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sie zu sprechen, dagegen nur einer kürzern und menschlichen Untersuchung. Dafs hier von dem Gegensatz der göttlichen und der menschlichen Erkenntnisweise nicht die Rede sein kann, ist klar, denn die göttliche Erkenntnis ist, wie man aus dem Schauen der Ideen' im Mythos sieht, keine lange', sondern vielmehr eine sehr kurze, mit einem Schlag erfolgende, mit andern Worten keine discursive, sondern eine intuitive. Deutlich werden hier vielmehr die dialektische und die mythische Darstellung einander entgegengesetzt und jene ausdrücklich als die göttliche, d. h. als die vorzüglichere gepriesen. Dafs man in den Mythen, so sehr man ihre künstlerische Vortrefflichkeit bewundern mag, doch, rein philosophisch betrachtet, nicht mit Hrn. St. einen Vorzug, sondern lediglich einen Mangel des platonischen Standpunktes erkennen kann, scheint mir klar zu sein, schon weil ich nicht glauben kann, dafs die ganze nachfolgende Philosophie vom Aristoteles ab sich in einem fortwährenden Irthum befunden habe, indem sie die Mythen verbannte. Damit ist natürlich nicht ausgeschlofsen, dafs diese Darstellung nicht in dem System des Platon selbst, rein für sich und in sich betrachtet, durchaus consequent und nothwendig sein sollte, s. Deuschle a. a. O. So aber hat auch Krische trotz des Hrn. Vf. Widerspruch vollständig Recht darin, die frühere und die spätere Form derselben zu unterscheiden. Wo sie nemlich in denjenigen Werken sich findet, welche noch erst mit der vollständigen Gestaltung der Ideenlehre beschäftigt sind, da liefert sie für diese Gewinnung nur erst das empirische Material; wo dagegen in denjenigen Werken, welche von der Idee aus die Endlichkeit construieren, da ist aller der menschlichen Erkenntnis zugängliche feste Seinsgehalt aus ihr bereits herausgezogen, und sie umfafst nur noch diejenigen Elemente des Werdens und der Erscheinung, welche der menschliche Verstand, beschränkt wie er ist, nicht mehr anf ihr volles Wesen zu reducieren vermag, daher hier nur noch Vermuthung und keine Gewisheit besteht. So namentlich im Timaeos. Es fragt sich daher nur noch, welcher von beiden Fällen hier Platz greift. An der obigen Stelle nun sagt Platon, dass ihm der dialektische Weg zu 'lang' sei für den Zweck dieser Schrift, und eben deshalb schlägt er den mythischen ein. Kann es wohl deutlicher gesagt sein, dafs die Dialektik oder Ideenlehre hier noch nicht ihre Vollendung hat? Hiezu nun habe ich die Parallelstelle p. 265 B-D herangezogen (Prodr. S. 81), und der verehrte Vf. wird mir die Bemerkung erlauben, dafs er dies zwar anführt, in der That aber auf diesen hochwichtigen Punkt keineswegs näher eingegangen ist. Freilich hätte auch ich nicht mit Krische (wie noch NJahrb. Bd. LXVIII S. 592 von mir geschehen ist) von dialektischer Ungeübtheit' reden sollen, wodurch die Sache allerdings in ein schiefes und unrichtiges Licht tritt.

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Dafs nun hieraus noch nichts ganz sicheres für die Abfafsungszeit folge, gestehe ich gern zu. Geltend machen muss ich indessen doch, dafs nach der eben gegebenen Erörterung die mythische Gestalt einer Lehre bei Platon nothwendig immer die frühere ist, früher wenigstens

als die ausgeprägte wifsenschaftliche Erscheinung derselben. Dies Verhältnis findet nun aber ganz auf die Ideenlehre im Phaedros und im Parmenides seine Anwendung. Nirgends erscheint hier, wie doch im ersten Theile des Parmenides, der Ausdruck sidog oder idea in seiner streng technischen Bedeutung, und dies ist mindestens ein starkes Anzeichen gegen die spätere Abfafsung des Phaedros.

Die eigentliche Entscheidung kann freilich erst der wifsenschaftliche Inhalt bringen. Auch in dieser Hinsicht enthalten die Erörterungen des Hrn. Vf., soweit es sich um den Gegensatz gegen die Werke der ersten Periode handelt, entschieden das richtige. Nur darüber kann ich mich nicht mit ihm einverstanden erklären, wenn er den übrigen Sokratikern einzig eine Verbildung, allein dem Platon dagegen eine Weiterbildung der Sokratik zuschreibt. Dies ist freilich ein ziemlich allgemeiner und verjährter Irthum, indessen, wie mir scheint, schon durch K. Fr. Hermann genügend widerlegt. Aristippos, Antisthenes, Eukleides, meint Hr. St. S. 45, hätten bereits in anderen Schulen eine andere Bildung empfangen, bevor sie zum Sokrates kamen. Und war denn dies etwa nicht auch beim Platon der Fall? Wifsen wir nicht wenigstens sicher von seinem Lehrer Kratylos dem Herakleiteer? Der Gegensatz gegen die andern Sokratiker bestand nur darin, dafs er sich zu dieser bereits empfangenen Bildung anders als sie verhielt, worüber Phaed. p. 96 ff. Aufschlüfse gibt.

Was dagegen das Verhältnis zu den vorzugsweise so genannten dialektischen Dialogen anlangt, so hatte ich hervorgehoben, dafs im Phaedros p. 250 C die Ideen unbeweglich (άtoεun) heifsen, während schon im Sophisten p. 248 E die Ideenwelt zugleich als ruhend und als bewegt erscheint und ebenso im Phaedon neben dem ruhenden Sein derselben doch zugleich eine Idee des Lebens, mithin auch der Bewegung auftritt. Dieser Gegensatz ist wohl klar genug, und um so weniger begreife ich es, wenn mir Hr. St. S. 52 gerade die zur Erhärtung desselben von mir gebrauchte Stelle des Sophisten ohne weiteres zu meiner Widerlegung entgegenhält. Schon im Sophisten' meint er hatte ja Platon das Doppelwesen der Ideen klar erkannt und in ihnen zugleich das Princip der Ruhe und Bewegung gefunden'. Nun, um so mehr sollte ich denken, wenn er sie im Phaedros noch für unbeweglich ansieht, dafs der Phaedros früher abgefafst sein mufs als der Sophist. Ebenso wenig verstehe ich, was Hr. St. damit beweisen will, wenn er gegen mich geltend macht, was ich nie geleugnet habe, dafs das ruhende Sein der Ideen im Phaedon wenigstens mit ebenso grofser Entschiedenheit hervortrete wie im Phaedros. Alles was ich behauptet habe ist vielmehr nur dies, dafs eben jenes ruhende Sein im Phaedon und Sophisten so gefafst wird, dafs es die Bewegung ein-, im Phaedros aber so, dafs es sie ausschliefst, und dies hat der Hr. Vf. auch nicht einmal versucht zu widerlegen. Oder bedeutet aroun vielleicht gar nicht unbeweglich', sondern nur unveränderlich', wie Hr. Müller übersetzt? Ja wenn nur nicht die Schilderung der Ideenlehre auch im vorliegenden Dialog trotz der mythischen Färbung auf

um

die eleatische ovcía basiert wäre und nicht Parmenides Vs. 59 (Karsten) gerade eben denselben Ausdruck gebrauchte, entschieden, nicht blofs die Unveränderlichkeit, sondern auch die Unbeweglichkeit seines einen Seins zu bezeichnen! Indessen habe ich auf diese, wie mir scheint, ziemlich entscheidende Analogie nicht einmal Gewicht gelegt, vielmehr zur Bestätigung die Kehrseite herbeigezogen, nemlich die verschiedenartige Stellung, welche die Seele im Phaedros und welche sie im Phaedon einnimmt. Dort ist sie, so bemerkte ich, in ursprünglicher Weise Princip des Lebens (άoxn xivnoɛws), hier kommt dies der ausgebildeten Ideenlehre gemäfs ursprünglich der Idee des Lebens und nur abgeleiteterweise der Seele als deren Trägerin zu. Dort ist also der Standpunkt dualistisch; wir haben dort ein Frincip der Ruhe, die Ideen, und ein Princip der Bewegung, die Seelen; hier ist er durchaus monistisch. Darin liegt es nun schon selbstverständlich, dafs die Einzelseele im Phaedon nicht Idee, sondern Erscheinung ihrer Idee, der Idee der Seele ist; überdem aber habe ich dies auch ausdrücklich gegen Ritter nachzuweisen gesucht (Prodr. S. 16 f.); wenn daher Hr. St. S. 56 f. eben dies gegen mich geltend macht, so ist dies wiederum eine μετάβασις εἰς ἄλλο γένος. Der Hr. Vf. findet nun freilich S. 80 sogar darin einen Fortschritt gegen den Sophisten, dafs dort die Idee selbst als unmittelbares Princip der Bewegung erscheint, während hier im Phaedros die Seele an ihre Stelle tritt. Allein dies würde nur dann der Fall sein, wenn dabei die Abhängigkeit der Seele von der Idee des Lebens und der Bewegung ans Licht träte; so aber, wie die Sache jetzt liegt, könnte gar kein eclatanterer Rückschritt gedacht werden, da im Sophisten bereits erkannt ist, dafs Leben, Seele und Bewegung nicht blofs in der Erscheinung, sondern auch schon in ihrem idealen Grunde eins sind. Schon Zeller (Phil. d. Gr. II S. 267) und Rettig (über Platons Phaedon S. 31) haben ganz richtig bemerkt, dafs der Schlufsbeweis für die Unsterblichkeit im Phaedon ganz derselbe sei wie der Beweis im Phaedros, nur aber in dem eben vorgetragenen Sinne dem veränderten Standpunkte gemäfs modificiert. Ja bereits Schleiermacher II, 3 S. 19 hat das richtige getroffen, indem er meint, Platon habe den Beweis des Phaedros im Phaedon 'bei Seite gestellt und gleichsam verleugnet, weil er sich nun gescheut die Seele Urgrund oder Gott, welcher der wahre Urgrund ist, Seele zu nennen'. Und noch mehr, der Vf. selbst erkennt S. 82 an, dafs unser Philosoph im Phaedros noch eigentlich nicht darüber hinausgekommen sei, Gott mit der Weltseele zu identificieren. Nun wird er aber doch gewis nicht leugnen wollen, dafs dies dem ausgebildeten platonischen Standpunkte zuwider ist, mag man den platonischen Gott für eins mit der höchsten Idee oder auch von ihr noch für verschieden halten. Ueber diese Verwechslung Gottes mit der Weltseele ist nun Platon, selbst wenn man die Stellen Soph. p. 248 E, Parmen. p. 134 C (vgl. Zeller a. a. O. II S. 310. 313) nicht für entscheidend halten wollte, obgleich sie mir dies zu sein scheinen, doch wenigstens sichtbarlich im Politikos bereits hinaus, in

dessen Mythos ja die eigne Bewegung der Welt wenn auch nach der richtigen Erklärung nur beziehungsweise der von Gott gewirkten entgegengesetzt wird. Wenn aber Hr. St. behauptet (S. 79), dafs im Phaedros zuerst die Weltseele auftrete, so ist dies von seinem Standpunkte aus unrichtig, denn Polit. p. 269 D wird die Welt bereits als vernunftbegabt (¿ãov öv xai ❤góvnów eiλnyós), mithin doch wohl als beseelt (wie dies auch Stallbaum z. d. St. anerkennt) beschrieben. Ja was noch mehr ist, im Phaedros findet sich keine einzige Stelle, in welcher überhaupt diese Vorstellung schon so entwickelt hervorträte wie hier, wozu doch wenigstens p. 290 der Anlass nicht gefehlt hätte; vielmehr findet sie sich eben hier noch in demselben unentwickelten Zustande, wie wir sie im Kratylos p. 400. 413 verliefsen (NJahrb. Bd. LXVII S. 435). Aus allen diesen Stellen kann man übrigens auch den Beweis schöpfen, dafs diese Lehre nur secundär aus pythagoreischer Quelle geflofsen ist und sich zunächst vielmehr an den anaxagoreischen vous anschlofs, in welchem gleichfalls Theismus und Pantheismus noch keineswegs scharf auseinander treten. Aber auch das kann ich nur sehr bedingt zugeben, dafs nach S. 52 der Phaedon den Phaedros dahin ergänzen soll, dafs in dem letztern vorzugsweise die Praeexistenz der Seele gelehrt, in dem erstern daher die Postexistenz nachgeholt werde. Denn der Beweis des Phaedros ist geradezu auf die unendliche Dauer der Seele gerichtet, mithin auf ihre Endlosigkeit so gut wie ihre Anfangslosigkeit, nur dafs allerdings das letztere Moment dem Zwecke des Dialogs gemäfs schärfer hervorgehoben wird. Im Phaedon dagegen bleibt es durchaus problematisch, ob Platon die Praeexistenz auch nur zu einer vollständigen Anfangslosigkeit ausdehnen will, während nach der andern Seite hin die Unvergänglichkeit stehen bleibt; auch hier scheint er fast in der Sicherheit seiner Ansprüche für sie bescheidener geworden zu sein. Daher ist denn auch der Einwurf des Simmias im Phaedon p. 77 B, dass die Praeexistenz noch nicht die Unsterblichkeit beweise, keineswegs, wie der Hr. Vf. will, eine Rückdeutung auf den Phaedros, sondern eher umgekehrt ein Zeugnis für die Modification des Standpunktes.

Endlich sucht Hr. St. auch die Differenz vergebens hinwegzuleugnen, dafs im Phaedros alle drei Theile, im Phaedon nur der vernünftige Theil der Seele unsterblich ist, denn sonst könnte im letztern Dialog nicht gerade die Einfachheit der Seele zum Beweis dienen. Nach unserm modernen Standpunkte würde nun allerdings die blofse Unsterblichkeit des Geistes als eine unpersönliche gelten müfsen; allein dafs ich dies auch für Platons Ansicht gehalten hätte, diese Meinung hat mir Hr. St. S. 455 f. nur durch eine Verwechslung des platonischen Standpunktes mit dem modernen untergeschoben. Auf dem erstern sind ganz consequent auch die reinen Geister Erscheinungen der Idee des vous, und da kein Erscheinungsding dem andern vollständig gleich ist, so sind sie auch in dieser ihrer Reinheit doch schon bereits individuell. Hätte ich die Fortdauer im platonischen Sinne nicht für eine bewuste gehalten, so würde ich ja offenbar auch

die άváμvnois nicht so buchstäblich aufgefafst haben, als ich es entschieden gethan, s. m. Prodr. S. 2 u. 19 Anm. 44. Auch habe ich bereits an der letztern Stelle die jetzt von Hrn. St. S. 51. 82 wieder holte Ansicht Ritters für gar nicht unwahrscheinlich erklärt, dafs Platon das rein körperlose Leben der Menschenseele nur als ein unerreichbares Ideal ansieht. Ebenso wenig aber wie die Unsterblichkeit des jedesmaligen einzelnen Körpers, folgt daraus auch die der beiden niederen Seelentheile, die ja recht wohl dem Geiste jedesmal mit dem neuen Körper zugleich angebildet werden können, und ausdrücklich bezeichnet sie ja Platon im Timaeos p. 69 C, 72 D als sterblich. Da nun dies also entschieden Platons späterer Standpunkt in dieser Frage ist, so wüste ich nicht, warum wir denselben nicht auch im Phaedon bereits annehmen sollten, wo doch die Einfachheit der unsterblichen Seele ungekünstelt nur hiemit übereinstimmt. Läfst sich überhaupt, was ich nicht schlechthin von der Hand weisen will, durch die Auflösung der mythischen Form der Einklang der Lehre des Phaedros mit der des Phaedon herstellen, so mufs dies wenigstens in ganz anderer Weise geschehen. Nur so viel mufs ich allerdings jetzt Hrn. St. S. 171 f. Anm. 93 zugeben, dafs die Stelle im Staatsmann p. 309 C, in welcher ich nach dem Vorgange von Brandis griech.-röm. Phil. II, 1 S. 406 Anm. s und Zeller a. a. O. II S. 271 Anm. 1 bereits denselben Gegensatz eines unsterblichen und eines sterblichen Seelentheils wiederfand, allenfalls auch so gedeutet werden kann, wie Hr. St. will, dafs man nemlich tys wvzйs als epexegetischen Genetiv fasst (= den göttlichen Theil von ihnen, nemlich die Seele), erwarte aber noch erst den Beweis dafür, dafs sie so gedeutet werden mufs. Ich finde vielmehr die hergebrachte Erklärung viel einfacher und natürlicher, nur dafs man dann unter dem woyɛvés überhaupt das sterbliche im Menschen, also auch den Körper mit eingeschlofsen, zu verstehen hat.

Wir musten im vorhergehenden schon vielfach tiefer in den Abschnitt eingehen, in welchem der Hr. Vf. von dem philosophischen Fortschritt des Phaedros über die früheren Gespräche hinaus handelt (S. 78-92), und wollen daher jetzt gleich auch die übrigen Punkte vorwegnehmen, mit denen wir in demselben nicht übereinstimmen können. In dem Gegensatze des Raumes oberhalb und innerhalb des Himmels finden wir einfach den der Ideen- und der Erscheinungswelt verbildlicht, und wenn gesagt wird, dafs der erstere nur den vous zum Beschauer habe, so darf man daraus nicht ohne weiteres mit Hrn. St. S. 80 f. folgern, dafs sich Platon mithin den vous im Gegensatz gegen die Seele unbewegt gedacht habe; wäre er sich dieser Consequenz bereits bewust gewesen, so würde er sie auch wohl deutlicher ausgesprochen haben. Der Gegensatz ferner, welchen der Hr. Vf. S. 81 hinsichtlich des gegenseitigen Verhältnisses der Ideen- und Erscheinungswelt in diesem Dialog gegen den Sophisten und Parmenides findet, dürfte sich bei näherer Betrachtung in blofsen Schein auflösen. Hr. St. selbst war auf dem richtigen Wege, wenn er von der dichterischen Einkleidung' spricht, die das stets verbundene

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