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mußte. Der fehlerfreie Text nach der neuen Orthographie in einer deutlichen Schrift, die Beigabe von Karten, Tabellen, der Abdruck von Briefauszügen u. s. w. zur Erläuterung der Dramen und statt der sonst üblichen, von den Bearbeitern offenbar grundsäßlich ausgeschlossenen methodischen Anleitungen werden der Einführung dieser Ausgaben in Schulen sehr förderlich sein.

Über Schillers Einfluß auf Goethes Dichtung. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde in der philosophischen Fakultät der Universität Leipzig. Von Richard Borges, Oberlehrer an der Realschule zu Reudniz. Reudniß-Leipzig; Druck von August Hoffmann.

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Die gedankenreiche, sehr anziehend geschriebene Abhandlung, die überall das gründlichste Studium des Lebens und Schaffens der beiden Dichter verrät, geht von dem grundlegenden Gedanken aus, daß eine falsch verstandene Goetheverehrung, eine grundlose Furcht, Goethes Ansehen zu beeinträchtigen, von einer geordneten und eingehenden Beschäftigung mit der Frage abgehalten hat, inwieweit ein Einfluß Schillers auf Goethe stattgefunden hat." Der erste Teil giebt eine Gegenüberstellung der beiden Dichter in den Hauptzügen ihrer Veranlagung und Entwicklung, worauf gezeigt wird, wie sowohl infolge ihrer Individualität im allgemeinen als auch ihrer damaligen Zustände im besonderen Schiller in höherem Maße der Gebende, Goethe mehr der Empfangende sein mußte. Die merkwürdige Mischung von Übereinstimmung und Gegensaz wird zunächst bewiesen a) aus dem Verhältnis der beiden Dichter zur Philosophie. Die alte Hauptfrage, wieviel unser Selbst und wieviel die Außenwelt zu unserem geistigen Dasein beitrage, ist für Goethe eigentlich gar nicht da. Er hat beide niemals gesondert und glaubt wirklich, er sehe seine Meinungen vor Augen; Goethes Denkweise ist ein Gegenständliches." Aber auch Schiller liegt ,,die reine Spekulation, welche die Form von allem Inhalt und aller Materie loszulösen strebt, fern" aber er sagt von sich selber, daß er um der Ausübung selbst willen gern über die Theorie philosophiere. — b) aus der Zeichnung ihrer Frauengestalten: „Während Schillers Frauen bei hoher Idealität und wunderbarem Glanz der Erscheinung doch zuweilen die Farbe der Natur vermissen lassen, atmen Goethes Frauen neben der erquickendsten Gemütstiese durchaus lebendige Wirklichkeit, sodaß Goethe hier, wo nach Humboldt die Natur mehr stofflich, weniger „auseinandergewickelt wirkt“ den Preis davonträgt." c) durch die Annäherung ihrer Lebensbahnen; denn beide werden erfaßt von der Kultur- und Litteraturbewegung jener Zeit." Goethes Stürmen ist aber mehr ein rein mensch

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liches gegen das Unnatürliche in den bürgerlichen Verhältnissen, dasjenige Schillers mehr ein politisch-soziales gegen das Unvernünftige in den staatlichen Einrichtungen. Für beide kommt dann die Zeit der Läuterung durch Studium und Lebenserfahrung, sodaß beide zuletzt erfüllt sind von dem hohen und reinen Menschheitsideal, das sie nun nicht mehr in Verneinung und Überspringung der Wirklichkeit, sondern in deren menschenwürdiger Erfüllung und Umbildung suchen." Daß aber der gesündere, erfahrenere, von Natur und Glück bevorzugtere Goethe doch mehr der empfangende blieb gegenüber dem kränkelnden, jüngeren, vielfach mit der Ungunst des Schicksals kämpfenden Schiller, erklärt der Verfasser aus Goethes Vereinsamung: er konnte sich mit den Zuständen des Weltlaufes (der französischen Revolution) nicht zurechtfinden. Bei seiner Rückkehr aus Italien in den engen Kreis von Thüringen ,,fröstelte er innen und außen". Hierzu kam die allmähliche Lösung des Verhältnisses zu Frau von Stein, als Goethes Beziehungen zu seiner nachmaligen Gattin sich entwickelten. Von Goethes Ehe schreibt Charlotte von Schiller: Er hatte nicht die Bande des Lebens geknüpft, die durch ihre Wahrheit und Innigkeit die Zufriedenheit des Herzens begründen“ (dieses Zeugnis hat übrigens auch das kürzlich erschienene Buch „Christiane von Goethe" von Emma Brauns, Leipzig 1888, das Goethes Verhältnis zur Vulpius im hellsten Lichte zu zeigen versucht, nicht erschüttert. D. Berichterstatter). Wie wohlthätig mußte jezt der Freundschaftsantrag Schillers, der ganz im Besige seiner erhabenen Natur war", und in der Atmosphäre eines reinen Familienglückes atmete", auf die Natur des vereinsamten Goethe wirken!

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Der II. Teil bringt den Nachweis, welche unmittelbare Förderung die Goethesche Dichtung durch Schillers Einfluß auf Goethes Gemüt und Willen erfuhr." Aus seiner Gemüts- und Geisteseinsamkeit wird Goethe durch die Wärme des Freundschaftsfrühlings" erlöst; die Verbindung mit Schiller führt ihn nach der dichterisch unfruchtbaren Zeit von 17901794,, aus dem wissenschaftlichen Beinhaus in den freien Garten des Lebens". Nachdem unter Einwirkung von Schillers anmutiger Häuslichkeit Goethe den auf ihm lastenden Druck abgeschüttelt, wird sein Wille auch durch des Freundes männlichen Geist mächtig angeregt. So begegnet Schiller Goethes Klage über den Mangel an poetischer Stimmung mit den allerdings kühnen Worten: ,,Erfahren Sie bei dieser Gelegenheit, daß sich die poetische Muse im Notfall auch kommandieren läßt“. Dieser direktesten Aufmunterung entspricht die ansteckend wirkende rastlose Produktion Schillers; die besten Beweise sind der von dem lezteren gegebene Anstoß zur Balladendichtung und das neuerwachende Interesse an der Fortführung des Faust, endlich die unmittelbare Ein

wirkung auf Einzelheiten in Goetheschen Dichtungen, besonders auf W. Meisters Lehrjahre und bei Bühnenumarbeitungen einiger Dramen Goethes.

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Der III. Teil behandelt die mittelbare Einwirkung Schillers auf Goethes Dichtung. Durch sein Verhältnis zu Schiller wurde Goethe zu „einem unaufhaltsamen Fortschreiten philosophischer Ausbildung veranlaßt"; es vollzieht sich in ihm die Wendung vom Äußeren zum Inneren, vom Realismus zum Idealismus"; das Innere tritt ihm jezt gleichberechtigt neben das Äußere, der Geist neben die Natur, der er als ganz Selbständiges jezt die Kunst gegenüberstellt. Im Zusammenhange damit steht Goethes Forderung nach größerer Kunstmäßigkeit in der Form und das Vorwiegen des Ideengehaltes vor dem Empfindungsund Sinnengehalte", besonders in den Dramen, in denen er ,in Schillerscher Weise die Charaktere zu Trägern von Ideen machte." An dem II. Teil von Faust,,dem Ideendrama“ zeigt der Verfasser am Schlusse seiner gelehrten und durchweg durch lebensvolle Darstellung ausgezeichneten Arbeit die Richtigkeit dieser Behauptung.

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Schöninghs Ausgaben deutscher Klassiter mit Kommentar.

XI. Band: Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder. Ein Trauerspiel mit Chören von Friedrich von Schiller. Mit ausführlichen Erläuterungen für den Schulgebrauch und das Privatstudium von Dr. Heinrich Heskamp. Paderborn und Münster. Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh. 1887. In beiden Teilen der Erläuterung (I. Bemerkungen zu den einzelnen Scenen, II. Bemerkungen zu dem ganzen Drama) ist nicht nur mit großem Geschick den Bedürfnissen der Schüler Rechnung getragen, sondern auch der Lehrer wird darin mancherlei Anregung, namentlich aber das erforderliche Material zur Erklärung des Dramas äußerst bequem und übersichtlich beisammen finden.

Wir nehmen gern Anlaß, den verdienstlichen Schöninghschen Klassikerausgaben, soweit sie uns vorgelegen haben, namentlich aber dieser Arbeit Hestamps besondere Aufmerksamkeit in den beteiligten Kreisen zu wünschen, da sie das Gegenteil ist von Erzeugnissen ähnlicher Art, mit denen der Büchermarkt überschwemmt wird, vielmehr dem fleißigen Etudium der Dichtung, gewandter Benutzung der einschlägigen Litteratur und selbständigem Urteile des Verfassers ihre Entstehung zu danken hat. Der in den Fußnoten gegebene Hinweis auf die Theatermanuskripte und die anderen Ausgaben - der Text selbst folgt der Ausgabe von 1803 ist sehr willkommen, die Zerlegung der großen Auftritte in Hauptpunkte (dramatische Momente?) oder in Dispositionen führt die Lernenden zum

Nachdenken; besonders zweckmäßig und ansprechend ist das Verhältnis der Braut von Messina zur antiken Tragödie behandelt; dagegen würde die Metrik, insbesondere der Chorlieder, bei einer neuen Auflage wohl Berücksichtigung verdienen.

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Über Sophokles' „König Oedipus" und Schillers Braut von Messina“. Von Dr. Wilhelm Wittich, Direktor des Realgymnasiums zu Cassel. 1887.

Die Abhandlung ist hervorgegangen aus Besprechungen, welche der Verfasser über beide Stücke während des Winterhalbjahres 1886/87 außer der Schulzeit mit den gereifteren Schülern veranstaltete, um dieselben etwas mehr mit den hervorragenden Erzeugnissen der alten wie der neueren Dichtkunst bekannt zu machen, als dies bei der für den Unterricht im Deutschen vorhandenen Stundenzahl im Rahmen des Lehrplans möglich ist. Sie enthält eine vergleichende Charakteristik der Handlung und der Charaktere beider Stücke, namentlich aber eine Darlegung des Gebrauchs, den der deutsche Dichter vom Schicksal macht. Von dem eigentlichen dramatischen Motiv Schillers, nämlich der Idee von den feindlichen Brüdern, erfahren wir freilich im König Dedipus noch sehr wenig, und doch wäre nach der Meinung des Berichterstatters gerade das Motiv einmal wert, auf der Wanderung durch die klassische und neuere Litteratur einer Einzeldarstellung unterworfen zu werden. Um so größeres Verdienst erwirbt sich der Verfasser dadurch, daß er den einseitigen und schiefen Beurteilungen, welche sich auch in einigen von Schülern benußten Litteraturgeschichten, z. B. bei Vilmar, Hillebrand finden (Schiller habe durch den Gebrauch der griechischen Götterlehre seine Feindschaft gegen das Christentum bewiesen, er verherrliche den Selbstmord, das Schicksal sei in der Braut von Messina nur „ein spigfindiger, heimtückischer Dämon“), durch inniges Versenken in die Idee und den Gehalt des Stückes gründliche Abfertigung zu teil werden läßt.

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Klassische deutsche Dichtungen. VIII. Schillers Wallensteins Tod.

Von Georg Kern. Gotha. Friedrich Andreas Perthes. 1887. Der erste Teil der Einleitung, die Geschichte, bringt in übersichtlicher Weise das Urteil der Forscher über die Handlungsweise Wallensteins: die ältesten Darstellungen bei Khevenhiller und Chemniß, ferner Schiller, Aretin, Hunter, Gindely bezeichnen Wallenstein als offenbaren Verräter, während Förster, Helbig, L. v. Ranke, Hallwich, Schebeck, Kugler, Wapler als Verteidiger des Beschuldigten aufgetreten sind, oder eine vermittelnde Stellung einnehmen. Der zweite Teil, das Drama,

bringt in erzieherisch einsichtsvoller Weise alles für den Schüler Wissenswerte über den Gegenstand. Besondere Hervorhebung verdienen die gegebenen scharfen Charakteristiken der handelnden Personen. Auf den Bau des Dramas ist dagegen Kern weniger ein- als vielmehr um denselben herumgegangen. Selbst wenn die Behauptung stichhaltig wäre, daß man sich für die richtige Darstellung des Baues der Handlung, ihres Steigens und Sinkens auf den Standpunkt des Handelnden selbst, nicht auf den des urteilenden Hörers zu stellen habe, geben die durch die Linien angedeuteten dramatischen Momente kein deutliches Bild von dem Steigen und Sinken in der Energie von Wallensteins Handlungen. Wallensteins Tod zeigt in der ersten Hälfte Octavios Intrigue, bis er durch dieselbe Herr über das Schicksal seines mächtigen Gegners geworden ist, die sinkende Handlung, die für den Helden verhängnisvollen Wirkungen der durch diese Intrigue herbeigeführten Empörung des Heeres. Die fortlaufenden Fußnoten lassen kaum ein Bedenken hinsichtlich des Textverständnisses aufkommen. G. Kerns Ausgabe von Wallensteins Tod kann mit gutem Gewissen zum Gebrauch in höheren Lehranstalten empfohlen werden.

Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, herausgegeben von Rud. Virchow und Fr. von Holzendorff. Neue Folge. Zweite Serie, Heft I. Wilhelm Tell in Poesie und Wirklichkeit. Eine poetische Wanderung durch Tells-Erinnerungen von Dr. S. Nover. Hamburg. Verlag von J. F. Richter. 1887.

Eine Schweizreise, einmal ohne Bädeker, und statt desselben alz Begleiter den Schiller etwas Anziehenderes kann wohl kaum gedacht werden. Der Leser ist daher auch gar nicht ermüdet, wenn er mit dem Verfasser von der poetischen Pilgerfahrt durch die von Geschichte und Sage umwobenen Gegenden des Schweizerlandes, dessen Reiz der deutsche Dichter in seiner Phantasie so wunderbar geschaut und gesteigert hat, an dem Ufer des Luzerner Sees ankommt, von wo gerade die herrlichen Töne der Ouverture von Rossinis Tell herüberklingen. Er lauscht dann hier mit derselben Aufmerksamkeit, mit der er an der Seite seines ausgezeichneten Führers auf der Wanderung durch das Gebirge den TellsErinnerungen gefolgt ist, den gelehrten Auseinanderseßungen des alten Professors. So anmutig vorgetragen wirken diese geschichtlichen Erörterungen, welche allerdings manche schöne Illusion und manchen alten Glauben zerstören müssen, aber nur feststehende Thatsachen geben, nicht im mindesten erkältend, sondern können nur dazu dienen, die Bewunderung vor der schaffenden Phantasie des Dichters zu erregen, die den

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