zu haben, während man doch nur die Anschauung eines gemalten hat. Natürlich ist auch dies eine Anschauung. Aber das Wesentliche der ästhetischen Illusion ist eben das, dass das wirklich Angeschaute nicht identisch ist mit dem ästhetisch Angeschauten, d. h. dem in der Phantasie Vorgestellten. Dieses ist in unserem Falle ein lebendiger Reiter, König Philipp IV. Ihn schauen wir eben bei der Betrachtung des Gemäldes nicht an, sondern statt seiner sehen wir nur ein Scheinbild, das ihn darstellt.

Zu dieser Anschauung gehört nun in erster Linie die Wahrnehmung von Formen und Farben oder genauer gesagt von Farben in bestimmter Begrenzung. Die Illusion, die dabei zu stande kommt, ist also vor allem eine Formen- und Farbenillusion. Eine Formenillusion, insofern die Formen, die man auf dem Bilde sieht, ja keine wirklichen plastischen Formen, sondern nur flächenhafte Surrogate der Formen sind, eine Farbenillusion, insofern die Farbenempfindungen, die man hat, nicht von dem wirklichen Fleisch, dem wirklichen Himmel u. s. w. herrühren, sondern von Ölfarbenpigmenten, die auf eine Fläche aufgetragen sind. Man sieht also thatsächlich bei der ästhetischen Anschauung Formen und Farben, die nicht da sind, man giebt sich der Illusion hin, etwas anzuschauen, was man nicht anschaut. i wirklich

Daneben kann man freilich auch hier schon von einer Bewegungsillusion sprechen. Denn der gemalte Reiter bewegt sich in Wirklichkeit nicht, sondern scheint sich nur zu bewegen.

Er hat eine Haltung, aus der man sich die Bewegung ergänzen muss. Man erhält also bei seinem Anblick nicht die Anschauung einer wirklichen Bewegung, sondern nur einer fingierten. Man giebt sich nur einer Anschauungsillusion der Bewegung hin. Doch will ich, da ich später noch ausführlich über die Bewegungsillusion sprechen werde, auf sie zunächst nicht näher eingehen.

Alle diese Dinge sind ja nun auch der herrschenden Ästhetik nicht unbekannt. Der Unterschied des künstlerischen Scheinbildes und der Natur, die es darstellt, ist in der That so elementar und drängt sich dem gesunden Menschenverstande so sehr auf, dass er wohl niemals von einem vernünftigen Menschen geleugnet worden ist.

Dennoch legen ihm die meisten Ästhetiker seltsamerweise gar keine Bedeutung bei. Sie stehen vielmehr auf dem Standpunkte, dass die Anschauung eines solchen Scheinbildes und die der entsprechenden Natur ästhetisch im wesentlichen auf dasselbe hinauslaufe, dass das, was wir an dem Scheinbilde schön fänden, dasselbe sei, wie das, was uns auch an der Natur gefalle. Dieser Irrtum ist so ungeheuerlich, dass ich mich lange gefragt habe, wie er wohl entstanden sein könnte. Ich bin schliesslich zu dem Resultat gekommen, dass er ein Erbteil der kritisch - subjektivistischen Weltanschauung ist, die unserer älteren Philosophie zu Grunde liegt. Eine Philosophie, die die reale Existenz der Dinge leugnete oder wenigstens als gänzlich unbeweisbar ansah, für die das einzig Reale, das Ding an sich der menschliche Geist war, in dem sich die Dinge spiegeln, konnte natürlich den Unterschied der Anschauungsillusion von der Anschauung nicht klar erfassen. Für sie war ja schon das Bild, das der Mensch sich von der Natur macht, ein Scheinbild. Dieses hatte für sie keine andere Realität als die der subjektiven Empfindung. Natürlich konnte sie also auch nicht verstehen, dass das Bild des Gemäldes, das im Bewusstsein entsteht, etwas prinzipiell anderes ist als das Bild der Wirklichkeit, die es darstellt. Diese Unfähigkeit der Unterscheidung hat die neuere Philosophie, obwohl sie ja theoretisch auf einem anderen Standpunkte steht, von der älteren übernommen, und darauf beruht es, dass man die klar auf der Hand liegenden ästhetischen Thatsachen, die ich ausgeführt habe, zwar nicht leugnet, aber in ihrer Bedeutung unterschätzt.

Jetzt wird man auch verstehen, warum ich Kunstschönheit und Naturschönheit von vornherein genau voneinander geschieden

habe. Denn der Natur gegenüber kann es ja streng genommen gar keine Illusion geben, da sie Wirklichkeit ist, oder, wie ich mich lieber vorsichtig ausdrücken will, von jedem naiven Menschen als Wirklichkeit aufgefasst wird. Man hat also der Natur gegenüber unter normalen Verhältnissen gar keine Möglichkeit, den Phantasievorgang, zu dem uns der Anblick des Kunstwerks anregt, zu erleben, da sie ja schon ohne unser Zuthun plastisch, lebendig, bewegt ist. Man kann natürlich, wie wir später sehen werden, auch der Natur, besonders der leblosen Natur gegenüber eine ähnliche Beseelung vollziehen wie man sie dem Kunstwerk gegenüber immer vollziehen muss. Aber das Wesen dieser Beseelung können wir erst verstehen, wenn wir das Wesen der künstlerischen Illusion genau kennen gelernt haben. Wer dagegen von vornherein von der Überzeugung ausgeht, dass die ästhetische Anschauung eines wirklichen Reiters und eines gemalten genau auf dasselbe hinausläuft, für den ist es natürlich schwer sich klarzumachen, dass die phantasiemässige Übersetzung des künstlerischen Scheinbildes in die Wirklichkeit das Wesen der ästhetischen Anschauung ausmacht.

Wie verkehrt jene Überzeugung aber ist, ergiebt sich schon daraus, dass es ja in beiden Fällen etwas ganz anderes ist, was wir schön finden, was uns zur Bewunderung hinreisst. Bei dem Reiterporträt Philipps IV. bewundern wir den Künstler, der ein an sich wenig reizvolles Naturobjekt so intim aufgefasst und interessant dargestellt, die Farben so geschickt auf der Leinwand verteilt hat, dass der Eindruck eines lebendigen Reiters entsteht. Beim Zirkusreiter dagegen bewundern wir die Geschicklichkeit des Reiters, die Kraft seiner Schenkel, die Beweglichkeit seines Handgelenks, sein Verständnis für das Temperament des Pferdes u. s. w. Im ersten Falle ist also das Schöne die dem Bilde vom Künstler mitgeteilte Illusionskraft, im zweiten ist es die körperliche Kraft und die rein äusserliche Routine eines ganz geschickten aber im übrigen ziemlich unbedeutenden Menschen. Ich frage: ist es denkbar, dass das Lustgefühl, das in beiden Fällen entsteht, derselben Art sei? Ist es nicht vielmehr selbstverständlich, dass schon das Gefühl für die Persönlichkeit des Schöpfers eines Gemäldes, das wir bei dessen Anblick haben, etwas prinzipiell anderes ist als das Gefühl für den eleganten und geschickten Reiter? Der naive Mensch, der die Natur ganz einfach als Natur ansieht, zweifelt daran auch nicht. 'Für ihn ist Kunst Kunst und Natur Natur. Es gehört schon eine

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