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Vortrag auch den Namen einer Kunft: so wie man an der Dichteunft und Redekunft die Beyspiele sieht. Die Sprachkunst ist von den åltesten Zeiten her unter die sieben freyen Künste gezäh let worden. Die Griechen nennen sie youuuxtınyv, die Lateiner Litteraturam, f. Quintil. II Buch 14 Cap. Brydes müßte man deutsch die Buchfiåbeley, oder Buchstabenkunft geben: web ches aber bey weitem den ganzen Begriff der Sache nicht so er. fchöpfet, als unsere deutsche Benennung. Die Rabinen nennen sie prp Dickoud, d. i. Subtilitas. Jul. C. Scaliger in s. Tr. de caufis Lat. Linguæ, will die Grammatik zur Wissenschaft machen, aber fälschlich. S. den Gerb. Joh. Voffius de Arte grammatica L. 1. c. 2. p. 6. Sciopp hat diese Sprachkunst zu enge eingeschränket, wenn er in s. Gramm. Philof. p. 1. saget: Grammatica eft ars recte loquendi. Denn das rechte Schrei ben ist noch viel schwerer, und folglich der wichtigste Theil einet Sprachkunst. Von der allgemeinen Sprachkunst hat Hr. Cantz zu Tübingen 1737 in 4 eine Abhandl. geschrieben: Grammatica univerfalis tenuia rudimenta &c.

2 §. Eine Mundart ist diejenige Art zu reden, die in einer gewissen Provinz eines Landes herrschet; in so weit sie von der Art zu reden der andern Provinzen abgeht, die einerley Hauptsprache mit ihr haben b).

b) So waren vor Zeiten, in Griechenland vier Hauptmundarten gewöhnlich, die man Dialekte mennete: der attische, do rische, dolische und ionische. Der toscanische Dialekt ist heute zu Tage in Wälschland, vom neapolitanischen, lombardischen und venetianischen sehr unterschieden. Und so ist es in Franks reich mit dem parisischen, gasconischen, niederbrittanischen und provenzalischen ebenfalls. In Deutschland hat gleichfalls fast jede großere Landschaft ihre eigene Mundart: doch könnte man die hochdeutsche Sprache hauptsächlich in die österreichische, schwä bische, fränkische und meißnische abtheilen. Die plattdeutsche, oder eigentliche sächsische Sprache, theiler sich, abermal in viele Munds arten, worunter die preußischbrandenburgische, braunschweigische, hollsteinische und westphälische leicht die ansehnlichsten seyn werden. Doch ist noch zu merken, daß man auch eine gewisse eklektische, oder ausgesuchte und auserlesene Art zu reden, die in keiner Pro vinz völlig im Schwange geht, die Mundart der Gelehrten, oder auch wohl der Hofe zu nennen pflegt. Diese hat jederzeit den rechten Kern einer, Sprache ausgemachet. In Griechenland

hleß sie der Atticifmus, in Rom Urbanitas. In Deutschland kann man sie das wahre Hochdeutsche nennen.

3 §. Die beste. Mundart eines Volkes ist insgemein diejenige, die an dem Hofe, oder in der Hauptstadt eines Landes gesprochen wird c). Hat aber ein Volk mehr als einen Hof, wie z. E. Wälschland, oder Deutschland: so ist die Sprache des größten Hofes, der in der Mitte des Lan des liegt, für die beste Mundart zu halten. So ist in Griechenland vormals die atheniensische Mundart für die beste gehalten worden; weil Athen mitten unter allen denen Staaten lag, die in Asien und Europa griechisch redeten. In Italien wird gleichfalls die toscanische und römische für die beste gehalten.

c) Man meynet hier aber nicht die Aussprache des Póbels in diesen Residenzen, sondern der Vornehmern und Hofleute. Denn jene ist z. E. auch in Paris und London, nicht die beste. Ja in sol. chen großen Städten, als diese beyden sind, spricht man oft in einer Gegend derselben viel anders, als in der andern: und so geht es auch in deutschen Residenzen; wie selbst in Wien und Prag be merket wird. Indessen kann es kommen, daß auch gewiss. Städte außer den Residenzen, eine gute Mundart haben; wie man in Frankreich, die Stadt Orleans oder Blois deswegen rühmet. Doch müssen sie nicht gar zu weit vom Hofe liegen.

4 §. Eine jebe Mundart hat in dem Munde der Ungelehrten, ihre gewissen Mängel; ja aus Nachläßigkeit und übereilung im Reden, ist sie mit sich selbst nicht allemal einstimmig. Daher muß man auch den Gebrauch der besten Schriftsteller zu Hülfe nehmen, um die Regeln einer Sprache fest zu sehen: denn im Schreiben pflegt man' sich viel mehr in Acht zu nehmen, als im Reden d).

d) Dieses ist um desto gewisser: da alle Sprachen unter einer Menge eines rohen Volkes zuerst entstanden; oft durch Ver mischungen fremder Sprachen verwirret, und durch allerley ein schleichende Misbräuche, noch mehr verderbet worden. Sobald sich nun Gelehrte finden, die auch auf die Schreibart einigen Fleiß wenden; so fángt man an, die Spracháhnlichkeit besser zu beobachten, als der Pöbel zu thun pflegt und die Sprache ver

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liert also etwas von ihrer Rauhigkeit. Je mehr fleißige und sorg fältige Schriftsteller sich nun finden, desto richtiger wird die Sprache: und daher entsteht die Pflicht, sich auch nach dem Ges brauche der besten Schriftsteller zu richten. Diese sind nåmlich, wie Ennius vom Cethegus sagete:

Flos delibutus populi, Suadæque Medulla.

5 §. Die besten Schriftsteller eines Volkes, werden burch den allgemeinen Ruhm, oder durch die Stimmen der flügsten Leser bekannt: doch müssen sie nicht in Ansehung der Sachen, sondern wegen der Schreibart und Sprache berühmt seyn. Es dórfen aber diese Scribenten nicht eben alle aus derselben Landschaft gebürtig seyn e). Denn durch Fleiß und Aufmerksamkeit kann man sich die Fehler sei« ner angebohrnen Mundart, und zwar im Schreiben, noch viel leichter, als im Reden, abgewöhnen.

mer.

e) Das lehren uns die Beyspiele der alten Griechen und Rd. Viele von den ersten waren Jonier, Karier, Lesbier, Ly kier, Rhodiser, Kretenser, Thebaner, Sicilianer, ja Samosater und Halikarnassier: ungeachtet auch viele Athenienser sich hervor. thaten. Bey den Lateinern war es nicht anders. Die wenig. ften guten Schriftsteller waren gebohrne Römer; sondern um brier, Calabrier, Venusiner, Paduaner, Mantuaner, Verones ser, ja wohl gar Gallier, Spanier und Afrikaner. Man sehe davon des Hrn. M. Müllers gel. Werk von den classischen Schriftstellern der Lateiner. Mit den neuern Völkern ist es eben so. Nicht alle gute wälsche Scribenten sind gebohrne Toscaner; sondern nach Gelegenheit, Vicentiner, Neapolitaner, Venetia ner, Ferrareser, Modeneser und Veroneser gewesen. Und bey den Franzosen sind fast alle ihre besten Schriftsteller aus der Nor mandie entsprossen: wie Malherbe, die Corneillen, St. Evremond, Benserade, Scudery, Sarrasin, und Hr. von Fonte nelle sattsam zeigen. Eben das wird man auch in Deutschland bemerken, wenn man darauf Achtung geben will. War Opik ein Schlesier, und Flemming ein Meißner, so war Dach ein Preuß, Nist ein Niedersachs, Besser ein Curlånder, Caniß ein Brans denburger, Gundling ein Frank, u. s. w.

6 §. Wenn aber diese guten Scribenten dennoch in gewissen Stücken von einander abgehen: so muß die Anas logie der Sprache den Ausschlag geben, wer von ihnen

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am besten geschrieben habe. Oft hat das besondere Va. terland eines Schriftstellers an seinen Abweichungen Schuld f). Oft haben auch die fremden Sprachen, die er am meisten getrieben hat, ihn auf gewisse Abwege geleitet; so daß er sich in seiner eigenen Muttersprache fremd und ausländisch ausdrücket g).

f) So wird bey uns ein schwäbischer, oder fränkischer Schrift. steller noch allemal etwas schwäbisches oder fränkisches; ein nie. dersächsischer noch allemal etwas niedersächsisches, und ein Schlefier oder Meißner wiederum fein eigenes Schiboleth behalten: woran ihn ein Kenner aller dieser Mundarten, auch wider seinen Willen, erkennen kann.

g) Das wiederfährt vielen heutigen Schriftstellern bey uns, die uns mit englischen und französischen Redensarten, auch wohl mit lateinischen und griechischen, die Sprache verderben, Jenes ist ein Fehler der Hofleute, dieses aber insgemein der Gelehrten, sonderlich der Schulmánner. Wie klingt es aber, wenn jene zu weilen sagen: der Mensch hat viel Welt, (il a du monde) d. i. er weis wohl zu leben; Er ist vom Handwerke, (il eft du metier) d. i. er versteht die Sache gründlich; oder auch diese: lasset uns allen Stein bewegen, (omnem moveamus lapidem)? Ja selbst unsere Bibel hat solche hebräische und griechische Ausdrückungen in großer Anzahl, die wir sonst niemals brauchen: als z. E. des Todes sterben; ich kenne des Menschen nicht; Vater unser; die Himmel, u. d. gl. Und wie verderbet uns jeßt das Engländische nicht die Sprache: . E. Das, Heil dir! für Wohl dir; die Schöpfung, für die Welt u. d. m.

7 §. Durch die Analogie versteht man in den Sprachlehren die Aehnlichkeit in den Ableitungen und Verwandelungen der Wörter; imgleichen in der Verkürzung, Verlängerung und Zusammenseßung, sowohl der Wörter, als der Redensarten. Da es nun in allen Sprachen eine solche Aehnlichkeit, oder Analogie giebt: so machet allemal die größte Anzahl übereinstimmender Ex. empel eine Regel aus; die davon abweichenden Redensarten aber geben die Ausnahmen an die Hand h). Denu noch bey keinem Volke hat man eine vollkommene Analogie im Reden beobachtet: ja vieleicht würde selbst eine

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ganz neuerdachte philosophische Sprache, nicht ohne alle Ausnahmen seyn können.

h) Unter den Griechen hat Plato zuerst einige grammatische Anmerkungen in seine Gespräche einfließen lassen; dem hernach Aristoteles in der Rhetorik und Poetik gefolget ist. Allein, es ist gleichwohl ein Wunder, daß keiner unter allen Griechen sich an eine ganze Sprachlehre gewaget hat. Unter den Römern soll Casar selbst de analogia lat, Linguæ geschrieben haben; worauf hernach mehr grammatische Schriften gefolget; aber freylich sehr spåt, als das gute Larein schon vorbey war. Man hat noch den Seffus, 7onius, Marcellus, Fabius, Fulgentius, den Corn. Fronto, Caper, den Varro, Terenz, Donat, Ser. vius u. a. m. Bey uns haben wir schon seit 200 und mehr Jahren Versuche, und beynahe eben so lange ganze Sprachlehren gehabt: . E. Val. Jdelsamers, 1537, in 8vo zu Nürnberg. Laus rents Alberts, 1573, in 8vo zu Augspurg; lingers von 1574, zu Straßburg und Clajs von 1578.

Um aber zu zeigen, wie die Analogie Regeln lehre, will ich ein Exempel geben, Ich bemerke, daß die Wörter, die in der fast vergangenen Zeit den Selbstlaut åndern, und kein te haben, in der völlig vergangenen ein en annehmen: z. E. ich gebe, ich gab, gegeben; ich gebe, ich gieng, gegangen; ich sehe, ich fab, gesehen, u. f. w. Folglich schließe ich obige Regel aus der überein, stimmung der Exempel; und dieselbe verdammet alsdann die un. richtige Gewohnheit derer, die da sagen, ich bin gewest. Denn von ich bin, ich war, muß folgen, ich bin gewesen.

8 §. Man sieht also, wie es zugeht, daß man die Sprache nach Regeln richten; und die Gewohnheit im Reden bisweilen der Sprachkunst entgegen seßen kann. Denn da die Regeln aus der Sprache selbst, nach den meisten Erempeln genommen und festgeseket worden : so unterwirft man nicht die Sprache gewissen eigenmächtigen Gefeßen eines Sprachlehrers; sondern es werden nur wenige, von der Ähnlichkeit abweichende Redensarten, der Übereinstimmung der meisten Erempel unterworfen. Man sehet also auch nicht das Ansehen eines Sprachkundigen, der Gewohnheit; sondern eine allgemeinere Gewohnheit großer und vieler, oder doch befferer Landschaften, einer eingeschrånktern, oder gewissen Misbräuchen entgegen i).

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