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esse zu reden scheint; das „Du“, welches sie dabei einfließen läßt; die Hand, die sie der seinigen nicht entzieht; der lezte Blick, den sie ihm zuwirft, alles das wirkt allmählich." Was hat diese Ausführung, die den größten Raum des unter a) Gesagten einnimmt, mit Bezeugung von Gleichgiltigkeit, Härte und Haß zu thun? Ebenso bedenklich steht es mit der Einteilung S. 54. 1. Worte, 2. Persönlichkeit und mit der Ausfüllung dieses Schemas.

Die Bücher würden sehr gewinnen, wenn der Verfasser bei Gelegenheit einer neuen Auflage die schematische Darstellung der Gliederung auf das Allernotwendigste einschränkte und die ganze Darstellung erheblich verkürzte; denn jezt haftet ihnen eine ermüdende Breite und Weitschweifig: keit an, welche der Wirkung des vielen Guten, was in ihnen enthalten ist, sicherlich schaden wird.

In Bezug auf den Egmont hat den Verfasser seine eindringende Beschäftigung mit der Dichtung, noch mehr vielleicht das Studium des lezten Kapitels von Wahrheit und Dichtung" zu Überzeugungen gebracht, die ich nicht teilen kann. ,,Gewiß", sagt er S. 169,,,hat der Dichter im Egmont dem Leser mehr zugemutet als in irgend einem seiner größeren Werke, ja fast mehr als im Faust". Diese auffallende Ansicht hat sich der Verfasser aus den Bemerkungen über das Dämonische ge= bildet, die Goethe am Schluß von Wahrheit und Dichtung mit Äußerungen über seinen Egmont verbindet. Ja, er findet es sehr bemerkenswert und bedeutsam, daß Goethe überhaupt an jenem Schlusse so viel über Egmont handelt, da die Lebenserinnerungen mit dem Jahre 1775 abschließen und Egmont erst 1787 erschienen sei. Als Biograph mußte aber Goethe darüber schreiben, nicht etwa deshalb allein, weil er überhaupt in jenem Jahre viel mit der ersten Gestaltung des Dramas beschäftigt war, sondern, weil dieses Arbeiten auch mit seinem äußern Leben in mannigfacher Verbindung stand. Er hatte seinen Vater so lebhaft über diesen dichterischen Plan unterhalten, daß dieser ein unüberwindliches Verlangen zeigte, das in dem Kopfe des Sohnes schon fertige Stück auf dem Papiere, es gedruckt, es bewundert zu sehen. Er glaubte die fürchterliche Lücke, die ihn von Lili trennte, durch Geistreiches und Seelenvolles ausfüllen zu müssen, fing darum an, wirklich am Egmont zu schreiben und wurde bei seiner läßlichen Art zu arbeiten von seinem Vater Tag und Nacht zur Vollendung angespornt. Und als er nun für die Abreise nach Weimar Abschied genommen hatte, diese aber sich Tage lang verzögerte, und er dadurch, um nicht zweimal Abschied zu nehmen, sich auf das Haus angewiesen sah, benußte er die Einsamkeit und Enge, um an seinem Egmont fortzuschreiben, und brachte ihn beinahe zustande. Er las ihn dem Vater vor, der eine ganz eigne Neigung zu diesem Stück gewann und

nichts mehr wünschte, als es fertig und gedruckt zu sehen, weil er hoffte, daß der gute Ruf seines Sohnes dadurch sollte vermehrt werden." Eine solche Beruhigung, fügte der Dichter hinzu, sei ihm aber damals auch nötig gewesen. Goethe erzählt dann weiter, wie allmählich vor der innern Beunruhigung über die Verzögerung der Abreise die Anziehungskraft seiner Tragödie sich vermindert habe und die poetische Produktionskraft durch Ungeduld aufgehoben zu werden drohte, wie dann seine Dichtung wirklich dadurch ins Stocken geraten sei, und nun bei der Unruhe, von welcher er innerlich zerarbeitet war, der Vater leichtes Spiel gehabt habe, ihn zu einer Reise nach Italien zu bereden. Und nimmt man noch dazu, daß er einige Tage darauf in Heidelberg zu Fräulein Delf, die ihn von Weimar abwendig machen wollte, aus seiner Tragödie die Worte Egmonts zum Sekretär citierte: „Kind, Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch 2c.": so begreift man gewiß, daß er nicht nur von der Entstehung des Egmont schreiben mußte, sondern auch von dem Inhalt desselben gerade solche Gedanken, welche er auf die eigene damalige kritische Lage beziehen konnte, beim Rückblick auf diese Zeit sich gern vergegenwärtigen und verallgemeinern mochte. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß ihm das Dämonische, wie ihm dieser Begriff oder vielmehr dieses Gefühl in den lezten Jahren seines Lebens vor der Seele stand, am Ende seines Frankfurter Lebens bei der Konzeption des Egmont von solcher Bedeutung gewesen sei, daß wir uns jezt in diese Lebensanschauung hineinfühlen müßten, um so die Dichtung erst gründlich zu verstehen. Daß er damals die von ihm in der Biographie entwickelten Gedanken über das Dämonische nicht gehabt hat, sagt er ja selber: „Und so will ich denn auch hier, um mancher geliebten Leser willen, mir selbst vorgreifen, und weil ich nicht weiß, ob ich so bald wieder zur Rede gelange, etwas aussprechen, wovon ich mich erst viel später überzeugte."

Demnach sehe ich gar keinen Nußen davon ab, wenn man zur Erklärung des psychologisch so klaren Dramas dieses Dämonische herbeizieht, das sich nach Goethe in allem Körperlichen und Unkörperlichen manifestieren kann, ja bei den Tieren sich aufs merkwürdigste ausspricht, das, wenn es in einem Menschen überwiegend hervortritt, unglaubliche Macht sogar über die Elemente ausüben soll, das über alle vereinten sittlichen Kräfte triumphiert, deren Träger endlich vergeblich von dem helleren Teil der Menschen als Betrogene oder als Betrüger verdächtigt werden. Nimmermehr hat bei diesen Ausführungen Goethe noch an seinen Egmont ge dacht, und hätte er infolge einer uns unbekannten Ideenassociation daran gedacht, so können wir doch nichts davon zu einer Erklärung gerade

dieser Tragödie brauchen, viel eher vielleicht zur Erklärung anderer, wenn überhaupt das Hereinziehen eines so dunkeln, unklaren Begriffs irgendwo größere Klarheit schaffen könnte.

Berlin.

Franz Kern.

P. Klaude, Zur Erklärung deutscher Dramen in den oberen Klassen höherer Lehranstalten. Berlin. Weber 1886. 59 S.

Der Verfasser hat das kleine Buch geschrieben, um dadurch die Art, in welcher er Goethes Egmont und Göz für die Zwecke der Schule erflärt hat, zu rechtfertigen. Überall zeigt er sich als erfahrenen und tüchtigen Schulmann, und die Frische und Wärme, womit er für seine Sache eintritt, hat etwas Wohlthuendes. Ich stehe nicht an, die Grundjäße, die er für die Behandlung der dramatischen Lektüre aufstellt, mit geringen Ausnahmen zu billigen, und möchte wohl wünschen, daß auf allen unseren Schulen die Schüler der obersten Klasse mit solchem Ernst, solcher Hingabe an das Wesentliche und solchem methodischen Geschick in unsere großen Dichtungen eingeführt werden, wie Klaucke in diesem Buch es vorschlägt.

Auch darin hat der Verfasser durchaus recht, daß bei rechter Betreibung so eingehender Erklärungen an ein Langweilen der Schüler gar nicht zu denken ist, daß es eine sehr wichtige Angelegenheit der Schule ist, die Schüler lesen (d. h. die Gedanken wieder zu erkennen) zu lehren, und daß wenn die Schule dafür nicht sorgt, nachher vielen ein tieferes Verständnis unserer klassischen Litteratur verschlossen bleibt. Freilich gilt das Lettere auch ganz besonders von einer der reifsten und vollendetsten Dichtungen Goethes, von seinem Tasso, den Klaucke (S. 55 Anm.) von der Schullektüre ausschließen will, weil für die mittelmäßigen Schüler sich kein volles Verständnis und Interesse erzielen“ lasse. Nach meinen oft wiederholten Erfahrungen aber ist das Interesse auch solcher Schüler leicht zu erregen, und hinreichendes Verständnis zu vermitteln halte ich für keine zu schwierige Aufgabe. Freilich was volles Verständnis einer großartigen Dichtung sei, darüber werden wohl die Meinungen immer auseinandergehen, weil auch Ästhetiker und Litterarhistoriker darüber oft genug nicht einig sind und der eine unter vollem Verständnis zuweilen das verstehen mag, was dem anderen als Mißverständnis gilt oder als willkürliches Hineintragen fremder Gedanken. Mir persönlich wird es leichter, Goethes Tasso den Primanern zum Verständnis zu bringen, als Akt III seiner Iphigenie, die doch niemand von der schulmäßigen Behandlung ausschließen kann. Ein volles Verständnis glaubt Klaude auf der Schule ja auch nicht einmal für Göz und Egmont herbeiführen zu können, die er doch für die Schule erklärt hat. Freilich

darf ich nicht verschweigen, daß er S. 58 meint, daß man darum vielleicht besser thue, wenigstens den Egmont in der Schule überhaupt nicht Lesen zu lassen. Ich glaube aber nicht, daß er aus diesem ,,vielleicht" jemals zu einem „sicherlich“ kommen wird.

Was Klaucke entschieden ablehnend über das Lesen mit verteilten Rollen urteilt, billige ich durchaus, ebenso was er über die Gründlichteit" sagt, in einem Drama Vers für Vers erklären zu wollen. Sein eigenes Verfahren, nach welchem eine erste Besprechung des Dramas am Schluß der fünften Stunde zu Ende geführt ist, halte ich für durchaus zweckmäßig und habe seit geraumer Zeit dasselbe Verfahren befolgt; nur lasse ich der Besprechung des ersten Aktes noch eine allgemeine, lediglich auf den äußeren Gang der Handlung gerichtete Besprechung des ganzen Dramas vorangehen. Daß nämlich die Schüler, bevor der Lehrer in irgend eine Erörterung mit ihnen eingeht, eine ganz äußerliche Kenntnis einer deutschen Dichtung durch eigene Lektüre sich erworben haben, halte ich für eine selbstverständliche und unerläßliche Forderung. Natürlich muß man ihnen zu dieser Lektüre sehr viel Zeit lassen. Es ist auch zweckmäßig, sie bei der Ankündigung der erst einige Wochen später zu beginnenden Lektüre aufzufordern, daß sie besonders darauf achten, in welcher Situation der Held sich an jedem Aktschluß befindet. Als ein, wenn auch noch so unvollkommen verstandenes Ganzes, muß das Drama schon bei dem ersten Gespräch mit den Schülern diesen vor der Seele stehen.

Einzelheiten, mit denen ich nicht einverstanden bin, habe ich nur wenige hervorzuheben, und zudem sind diese wenigen für das Ganze meist von geringer Bedeutung.

Der Verf. verhält sich sehr spröde und ablehnend gegen Kunstausdrücke. Er sagt S. 23: „Was sodann die Ästhetik anlangt, so habe ich diesen vornehmen Namen natürlich im Unterricht nicht gebraucht, die Sache aber mit folgender Einschränkung aufzunehmen für notwendig gehalten". Sollen die Primaner, die schon wer weiß wie oft die Wörter Ästhetik und ästhetisch gelesen, wer weiß wie oft das Wort unästhetisch gehört haben und häufig in falscher Anwendung, überhaupt von ihrem Lehrer nicht hören, daß es eine Wissenschaft giebt, welche Ästhetik heißt, die auf ihrem Gebiet ähnliche Normalgeseze aufstellt oder aufstellen möchte, wie die Logik für das verständige und vernünftige Denken, wie die Ethit für das Wollen? Wissen möchten die Schüler gern, sehr gern etwas gerade von solchen Dingen, das hat mich die eigene Erfahrung meiner Jugend, das hat mich lange pädagogische Erfahrung gelehrt. Und ist es da nun nicht zweckmäßig, daß die Schule ihnen das Allernotwendigste darüber mitteilt, daß sie ihnen klar macht, von welchen

Seiten aus man das Schöne bestimmt hat, und daß bis jetzt eine allgemein angenommene Definition dieses Begriffs noch keineswegs gegeben ist? In einer Stunde läßt sich das erörtern, und ich habe gerade hierbei noch nie wahrgenommen, daß die Schüler fich dadurch „belastet“ fühlen; im Gegenteil sie haben das Gefühl der Freude über eine gewonnene Einsicht, nach der sie verlangt haben, das Gefühl der Befreiung von verwirrten Vorstellungen, die auf ihnen gelastet hatten.

Etwas ganz anderes ist es, ob man in der Erklärung eines einzelnen Dramas nötig hat, gerade mit den Kunstausdrücken Ästhetik und ästhetisch zu operieren. Und das verneine ich ebenso wie Klaude. Dafür aber trete ich ihm entschieden entgegen, wenn er es für zweckmäßig oder für pädagogisch geboten erklärt, auch die gerade auf das Drama sich beziehenden bekannten und bequemen technischen Ausdrücke bei der Besprechung eines Dramas zu vermeiden. Der Verf. will nur den Ausdruck Höhepunkt beibehalten. In Wirklichkeit aber gebraucht er viel mehr und muß mehr gebrauchen. Wie sollte er auch vermeiden können zu sprechen von Scenerie, Fabel (verschieden sowohl vom Inhalt, wie vom historischen Stoff), Ereignissen, Zuständen, Motiven, Zwecken, Dialog (auch Stichomythie), Monolog, Einheit der Zeit, des Drts, dramatischem Helden, Exposition, Spannung, Peripetie, Lösung (deus ex machina), Katastrophe, Schuld, Sühne, poetischer Gerechtigkeit (der richtig verstandenen). Freilich auf Tragik und Katharsis wollte ich mit ihm gern verzichten, weil das erste ein ganz unklarer und verschwommener Begriff ist, der von dem einen so, von einem andern anders gemodelt wird, und der zweite Begriff lediglich der philologischen Gelehrsamkeit angehört.

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Klaucke wird sagen, sehr viele von den oben aufgezählten Ausdrücken seien gar keine technischen, sondern Wörter des gewöhnlichen Lebens. Gewiß sind viele das auch, aber in wissenschaftlichen Darlegungen haben sie ihre fest bestimmte Bedeutung, die stets festgehalten werden sollte. Das thut Klaucke selber nicht immer. So schließt er z. B. in seiner Erläuterung des Göz S. 148 den Abschnitt „das Drama als Ganzes" mit folgenden Worten: Eine Fülle von Ereignissen und Zuständen... Aber troß dieser Mannigfaltigkeit und Fülle sind alle einzelnen Ereignisse unter sich durch den Kausalnerus verbunden und haben. ebenso wie die geschilderten Zustände einen Endzweck, den nämlich ... Demnach hat das Drama Einheit der Handlung." Ereignisse können wohl Handlungen veranlassen, aber niemals Handlungen bilden. Wären die Vorgänge im Drama wirklich alle oder zum größten Teil Ereignisse, dann stünde es sehr schlecht mit seiner Handlung. Welche Unklarheit herrscht häufig über den Unterschied von Motiven und Zwecken! Für den Unterricht sind das alles technische Ausdrücke, und es ist für die

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