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dessen Lehnen in Tierköpfe ausgehen, für lebendige Tiere halten oder ihnen auch nur im Ernst die Kraft und Beweglichkeit von Tieren unterlegen. Hier wirkt vielmehr schon der praktische Zweck des Gerätes, der ja unmittelbar aus der Form herausgelesen werden kann, ebenso wie die konventionelle und fragmentarische Verwendung der Tierformen als illusionsstörendes Moment.

Sehen wir aber von der Verwendung organischer Formen ab, so muss in der Architektur und den dekorativen Künsten jede unmittelbar aus dem praktischen Zweck hervorgehende, besonders jede geradlinige Form als illusionsstörendes Moment aufgefasst werden. Jede gerade Linie, jeder scharfe Winkel, jedes regelmässige Viereck oder Dreieck, die Treppenstufen, die Gesimse, die Fensterbänke, die Giebel u. s. w., alles das sind an sich, d. h. ihrer geometrischen Form nach, illusionsstörende Momente. Das schliesst nicht aus, dass sie einen angenehmen Eindruck machen können. Aber an sich selbst sind sie nicht oder nur in sehr geringem Masse illusionserregend. Der Künstler bemüht sich deshalb auch, sie möglichst im Sinne der Kraft- und Bewegungsillusion abzuwandeln, d. h. durch Biegungen, Schwellungen, Ausbauchungen u. s. w. ins Organische überzuführen. Beispiele dafür sind: Am griechischen Tempel die Schwellung des Säulenschaftes und des Echinus, die Kurvatur der Horizontalen, das Abnehmen der Interkolumnienweite von der Mitte nach den Ecken der Fassade, die Biegung der ionischen Volute u. s. w. von vegetabilischen Ornamentformen wie dem Akanthus ganz abgesehen. Am gotischen Bau die Schwellung der Turmhelme, die Biegung der Fialen, das schwungvolle Herausdrehen der Wimperge und Eselsrücken in der späteren Zeit. Im Barock und Rokoko die kommodenartige Ausbauchung und Schweifung der Fassaden, die korkzieherartige Windung der Säulen, die geschwungene Form der Giebelkonsolen u. s. w. Denn alle diese Formen sind bestimmt, den Eindruck einer organischen Kraft zu erzeugen, die in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Aber alle diese Mittel können doch die Vorstellung nicht aus dem Bewusstsein des Beschauers wegschaffen, dass es sich hier nicht um organische, sondern um starre und leblose Gebilde handelt. In jeder Architektur überwiegt schliesslich doch das Geradlinige, Geometrische und Praktisch - Nützliche so sehr, dass sich die ästhetisch Minderbegabten selbst den barockeren Stilarten gegenüber immer noch mehr von ihrer

geometrisch-nützlichen als von ihrer organisch-illusionistischen Natur überzeugen lassen.

Beim reinen Bewegungstanz sind die formalen Mittel, besonders der Rhythmus, gleichzeitig illusionserregend und illusionsstörend. Denn einerseits dienen sie, infolge gewisser Assoziationen, als Mittel des Gefühlsausdrucks, andererseits stimmen sie doch wieder nicht mit dem wirklichen Gefühlsausdruck überein. Selbst die mimischen Tänze werden nicht mit den Bewegungen der Wirklichkeit ausgeführt. Alles, wodurch sie wirkliches Geschehen imitieren, ist illusionserregend, alles, was an ihnen rein rhythmisch ist, illusionsstörend.

ab,

In welchem dynamischen Verhältnis die Mittel der Illusionserregung und der Illusionsstörung zu einander stehen müssen, wenn Kunstgenuss zu stande kommen soll, darüber kann die Ästhetik natürlich keine Auskunft geben. Das hängt im einzelnen Falle davon wie schwer auf Grund der gerade bestehenden Kunsttradition die beiden Elemente im Bewusstsein des Geniessenden wiegen. Ist die ganze Kunsttradition, in der ein Künstler oder ein Kunstwerk drinsteht, ausgesprochen realistisch, so verlangt das Publikum natürlich eine starke Illusionserregung, als wirksamen Kampf gegen die illusionsstörenden Elemente, die sich ihm unangenehm aufdrängen. Ist sie weniger realistisch, so giebt es sich mit weniger illusionistischen Wirkungen zufrieden. Selbst die einzelnen Künste stehen einander in dieser Beziehung nicht ganz gleich. Auf der einen Seite haben wir die sehr illusionistische Schauspielkunst, bei der man sogar zweifeln kann, ob der Genuss, den man an ihr hat, nicht auf einer wirklichen Täuschung beruht, auf der anderen Seite eine so wenig illusionistische Kunst wie die Architektur, bei der viele Menschen gewiss überhaupt keine Illusion empfinden. Dazwischen dann, entweder dem einen oder dem anderen Extrem näherstehend, die übrigen Künste, unter denen Malerei und Plastik der Schauspielkunst, Dekoration, Tanz, Musik und Lyrik der Architektur näher stehen, während die Poesie etwa eine Mittelstellung zwischen ihnen einnimmt.

Und dabei kann man deutlich beobachten, dass die Künste, in denen die Illusion eine sehr grosse Rolle spielt, z. B. Schauspielkunst und Malerei, den rein sinnlichen Reizen eine verhältnismässig geringe Bedeutung einräumen, während diejenigen, in denen die sinnlichen Reize von grösserer Kraft sind, wie z. B. Tanz und Ornament, einen weniger illusionistischen Charakter haben. Es

ist eben ein psychologisches Gesetz, dass, je mehr die Seele nach der einen Seite hin in Anspruch genommen wird, um so weniger Raum in ihr für die andere übrig bleibt. Die Enge unseres Bewusstseins setzt notwendig eine dynamische Ausgleichung der beiden Elemente voraus. Sie stehen in einer ausgleichenden Wechselwirkung zu einander, wenn sich auch ihr gegenseitiges Verhältnis nicht mit Zahlen fixieren lässt.

Wie es überhaupt kommt, dass jede Kunst illusionsstörende Momente hat, erklärt sich nun sehr einfach, nämlich daraus, dass alle Künste mit einem anderen Material arbeiten als dem der Wirklichkeit. Wenn der Landschaftsmaler seine Landschaften statt mit Ölfarbe auf der Fläche vielmehr mit wirklichen Bäumen, Hügeln und Teichen im Raume ausführen könnte, so gäbe es in seiner Kunst keine illusionsstörenden Momente. Alles in ihr wäre dann illusionserregend, und zwar im Sinne wirklicher Täuschung. Man würde dann überhaupt hier keine Kunst, sondern Natur sehen, vielleicht gar nicht einmal eine von Menschenhänden arrangierte Natur. Der Genuss, den man dabei hätte, wäre dann natürlich auch kein Kunst-, sondern Naturgenuss. Die Vorstellung der Persönlichkeit des schaffenden Künstlers wäre dabei von vornherein ausgeschlossen. Bei der Betrachtung eines Landschaftsgemäldes dagegen ist die Vorstellung des schaffenden Künstlers eo ipso vorhanden, als einfache Folge davon, dass das Gemälde als Kunstwerk aufgefasst wird. Und alle illusionsstörenden Momente ergeben sich unmittelbar aus der Thatsache, dass das Bild nicht Natur, sondern Surrogat der Natur ist.

Wenn der Ornamentiker seine Ranken und Blätter, seine Festons und Guirlanden statt aus Stein oder Holz aus wirklichen Pflanzen oder Kränzen verfertigen könnte, so wären illusionsstörende Momente in seiner Kunst überhaupt nicht vorhanden, eine stilisierende Veränderung der Natur z. B. gar nicht möglich. Seine Schöpfung wäre dann auch gar keine Kunst, sondern Natur, wenn auch eine nach bestimmten Gesetzen arrangierte Natur. Schmücken könnte sie deshalb immerhin, wie ja lebendige Blumen und wirkliches Grün unter Umständen auch als Schmuck benutzt werden. Aber, was die Hauptsache ist, man könnte ihr gegenüber keine bewusste Selbsttäuschung erleben, also auch keinen ästhetischen Genuss haben.

Wenn der Tondichter statt der Töne, mit denen er andere in ein bestimmtes Gefühl zu versetzen sucht, die Wirklichkeit, d. h.

das thatsächliche Geschehen zur Verfügung hätte, so würden seine Zuhörer natürlich das, was sie hörten, auch für Wirklichkeit nehmen, d. h. also genau dasselbe dabei fühlen wie bei wirklichen Erlebnissen. Offenbar könnte dann aber keine bewusste Selbsttäuschung zu stande kommen, und kein Mensch würde behaupten, dass das ein ästhetischer Genuss wäre. Die Thatsache allein, dass er mit Tönen, also einem konventionellen Surrogat der Wirklichkeit arbeitet, schliesst eine gewisse Illusionsstörung in sich. Keinem Menschen fällt es ein, im Leben seine Gefühle in Terzen oder Sexten, in Dreiviertel- oder Viervierteltakt auszudrücken. Mit dem Hören der musikalischen Formen ist von vornherein eine Illusionsstörung verbunden. Schon die Thatsache, dass jede Kunst mit Symbolen, mit Surrogaten der Wirklichkeit arbeitet, zieht mit Notwendigkeit die Illusionsstörung nach sich. Das Surrogat als solches ist eben illusionsstörend. Marmor ist kein Fleisch, Ölfarbe kein Gras, rhythmisch und harmonisch geordnete Töne sind kein Leben, kein ernster Gefühlsausdruck.

Die Kunst aber strebt nach Natur, Leben, Bewegung und Gefühl. Das kann sie nur, wenn sie die illusionsstörenden Momente durch ganz bestimmte illusionssteigernde Mittel aufzuheben, besser gesagt in ihrer Wirkung zu schwächen weiss. Jede Kunst ist deshalb ihrem innersten Wesen nach ein Kampf gegen illusionsstörende Momente. Die Materialien, deren sie sich bedient, Holz, Stein, Bronze, Farbenpigmente, Töne, Buchstaben und Wörter sind an sich tot, bewegungslos, seelenlos. Erst der Künstler, der ihnen die Form verleiht, beseelt sie, haucht ihnen Leben ein. In diesem Sinne kämpft die Kunst gegen die Materie, sucht sie sich dieselbe zu unterwerfen, zu durchgeistigen. Es gilt den toten Stoff mit lebendigem Odem zu erfüllen, das Anorganische zum Organischen, das Untermenschliche zum Menschlichen emporzuheben. Das ist ein schöpferischer Akt und ihn nennen wir Kunst.

NEUNTES KAPITEL

DIE UNKÜNSTLERISCHE

ILLUSION

DE

EN besten Beweis für die im Vorigen begründete Auffassung bietet die Minderwertigkeit aller derjenigen pseudokünstlerischen Thätigkeiten, bei denen die Absicht auf eine wirkliche Täuschung geht. Dazu gehören z. B. die Panoramen und Wachsfiguren. Für jeden feiner empfindenden Menschen liegt es auf der Hand, dass diese „Kunstwerke“ Schöpfungen niederer Art sind, die umso weniger ästhetisch wirken, je mehr sie den Eindruck der Wirklichkeit erzeugen. Dies ist eine empirische Thatsache, mit der wir rechnen, die wir erklären müssen. Sonderbarerweise hat man nun gerade aus ihr eine Waffe gegen die Illusionstheorie geschmiedet. Statt nämlich daraus zu schliessen, dass die Selbsttäuschung, der man sich bei der Betrachtung eines Kunstwerks hingiebt, keine wirkliche, sondern eine bewusste sein müsse, behauptet man vielmehr, dass die Illusionstheorie die Kunst zur Stufe solcher,,sensationeller Illusionen" degradiere, mit der Panoramenmalerei und Wachsfigurenplastik auf eine Stufe stelle.

Wer das thut, hat die ganze Illusionstheorie nicht verstanden. Denn alle diese Illusionen unserer Jahrmärkte und Variétés haben es ja gar nicht auf eine bewusste, d. h. von dem Geniessenden. durchschaute, sondern vielmehr auf eine wirkliche Täuschung abgesehen. Sie stellen also gerade das Gegenteil von dem dar, worin nach uns das Wesen der Kunst besteht, man kann sie deshalb nur als unkünstlerische Illusionen bezeichnen. Wir wollen diese unkünstlerischen Illusionen der Reihe nach durchnehmen. Vielleicht gelingt es uns dadurch noch mehr in das Wesen der künstlerischen Illusion einzudringen. Es handelt sich dabei um folgende Erscheinungen: die Photographie mit ihren illusionistischen Steigerundem Stereoskop und dem Kinematographen, das Diorama, das Panorama, das Panoptikum, die Taschenspielerei und die höhere Magie.

gen,

Dass eine Photographie kein Kunstwerk im eigentlichen Sinne des Wortes ist, hat wohl noch nie ein kunstverständiger Mensch

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