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die Drohung, dass er niemand verschonen werde. Der Künstler aber enthüllte das Bild nicht, um es der Menge zu zeigen, ehe er zuvor einen Trompeter danebengestellt hatte, mit der Weisung, das Angriffssignal zu blasen. Während nun das Signal ertönte, als ob zum Ausfall der Hopliten 'geblasen würde, sah man gleichzeitig das Bild. So wurde durch das Signal das Vorstellungsbild (parraoia) des Vorwärtsstürmenden in der Einbildungskraft verstärkt. In solchen „Phantasien" soll Theon nach Quintilian besonders stark gewesen sein. Derselbe Schriftsteller erklärt dieses Wort in folgender Weise: Was die Griechen qavraoiau nennen, das heisst bei uns visiones, d. h. Vorstellungen, durch die dem Geiste Bilder nicht vorhandener Dinge so mitgeteilt werden, dass man sie mit Augen zu sehen und gegenwärtig zu haben glaubt.

Die Hauptvertreter des Illusionismus in der griechischen Malerei sind aber Zeuxis und Parrhasios. Allgemein bekannt ist die Täuschungsanekdote von den gemalten Trauben und dem Vorhang. Zeuxis hatte Trauben, die von einem Knaben gehalten wurden, so natürlich gemalt, dass die Vögel herbeiflogen, um daran zu picken. Das wurde für ein besonderes Verdienst gehalten, wobei der Künstler nur das Bedenken geäussert haben soll, der Knabe müsse ihm weniger gelungen sein als die Trauben, sonst hätten sich die Vögel vor ihm fürchten müssen. Parrhasios aber übertraf seinen Nebenbuhler noch, indem er einen Vorhang (wahrscheinlich nach der Art gewisser holländischer Kleinmeister) über sein Bild malte, den Zeuxis, als er es betrachten wollte, wegzuziehen versuchte. So hatte Zeuxis zwar die Vögel, Parrhasios aber den Zeuxis getäuscht. Natürlich kommt es hier nicht darauf an, ob diese und ähnliche Anekdoten wahr sind oder nicht, sondern nur auf die Kunstgesinnung, aus der sie hervorgegangen sind. Dass Parrhasios ein so banales Kunststück versucht und noch dazu mit Erfolg versucht haben sollte, ist ganz unwahrscheinlich. Sicher ist aber, dass man ihm im Altertum diese Absicht zutraute und ihm das Gelingen des Täuschungsversuchs zum besonderen Ruhm anrechnete.

Auch die Geschichte von dem Bilde der Helena, das Zeuxis den Krotoniaten malte und wobei er die fünf schönsten Jungfrauen der Stadt als Modelle benutzte, indem er von jeder das nahm, was sie am schönsten hatte, wird auf die Illusion zugespitzt. Denn es handelte sich dabei gar nicht um eine Verschönerung oder Steigerung der Natur, sondern um die unmittelbare Nachahmung

der einzelnen in der Natur vorhandenen Schönheiten, wodurch, wie Cicero sagt, aus dem lebenden Naturvorbild die Wahrheit in das stumme Abbild übertragen wurde. Diese Wahrheit erklärt Brunn richtig als die äussere Wahrheit, die die Sinne durch den Schein der Wirklichkeit zu täuschen, d. h. Illusion zu erregen sucht.

Parrhasios ist uns auch sonst als Illusionist bekannt. So malte er z. B. zwei Schwerbewaffnete, von denen der eine so lebendig in den Kampf stürmte, dass er zu schwitzen schien, der andere die Waffen so natürlich ablegte, dass man geradezu zu hören glaubte, wie er verschnaufte. Seine Stärke bestand in der Behandlung der Umrisse, die er so fein zu zeichnen wusste, dass die Formen hinter sich zu gehen schienen, d. h. dass man aus dem Verlauf der sichtbaren Konturen auf die dem Beschauer abgewandten Teile der Form schliessen konnte.

Von Timanthes heisst es, seine Bilder seien derart gewesen, dass man auf ihnen mehr gesehen habe als darauf gemalt gewesen sei, was offenbar heissen soll, dass er mit wenig Mitteln stark auf die Phantasie zu wirken wusste. Plinius bezeichnet dies geradezu als Genie, und setzt es der technischen Mache entgegen.

Pausias war besonders stark in Verkürzungen. Auf seinem Bilde eines Stieropfers war die volle Länge des Stiers erkennbar, obwohl er ihn ganz von vorn dargestellt und nicht einmal den Unterschied der vor- und zurücktretenden Teile durch Licht und Schatten markiert hatte. Also eine durch rein zeichnerische Mittel erzielte perspektivische Wirkung.

Nikias beobachtete in seinen Bildern Licht und Schatten sorg. fältig und sah besonders darauf, dass die Formen aus der Fläche heraustraten.

Am weitesten muss es aber Apelles in der Illusion gebracht haben. An dem mit dem Blitz in der vorgestreckten Hand dargestellten Alexander schienen die Finger aus dem Bilde hervorzutreten und der Blitz sah aus, als befände er sich ausserhalb der Bildfläche. Sein Herakles zeigte im verlorenen Profil soviel, dass man sich das ganze Gesicht danach vorstellen konnte. Berühmt war seine Fähigkeit, Porträts mit schlagender Ähnlichkeit zu zeichnen. Auf einem Porträt Alexanders des Grossen hatte er ein Pferd so natürlich dargestellt, dass es von lebenden Pferden, die man davor führte, angewiehert wurde.

Sein Zeitgenosse Protogenes gab sich lange Zeit vergebliche Mühe, den Schaum vor dem Maule eines keuchenden Hundes

naturgetreu zu malen, ohne dass es ihm gelungen wäre, einen anderen als künstlichen Eindruck damit zu machen. Denn der Schaum schien immer gemalt zu sein, nicht wirklich aus dem Maule hervorzuquellen, zum grossen Leidwesen des Künstlers, der mit seinem Bilde die Wahrheit, nicht die Wahrscheinlichkeit erreichen wollte. Endlich warf er im Zorn einen Schwamm mit Farbe auf die verhasste Stelle, und siehe da, die Farben setzten sich genau so darauf ab, wie er es mit der grössten Mühe erstrebt, aber nicht erreicht hatte. So konnte man also sagen, dass der Zufall auf dem Bilde die Natur hervorgebracht habe.

Es ist ja natürlich, dass derartige Anekdoten sich immer mehr auf die äusserliche Naturwahrheit, die überzeugende Wiedergabe des Stofflichen als auf den inneren Gehalt, die Wahrheit des Ausdrucks beziehen werden. Dadurch machen sie den Eindruck des Virtuosenhaften und Sensationellen, und nur zu leicht knüpft sich daran die Idee, dass die ganze Kunstauffassung, die ihnen zu Grunde liegt, eine verkehrte sei. Allein die Illusionsästhetik beschränkt ja ihre Forderung durchaus nicht auf die Darstellung der äusseren Erscheinung der Dinge, und das Gespräch des Parrhasios mit Sokrates hat gezeigt, dass auch die Maler jener Zeit, wenn sie schon wie alle Künstler eine gewisse Neigung hatten, die formalen Darstellungsmittel zu überschätzen, doch recht gut wussten, dass die Illusion sich auch auf das Geistige beziehen müsse.

Nun wird man vielleicht erwidern, diese Kunstgesinnung sei die des Hellenismus, also einer einseitig realistischen dem leeren Virtuosentum huldigenden Zeit. In der That gehen ja diese Anekdoten wie es scheint fast alle auf zwei Schriftsteller des dritten Jahrhunderts, Antigonos und Xenokrates zurück, die Plinius bei seinen Kunsturteilen vorzugsweise ausgeschrieben hat. Und da sie beide Künstler waren, könnte man ja sagen, dass sie das Reinkünstlerische in etwas einseitiger Weise betont hätten. Aber gerade das macht ihre Urteile für uns so wertvoll, denn wir wollen ja nicht wissen, was irgend ein Laie oder Nichtskönner oder Philosoph im Altertum von der Kunst gehalten hat, sondern was die Künstler selbst davon gehalten haben. Und wenn man auch zugeben mag, dass die griechische Kunst in der Zeit dieser beiden Männer ihren Höhepunkt schon überschritten hatte, so muss man doch bedenken, dass sie nur um eine oder zwei Generationen jünger waren als die Meister der alexandrinischen Periode, Lysipp und Apelles, die auch in unseren Augen die höchste Blüte der

griechischen Kunst noch mit repräsentieren. Und dann beziehen sich diese Anekdoten doch zum Teil auch auf Künstler des fünften Jahrhunderts, weisen also ganz offenbar auf eine ältere Tradition zurück. Und wenn schon Sokrates und Plato die Kunst ganz ähnlich auffassten und der letztere gerade aus dieser Auffassung seine seltsamen antikünstlerischen Theorien entwickelte, so weiss ich wirklich nicht, wie man um den Schluss herumkommen will, dass diese Auffassung die allgemeingriechische in den Zeiten der höchsten künstlerischen Blüte gewesen sei. Und wer etwa aus den Zügen virtuosenhafter Auffassung, die sich in diesen Urteilen finden, schliessen wollte, Meister wie Zeuxis und Parrhasios, Apelles und Protogenes, Skopas, Praxiteles und Lysipp seien Meister des Verfalls gewesen, dem kann man nur erwidern, dass man jeder Zeit recht viel solche Verfallskünstler wünschen möchte. Auch geht es nicht an, in diesen Urteilen den Ausdruck einer laienhaften oder banausischen Kunstauffassung zu erkennen, denn ihre Urheber waren ja gerade keine Laien, sondern Künstler, die ganz genau wussten, was sie wollten.

Man hat oft behauptet, die Künstler des Mittelalters hätten im Gegensatz zu denen der Antike und Renaissance nicht nach Illusion, sondern nach flächenhafter und dekorativer Wirkung gestrebt. Dass ihre Werke uns, die wir an eine entwickeltere Formensprache gewöhnt sind, einen altertümlichen, steifen und flächenhaften Eindruck machen, ist freilich richtig. Aber ich werde im 22. und 23. Kapitel nachweisen, dass es ein vollkommener Irrtum ist, hierin eine bewusste Absicht zu sehen. Die Absicht dieser Künstler ging vielmehr ebenfalls auf die Natur. Auch sie wollten, freilich mit den geringen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Illusion erzeugen. Das wissen wir aus den Erwähnungen von Kunstwerken in mittelhochdeutschen Dichtungen, z. B. Wigalois 831:

An ir houbetloche vor
was der herre Amor
ergraben meisterliche,
rehte dem geliîche

als ez leben solde.

Und zahlreiche Inschriften haben sich erhalten, in denen mittelalterliche Künstler ihre Absicht, mit der Natur zu rivalisieren, deutlich aussprechen. Es lohnt sich nicht die Beispiele zusammenzutragen. Die jüngeren Zeitgenossen Giottos empfanden an der Kunst des grossen Florentiners besonders die Natürlichkeit. So sagt

Boccaccio von ihm: „Er hatte ein so hervorragendes Genie, dass es in der ganzen Natur keinen Gegenstand gab, den er nicht mit Stift und Pinsel so treu dargestellt hätte, dass er nicht nur ähnlich, nein geradezu identisch mit seinem Vorbilde zu sein schien, dergestalt, dass häufig in den von ihm gemalten Bildern Dinge vorkamen, die das Auge des Beschauers täuschten, so dass dieser das, was nur gemalt war, für wirklich hielt." Man sieht daraus recht deutlich, wie verkehrt es ist, das Naturwidrige, was ja allerdings für unser Gefühl den Bildern Giottos noch vielfach anhaftet, für Absicht zu halten, z. B. zu glauben, dass er seine Architekturen absichtlich kleiner gemacht habe, als sie im Verhältnis zu der Grösse der sich in ihnen bewegenden Menschen hätten sein müssen.

Und Cennino Cennini (Anfang des 15. Jahrhunderts), der als Enkelschüler Giottos sehr wohl wissen konnte, was man in dieser Schule von der Malerei verlangte, spricht mit keinem Wort von einer dekorativen Wirkung, wohl aber wiederholt von Nachahmung der Natur. Die Malerei erfordert nach ihm neben der Ausführung durch die Hand, also der Technik, vor allem Phantasie, um niegesehene Dinge zu erfinden, denen man die Form der natürlichen giebt. Man muss dabei die Vorstellung, die man hat, mit der Hand festzuhalten suchen, indem man das, was gar nicht vorhanden ist, als wirklich darstellt. Dabei muss man sich genau nach dem Einfall des Lichtes richten, da das Bild, wenn man das nicht thäte, ohne Relief, eine einfältige und mit wenig Meisterschaft gefertigte Sache sein würde. Wenn man auch des äusseren Erfolges wegen gut thut, sich älteren renommierten Meistern anzuschliessen, so ist doch die vollkommenste Führerin, die man haben kann, das beste Steuer, die Triumphpforte des Zeichnens das Studium der Natur. Die Unterscheidung von Licht und Schatten soll man auch bei der Architektur durchführen, indem man den Gebäuden die Form giebt, dass an ihren beschatteten Seiten die hochliegenden Gesimse sich schräg nach unten senken, die in Augenhöhe befindlichen horizontal laufen und die des Sockels emporsteigen. Man sieht, wie primitiv die Mittel sind, die diesen Künstlern für die Erreichung der Illusion zu genügen scheinen. Aber die Absicht illusionistisch, Wirkung ist nicht zu bezweifeln, und darauf allein kommt es an.

Die klassische Zeit für diese Illusionsbestrebungen ist aber die Renaissance. Es ist nicht richtig, wenn man das Naturstudium

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