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i) Busammenfallung.

Des Dichters

'Chriftenfum für den Privatgebrauch'

(1. unten Nr. 576).

Wenn ich kennte den Weg des Herrn,
Ich ging' ihn wahrhaftig gar zu gern.
Führte man mich in der Wahrheit Haus,
Bei Gott, ich ginge nicht wieder heraus.

Zahme Xenien II. H. 2, 357.

Der kirchliche Protestantismus, den man uns überlieferte, war eigentlich nur eine Art von trockner Moral. An einen geistreichen Vortrag wurde nicht gedacht und die Lehre konnte weder der Seele noch dem Herzen zusagen. Genug, er (der Knabe) kam auf den Gedanken, sich dem großen Gotte der Natur, dem Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, unmittelbar zu nähern. Der Weg dazu war

aber sehr sonderbar u. s. w.

Dichtg. u. Wahrh. I (ca. 1755). H. 20, 37. [550.

In der Folge trat bei mir das Übel hervor, welches aus unserer, durch mancherlei Dogmen komplizierten, auf Bibelsprüche, die mehrere Auslegungen zulassen, gegründeten Religion bedenkliche Menschen dergestalt anfällt, daß es hypochondrische Zustände nach sich zieht und diese bis zu ihrem höchsten Gipfel, zu firen Ideen, steigert.

Dichtg. u. Wahrh. VII (1764). H. 21, 75. [551.

Da ich oft genug hatte sagen hören, jeder Mensch habe am Ende doch seine eigne Religion, so kam mir nichts natürlicher vor, als daß ich mir auch meine eigne bilden könne, und dies that ich mit vieler Behaglichkeit. Der neue Platonismus lag zu Grunde. Das Hermetische, Mystische, Kabbalistische gab auch seinen Beitrag her, und so erbaute ich mir eine Welt, die seltsam genug aussah.

Dichtg. u. Wahrh. VIII (1769). H. 21, 126. [552.

Er (Voltaire) hatte die Religion und die heiligen Bücher, worauf sie gegründet ist, um den sogenannten Pfaffen zu schaden, nicht genug herabsetzen können und mir dadurch manche unangenehme Empfindung erregt.

Dichtg. u. Wahrh. XI (1771). H. 22, 38. [553.

Es (das Système de la Nature) kam uns so grau, so kimmerisch, so totenhaft vor, daß wir Mühe hatten, seine Gegenwart auszuhalten, und wir davor wie vor einem Gespenste schauderten. Wenn uns dieses Buch einigen Schaden gebracht, so war es der, daß wir aller Philosophie, besonders aber der Metaphysik herzlich gram wurden und blieben. Dichtg. u. Wahrh. XI (1771). H. 22, 42. [554.

Wir geben allen Fanatikern von beiden entgegengesetzten Parteien zu bedenken, ob es dem höchsten Wesen anständig sei, jede Vorstellungsart von ihm, dem Menschen und dessen Verhältnis zu ihm zur Sache Gottes zu machen und darum mit Verfolgungsgeist zu behaupten, daß das, was Gott von uns allen als gut und böse angesehen haben will, auch vor ihm gut und böse sei, oder ob das, was in zwei Farben für unser Auge gebrochen wird, nicht in einen Lichtstrahl für ihn zurückfließen könne. Zürnen und vergeben sind bei einem unveränderlichen Wesen doch wahrlich nichts

als Vorstellungsart. Darin kommen wir alle überein, daß der Mensch das thun solle, was wir alle gut nennen, seine Seele mag nun eine Kotlache oder ein Spiegel der schönen Natur sein, er mag Kräfte haben, seinen Weg fortzuwandeln oder siech sein und eine Krücke nötig haben. Die Krücke und die Kräfte kommen aus einer Hand. Darin sind wir einig und das ist genug. Frankf. Anz. v. 1772-73. H. 29, 22. [555.

"Kinder, wenn ihr streiten müßt, ob ihr im Käfig seid oder nicht, so ist's so gut als wäret ihr nicht darinnen'. Seitdem uns ein alter Philosoph diese Fabel gelehrt hat, seitdem haben wir allen Streit über die Freiheit aufgegeben. Es ist auch vielleicht keine gelehrte Zänkerei weniger gründlich behandelt worden als diese. Am Ende war Spott hier und Anathema dort der Beschluß des sehr entbehrlichen Dramas.

Ebendas. H. 29, 74. [556.

Wir haben alle Predigten dieses ersten Bandes (von Lavater) mit Vergnügen und warmer Hochachtung für den Verf. gelesen und empfehlen sie unseren Lesern aus Über

zeugung.

Ebendas. H. 29, 91. [557.

Wenn man's bei Licht besieht, hat jeder seine eigene Religion, und Gott muß mit unserem armseligen Dienste zufrieden sein aus übergroßer Güte; denn das müßte mir ein rechter Mann sein, der Gott diente, wie sich's gehört! Brief des Pastors zu *, 1773. H. 27, 92. [558.

***

Die einzige brauchbare Religion muß einfach und warm sein. Von der einzigen wahren haben wir nicht zu urteilen. Wer will das echte Verhältnis der Seele gegen Gott bestimmen als Gott selbst?

3wo biblische Fragen, 1773. H. 27, 99. [559.

Ob sie (Jhre Buben) an Christ glauben oder Göß oder Hamlet, das ist eins. Nur an was laßt sie glauben. Wer nichts glaubt, verzweifelt an sich selber.

An Betty Jacobi, Febr. 1774. [560.

Alle Bekehrungsversuche machen... starr und verstockt, und dies war umsomehr mein Fall, als Lavater zuletzt mit dem harten Dilemma hervortrat: entweder Christ oder Atheist. Ich erkläre darauf, daß, wenn er mir mein Christentum nicht lassen wolle, so könnte ich mich wohl auch zum Atheismus entschließen, zumal da niemand recht wisse, was beides eigentlich sei. Dichtg. u. Wahrh. XIV (1774). H. 22, 151. [561.

Mein Verhältnis zur christlichen Religion lag bloß im Sinn und Gemüt und ich hatte von jener physischen Verwandtschaft (mit Christo), zu welcher Lavater sich hinneigte, nicht den mindesten Begriff.

Ebendas. [562.

Religiöse Gespräche hatte ich bisher sachte abgelehnt und verständige Anfragen selten mit Bescheidenheit erwidert, weil sie mir gegen das, was ich suchte, nur allzu beschränkt erschienen. Ebendas. H. 22, 165. [563.

Man wiederholte so oft in jenen toleranten Zeiten, jeder Mensch habe seine eigne Religion, seine eigne Art Gottesverehrung. Ob ich nun gleich dies nicht gerade behauptete, so konnte ich doch im gegenwärtigen Falle bemerken, daß Männer und Frauen (Lavater und Frl. v. Klettenberg) einen verschiedenen Heiland bedürfen.

Ebendas. H. 22, 156. [564.

Beim Glauben, sagte ich, komme alles darauf ein, daß man glaube; was man glaube, sei völlig gleichgültig. Der Glaube sei ein großes Gefühl von Sicherheit für die Gegenwart und Zukunft, und diese Sicherheit entspringe aus dem Zutrauen auf ein übergroßes, übermächtiges und unerforschliches Wesen. Auf die Unerschütterlichkeit dieses Zutrauens komme alles an; wie wir uns aber dieses Wesen denken, dies ... sei ganz gleichgültig.

Dichtg. u. Wahrh. XIV (1774). H. 22, 157. [565.

Ich bin vielleicht ein Thor, daß ich euch nicht den Gefallen thue, mich mit euren Worten auszudrücken und daß ich nicht einmal durch eine Experimental-Psychologie meines Innersten euch darlege, daß ich ein Mensch bin und daher nicht anders sentieren kann als andere Menschen, daß alles, was unter uns Widerspruch scheint, nur Wortstreit ist, der daraus entsteht, weil ich die Sachen unter anderen Kombinationen sentiere und darum, ihre Relativität ausdrückend, sie auch anders benennen muß, welches aller Kontroversien Quelle ewig war und bleiben wird. Und so ist das Wort der Menschen mir Gottes Wort, es mögen's Pfaffen oder Huren gesammelt und zum Kanon gerollt oder als Fragmente hingestreuet haben. Und mit inniger Seele fall' ich dem Bruder um den Hals: Moses! Prophet! Evangelist! Apostel, Spinoza oder Machiavell!

An Pfenniger, Ende April 1774. [566.

Wenn ich ihm (Lavatern) nur einige Tropfen selbstständigen Gefühls einflößen kann, soll mich's hoch freuen.

Es ist unglaublich wie schwach er ist und wie man ihm, der doch den schönsten, schlichtesten Menschenverstand hat, den ich je gefunden habe, gleich Rätsel und Mysterien spricht, wenn man aus dem in sich und durch sich lebenden und wirkenden Herzen redet.

An Schönborn, den 8. Juni 1774. [567.

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