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Ich fühl's, vergebens hab' ich alle Schäße
Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
Und wenn ich mich am Ende niederseße,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft.
Ich bin nicht um ein Haarbreit höher,
Bin dem Unendlichen nicht näher.

Faust I. 4. H. 12, 59. [416.

So tauml' ich von Begierde zum Genuß
Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.

Faust I. 13. H. 12, 105. [417.

Wie von dem Fenster dort der Sakristei

Aufwärts der Schein des ew'gen Lämpchens flämmert
Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,

So sieht's in meinem Busen nächtig.

Faust I, Valentinscene (1800?). H. 12, 118. [418.

Seit der Zeit, daß ich Ihnen nicht geschrieben habe, sind mir wenige gute Tage geworden. Ich dachte mich selbst zu verlieren und verliere nun einen Freund (Schiller) und in ihm die Hälfte meines Daseins.

An Zelter, den 1. Juni 1805. [419.

Ich habe noch nicht den Mut fassen können, Sie zu besuchen. Wie man sich nicht unmittelbar nach einer großen Krankheit im Spiegel besehen soll, so vermeidet man billig den Anblick derer, die mit uns gleich großen Verlust (durch Schillers Tod) erlitten haben.

An v. Wolzogen, den 12. Juni 1805. [420.

Zu unsres Lebens oft getrübten Tagen
Gab uns ein Gott Ersatz für alle Plagen,
Daß unser Blick sich himmelwärts gewöhne,
Den Sonnenschein, die Tugend und das Schöne.

Am 5. Okt. 1806, Stammbuchvers. H. 3, 326. [421.

Es ist manchmal, als wenn das, was wir Schicksal nennen, gerade an guten und verständigen Menschen seine Tücke ausübte, da es so viele Narren und Bösewichter ganz bequem hinschlendern läßt. Fromme Leute mögen das auslegen, wie sie wollen, und darin eine prüfende Weisheit finden. Uns anderen kann es nur verdrießlich und ärgerlich sein. An Frau v. Stein, den 16. Aug. 1808. [422.

Der Glückliche, der Behagliche hat gut reden; aber schämen würde er sich, wenn er einsähe, wie unerträglich er dem Leidenden wird. Eine unendliche Geduld soll es geben, einen unendlichen Schmerz will der starre Behagliche nicht anerkennen. Es giebt Fälle, ja es giebt deren, wo jeder Trost niederträchtig und Verzweiflung Pflicht ist! Ich verwünsche die Glücklichen, denen der Unglückliche nur zum Spektakel dienen soll. Er soll sich in der grausamsten Lage körperlicher und geistiger Bedrängnis noch edel geberden, um ihren Beifall zu erhalten und, damit sie ihm beim Verscheiden noch applaudieren, wie ein Gladiator mit Anstand vor ihren Augen umkommen.

Wahlverwandtschaften I. 18 (1809). H. 15, 125. [423.

Ich kann nicht sagen, daß sie (die Einsamkeit in Jena) mir diesmal sehr erfreulich ist. Denn ungeachtet des schönen Wetters und der grünenden Flächen und Hügel, der blühenden Gärten und mancher anderen guten Ingredienzien des Lebens ist doch alles, was mich in Jena umgiebt, so trümmer

haft gegen frühere Zeiten, und ehe man sich's versieht, stolpert man einmal wieder über einen Erdhöcker, wo, wie man zu sagen pflegt, der Spielmann oder der Hund be graben liegt. An Frau v. Stein, den 6. Juni 1809. [424.

Wir haben diese Zeit her ganz eigentlich gemühet, getrieben das, was gethan sein mußte, und weiter keine Freude daran gehabt, als daß es gethan war. So gingen die schönen und mitunter sehr schönen Tage hin ohne innere Belohnung und ohne Hoffnung einer äußeren.

An Charlotte v. Schiller, den 27. April 1810. [425.

Unser ganzes Kunststück besteht darin, daß wir unsere Existenz aufgeben, um zu eristieren (Matth. X. 39, XVI. 25).

Spr. in Prosa II. 261 (nach Riemer v. 24. Mai 1811). H. 19, 61. [426.

Wir können uns jetzt alle als Strandbewohner ansehen und täglich erwarten, daß einer vor unserer Hüttenthür, wo nicht mit seiner Eristenz, doch mit seinen Hoffnungen scheitert.

Wenn wir aber auf uns selbst zurückkehren und Sie in einem so ungeheuren, unübersehbaren Unglück Bruder und Schwester und ich auch Freunde vermisse, die mir am Herzen liegen, so fühlen wir denn freilich, in welcher Zeit wir leben und wie hochernst wir sein müssen, um nach alter Weise heiter sein zu können.

An Graf Reinhard, den 14. Nov. 1812. [427.

Und ich bedenk' es alle Tage,
Wie unterstünde sich die Lust,
Uns zu versüßen Qual der Plage,
Wär' sich nicht Lust der Qual bewußt?

An S. Boifferée, März 1816. H. 3, 163. [428.

Du versuchst, o Sonne, vergebens
Durch die düstern Wolken zu scheinen.
Der ganze Gewinn meines Lebens
Jst ihren Verlust zu beweinen.

Gatte der Gattin, den 6. Juni 1816. H. 2, 429. [429.

Leugnen will ich nicht (und warum sollte man groß thun?), daß mein Zustand an Verzweifelung grenzt.

An S. Boisserée, den 24. Juni 1816. [430.

Der Abschied des ältesten mitwirkenden Freundes (Minister Voigt, † den 22. März 1819) muß den Wunsch um Teilnahme des jüngeren auf das Lebhafteste erregen, um die Augenblicke des Scheidens durch entschlossene neue Lebensthätigkeit erträglich zu machen.

An einen Amtsgenossen, den 24. März 1819 (Strehlke 2, 463). [431.

Es ist der Mühe wert lange zu leben und die mancherlei Pein zu tragen, die ein unerforschlich_waltendes Geschick in unsere Tage mischt, wenn wir zuletzt über uns selbst durch andere aufgeklärt werden u. s. w.

An Prof. Wachler (Gotha), den 24. Okt. 1819.

(Mitget. in d. Ostdeut. Monatsschr. Kynast, 1899). [432.

(G. weist darauf hin), wie er sein Leben aufgeben. mußte, um zu sein, wie er den Augenblick aufgeben mußte, um nach Jahren des Guten zu genießen, und wie er sich durch solche Entsagung gekräftigt habe.

An Schubarth, den 9. Juli 1820. [433.

Soweit wären wir also, daß schon gesorgt ist, jede Art von übermütigem Selbstgefühl werde sich recht hübsch die eigenen Sordinen aufsetzen. Das Alter weiß freilich diese dämpfenden Maschinen ohne weiteres gar gemächlich anzubringen. An Graf Reinhard. den 15. Sept. 1820. [434.

Lange leben heißt gar vieles überleben, geliebte, gehaßte, gleichgültige Menschen, Königreiche, Hauptstädte, ja Wälder und Bäume, die wir jugendlich gesäet und gepflanzt. Wir überleben uns selbst und erkennen durchaus noch dankbar, wenn uns auch nur einige Gaben des Leibes und Geistes bleiben.

An Auguste geb. Gräfin Stolberg, den 17. April 1823. [435.

Die Ärzte gaben mir, auch selbst in der größten Vertraulichkeit, die beste Hoffnung; aber sorgliche Falten legen sich nach so manchen Unfällen in den Geist, daß man die Fähigkeit verliert, der Hoffnung die schuldige Nahrung zu geben. An Schultz, den 11. Juni 1823. [436.

Man hat mich immer als einen vom Glück besonders Begünstigten gepriesen. Auch will ich mich nicht beklagen und den Gang meines Lebens nicht schelten. Allein im Grunde ist es nichts als Mühe und Arbeit gewesen und ich kann wohl sagen, daß ich in meinen 75 Jahren keine vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Es war das ewige Wälzen eines Steins, der immer von neuem gehoben sein wollte. Gespr. mit Eckermann v. 27. Jan. 1824. [437.

Wer nicht verzweifeln kann, muß nicht leben; nur feige sich ergeben ist mir das Verhaßteste. Ich will nicht hoffen

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