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Lust am Spiel aus den Augen herausschaue. Auf einem Bilde von Gherardo Starnina fesselt ihn besonders eine realistische Episode: Ein Kind wird von einem andern, auf dessen Rücken es liegt, mit den Händen gehalten und vom Lehrer durchgeprügelt, wobei es vor Schmerz schreit und strampelt und seinen Träger ins Ohr beisst. „Dies alles hat Gherardo mit einer solchen Anmut und Leichtigkeit (grazia e leggiadria) gemalt, wie es nur einer kann, der auf alle möglichen wunderlichen Motive aus dem Leben verfällt." Von einer Geisselung Christi von Andrea del Castagno heisst es: „In demselben Bilde sind schön und sehr kräftig die Bewegungen derer, die Jesus geisseln, wobei sie in ihren Gesichtern ebensosehr Hass und Wut zeigen, wie Jesus Christus Geduld und Demut. In seinem Körper, der mit Stricken an die Säule gebunden ist, scheint Andrea das Leiden des Fleisches veranschaulicht zu haben, gleichzeitig mit einer in dem Körper verborgenen göttlichen Natur, die ihm immer noch einen gewissen Adel verleiht." Also Christus sowohl wie seine Peiniger waren schön. Die Schönheit der letzteren war aber nichts anderes als ihr charakteristischer Ausdruck, der also in diesem Falle eigentlich Hässlichkeit oder Widerwärtigkeit war. Und wenn Vasari das Relief Ghibertis, das die Austreibung der Händler aus dem Tempel darstellt, mit den Worten charakterisiert: „Auf ihm befinden sich Figuren, die, indem sie übereinanderstürzen, beim Fallen eine Anmut zeigen, die sehr schön und wohl überlegt ist", so meint er auch damit nicht, dass Ghiberti die Unordnung des Menschenknäuls in Ordnung und Grazie verwandelt, sondern dass er die Unordnung als solche überzeugend und charakteristisch dargestellt habe.

Ganz besonders häufig wird aber das Wort schön von perspektivischen Effekten gebraucht. „Perspektivische Ansichten sind dann schön, wenn sie, von einem bestimmten Augenpunkt gesehen, richtig sind, so dass die Gegenstände sich verkürzen und von dem Auge entfernen." Von der Froschperspektive (di sotto in su) wird gesagt, die Figuren, die so von unten verkürzt wären, hätten dabei ,,solche Kraft, dass sie das Gewölbe durchzustossen schienen. Und sicherlich bietet diese Gattung in all ihrer Schwierigkeit eine sehr grosse Anmut und viel Schönheit und ist ausserordentlich packend (terribilissima)." Die Hochzeit des Amor und der Psyche von Giulio Romano in Mantua wird mit den Worten charakterisiert: „Es ist nicht möglich, etwas, was mit mehr Anmut und besserer Zeichnung gemacht wäre, zu sehen, indem Giulio diese

Figuren in der Ansicht von unten nach oben so verkürzt hat, dass einige von ihnen, obwohl sie kaum eine Elle hoch sind, doch drei Ellen hoch erscheinen. Und wahrhaftig, sie sind mit wunderbarer Kraft und grossem Genie gemalt, indem Giulio, abgesehen davon, dass er sie durch ihr Relief lebendig erscheinen lässt, auch noch mit ihrem angenehmen Anblick das menschliche Auge täuscht." Die Vorzüge der Ölmalerei erkennt er besonders darin, dass die Künstler in dieser Technik ihren Figuren die schönste Anmut und Lebhaftigkeit und Kühnheit (gagliardezza) geben können, derart, dass ihre Figuren oft plastisch hervorzutreten, geradezu aus der Tafel herauszukommen scheinen, und zwar ganz besonders dann, wenn sie in guter Zeichnung und Erfindung und schöner Manier ausgeführt sind. Überall wird also hier Schönheit im Sinne von illusionistischer Wirkung gebraucht.

Da Michelangelo der Abgott Vasaris war, darf man annehmen, dass es im wesentlichen dessen Anschauungen sind, die er vertritt. Eine Bestätigung dafür ergiebt sich, wenn man die übrigen Schriftsteller, die mit Michelangelo verkehrt haben, zum Vergleiche herbeizieht. Der portugiesische Maler Francisco de Hollanda, der 1538 in Rom mit Michelangelo zusammentraf und später die vier Gespräche über Malerei publizierte, die er mit ihm, Vittoria Colonna und anderen geführt hatte, stellt hier u. a. einen Vergleich der Poesie mit der Malerei an, von der Art wie sie damals in den litterarischen Kreisen Italiens gebräuchlich waren, und kommt dabei, ähnlich wie Lionardo, zu dem Ergebnis, dass die beiden Künste zwar wesensverwandt, die Malerei aber der Poesie durch ihre Anschaulichkeit überlegen sei.,,Wonach die Dichter trachten und was sie für die grösste Kunst halten ist, mit Worten einen Meeressturm oder den Brand einer Stadt auszumalen, den sie aber viel lieber wirklich als Bild malen möchten, wenn sie nur könnten. Wie viel beredter ist die Malerei, die zu gleicher Zeit den ganzen Sturm mit Donner, Blitz, Wogengebraus, sowie untergehenden Schiffen, Felsen und Fahrzeugen zeigt. Auch führt sie den Brand einer Stadt mit allen seinen Schrecknissen unmittelbar und deutlich vor Augen, so natürlich und anschaulich, als wäre er Wirklichkeit. So dass ihr oft vermeinen könntet, selber nicht sicher zu sein und euch freut, dass es nur Farben sind, die kein Unheil anrichten und nicht schaden können. Während man beim Lesen einer dichterischen Beschreibung am Schluss oft nicht mehr weiss, was man am Anfang gelesen hat, betrachten bei der Malerei

die Augen jenes Schauspiel, in welchem sie die Wirklichkeit wiedererkennen, wohlgefällig auf einmal. Ja selbst die Ohren glauben das Angstgeschrei und Stimmengewirr der gemalten Figuren zu vernehmen. Man glaubt den Rauch (von der brennenden Stadt) zu riechen, selber auf der Flucht vor den Flammen zu sein, vor dem Einsturz der Gebäude zu zittern. Ihr streckt die Hände aus, . den Fallenden zu retten. Ihr wollt (bei einem Schlachtenbilde) denen helfen, die sich gegen viele zu verteidigen haben. Ihr flieht mit den Fliehenden, ihr haltet Stand mit den Beherzten. Deshalb glaube ich, dass die Macht der Malerei in der Hervorbringung starker Wirkungen, der Erregung des Geistes und des Gemütes zu Freude und Lachen wie zu Trauer und Thränen stärker und ihre Beredsamkeit eindringlicher ist als die der Poesie."

Und Michelangelo selbst ist es, den er die Worte sprechen lässt:,,Nach meinem Urteil ist diejenige Malerei die vorzüglichste und gleichsam göttlich, die irgend ein Werk des Ewigen (d. h. einen Gegenstand der Natur) ganz treu nachbildet, es sei eine Menschengestalt, ein wildes und fremdländisches Tier, einen einfachen, leicht nachzuahmenden Fisch, einen von den Vögeln unter dem Himmel oder sonst eine Kreatur. Ein jedes dieser Dinge vollkommen in seiner Art nachzuahmen (emitar), bedeutet in meinen Augen nichts Geringeres, als die Schöpferthätigkeit des unsterblichen Gottes nachzuahmen."

Diese Nachahmung ist aber durchaus nichts Willkürliches, Allgemeines, Ungefähres, sondern eine sehr ernste Sache. Der Maler hat ja wohl eine gewisse Freiheit, Dinge zu erfinden, die er nie gesehen hat. Aber er erfindet niemals ein Ding, das nicht dem Bereich der Wirklichkeit angehören könnte. So wird er z. B. einer Menschenhand nicht zehn Finger, noch einem Pferde die Ohren eines Stiers oder den Rücken eines Kamels geben. Auch wird er nicht das Bein eines Elefanten so dünn und in demselben Charakter wie das eines Pferdes malen, noch auch dem Arme oder Gesichte eines Kindes einen Charakter verleihen, wie er einem Greise zukommt. Er wird kein Ohr und kein Auge um einen Finger breit von seinem Platze rücken dürfen. Ja selbst eine kaum bemerkbare Ader an einem Arm darf er nicht da anbringen, wo er es nach seiner Willkür für passend hält. Denn solche Änderungen wären geradezu falsch.

Natürlich gilt es auch in diesem Kreise für ausgemacht, dass die Kunst, da sie ja täuscht, die wirklichen Ernstgefühle erzeugen

müsse. Besonders Vittoria Colonna giebt dem mit Bezug auf die religiöse Malerei beredten Ausdruck. Bei ihrem Anblick empfinde man Ehrfurcht und fromme Scheu. Sie erfülle den Trübgestimmten mit Freudigkeit, dem Sorglosen wie dem Bekümmerten zeige sie das menschliche Elend. Den Hartherzigen bewege sie zur Reue, den Weltlichen zur Busse, den Unfrommen und Leichtfertigen zu beschaulichem Sinnen, bisweilen sogar zu Furcht und Scham u. s. w.

Weniger ausgiebig als der temperamentvolle Hollanda ist der nüchterne und geschäftsmässige Condivi (1553), der freilich nur den biographischen Teil seiner Aufzeichnungen über Michelangelo publiziert hat. Aber wo er einmal ausnahmsweise ein Werk des Meisters besonders charakterisiert, bezieht sich das Lob immer auf die Kraft der Illusion. Gott Vater in der Schöpfung der Blumen und Kräuter an der Decke der sixtinischen Kapelle ist mit solcher Kunst ausgeführt, „dass wohin du dich auch wendest, er dir zu folgen scheint, den ganzen Rücken zeigend bis zu den Sohlen der Füsse, ein sehr schönes Ding, das uns zeigt, was die Verkürzung vermag". Die Menschen in der Sündflut sind so natürlich und packend gemalt, wie man sie sich bei einem solchen Ereignis nur vorstellen kann. Von den Propheten ist der wunderbarste der Jonas. „Sintemal entsprechend der Form des Gewölbes und nach der Wirkung der Lichter und Schatten der Rumpf sich nach hinten verkürzt, und zwar nach jenem Teil des Gewölbes zu, der dem Auge näher ist, während die Beine, die nach vorn gerichtet sind, sich auf dem entfernteren Teil des Gewölbes befinden. Ein erstaunliches Werk, das beweist, was für ein Wissen in diesem Manne ist, in Betreff der Fähigkeit, die Linien nach den Verkürzungen und der Perspektive zu ziehen." Beim Schlangenwunder betont er nur die erstaunliche Kraft derer, die sich die Schlangen vom Leibe wegziehen wollen. Das Gesicht des Moses (in der Statue) ist voll Leben und Geist und dazu angethan, zugleich Liebe und Schrecken einzuflössen, wie es beim wirklichen Moses der Fall gewesen sein mag".

Auch Benedetto Varchi in seiner Leichenrede auf Michelangelo (1563) macht ein paar Bemerkungen dieser Art. Der Zeichnung des Ganymed, die Michelangelo seinem Freunde Cavalieri schenkte, fehle nichts als der Atem, um lebendig zu sein. Bei der Marmorgruppe der Pietà sei die eine Gestalt lebend gedacht, wenn auch voll Trauer, die andere dagegen tot, und in der That habe die

eine in sich das Leben, die andere den Tod. Man glaube die wahrhaftige Jungfrau Maria und den wirklichen Christus in Fleisch und Bein zu schauen, wie sie auf göttliche Weise vom Himmel herabgestiegen seien. Indem der Künstler den verhauenen Marmorblock zum David umgeschaffen habe, habe er einen Toten zum Leben erweckt u. s. w.

Ähnliche Äusserungen haben wir auch aus dem Kreise Raffaels. Der Graf Castiglione hat eine Elegie auf ein Porträt seiner Frau von Raffael gedichtet, in welcher er schildert, wie er in Abwesenheit des Originals zärtlich mit ihm thue, es anlache, mit ihm rede wie mit einer lebenden Person, und wie das Bild selbst ihm zuzunicken und zu ihm zu sprechen scheine.

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Sind schon die Florentiner und Umbrer einstimmig in Bezug auf die Bedeutung der Illusion, so ist es selbstverständlich, dass die Venezianer in dieser Beziehung nicht zurückstehen. Der kunstgebildete Arzt Lodovico Dolce giebt in seinem Dialoge über die Malerei (1557), der seinen Namen von Aretino, dem Freunde Tizians trägt und ohne Zweifel die Anschauungen ausspricht, die in Tizians Kreise herrschten, darauf die beste Antwort. Ich behaupte in Kürze," lässt er Aretino sagen, dass Malerei nichts anderes ist als Nachahmung der Natur, und dass der, der sich ihr in seinen Werken am meisten nähert, auch der vorzüglichste Maler ist. Der Maler sucht durch Linien und Farben, sei es auf Holz, sei es auf Mauerwerk oder Leinwand alles nachzuahmen, was sich dem Auge darbietet. Er vermag Gedanken und Empfindungen darzustellen, weil diese sich durch gewisse äussere Bewegungen zu erkennen geben. Besonders in den Augen kann er jede Leidenschaft, Furcht, Hoffnung und Sehnsucht ausdrücken. Alles das ist geeignet, auf den Beschauer zu wirken." Fabrini erwidert, dass die Figuren eines Bildes, je nach ihrer Auffassung, allerdings zu reden, zu schreien, zu weinen und zu lachen scheinen, worauf Aretino bemerkt: das scheint allerdings, und dennoch thun sie nichts von dem, was sie zu thun scheinen. Und wenn sie manchmal fast so lebendig sprechen, wie die Lebenden selbst, so ist das nur ein Ausfluss der Einbildung des Beschauers und durch die entsprechenden Stellungen veranlasst, nicht Wirkung oder Eigenschaft der Malereien selbst. Es ist also Aufgabe des Malers, jedes Ding derart naturgetreu durch seine Kunst darzustellen, dass es selbst wie natürlich erscheine. Der Maler, dem diese Fähigkeit fehlt, ist kein Maler, während umgekehrt der der beste und vorzüglichste

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