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forschung sich überlebt hat. Sie war nötig, solange die Thatsachen des vergangenen Kunstlebens nur ungenügend bekannt waren. Sie wird auch in Zukunft nötig sein, um den neu hinzukommenden Stoff in das Ganze der Entwickelung einzugliedern. Aber sie wird nicht mehr wie bisher die ganze Kunstschriftstellerei beherrschen. Mit Recht fordert man an Stelle der Zusammenhäufung grosser Massen von Einzelthatsachen eine theoretische Erkenntnis des Wesens der Kunst und der Bedingungen, unter denen sie zur Wirkung gelangt. Die Kunstgeschichte ist bisher nicht im stande gewesen, diese zu bieten, weil sie das Wesen der Kunst immer als bekannt voraussetzte, mit ihm wie mit einer feststehenden Thatsache rechnete.

Aber gerade von einer solchen kann im Grunde bis jetzt nicht die Rede sein. Wir wissen bis auf diesen Tag nicht, was bei der Anschauung der Kunst die Hauptsache, was die Nebensache ist. Wir wissen infolgedessen auch nicht, welchem Bedürfnis die Kunst ihre Entstehung verdankt, ob sie sich in einer bestimmten einheitlichen Richtung entwickelt und ob es Gesetze dieser Entwickelung giebt oder nicht. Wir sehen nur eine grosse Menge von Einzelthatsachen, die in vielen Dingen sehr stark voneinander abweichen. Und aus diesen Abweichungen schliessen wir nur allzurasch, dass es ein einheitliches Wesen der Kunst überhaupt nicht gebe. An die Stelle der Kunst setzen wir viele verschiedene Künste, von denen die eine dieses, die andere jenes Ziel erstreben soll, und von jeder einzelnen dieser Künste nehmen wir wieder an, dass sie in verschiedenen Ländern und bei verschiedenen Völkern ganz verschiedenen Idealen nachgestrebt habe.

Es scheint, dass die Kunstgeschichte dieser atomistischen Auffassung besonders günstig ist. Der Kunsthistoriker hat eben nach der Art seines Forschungsobjektes sein Augenmerk vorzugsweise auf die Verschiedenheiten der künstlerischen Erscheinungen zu richten. Offenbar wird dadurch sein Blick für das Gemeinsame, für das Gefühl, aus dem heraus alle Kunst entsteht, leicht getrübt. Wenn man die abfälligen Urteile hört, die oft in Kunsthistorikerkreisen über die Ästhetik gefällt werden, so könnte man fast zu der Meinung kommen, es handle sich hier um zwei Wissenschaften, die gar nichts miteinander zu thun hätten. Es giebt Kunsthistoriker, die ganz offen aussprechen, die Frage, ob ein Kunstwerk schön oder nicht schön sei, gehe den Gelehrten gar nichts an, das Wort „,schön" brauche in einer Kunstgeschichte überhaupt nicht vorzukommen. Es genüge, wenn man die einzelnen

künstlerischen Erscheinungen der Vergangenheit richtig verstanden, die Bedingungen ihrer Entstehung ermittelt, ihr historisches Verhältnis zu einander klar gelegt habe. Alles übrige sei Phrase.

Dieser Ansicht steht wieder eine andere gegenüber, die von den meisten Kunstkritikern der Gegenwart vertreten wird. Danach käme es nur darauf an, das einzelne Schöne, was die Kunst bietet, im Sinne seines Schöpfers zu geniessen, und die Kritik hätte nur die Aufgabe, diesen Genuss zu vermitteln, dem Publikum die Schönheit der verschiedenen jetzt herrschenden Kunstrichtungen, einerlei welcher Art sie seien, möglichst klar zu machen.

Die Kunstlehre, wie ich sie verstehe, erkennt die relative Berechtigung dieser Standpunkte wohl an, geht aber von der Überzeugung aus, dass die beiden hiermit skizzierten Aufgaben überhaupt nicht gelöst werden können, wenn nicht zuvor das Wesen der Kunst richtig erkannt worden ist. Denn die Entwickelung und der Wert der Kunst hängt natürlich von ihrem Wesen ab, man kann über sie nicht urteilen, ohne dieses verstanden zu haben. Und die Schönheit eines Kunstwerks bestimmt sich in erster Linie durch die Frage, ob es dem Wesen der Kunst entspricht, nicht ob es irgend einem Kritiker gefällt, der die Fähigkeit hat, sein Urteil anderen so zu suggerieren, dass sie auch daran glauben.

Es ist eine Thatsache, dass wir bis auf diesen Tag keine allgemein-verständliche moderne Kunstlehre haben. Die älteren Bücher dieser Art, so verdienstvoll sie für ihre Zeit waren, stehen nicht auf dem Boden der modernen Kunstentwickelung und hängen mehr oder weniger an veralteten Theorien. Die wissenschaftliche Ästhetik bedient sich im allgemeinen einer Geheimsprache, die nur wenigen Eingeweihten verständlich ist. Die Künstler, die neuerdings als Ästhetiker hervorgetreten sind, bringen zwar über ihre eigene Kunst manche wertvolle Aufklärung, haben aber wie es scheint nicht das Bedürfnis, die Einheit aller Künste und den Kern alles künstlerischen Schaffens nachzuweisen. Und was in den letzten Jahren von ethnologisch - soziologischer Seite in ästhetischer Beziehung geleistet worden ist, hat einen mehr schöngeistigen als streng wissenschaftlichen Charakter.

Deshalb scheint mir eine moderne Kunstlehre, die wissenschaftliche Absichten verfolgt und dabei doch in einer jedermann verständlichen Sprache geschrieben ist, einem Bedürfnis der Zeit zu entsprechen. Ihr Verfasser müsste natürlich von der Einseitigkeit aller im vorigen skizzierten Richtungen überzeugt sein und

wenigstens den guten Willen haben, sie zu vermeiden. Dass dies für mich zutrifft, glaube ich ohne Überhebung sagen zu können. Ob es mir gelungen ist, das Ziel zu erreichen, müssen andere entscheiden. Ich kann nur mit Dürer bekennen:

,,Ich thu' soviel ich mag, aber mir selbs nit genug."

ERSTES KAPITEL

DAS ZIEL

Es

'S ist das Ziel jeder wissenschaftlichen Kunstlehre, das Wesen der Kunst zu ermitteln. Dieses Ziel schliesst drei Aufgaben in sich: Erstlich durch Vergleichung der verschiedenen Künste miteinander ihre enge Verwandtschaft, d. h. die Einheit der Kunst nachzuweisen; zweitens die psychischen Vorgänge des ästhetischen Genusses und des künstlerischen Schaffens zu analysieren; drittens auf Grund dieser Analyse die Gesetze des künstlerischen Schaffens und der Kunstentwickelung festzustellen.

Jede Wissenschaft strebt danach, die einzelnen Thatsachen, die dem Forscher als empirisches Material gegeben sind, unter allgemeine Gesichtspunkte zu bringen und von diesen aus zu verstehen. Solange ein Gesichtspunkt noch nicht so allgemein ist, dass er alles Einzelne erklärt, hat er nur provisorische Bedeutung. Im Wesen der wissenschaftlichen Forschung liegt es, dass sie sich bemüht, zu immer allgemeineren Wahrheiten vorzudringen. Die Aufgabe, die sie sich stellt, ist stets die Ermittelung eines Prinzips, einer Theorie, einer Hypothese, eines Gesetzes oder wie man es nennen will, dem sich alles Einzelne fügt, aus dem alles Einzelne abgeleitet und erklärt werden kann. Wer dieses Streben für unnütz oder unmöglich hält, erklärt damit die Wissenschaft für bankerott. Denn ein sorgfältiges Zusammentragen von Einzelheiten ist keine Wissenschaft.

Es kommt also in der Kunstlehre nicht darauf an, eine Anzahl von Eigentümlichkeiten der Kunst zu ermitteln, die alle gleichberechtigt nebeneinander stehen, oder ein paar allgemeine Wahrheiten zu finden, die auf einige Künste passen, auf andere dagegen nicht, und daneben vielleicht ein paar andere, mit denen man wieder die übrigen erklären kann, sondern es kommt darauf an, das Gemeinsame aller Künste zu ermitteln, d. h. das ausfindig zu machen, worauf die Einheit sowohl aller Künste als auch der ganzen historischen Kunstentwickelung beruht. Dieses Eine stellt dann das Wesen der Kunst dar, d. h. das, was den ästhetischen

Genuss und das künstlerische Schaffen hauptsächlich ausmacht. Ist dieses aber erst einmal gefunden, so sind damit gleichzeitig die Gesetze des künstlerischen Geniessens und Schaffens ermittelt. Denn es ist klar, dass diese jenem nicht widersprechen dürfen. Und aus den Gesetzen des künstlerischen Schaffens ergeben sich unmittelbar auch die Gesetze der Kunstentwickelung.

Wenn ich hier von „, Gesetzen" spreche, so meine ich das natürlich nicht im Sinne der Mathematik oder der ihr zunächst stehenden Naturwissenschaften, wo das Gesetz den Forscher bekanntlich befähigt, genau zu sagen, was unter gewissen von ihm selbst herzustellenden Bedingungen notwendig erfolgen muss. Sondern ich meine es in dem weiteren Sinne, in dem es sowohl in den weniger exakten Naturwissenschaften als auch in den Geisteswissenschaften in der Regel gebraucht wird, d. h. in dem Sinne von allgemeinen Wahrheiten, die provisorisch acceptiert werden, weil sie einerseits keiner der bis dahin bekannten Thatsachen widersprechen, andererseits wohl geeignet sind, alle einzelnen Thatsachen und Phänomene einheitlich zu erklären.

Eine genaue Distinktion zwischen Prinzipien, Theorien, Hypothesen und Gesetzen müssen wir den Logikern überlassen. Nach unserer Auffassung ist der wichtigste Unterschied, der zwischen ihnen besteht, der, dass sie einen verschiedenen Grad der Gültigkeit haben. Dabei schliessen wir uns denen an, die zwischen Naturund Geisteswissenschaften in dieser Beziehung keinen prinzipiellen Unterschied machen. Es mag schwerer sein die Gesetze des geistigen Lebens zu ermitteln als die der Natur, weil die Verhältnisse dort komplizierter liegen und unberechenbarer sind als hier. Und dementsprechend mögen auch die Gesetze der Geisteswissenschaften weniger allgemeingültig sein als die der Naturwissenschaften. Aber Gesetze giebt es dort wie hier, und eine Geisteswissenschaft, die nicht nach ihnen suchte, wäre überhaupt keine Wissenschaft. In der That reden wir ja auch z. B. längst von Gesetzen der Sprachentwickelung und der Volkswirtschaft, es liegt also gar kein Grund vor, die Ermittelung von Gesetzen der künst lerischen Thätigkeit für unmöglich zu halten.

Die Behauptung, dass die historische und somit auch die kunsthistorische Entwickelung lediglich durch die grossen Persönlichkeiten bestimmt werde und sich infolgedessen jeder gesetzlichen Normierung entzöge, ist unhaltbar, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgeht. Sie beruht nämlich auf der Annahme, dass

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