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genommen ist es dagegen ein wirkliches Gefühl. Wenn mir das Wasser im Munde zusammenläuft, so entsteht in mir ohne Zweifel ein wirkliches Gefühl. Aber im Hinblick auf den Geschmack selbst, auf den es sich bezieht, ist es ein Scheingefühl, ein Illusionsgefühl.

Wenn ich nun anstatt der wirklichen Erdbeere eine gemalte einsetze, so ändert sich das Gefühl wiederum in sehr charakteristischer Weise. Und zwar dadurch, dass der Gedanke an den wirklichen Genuss jetzt überhaupt nicht in Betracht kommt. Er kommt aber deshalb nicht in Betracht, weil die Erdbeere, die ich da sehe, gar keine wirkliche ist, also auch nicht gegessen werden kann. Wenn nun infolgedessen auch das Lustgefühl, das durch den Gedanken an den wirklichen Genuss entsteht, nicht möglich ist, so muss das ästhetische Lustgefühl, das ich dabei habe, offenbar durch etwas anderes erzeugt werden. Dieses andere ist eben die Illusion. Natürlich ist das Lustgefühl der Illusion ein wirkliches, kein Scheingefühl. Aber mit Bezug auf seinen Inhaltsüsse, wohlschmeckende Frucht ist es ein Scheingefühl. Das Gefühl, das einer wirklichen Erdbeere gegenüber entstehen würde, tritt hier nur in einer ganz schwachen Abblassung, in Form einer Vorstellung, eines ästhetischen Scheins, in das Bewusstsein des Anschauenden.

Wenn man nun alles dies zugiebt, so liegt kein Grund vor, bei den anderen weniger sinnlichen Gefühlen, Hass, Liebe, Angst, Trauer, Freude u. s. w., die die Kunst darstellt, die Möglichkeit, dass sie nur Gefühlsvorstellungen seien, zu leugnen. Dass man alle diese Gefühle in verschiedenem Grade haben kann, ist uns ja schon klar geworden. Und wenn wir in der Abschwächung der Fälle noch weiter hinuntergehen und uns das Substrat dieser Gefühle, wie es ja im Kunstwerk der Fall ist, als einfach erfunden, als imaginär, als Phantasiebild denken, so ist ganz klar, dass diese Gefühle als Ernstgefühle nur in ganz abgeschwächter Form in unserer Seele vorhanden sein können. Wenn wir etwas Unan

genehmes hören, was wirklich passiert ist, so können wir immerhin noch einige Unlust empfinden, wenn auch vielleicht, da uns die Sache nicht näher angeht, nur eine sehr geringe. Wenn wir aber wissen, dass das Unangenehme, was wir sehen oder hören, sich nie und nirgend begeben hat, dass es eine Erfindung des Künstlers ist, so können wir dabei natürlich auch keine wirkliche Unlust empfinden. Das Gefühl, das dabei entsteht, werden wir also passend als Gefühlsvorstellung, Illusionsgefühl oder Scheingefühl bezeichnen.

Der Unterschied eines wirklichen Gefühls von einem ästhetischen Scheingefühl lässt sich am besten an der Tragödie veranschaulichen. Wenn ich im Leben durch irgend einen Zufall in die Lage komme, einer Mordthat beizuwohnen, so ist das Gefühl, das ich dabei habe, ohne Zweifel ein Ernstgefühl, gemischt aus Schrecken, Grauen, Hass, Mitleid u. s. w. Alles das sind Unlustgefühle, und zwar die stärksten, die ein Mensch überhaupt haben kann. Wenn ich dagegen einen Mord auf der Bühne sehe, so ist das Unlustgefühl, dass ich bei seiner Anschauung habe, ein Scheingefühl, da die That ja nur ästhetischer Schein ist. Auch kann ich dabei schon deshalb keinen wirklichen Schrecken, kein wirkliches Grauen empfinden, weil dies Unlustgefühle sind, während die ästhetischen Gefühle ja durchweg Lustgefühle sind. Ich kann also höchstens sagen, dass in das ästhetische Lustgefühl ein klein wenig inhaltliche Unlust oder besser gesagt ein klein wenig Unlust von einer unangenehmen Gefühlsvorstellung eingeht. Dieses Etwas muss aber so gering sein, dass es der ästhetischen Lust gegenüber gar nicht in Betracht kommt. Denn käme es in Betracht, so würde ja überwiegende Unlust entstehen und der Kunstgenuss wäre dann einfach unmöglich. Es wäre dann absolut unverständlich, warum der Mensch sich freiwillig diesem Gefühl des Schreckens und des Grauens aussetzte. Geniesst man etwa dazu Kunst, dass man die Unlustgefühle, die man allenfalls, d. h. unter besonders ungünstigen Umständen, im Leben haben könnte, sich freiwillig durch derartige Schaustellungen verschafft?

Die Anhänger der älteren Ästhetik sagen dem gegenüber freilich: Die Kunst soll das Hässliche, Grausige und Traurige nicht oder nur unter gewissen Beschränkungen darstellen. Nun, wir werden später sehen, was es mit diesen Beschränkungen auf sich hat. Niemals hat sich die grosse Kunst um sie gekümmert. Man denke an Sophokles, Shakespeare, Milton, Rubens, Rembrandt u.s.w., um sich zu überzeugen, dass die Kunst von jeher das Hässliche und Furchtbare mit derselben Kraft und Energie dargestellt hat wie das Schöne und Angenehme. Das beruht einfach darauf, dass die Gefühle, die man bei einem wirklichen ästhetischen Genuss hat, in Bezug auf ihren Inhalt gar keine Ernstgefühle, sondern nur Scheingefühle, Gefühlsvorstellungen sind. Natürlich ist eine Gefühlsvorstellung dem wirklichen Gefühl, auf das sie sich bezieht, ähnlich. Sie zeigt, wenn ich so sagen darf, dieselbe Klangfarbe, bewegt sich in derselben Richtung. Aber identisch damit

ist sie nicht. Der Einwand, dass ein Gefühl ein Gefühl sei und darum Realität habe, ist vollkommen hinfällig. Denn daran zweifelt ja niemand, dass das ästhetische Gefühl als solches Realität hat, empfinden wir doch dabei wirkliche Lust. Aber es hat Realität nur insoweit es ein ästhetisches Gefühl ist. In Bezug auf seinen Inhalt ist es ein Scheingefühl.

Damit ist natürlich weder der Künstler noch der Kunstgeniessende in seiner Thätigkeit degradiert. Ein Mensch, der die Fähigkeit hat, sich zum Zwecke des künstlerischen Schaffens in alles hineinzuversetzen, kann darum als Mensch ein durchaus ehrlicher und vortrefflicher Mann sein. Aber das steht auf einem

anderen Blatte. Uns geht er hier nur als Künstler an. Und als solcher ist er ein Mann der Illusion. Als solcher kann er sich vorstellen, Dinge zu sehen, zu hören und zu fühlen, die er in Wirklichkeit weder sieht, noch hört oder fühlt. Seine Begabung ist eben die, dass er es versteht, sich und andere in Scheingefühle

zu versetzen.

Am allerdeutlichsten ist das beim Schauspieler. Man muss nur sehr wenig von schauspielerischem Treiben wissen, wenn man sich einbildet, dass der Schauspieler in dem Augenblick, in dem er seine Rolle spielt, die Gefühle der Furcht, des Grauens, der Liebe, des Mitleides, die er simuliert, wirklich empfinde. Die Aussprüche von Schauspielern darüber lauten ja freilich verschieden, aber es ist ganz unmöglich, dass ein Darsteller neben der Erfüllung seiner künstlerischen Aufgabe, d. h. neben dem Achten auf seine Stimme, seine Bewegungen, seinen Ausdruck, neben der Berechnung, welchen Eindruck alles das auf sein Publikum machen werde, noch Zeit und Kraft habe, wirkliche Angst, wirkliche Liebe, wirkliche Freude zu empfinden. Natürlich wird er von all dem etwas empfinden, d. h. sein Gefühl in der Richtung, die durch diese Ernstgefühle bezeichnet wird, in Thätigkeit versetzen. Aber wirkliche Gefühle dieser Art wird er nicht haben. Seine wirkliche Angst wird in diesem Augenblicke lediglich die sein, ob es ihm künstlerisch gelingen wird, seine Freude die, dass es ihm künstlerisch gelingt.

Inwieweit ein Schauspieler beim Einüben seiner Rolle in dem Bemühen, sich die Gefühle der Person, die er darstellt, möglichst klar zu vergegenwärtigen, zeitweise bis an die Grenze des wirklichen Gefühls herankommen kann, darüber gehen die Ansichten auseinander. Wahrscheinlich wird das bei verschiedenen Schau

spielern verschieden sein. Aber dass er bei der Aufführung selbst das Ernstgefühl schon überwunden haben, schon in die blosse Illusion eingetreten sein muss, daran zweifle ich nicht. Wenn ein Schauspieler in einer Saison zwanzig- oder dreissigmal sterben oder sich angesichts des Todes eines andern abmartern muss, so kann er das nicht jedesmal mit der vollen Stärke des Ernstgefühls thun. Was sollte wohl sonst aus seiner armen Seele werden?

Oder glaubt man etwa, ein Schauspieler sei, wenn er eine Liebesszene spielt, in seine Partnerin wirklich verliebt? Das kann ja wohl vorkommen, aber die Regel ist es sicher nicht, und es ist ein Backfischstandpunkt, es als Regel vorauszusetzen. In wen sollte er auch verliebt sein? In die Heldin, die vielleicht nie gelebt hat oder seit einem halben Jahrtausend tot ist? Oder in die Schauspielerin, die pflichtgemäss ihre Rolle spielt und vielleicht gerade von ihm im Leben ebensowenig wissen will wie er von ihr?

Man sagt immer, ein tüchtiger Schauspieler müsse bei seinem Spiel ein warmes Herz und einen kalten Kopf haben. Das heisst doch nichts anderes, als dass er sich zwar einerseits in das dargestellte Gefühl soweit als möglich versetzen, andererseits aber doch die volle Herrschaft über sein Spiel behalten muss. Es ist ganz natürlich, dass durch das letztere die Stärke des Gefühls abgeschwächt, dass es zu einem Illusionsgefühl herabgemindert wird. Ich weiss ja wohl, dass es Schauspieler giebt, die ihren Verehrern weiss machen, es sei ihnen mit ihren Gefühlen auf der Bühne heiliger und bitterer Ernst. Nur sehr naive Menschen lassen sich dadurch täuschen. Man müsste, um das zu glauben, doch alle die bekannten Schauspieleranekdoten nicht kennen, die uns erzählen, wie ein Schauspieler gerade an einer besonders wichtigen und stimmungsvollen Stelle seinem Partner irgend ein einfältiges Witzwort zuflüstert oder den Leuten hinter den Koulissen irgend eine Grobheit an den Kopf wirft.

Das mag ja eine Entweihung der Kunst sein; jedenfalls beweist es aber, dass selbst grosse Schauspieler auf der Bühne nicht immer so fühlen, wie sie nach dem Inhalt ihrer Worte zu fühlen vorgeben. Die Grösse eines Schauspielers besteht eben gar nicht darin, dass er das, was er wirklich fühlt, ausdrücken kann das können auch andere sondern dass er das, was er nicht fühlt, was er sich nur in der Phantasie vorstellt, ausdrücken kann. Ein Dilettant spielt immer sich selbst, ein guter Schauspieler immer

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einen anderen. Er kann sich eben, durch die Illusion, in jede Rolle hineinversetzen. Und gerade dieses Sichhineinversetzen, dieses Thunalsob ist das Ausschlaggebende bei seiner wie bei jeder künstlerischen Thätigkeit.

Und was vom Schauspieler gilt, gilt genau ebenso, ja sogar in noch höherem Grade, vom Zuschauer. Es ist vollkommen überflüssig, dass dieser die Gefühle der Personen, die in dem Stück vorkommen, alle selbst mitfühlt. Es genügt vollkommen, wenn er sie sich vorstellt. Natürlich wird er sich in die Personen, die ihm sympathisch sind, in höherem Grade einfühlen, d. h. lebhafter mit ihnen fühlen wie mit den anderen. Aber in voller Stärke wird er das Gefühl, das der Inhalt voraussetzt, durchaus nicht in sich erzeugen. Sonst müsste man ja z. B. annehmen, dass der Zuschauer während der letzten Szene der Maria Stuart, wo Leicester durch den Fussboden des Zimmers hindurch das Geräusch der Hinrichtung der Königin hört, genau dieselben Gefühle hätte wie ein Mensch, der einer wirklichen Hinrichtung beiwohnt. Welcher Art diese sind, wissen wir ja: Ein Gemisch von Neugier, Grauen, Entsetzen und Mitleid, wie es wohl die rohe Menge früher hatte, wenn sie zu den öffentlichen Hinrichtungen strömte. Schiller würde sich wohl schön bedanken, wenn man ihm die Absicht solche Gefühle zu erzeugen unterlegen wollte.

Nachdem wir hiermit das Wesen des ästhetischen Scheingefühls kennen gelernt haben, können wir uns zur Analyse des lyrischen Genusses wenden, in Bezug auf dessen Wesen die sonderbarsten Missverständnisse herrschen. Die Lyrik ist die Kunst der Gefühls- und Stimmungsillusion. Zwar giebt es Gattungen derselben, die auf Erregung wirklicher Gefühle ausgehen. Dazu gehört z. B. die Kriegslyrik, die beim Ausbruch eines Krieges zu entstehen pflegt und im Felde von den Truppen gesungen wird. Sie geht aus einem unmittelbaren kriegerischen Gefühl hervor und hat den Zweck, in den Zeiten, wo nicht gekämpft wird, z. B. auf dem Marsche oder im Quartier, den Kampfinstinkt lebendig zu erhalten, und dadurch mittelbar den Mut und die Ausdauer der Soldaten zu steigern. Dazu gehört ferner die Lyrik des Gesangbuchs, die von Männern der Kirche aus dem innersten religiösen Bedürfnis heraus gedichtet ist und dazu dienen soll, die religiösen Gefühle der Gemeinde zu wecken und zu kräftigen. Dazu kann man endlich die politische Lyrik rechnen, die meist von freisinniger Seite, aus demokratischer Gesinnung heraus geschaffen wird und

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