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ACHTES KAPITEL

DIE ILLUSION ALS BEWUSSTE SELBSTTÄUSCHUNG

UM

M nicht zu weitläufig zu werden, habe ich.den historischen Beweis auf die griechische, italienische und deutsche Kunst beschränkt. Auch die niederländische und spanische hätte ich herbeiziehen können. Aber für diese versteht sich ja der illusionistische Charakter von selbst. Wer dafür noch weitere Beweise braucht als die Kunst eines Rembrandt, Rubens und Velazquez, der schlage Karel van Mander, Hoogstraten, Houbraken und die in Justis Velazquez behandelten spanischen Kunstschriftsteller auf. Er wird dort ganz ähnliche Aussprüche finden.

Bei der Aufzählung der Zeugnisse habe ich auch Wiederholungen nicht gescheut, weil es mir darauf ankam zu zeigen, dass es sich hier nicht um ein paar zufällig zusammengeraffte Bemerkungen handelt, sondern um eine durchgehende Kunstanschauung, die gerade für die Meister der klassischen Kunstperioden charakteristisch ist. Auf den letzteren Punkt lege ich ganz besonderen Wert. Einem beliebigen Nichtskönner oder modernen Ästhetiker gegenüber könnte ein Gegner der Illusionstheorie billig entgegenhalten, er verstehe eben nichts von Kunst oder sein Verständnis sei ein ganz oberflächliches und banausisches. Männern wie Leonardo da Vinci und Dürer gegenüber kann man das wohl nicht behaupten. Sie waren doch keine Cretins, die das Gegenteil von dem sagten, was sie meinten, sondern Leute, die ganz genau wussten, was sie wollten.

Übrigens ist die Bedeutung der Illusion auch von früheren Ästhetikern nicht verkannt worden. Ich könnte Zeugnisse von Lessing, Moses Mendelssohn, Goethe, Kant, Schiller, Hegel, Vischer, Fechner, Hartmann, Alt, Groos u. s. w. anführen, die sich in ganz überraschender Weise mit den hier vorgetragenen Theorien berühren. Ich verzichte darauf absichtlich, weil es mir nicht darauf ankommt, eine Lehre, die sich logisch und psychologisch so gut begründen lässt, durch Autoritäten zu stützen. Es wäre aber

interessant, in einer Geschichte der Ästhetik vom illusionistischen Standpunkt nachzuweisen, durch welche Verhältnisse alle diese Schriftsteller verhindert worden sind, den Keim einer richtigen Erkenntnis, den ihre Ästhetik barg, zur Entwickelung zu bringen. Einmal war es die Gebundenheit durch irgend eine traditionelle Kunstanschauung, dann wieder der Einfluss eines metaphysischen Postulats oder eine ethische Voreingenommenheit, endlich wohl auch Unkenntnis der zitierten Zeugnisse, was sie verhinderte, den Gedanken der Illusion konsequent weiter zu denken und zur Grundlage ihres Systems zu machen.

Dass ich selbst in dieser Beziehung konsequenter oder, wie meine Gegner wahrscheinlich sagen werden, einseitiger bin, erklärt sich wohl in erster Linie daraus, dass ich diese Zeugnisse seit meiner Studienzeit kenne, dass ich mit Vasari und Leonardo und Dürer, ganz abgesehen von Brunns Künstlergeschichte, aufgewachsen bin. Die Systeme der philosophischen Ästhetiker habe ich erst später kennen gelernt. Jetzt wird es mir natürlich leicht, meine Theorie, die sich empirisch aus den Zeugnissen der klassischen Meister entwickelt hat, mit eben diesen Zeugnissen zu stützen. Die abweisende Haltung der herrschenden Ästhetik meiner Theorie gegenüber kann ich mir nur aus der Nichtkenntnis dieser Zeugnisse erklären.

Vielleicht hat man sie auch gekannt und sich nur gesagt, dass mit ihnen wenig bewiesen sei, da ja gerade die Künstler der beiden Nationalitäten, denen die meisten der erwähnten Schriftsteller angehören, nämlich der Griechen und Italiener, die Natur gar nicht genau nachgeahmt, sondern idealisiert" haben. Aber um eine „genaue" Nachahmung der Natur handelt es sich, wie schon oben (S. 201) erwähnt, gar nicht, und was es mit dieser „,Idealisierung" auf sich hat, werden wir im 21.-23. Kapitel sehen. Es wird sich dabei zeigen, dass sie gar keine Verschönerung der Natur und gar keine Umwandlung im Sinne der Idee oder des Typus, sondern einfach eine Auswahl und Accentuierung des individuellen Lebens im Interesse der künstlerischen Wirkung ist. Die Absicht aller dieser Künstler ging, wie man aus ihren Worten bestimmt erschliessen kann, auf möglichst lebendige Darstellung der Natur. Dass sie oft auch vom ,,Schönen", von einer ,,Auswahl des Schönen aus der Natur" reden, beweist durchaus nichts dagegen, denn ich habe ja bei der Besprechung Vasaris nachgewiesen, dass sie mit diesem Schönen in sehr vielen Fällen nichts anderes meinten als

das was Illusion erregt. Und wo sie wirklich etwas anderes damit meinten, da war es entweder das konventionell Schöne ihrer Zeit oder ihr individueller persönlicher Geschmack, also zwei Dinge, die schon deshalb nicht normativ sein können, weil sie keine allgemeingültige Bedeutung haben. Wenn diese Künstler vielmehr immer und immer wieder die Naturwahrheit als das Hauptziel der Kunst bezeichnen, mit welchem Recht will man dann behaupten, dass sie diese Naturwahrheit gar nicht gemeint haben? Was hätte sie wohl veranlassen sollen, das Gegenteil von dem zu sagen, was sie meinten?

Ein weiterer Grund, warum man gerade in den Kreisen der philosophischen Ästhetiker die Bedeutung der Illusion bisher unterschätzt hat, ist wie ich glaube der, dass vielen Gelehrten die Fähigkeit, sich bei der Wahrnehmung eines Kunstwerks in Illusion zu versetzen, überhaupt abhanden gekommen ist. Wer aber einem Gemälde, einem Gedicht, einem Tonstück gegenüber völlig kalt bleibt, höchstens einen inhaltlichen oder sinnlichen Genuss hat, von dem begreift man wohl, dass er die Illusion als ästhetisches Prinzip nicht anerkennen kann. Denn das, was er beim Anblick des Kunstwerkes fühlt, ist ja gar nichts Ästhetisches, sondern etwas Religiöses, Ethisches, Patriotisches, oder aber Sinnliches. Und da auch dieses unter Umständen Lust erregen kann, so ist es nur zu begreiflich, dass man diese ethische oder sinnliche Lust vielfach für ästhetische genommen hat.

Gerade gegen diesen un künstlerischen Standpunkt ist „das Wesen der Kunst" gerichtet. Der Verfasser erkennt in dieser Illusionsunfähigkeit nicht nur vieler unserer Künstler, sondern vor allem unserer wissenschaftlich Gebildeten ein Symptom des künstlerischen Verfalls. Es ist dies derselbe Verfall, dem wir einerseits die krasse Tendenzkunst des Naturalismus, andrerseits die blutlose Kunst der philosophischen Spekulation, der symbolistischen Spitzfindigkeiten, der primitiv archaistischen Bestrebungen verdanken. Es ist nur zu natürlich, dass man das, was man selbst produktiv wie rezeptiv nicht kann, auch für unwichtig hält, dafür aber das in den Vordergrund schiebt, was eigentlich gar nicht Kunst, sondern individuelle Begleiterscheinung der Kunst ist.

Endlich aber, und das ist das Wichtigste, hat man die Illusion bisher wie ich glaube deshalb immer unterschätzt, weil man sie für eine wirkliche Täuschung hielt. Da sagte man sich denn natür

lich, ein so niedriges Motiv wie die Absicht andere Menschen zu täuschen könne das Wesen der Kunst unmöglich ausmachen. Zu dieser Auffassung hatte man aber besonders deshalb ein gewisses Recht, weil die Griechen und Italiener, wie die angeführten Zeugnisse beweisen, thatsächlich der Meinung waren, die Täuschung, die die Kunst, insbesondere die Plastik und Malerei, erzeuge, sei eine wirkliche Täuschung. Auch daraus schöpfte man dann einen Vorwand, diese Zeugnisse über Bord zu werfen.

Dieser Einwand ist nun freilich durch meine „bewusste Selbsttäuschung" widerlegt worden. Aber man hat meine Argumentation wie es scheint nicht verstanden, sonst würde man nicht immer wieder auf die Behauptung zurückkommen, ich sähe das Wesen der Kunst in einer Täuschung, verträte also einen niedrigen banausischen Standpunkt, von dem aus man nicht zur ästhetischen Erkenntnis kommen könne. Nun, ich denke, die Erörterungen des vierten bis sechsten Kapitels werden keinen Zweifel darüber gelassen haben, dass mir nichts ferner liegt als diese Verwechslung von Ernst und Schein, und dass die zitierten Zeugnisse in meinen Augen überhaupt erst unter der stillschweigenden Voraussetzung Gültigkeit beanspruchen können, dass es sich dabei nur um eine spielende Täuschung handelt.

Wesentlich mitgewirkt zu diesem Irrtum hat auch wohl das Wort Illusion, da man darunter ja im ausserästhetischen Gebiet sehr häufig eine wirkliche Täuschung versteht. Illusion in dem gewöhnlichen unkünstlerischen Sinne ist ein seelischer Zustand, in dem man etwas glaubt, was nicht Wirklichkeit ist. Dieser Zustand setzt entweder einen subjektiven Irrtum, an dem nur das Individuum selber schuld ist, oder einen Betrug von anderer Seite voraus. Im ersteren Falle reden wir von einer Selbsttäuschung, im zweiten von einem durch Täuschung erzeugten Irrtum. Bei der künstlerischen Illusion handelt es sich weder um das eine noch um das andere. Die Erzeugung der künstlerischen Illusion ist durchaus nicht die Folge einer wirklichen, sondern vielmehr einer spielenden Täuschung. Und die Selbsttäuschung, der sich der künstlerisch Geniessende hingiebt, ist keineswegs ein wirklicher Irrtum, denn er weiss ja dabei ganz genau, dass er sich täuscht. Psychologisch will das bedeuten: Er hat während der ästhetischen Anschauung nicht nur das Vorgetäuschte im Bewusstsein, sondern auch die Täuschung als solche, d. h. die Mittel, mit denen sie hervorgebracht wird.

Beim wirklichen Betruge oder Irrtum liegt die Sache so: Wer sich der Illusion hingiebt, einen guten Kauf gemacht zu haben, während er thatsächlich übers Ohr gehauen worden ist, hat nun die falsche Vorstellung im Bewusstsein, dass er einen guten Kauf gemacht habe. Er glaubt thatsächlich etwas, was nicht wahr ist. Und der, der ihn zu diesem Glauben gebracht hat, hat ihn betrogen. Bei der künstlerischen Täuschung dagegen fällt es dem Täuschenden gar nicht ein, irgend jemand betrügen zu wollen, und auch der Getäuschte hat nicht nur die Vorstellung und das Gefühl im Bewusstsein, wozu ihn der Täuschende anregen will, sondern auch den Täuscher als täuschende Persönlichkeit, die Mittel, mit denen er seine spielende Täuschung ausführt.

Das haben schon die Alten hie und da empfunden. Man erinnere sich z. B., wie der Rhetor Kallikrates bei seiner Schilderung plastischer Werke der scheinbaren Weichheit und Beweglichkeit der menschlichen Formen die Härte und Bewegungslosigkeit des Marmors und der Bronze entgegenstellt, oder wie Aretino bei Dolce ausführt, dass das Leben und die Bewegung, die man beim Anblick eines Gemäldes zu sehen glaube, gar nicht der Wirklichkeit entspreche, sondern nur auf Grund eines toten Gegenstandes vorgestellt werde. Darin spricht sich doch das deutliche Gefühl aus, dass der Beschauer des Kunstwerks sich zwar täuscht, sich aber doch wieder nicht täuscht, dass er sich zwar einerseits das Dargestellte als Wirklichkeit vorstellt, andererseits aber doch wieder das Kunstwerk als Kunstwerk nimmt.

Bei der ästhetischen Anschauung sind also eigentlich zwei Vorstellungen gleichzeitig im Bewusstsein vorhanden, erstens die, dass der ästhetische Schein Wirklichkeit sei, zweitens die, dass er Schein, d. h. eine Schöpfung des Menschen sei. Mit anderen Worten der ästhetisch Geniessende muss einerseits das Kunstwerk als Kunstwerk, d. h. als Werk von Menschenhand, als etwas von Menschen zum Zweck einer spielenden Täuschung Geschaffenes, andererseits doch als Natur, Gefühl, Bewegung u. s. w. auffassen. Er muss aus dem sinnlich Wahrgenommenen, aus den Formen, Farben, Tönen, Worten, Bewegungen, die das Kunstwerk ihm bietet, alles das mit der Phantasie entwickeln, was damit gemeint ist ohne aber zu vergessen, dass er es nur mit Schein, mit einem Surrogat der Wirklichkeit zu thun hat.

Ich habe diese Zweiheit der Bewusstseinsvorgänge, dieses gleichzeitige Vorhandensein zweier verschiedener Bewusstseinsinhalte als

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