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geprägte Musik den Hörer zu einer mehr oder weniger starken subjektiven Bewegungsillusion anregt. Diese Thatsache kann wie ich glaube nicht ernsthaft bestritten werden. Bei Kindern und Ungebildeten ist der Drang dazu so stark, dass sie den Takt mit dem Kopf nicken oder mit dem Fuss treten, auch wohl mit dem Finger auf dem Tisch trommeln. Bei Gebildeten kommt keine wirkliche Bewegung zustande, sondern die Töne dringen nur zum Centralorgan und lösen durch ihre rhythmische Folge in diesem eine Bewegungsvorstellung aus, die aber nicht auf das motorische Nervensystem übertragen wird. Die Bewegung bleibt also auch hier latent.

Die Frage ist nun wiederum die, ob der Kern des ästhetischen Genusses beim Anhören rhythmisch ausgeprägter Musik auf dieser subjektiven Bewegungsillusion oder auf der objektiven Bewegungsillusion beruht. Natürlich hängt davon die Bedeutung der Musik als Kunst nicht ab. Denn wir haben ja gesehen, dass sie daneben noch den Charakter der Gefühls- und Stimmungsillusion hat, wodurch ihr ästhetischer Wert genügend garantiert ist. Es fragt sich nur, ob zu dieser Gefühls- und Stimmungsillusion, die ja, wie wir gesehen haben, mehr die Vorstellung eines Gefühls und einer Stimmung als ein wirkliches Gefühl und eine wirkliche Stimmung ist, noch eine Bewegungsvorstellung hinzukommt und ob die objektive oder subjektive Bewegungsillusion das eigentlich Ästhetische ist.

Wenn ich hier auf Grund von Selbstbeobachtung urteilen soll, so handelt es sich bei der Musik meistens um eine Kombination beider Formen, indem die objektive Bewegungsillusion bis zu einem gewissen Grade immer von der subjektiven begleitet ist, und zwar wiederum da am meisten, wo es sich um angenehme Bewegungsvorstellungen handelt. Die primitivste Form der Musik ist die Marsch- und Tanzmusik. Marsch und Tanz aber sind angenehme Bewegungen. Wenn man folglich eine Marsch- oder Tanzmelodie hört, so wird man, auch ohne gleichzeitig einen wirklichen Marsch oder Tanz zu sehen, die Vorstellung der Marschoder Tanzbewegung haben. Diese Vorstellung kann eine doppelte Form annehmen. Wir können uns vorstellen, andere marschieren oder tanzen zu sehen oder selbst zu marschieren oder zu tanzen. Ich glaube wohl, dass in den meisten Fällen beides zusammen eintritt. Es fragt sich nur, ob der Genuss auf beidem in gleicher Weise beruht.

Um dies zu erkennen, müssen wir auch andere Arten von Musik herbeiziehen. Bei Marsch- und Tanzrhythmen ist die Musik

nicht stehen geblieben. Sie ist auch zu Arbeitsrhythmen übergegangen, ja man hat sogar neuerdings behauptet, der Ursprung des Rhythmus sei ganz wesentlich in der Verbindung der Musik mit der Arbeit zu erkennen. Ich halte das nicht für richtig, weil ich glaube, dass solche Kunstformen sich zuerst an angenehmen, erst nachher an unangenehmen Bewegungen entwickeln. Die Arbeitsbewegungen aber sind, wenigstens für den primitiven Menschen, sicher unangenehme Bewegungen.

Wie dem auch sei, jedenfalls war durch die Verbindung der Musik mit der Arbeit die Möglichkeit gegeben, dass sich Rhythmen ausbildeten, die unangenehmen Bewegungen entsprachen. Und in dieser Entwickelung ist die Musik immer weiter gegangen. Sie hat sich immer mehr bemüht, neben den leichten angenehmen Rhythmen, wie sie etwa dem leichten Vorwärtsschreiten oder dem graziösen Tanzen entsprechen, auch solche Rhythmen auszubilden, die den Charakter des Schwerfälligen, Sichmühsamdahinwindenden, des düster und unheimlich Aufundabwogenden haben. Natürlich kann man bei derartigen Rhythmen die Ursache der Lust nicht in der subjektiven Bewegungsillusion erkennen. Denn auf den eigenen Körper des Hörenden übertragen würden diese Rhythmen notwendig ein Gefühl der Unlust hervorrufen.

In allen diesen Fällen kann der Genuss vielmehr nur darin bestehen, dass man an irgend etwas anderes sich Bewegendes denkt. Das Leben und die Natur bieten uns ja eine Menge rhythmischer oder nahezu rhythmischer Bewegungserscheinungen, die von der Bewegung unseres eigenen Körpers ganz unabhängig sind. Der Flug der Vögel, der Lauf der Vierfüssler, das Kriechen der Reptilien, das Fliessen des Wassers, das Branden der Wogen am Ufer u. s. W., alles das sind Bewegungen, die einen mehr oder weniger rhythmischen Charakter haben und die wir aus häufiger Beobachtung kennen. Ich zweifle nicht daran, dass viele Komponisten beim Erfinden ihrer Rhythmen unwillkürlich, vielleicht ohne es selbst zu wissen, an solche rhythmische Bewegungen denken. Da wo sie Vokalmusik komponieren, enthält der Sinn der Worte meistens einen Hinweis auf die Richtung, in der sie solche Vorstellungen suchen müssen. Es ist dabei durchaus nicht nötig, dass immer eine klare Gesichtsvorstellung zu Grunde liegt, es kann auch ein unbestimmtes Etwas sein, ein Geheimnisvolles, dem Komponisten selbst nicht Klares, das als sich bewegend vorgestellt wird. Wo die Vorstellung dagegen klar ist, entsteht leicht Tonmalerei oder Programmmusik,

geprägte Musik den Hörer zu einer mehr oder weniger starken subjektiven Bewegungsillusion anregt. Diese Thatsache kann wie ich glaube nicht ernsthaft bestritten werden. Bei Kindern und Ungebildeten ist der Drang dazu so stark, dass sie den Takt mit dem Kopf nicken oder mit dem Fuss treten, auch wohl mit dem Finger auf dem Tisch trommeln. Bei Gebildeten kommt keine wirkliche Bewegung zustande, sondern die Töne dringen nur zum Centralorgan und lösen durch ihre rhythmische Folge in diesem eine Bewegungsvorstellung aus, die aber nicht auf das motorische Nervensystem übertragen wird. Die Bewegung bleibt also auch hier latent.

Die Frage ist nun wiederum die, ob der Kern des ästhetischen Genusses beim Anhören rhythmisch ausgeprägter Musik auf dieser subjektiven Bewegungsillusion oder auf der objektiven Bewegungsillusion beruht. Natürlich hängt davon die Bedeutung der Musik als Kunst nicht ab. Denn wir haben ja gesehen, dass sie daneben noch den Charakter der Gefühls- und Stimmungsillusion hat, wodurch ihr ästhetischer Wert genügend garantiert ist. Es fragt sich nur, ob zu dieser Gefühls- und Stimmungsillusion, die ja, wie wir gesehen haben, mehr die Vorstellung eines Gefühls und einer Stimmung als ein wirkliches Gefühl und eine wirkliche Stimmung ist, noch eine Bewegungsvorstellung hinzukommt und ob die objektive oder subjektive Bewegungsillusion das eigentlich Ästhetische ist.

Wenn ich hier auf Grund von Selbstbeobachtung urteilen soll, so handelt es sich bei der Musik meistens um eine Kombination beider Formen, indem die objektive Bewegungsillusion bis zu einem gewissen Grade immer von der subjektiven begleitet ist, und zwar wiederum da am meisten, wo es sich um angenehme Bewegungsvorstellungen handelt. Die primitivste Form der Musik ist die Marsch- und Tanzmusik. Marsch und Tanz aber sind angenehme Bewegungen. Wenn man folglich eine Marsch- oder Tanzmelodie hört, so wird man, auch ohne gleichzeitig einen wirklichen Marsch oder Tanz zu sehen, die Vorstellung der Marschoder Tanzbewegung haben. Diese Vorstellung kann eine doppelte Form annehmen. Wir können uns vorstellen, andere marschieren oder tanzen zu sehen oder selbst zu marschieren oder zu tanzen. Ich glaube wohl, dass in den meisten Fällen beides zusammen eintritt. Es fragt sich nur, ob der Genuss auf beidem in gleicher Weise beruht.

Um dies zu erkennen, müssen wir auch andere Arten von Musik herbeiziehen. Bei Marsch- und Tanzrhythmen ist die Musik

nicht stehen geblieben. Sie ist auch zu Arbeitsrhythmen übergegangen, ja man hat sogar neuerdings behauptet, der Ursprung des Rhythmus sei ganz wesentlich in der Verbindung der Musik mit der Arbeit zu erkennen. Ich halte das nicht für richtig, weil ich glaube, dass solche Kunstformen sich zuerst an angenehmen, erst nachher an unangenehmen Bewegungen entwickeln. Die Arbeitsbewegungen aber sind, wenigstens für den primitiven Menschen, sicher unangenehme Bewegungen.

Wie dem auch sei, jedenfalls war durch die Verbindung der Musik mit der Arbeit die Möglichkeit gegeben, dass sich Rhythmen ausbildeten, die unangenehmen Bewegungen entsprachen. Und in dieser Entwickelung ist die Musik immer weiter gegangen. Sie hat sich immer mehr bemüht, neben den leichten angenehmen Rhythmen, wie sie etwa dem leichten Vorwärtsschreiten oder dem graziösen Tanzen entsprechen, auch solche Rhythmen auszubilden, die den Charakter des Schwerfälligen, Sichmühsamdahinwindenden, des düster und unheimlich Aufundabwogenden haben. Natürlich kann man bei derartigen Rhythmen die Ursache der Lust nicht in der subjektiven Bewegungsillusion erkennen. Denn auf den eigenen Körper des Hörenden übertragen würden diese Rhythmen notwendig ein Gefühl der Unlust hervorrufen.

In allen diesen Fällen kann der Genuss vielmehr nur darin bestehen, dass man an irgend etwas anderes sich Bewegendes denkt. Das Leben und die Natur bieten uns ja eine Menge rhythmischer oder nahezu rhythmischer Bewegungserscheinungen, die von der Bewegung unseres eigenen Körpers ganz unabhängig sind. Der Flug der Vögel, der Lauf der Vierfüssler, das Kriechen der Reptilien, das Fliessen des Wassers, das Branden der Wogen am Ufer u. s. w., alles das sind Bewegungen, die einen mehr oder weniger rhythmischen Charakter haben und die wir aus häufiger Beobachtung kennen. Ich zweifle nicht daran, dass viele Komponisten beim Erfinden ihrer Rhythmen unwillkürlich, vielleicht ohne es selbst zu wissen, an solche rhythmische Bewegungen denken. Da wo sie Vokalmusik komponieren, enthält der Sinn der Worte meistens einen Hinweis auf die Richtung, in der sie solche Vorstellungen suchen müssen. Es ist dabei durchaus nicht nötig, dass immer eine klare Gesichtsvorstellung zu Grunde liegt, es kann auch ein unbestimmtes Etwas sein, ein Geheimnisvolles, dem Komponisten selbst nicht Klares, das als sich bewegend vorgestellt wird. Wo die Vorstellung dagegen klar ist, entsteht leicht Tonmalerei oder Programmmusik,

wobei man dann genau weiss, was der Komponist sich bei seinen rhythmischen Figuren gedacht hat. Wenn z. B. Bach in der Matthäuspassion bei den Worten: „,und der Vorhang des Tempels zerriss in zwei Stücke" das Zerreissen durch eine gewisse absteigende Figur in den Geigen wiedergiebt, so weiss man ganz genau, worauf sich der Rhythmus bezieht. Es ist eben der Vorhang, also etwas vom Hörer Verschiedenes, ausser ihm Befindliches, was dabei sich bewegend gedacht wird. Der Gedanke, dass sich die Vorstellung hier auf den eigenen Körper beziehen könne, ist ganz ausgeschlossen, da die Vorstellung des Zerreissens, auf den eigenen Körper angewendet, ja nur unlusterregend sein könnte.

Es liegt nun nahe anzunehmen, dass die meisten Komponisten auch da, wo diese Beziehung infolge des Fehlens der Worte nicht ganz deutlich ist und vielleicht auch ihnen selbst nicht in voller Klarheit vorschwebt, doch bei ihren Rhythmen an etwas ausserhalb Befindliches sich Bewegendes denken. Darauf scheint es wenigstens zu beruhen, wenn man von schwebenden, steigenden, fallenden, vorwärtsstürmenden, leicht einhertänzelnden, sanft dahinfliessenden, schwer sich windenden Rhythmen spricht, wobei man schon wegen der Natur der hier gebrauchten Bilder nicht immer an den eigenen Körper denken kann. Wenn man das aber annehmen darf, so ist es auch sehr wahrscheinlich, dass derartige Formen auch bei den Zuhörern objektive Bewegungsillusionen erzeugen, deren Inhalt sich natürlich nach den Erfahrungen, die sie im Leben gemacht, nach den Bewegungserscheinungen, die ihnen besonders gegenwärtig sind, richten wird. Und diese Bewegungsvorstellungen werden dann wieder wegen des inneren Zusammenhanges zwischen Bewegung und Gefühl bestimmte objektive Gefühls- oder Stimmungsillusionen erzeugen, bei denen man sich den Komponisten oder die Musiker oder das Etwas, was man sich bewegt denkt, von irgend einem Gefühl oder einer Stimmung erfüllt vorstellt.

Jedenfalls hat auch hier die objektive Bewegungsillusion vor der subjektiven den Vorzug einer geringeren Beschränkung in Bezug auf den Inhalt. Eine Musik, die ihre Rhythmen auf objektive Bewegungsillusion berechnet, kann viel mehr Bewegungsvorstellungen erzeugen, und hat dadurch auch eine viel grössere Ausdrucksfähigkeit als eine, die bei der Erfindung ihrer Rhythmen nur auf die subjektive Bewegungsillusion des Hörers Rücksicht nimmt. Darauf beruht es auch, dass die Musik dem Tanz ästhetisch

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