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Wissen ringenden, oder da dies unerreichbar ist, wenigstens nach realer, praktischer Befriedigung strebenden Geistes, der eben dadurch von dem Quell seines eignen und alles Daseins abgeleitet und dem Bösen in die Arme getrieben wird, und der Untergang der natürtichen Unschuld und ihrer idealen Triebe an den Schranken der ewigen Satzungen der Sitte, gleichsam das Urbild des Sentimentalen und des Naiven in das gemeinsame Verderben getrieben: das ist die einfache Geschichte, die als Theaterstück eine Wirkung von einziger, hinreissender Art übt, wie die Aufführung es tausendfach bewiesen hat.

Also keine Ideentragödie, sondern ein dramatisches Lebensbild ist der erste Theil des Faust. Den einen Hauptcharakter hat Herr K. vortrefflich gezeichnet. p. 162. sqq. Die tiefempfundenen Bedürfnisse, die hochgehenden Wünsche, die weitgreifenden, den ganzen Kreis des menschlich Erreichbaren durchschreitenden Strebungen und Unternehmungen, die dabei hereinbrechenden gefahr- und leidvollen, jedoch der rettenden und versöhnenden Rückkehr zum wahrhaft Menschlichen wiederum weichenden Ueberstürzungen und Verirrungen eines ächt und voll menschlich fühlenden und strebenden, aber in diesem Streben auf Hemmungen stossenden, durch sie verbitterten, auf das Extrem gewaltsamer Aneignung des versagten Lebens- und Weltgenusses getriebenen Charakters, eines ganzen und vollen Menschen, der die Befriedigung seines alles Menschliche mit leidenschaftlicher Gluth umfassenden Sehnens in seiner Zeit und seiner Lage nicht fand, darüber Zufriedenheit, Haltung und Maass verlor, aber auch wieder gewann, das ist es, was Goethe's Faust an uns vorüberführt," etc.. Wenn es dem Verf. nur auch gelungen wäre, den anderen Hauptcharakter des Stücks, den Mephisto, eben so be friedigend zu zeichnen! Es ist merkwürdig, wie selbst diejenigen, die am feinsten urtheilen, hier irre gehen. Selbst dem tiefblickenden Vischer ist es widerfahren, dass er, nachdem er alle eitel philosophische Theoriemacherei aus der Erklärung des Faust weit verjagt hatte, doch zu Aeusserungen kam, wie die, dass Faust „ein Held sei, der in seinem Streben unverkennbar die Menschheit und in seinem Schicksal ihre Bestimmung repräsentire," dass „die eigentlichen Prinzipien seines Handelns, obwohl in Faust's Innerem sich zum Kampfe begegnend, doch aus ihm hinausgestellt seien in mythischen Figuren," (was doch wieder auf die blosse Allegorie hinausliefe, auf die Ideentragödie, deren Helden nicht Menschen, sondern Begriffe sind), dass Faust mit Mephisto zusammengenommen der Mensch sei, dass die Idee der Negativität des Geistes, der sich der Beschränkung durch sein Andres, durch das Einzelne, Sinnliche der ersten Negation (Mephisto nämlich) nicht entziehen kann und darf, aber diese Beschränkung durch seine unendliche Natur wiederaufhebt und so die erste Negation durch die zweite zur Bejahung zurückführt: diese Idee im Vertrage des Faust mit Mephisto ausgesprochen sei." Das klingt immer noch abstract und philosophisch genug, und ist doch für den Reichthum der Charaktere und der Handlung nicht einmal recht bezeichnend, geschweige denn erschöpfend. Aber Herrn Köstlin ist es, mit dem Mephisto wenigstens, kaum mehr gelungen. Ist der „Charakter," das „menschliche Lebensbild." also eine wirklich poetische, nicht eine philosophische Aufgabe der Gegenstand dieser Dichtung: so müssen die Charaktere eben auch nicht als Symbole, als personifizirte Begriffe, als alle gorische Gliedermänner, sondern als volle menschliche Persönlichkeiten gefasst werden. Und wie erklärt H. Köstlin den Mephisto? Als „den Vertreter des überall wirksamen Keimes des Verderbens, der Gefahr des Unterganges, des Schicksals der Vernichtung," also wieder als den Begriff der Negativität, und zwar nieht als den Geist, der aus sittlichem Entschluss stets verneint, sondern als die Abstraction der Verneinung selbst. Nein, so meinen wir nicht, dass der Mephisto zu fassen wäre. Das ist Goethe's grösste poetische That in der Behandlung der Faustsage, dass er aus dem Teufel ein vollstundiges, sittlich kommensurables Wesen, einen höchst diabolischen Menschen,

aber immerhin einen Menschen und nicht einen Begriff gemacht hat. Nicht als das Prinzip der Negativität, sondern als ein recht böses, aber seinen sittlichen Anlagen nach uns ähnliches Wesen handelt er. Er hat viel Humor, sprudelnden Witz, einen reichen und tiefen Geist, denkt scharf und spricht klar: aber er hat kein Herz, keine Sehnsucht, keinen Glauben und kein Streben; er verachtet die Menschen, er kennt nur das Gemeine und Böse; von Verstande überlegen, hat er kein Gemüth und kein Erbarmen; er kennt keine Ideale und dem tiefsten Sehnen gegenüber kennt er nur Spott und Hohn. Ich denke, solche Käuze kennen wir mehr, und ihren verderblichen Einfluss hat man unter Menschen mehr als einmal beobachtet, ähnlich gesinnte sogar auf Thronen gewisser Kaiserreiche sitzen sehn. Es ist allerdings die Kehrseite des Faust, zum Idealisten der Realist in einem zugleich ergötzenden und erschütternden Bilde, ein innerlich gesteigerter Carlos aus dem „, Clavigo, eine Menschengestalt, hart an der Grenze spielend, wo der Mensch in den Dämon übergeht, aber ein Mensch, d. h. ein Wesen von einer uns ähnlichen sittlichen Anlage. Das Diabolische ist die Form der Einkleidung, der sagenhafte Stoff: der Inhalt des Gedichts ist ein Conflikt menschlicher Charaktere. Um es noch einmal zu sagen, der Faust ist eben ein Theaterstück von derselben Gattung, wie andre auch, nur höchst vollendet.

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Wir könnten mit dem Verf. noch über manches Einzelne rechten, aber an dem Meisten dürfen wir uns freuen. In den beiden Momenten, die den Charakter des Faust im ersten Monolog kennzeichnen, in der Verzweiflung an der Wissenschaft und dem Drange nach realem Lebensgenuss einerseits, und in dem Streben nach absolutem Wissen, dem Glauben also an die Moglichkeit des Wissens andrerseits, vermögen wir keinen Widerspruch zu erblicken. Ist das nicht beides in innigster Beziehung und entspringt eines aus dem andern? Kennzeichnet es nicht ganz die Stimmung des deutschen Geistes am Ausgange des vorigen Jahrhunderts? Dass Faust nach dem ursprünglichsten Plane in Margarethens Liebe Befriedigung finden sollte, können wir nicht glauben. Das Stück war von vorn herein auf die Kindesmörderin angelegt. Das Entgegengesetzte widerspräche auch dem Charakter Faust's selbst. Wäre für solchen Geist nicht eben jene Befriedigung zu gering, so fiele die ganze Anlage des Drama's. Faust konnte sich auch in der Liebe wohl versuchen: aber darin aufgehen, für immer und mit vollständiger Ausfüllung seines Innern - das konnte er nicht. Der Contrast ferner des zweiten Monologs gegen den ersten, die ruhigere, reflectirende Stimmung mag immerhin aus dem späteren Ursprunge abzuleiten sein: wir können ihn aber durch die Situation nur wohl begründet finden, und die Errettung vom Selbstmorde durch den ahnenden Anklang religiöser Empfindung kann uns nicht als ein unpassendes Motiv erscheinen. Ein Mensch, so edel und so ganz menschlich, sollte grade den Tröstungen der Religion unzugänglich erscheinen? So verhärtet in seinem Gefühls- und Verstandespantheismus, wie ihn manche Leute wünschen möchten, ist nun eben der Goethe'sche Faust nicht, und sein Unglaube erscheint als ein böses Element, das ihn direkt dem Bösen in die Arme treibt. Wiederum möchten wir einem so phantastisch angelegten Werke nicht so peinlich die Chronologie seiner einzelnen Scenen nachrechnen, damit auch die neun Monate für die Geburt von Gretchen's Kinde herauskommen möchten. (Vgl. p. 61-62). Besonders aber scheint uns die "auf Weisse's Ansicht beruhende Vermuthung nicht gerechtfertigt, als ob Mephisto ursprünglich nicht der Satan, sondern ein dem Faust vom Erdgeist beigegebner Diener gewesen sei. Das läge viel zu weit von den Motiven der Sage ab, von denen Goethe gewiss nicht so weit abgewichen ist. Die Spuren, besonders in der Scene Wald und Höhle" sind dafür nicht ganz beweiskräftig. Der Geist, der Faust Alles gab, liesse sich auch wohl noch anders deuten, als auf den Erdgeist, und meinte man, es könnte wirklich nur der Erdgeist gemeint sein, so vergleiche man Düntzer,

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(Goethe's Faust. Bd. 1. p. 248 sqq.), um zu sehen, dass man nicht nothwendig jenen schwersten Widerspruch zu allem Früheren anzunehmen braucht. Beim ersten Entwurf, dem jene Scene nicht einmal angehört, besonders in dem Drama von Margaretha, brauchte Goethe den Mephisto. Er nahm ihn also frischweg aus der Sage herüber, ohne sich über die Motivirung seines Zusammentreffens mit Faust viel Kopfzerbrechens zu machen. Diese Motivirung war ihm erst später nothwendig geworden, als das Fragment zu einem ersten Theile der Tragödie anwuchs, und da behandelte er sie im Geiste der Sage, freilich in eigenthümlicher, gesteigerter und vertiefter Auffassung.

Was nun die Art und Weise anbetrifft, wie der Verf. den zweiten Theil der Tragödie behandelt, so müssen wir ihm auch hier entschiedene Verdienste zugestehen. Mit Recht hebt der Verf. das opernhafte Element hervor, das eine Menge phantastisch-romantischer Motive erzeugt, in denen man vergebens einen tieferen Sinn suchen möchte. So ist denn der Verf. auch ein Feind des allzuvielen Deutens und Deutelns. Fast scheint es uns aber, als ob er hierin schier zu weit ginge, wie man meist nach der entgegengesetzten Richtung hin übertreibt. Wenn er z. B. im Mummenschanz des ersten Aktes nur dies finden will, dass die Gelegenheit zur Schilderung eines grossartigen Hoffestes benutzt sei, so scheint uns hingegen hier die zwingende Nothwendigkeit vorzuliegen, eine durchgehende Allegorie im Ganzen, wie in allem Einzelnen anzunehmen. Die Deutung hat der Dichter freilich sehr schwer gemacht. Aber hätten wir nicht einen tieferen Sinn dahinter zu suchen, so bliebe uns nichts als der baare Unsinn übrig, Unsinn, der nicht einmal als ein wesentliches Moment in der Schilderung des Bösen und Verkehrten gerechtfertigt wäre, wie in manchen Scenen des ersten Theils, sondern der gradezu als ein kindisches Spiel mit Worten und Vorstellungen erschiene, das wir denn doch Goethe's für unwürdig halten. Uns scheint also doch die Deutung auf die Zustände des Staats und der Gesellschaft und schliesslich auf die Revolution nothwendig. Die Mütter sind vom Verf. gewiss richtig gedeutet auf den ewigen Verstand, der die Urbilder der Dinge in sich trägt, und das Hinabsteigen zu ihnen auf das Hinabsteigen in die Tiefe der Dinge, nicht der Gedanken. Dass Faust sich in die Helena, die er selbst von den Schatten heraufbeschworen, also in eine blosse Vorstellung, ein Bild" verliebt, soll wohl nicht bloss ,,die sinnberaubende Macht der Schönheit veranschaulichen." Es ist ein nothwendiges Motiv in der Fortbewegung der Handlung, für die Sehnsucht des Faust nach klassischem Boden, und bedeutet eben gar nichts weiter als den Anknüpfungspunkt für die weitere Handlung. Für die Deutung des Homunculus hat der Verf. ein wesentliches Moment mit Recht hervorgehoben. ,,Die Gelehrsamkeit liefert den hilfreichen Geist, der Faust zum Klassischen führt." Es ist ,, die Flamme der Begeisterung, die Liebe zum Schönen, die die Gelehrsamkeit wider Wissen und Wollen erzeugt." Aber alle in den Homunculus gemischten Elemente sind auch so schwerlich erschöpft. Er ist und bleibt ein Räthsel, vielleicht nur aus seiner Absonderlichkeit als einer gesuchten und aus Goethe's alchymistischen Studien abzuleiten. Wenn dann aber der Verf. über die klassische Walpurgisnacht und die Tragödie Helena so bittern Tadel ausspricht, so ist es um so weniger begreiflich, wie der Plan im Ganzen als so gelungen bezeichnet werden kann. Im Gegentheil: um solch einen Plan handelt es sich gar nicht. Man muss nur beachten, wie Goethe am Faust gearbeitet hat. Es ist immer die Sage, die das Thema seiner Schöpfung bildet. Er greift die Elemente heraus, die ihm in jeder Epoche seines Denkens am nächsten liegen, und macht daraus, was er je nach dem Stande seiner poetischen Productionskraft und seiner wissenschaftlichen und sittlichen Interessen und Anschauungen zu gestalten vermag. Die Einheit der ganzen Schöpfung liegt in der Sage und in der sich entwickelnden Persönlichkeit des Dichters, bei Leibe nicht in einer abstracten Idee oder einem vorgefassten Plan, einem

Schema des Dichters. Wenn er wirklich schon vor 1780 an der Tragödie Helena gearbeitet hat, so hatte sie nothwendig eine ganz andre Form und Anlage, als die ihr der Dichter nachher gegeben hat, einfach aus dem Grunde, weil der Dichter damals noch nicht die literaturwissenschaftlichen Interessen gehegt hat, die ihn nachher das in der Sage gegebene Motiv in so eigenthümlicher Weise ausführen liessen unter der Herschaft der Literaturgeschichte und des Romantizismus.

Es handelt sich also um eine Idee im ersten Theile gar nicht, im zweiten nicht eigentlich, nämlich hier nicht um eine Idee, sondern um viele Ideen, d. h. eine neue in jedem neuen Haupttheile. Der erste Theil des Faust, wie wir ihn nun vor uns haben, ist ein im Ganzen einheitliches Werk, ein Gedicht scheinbar wie aus einem Guss, wenn auch zu verschiedenen Zeiten entstanden. Mancher Widerspruch mag sich dem geübten Auge nicht entziehen; manches Fremdartige mag in demselben stören; die literarischen Anspielungen, manches Episodische mag man hinweg wünschen, wenn man schwach genug ist, sich den Totaleindruck dadurch verkümmern zu lassen. Wir möchten das Werk nicht viel anders, weil wir auch den jugendlichen und männlichen Goethe nicht viel anders möchten. Etwas romantische Willkühr, nun wohl! Wir lassen's gelten. Aber das Werk als Ganzes bleibt ein Werk von unvergleichlicher Gewalt und Bedeutung, nicht durch seine Ideen, sondern als lebendiges Bild des vollen Menschenlebens. Der weite Rahmen phantasievoller Erfindung, der alle diese durch keine ängstliche Verknüpfung der Motive in's Kleinliche gezogenen Scenen und Gestalten umfasst, erträgt auch diese Ausschreitungen und giebt der Phantasie nur einen um so weiteren Spielraum.

Der zweite Theil besteht aus zwei Hauptabtheilungen: wir haben zunächst die Vermählung des Romantischen und Classischen, und sodann die Erlösung des Faust. Der erste und zweite, und dann wieder der vierte Act dienen nur zu innerer und äusserer Motivirung dieser beiden Haupthandlungen. In der ersten Abtheilung bleibt uns die Persönlichkeit des Faust ganz gleichgültig; es handelt sich um etwas ganz Anderes, nämlich um ein Kapitel aus der Literaturgeschichte der neueren Zeiten. Was der Tragödie Helena vorausgeht, ist nur vorbereitendes Motiv für diese selbst, aber als solches mit aller Behaglichkeit ausgesponnen. Der Aufenthalt am Hof und das Heraufbeschwören des Schattens der Helena sind in der Sage gegeben, der zweite Act ist freie Erfindung, aber offenbar als Gegenstück zu Scenen des ersten Theils und insbesondere zur Walpurgisnacht gedacht. Den inneren Zusammenhang, in welchem die Erschaffung des Papiergeldes, der Homunculus und die geologischen Theorien zu der Composition des Ganzen stehen, haben wir noch nicht einsehen können. Die ehrlichsten Versuche, einen solchen Zusammenhang nachzuweisen, müssen scheitern. Der Dichter hat sich mit Behaglichkeit mehr in die einzelnen Scenen, als in den Geist des Ganzen hineingedacht, und ausgedrückt, was ihm zunächst am Herzen lag. Sieht man also nicht auf diese problematische Idee des Ganzen, so ist doch Manches vortrefflich und höchst gelungen. Selbst die Sprache, die so viel gescholtene, hat auch ihre Vorzüge, in die man sich bei wiederholter Lecture immer mehr hineinlebt. Es ist gewiss keine klassische Sprache, und man hüte sich nur, dabei an den Dichter des ersten Theils zu denken. Aber sie zeichnet doch in ihrer Schnörkelhaftigkeit, stellenweise in ihrer vornehmen Eleganz, in ihrem Behagen, ja in ihren sprachwidrigen Bildungen eine eigenartige Persönlichkeit, die nicht ohne ihren Reiz ist. Es gelingt ihr doch, Manches ganz vollendet auszudrücken, und selbst der Humor gebricht ihr nicht. So persönliche und absonderliche Interessen die Gestaltung manches Einzelnen bedingt haben, die poetische Meisterschaft bleibt dem Dichter bis zur letzten Zeile getreu, und eine gewisse mystische Tiefe passt vortrefflich zu dem universellen Ideengehalte der einzelnen Scenen. Ein Geschick wahrhaft plastischer Darstellung zeigt sich dabei überall, wo es dem

Dichter darauf ankommt. Es ist nicht bloss literar-historisch interessant, zu erfahren, wie Goethe über manche Dinge gedacht hat: an mehreren Punkten ist ein wahrhafter Genuss möglich. Etwas Grossartiges ist auch hier entstanden; aus Faust's Hofleben und Umgang mit der Helena liess sich gewiss nichts Besseres machen, und Niemand hätte es auch hierin dem Dichter gleich gethan. Nur verderbe man sich nicht die Stimmung durch Vergleiche mit dem ersten Theil und durch die Aufsuchung einer durch das Ganze leitenden Idee. Es ist kein Mittelpunkt vorhanden, als des Dichters Persönlichkeit mit ihren Interessen und Bestrebungen, und in dieser liegt wahrhaft die Bedeutung des Kunstwerks. Goethe ist in diesem Sinne ein ganz subjektiver Dichter mindestens in seinem Alter, subjektiv fast bis zur Willkühr.

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Die zweite Hauptabtheilung des zweiten Theils dagegen darf uns besonders in einem Punkte höchst ungenügend erscheinen. Der vierte Act, der wieder nur vorbereitende Dinge für das äusserliche Geschehen enthält, mag durch die heitere Ironie und die grossartige Anschauung von Menschenleben und Staatsverhältnissen, wie es auch Herrn Köstlin erscheint, sehr anziehend sein. Aber dieser fünfte Act, in welchem Goethe den höchsten Doctrinen der Religion Concurrenz macht, mag uns wahrhaft befremden. Faust gelangt zur Seligkeit dadurch, dass er schliesslich noch ein „nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft" wird. Eine umfassende Thätigkeit im Dienste der praktisch-materiellen Interessen ist das Höchste, was er erreicht, der Abschluss seiner gewaltigen geistigen Entwicklungen. . Der grossartig angelegte Mann, den die mystische Tiefe der Speculation und das energische wissenschaftliche Streben, das Süsseste des Liebesglücks und das höchste Ideal der Schönheit, die überraschende Fülle eines abenteuerlichen, wechselvollen Lebens nicht schliesslich befriedigte, wird endlich ein „, Holländer" in grösstem Maasstab, und nun erklärt er sich auf einmal für beruhigt. Ist es die Abschwächung, die Ermattung des Greisenalters, was Faust so in das Triviale bineintreibt? Oder ist es wirklich Goethe's Ernst gewesen, dass eine solche bürgerliche Profession nun schliesslich das Höchste sei, was ein idealer Mensch erreichte? Und hätte er selber etwa seine Ministerthätigkeit höher geschätzt, als seine Poesie? Wir glauben's nimmer, und es bleibt uns keine andre Lösung, als: die Sache musste doch irgend einmal ein Ende nehmen, Faust musste auf die Seite geschafft werden, und so musste denn der erste beste Ruhepunkt den Ausgang vertreten. Aber noch sind wir nicht am Ende. Faust's Seele ist ja der Hölle verkauft. Der Dichter fühlt ein menschlich Erbarmen mit seinem Helden und spricht ihn von der Hölle los. Er lässt ihn der ewigen Seligkeit theilhaftig werden, worauf doch Alles nothwendig hinauslaufen musste. Aber wie beginnt er das nun? War es dem Dichter wirklich nicht möglich, eine tiefer ergriffene Gemüthslage darzustellen, als die dieses lebensmüden Greises? War es Theorie von ihm, dass man um so spottbilligen Preis in den Himmel käme? War ihm das Ideal der Demuth, der inneren Umwandlung des bloss der Welt zugewandten Menschen, das Sichbesinnen auf seine göttliche und ewige Bestimmung so ganz unzugänglich? Es scheint so, und es ist, als ob sich hier der Mangel, an dem die schönste Zeit unsrer Literatur noch leidet, so recht deutlich offenbarte. Ilier sehen wir ein unendlich Wahres, dem einfachsten Kinderverstande Zugängliches, und doch von dem grössten Geiste bis an sein spätes Lebensende nicht Vernehmbares als unerfüllte Forderung durchblicken. Und doch, die Art, wie Alles zugeht, ist gar zu äusserlich und oberflächlich, als dass wir des Dichters Ueberzeugung darin wiedererkennen möchten. Es war ein äusserer Abschluss um jeden Preis nöthig, er hat ihn genommen, wie er sich ihm eben bot, so dass nun der Prozess der Rechtfertigung ein dem Faust ganz äusserlicher bleibt, gar nicht auf dem Boden seiner eignen Seele vorgeht. In seiner Sünden Blüthe, an dem eiteln, vergänglichen Thun und Sein eine kümmerliche und thörichte Befriedigung findend, die er, der

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