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Zwei Knaben, Kammerjunker der Prinzessin von Condé, sind auf der Bühne, und machen anzügliche Bemerkungen darüber, warum wohl die Prinzessin zu ihrem Gemahl in's Gefängniss gehen mag: „wer weiss, was vor ein hoher Prinz dieser geheimen Zusammenkunft seine Geburt wird zu danken haben!" Sein Gesellschafter beruhigt ihn und meint: „,sie sind bei guter Zeit unfruchtbar gewesen, werden auch im verdriesslichen Gefängniss schlechte Hoffnung erwecken." So geht das Gespräch weiter. Margarita indessen, voll Liebessehnsucht nach ihrem Gemahl, nimmt Abschied von ihrem Hausstand und entfernt sich. Bald darauf erscheint sie vor dem Thürsteher des Gefängnisses, um diesem den Wunsch auszusprechen, ihren Gemahl zu besuchen. Potage ist der Thürsteher, in dessen Charakter es nicht liegt, zu schweigen, wo er sich verfängliche Gedanken machen kann. Bevor der Prinzessin der Wunsch gewährt wird, erblicken wir in einem geheimen Gemach den Prinzen Condé im trotzigen Gespräch mit seinem Feinde, mit dem Kanzler Mangot, einer Kreatur des Marggrafen. Das Gespräch ist bald vorüber, und ein Vorhang fällt vor dem Gemach, so dass die Bühne leer ist. *) Da ertönt von innen Gesang,

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*) Dies ist, beiläufig gesagt, die einzige Art des DecorationsWechsels, die in Weise's Trauerspiel angedeutet ist. Die Bühne hat für gewöhnlich keine Abzeichen eines bestimmten Aufenthalts. Gleichviel wo die Personen gedacht werden sollen, ob auf der Strasse oder in der Stube, im Palast oder im Gefängniss, es wird auf der Bühne desswegen gewöhnlich nichts geändert. Nur in wenig Fällen, wenn etwas entweder besonders Feierliches oder besonders Heimliches dargestellt werden soll, zieht sich die Handlung von dem grossen vorderen Raum der Bühne mehr in den Hintergrund zurück, und trägt sich in dem sogenannten „, innersten Schauplatz oder der innersten Scene" vor. 'So lange diese innerste Scene nicht benutzt wird, ist sie durch einen Vorhang von der vorderen Bühne getrennt. Wenn sie sich öffnen soll, giebt Weise auch immer zugleich an, was sie repräsentirt: „des Königs Zimmer, der Königin Gemach" u. 8. W. Um einer andern Aeusserlichkeit zu erwähnen! Weise nennt, was heute, Aufzug“ oder „Akt“ heisst, „Handlung. Die Scenen oder Auftritte dagegen bezeichnet er mit dem Namen „Aufzug:" vielleicht in dem Sinne, dass ein neuer Aufzug von Personen stattfindet; wenigstens ist nicht ersichtlich, dass immer ein Vorhang beim Scenenwechsel aufgezogen würde.

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eine Arie, zu der Weise auch die musikalische Composition

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Der Vorhang erhebt sich nach dieser Arie wieder. · Prinz und Prinzessin von Condé befinden sich in dem Gemach; und dem Zuschauer wird der Genuss, dem Liebesgeflüster eines ehelichen Beilagers lauschen zu können. Margarita beginnt sogleich: „Glückselig sei die Stunde, da mein liebster Prinz

das Zeugniss seiner Liebe aus meinen Armen empfangen soll." Und der Prinz erwiedert ihr: „Ich merke wohl, Deine Fruchtbarkeit hat sich so lange verzogen, bis die Liebe in ihrem Unglück soll bewähret werden. Komm, meine Seele, wir wollen im Gefängniss einen Prinzen zeugen, der unsre Nachkommen wegen dieser Injurie bestrafen soll." Nach wenig anderen

Worten wird die Hin- und Wiederrede der Liebenden immer wärmer, und in kurzen Ausrufen schliesst der Dialog wie folgt. Prinz: „O süsse Zuflucht!" Margarita: „O angenehmer Aufenthalt!" Prinz: „Ich lebe, weil mein Leben zu mir kömmt." Margarita: „Und ich kann nicht sterben, weil meine Traurigkeit getödtet ist."___ Hier hast Du meinen Geist!" „Und hier

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,,Ich

„Ich

wird meine Seele durch Deinen Mund zurückgesendet." umfasse Dich!" „So werden die Könige getrotzet.“ küsse Dich!" ,,So wird des Königs Grimm verachtet." „Ich führe Dich zu Bett." - "So triumphirt man über die Feindschaft." Nach diesen Worten fällt der Vorhang vor dem geheimen Gemach wieder zu, und verbirgt beide Personen.

Im Hinblick auf manche andere Erzeugnisse der Zeit, selbst auf dem freieren Felde der poetischen Literatur, namentlich im Hinblick auf die Didaktiker und Satiriker, die wohl ein würdiges Wort in Betreff der Kindererziehung, der Zucht und Sitte in allen Verhältnissen, zu sprechen wissen, - erscheint die nackte Anstandlosigkeit dieser Scenen als völlig unerklärlich. Mochte Hoffmann von Hoffmanns waldau sich aller galanten Schlüpfrigkeit des Ausdrucks hingeben, mochte Johann von Besser mit Frechheit Alles entschleiern, was dem Auge des öffentlichen Lebens verborgen ist: sie sind gewissermassen gerechtfertigt, denn sie fanden die Bildung ihrer Zeit, den Ton ihrer Kreise, zumal der Höfe, an denen sie verkehrten, vor, und es war natürlich, dass sie den Elementen derselben nicht widerstrebten. Christian Weise aber schrieb für die Jugend. Er fand keinen fertigen Ton vor, sondern sollte den geziemenden bilden. Selbst die dem Adel zustehende hardiesse," von welcher Weise in der Vorrede spricht, giebt doch wohl keine genügende Aufklärung für alles Unschöne, was er vorträgt.

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Das Urtheil steigert sich noch, wenn schliesslich gerade an diese Scenen der ästhetische Gesichtspunkt des Drama's gelegt wird. Denn von diesem letzteren aus ist nicht die geringste Veranlassung, geschweige denn Rechtfertigung, für sie vorhanden. Es wird dem Fortschritt der Handlung auch nicht der kleinste Dienst geleistet. Am Anfang des vierten Akts befindet sich der Prinz von Condé im Gefängniss, am Schluss desselben ebenso; es ist Alles beim Alten geblieben. Auch für die Zukunft wird nichts eingeleitet. Ja, wir müssen in dieser Hinsicht dem Dichter wohl gar Dank wissen, dass er die Konsequenzen des Aktes nicht ausbeutet, dass er Geburt und Erziehung des Prinzen, der den Vater rächen soll, nicht abwartet. Der ganze Akt mit all seinen Scenen ist, bloss um dieser letzteren willen da, nicht für das Ganze.

Hierin liegt das eigentliche Urtheil über Weise's dramatische Poesie überhaupt. Sie ist im Wesentlichen Scenen dichtung, — Genremalerei soviel wie möglich verschiedner Situationen, Gespräche und Aktionen. Weise repräsentirt die Kunstfertigkeit auf dem Standpunkt eines Schülers, der in dem Atelier eines Malers seinen Kursus begonnen hat, und, während er damit beschäftigt ist, Studien in einzelnen Gliedern, in Augen, Ohren, Händen und Füssen zu machen, auch schon versucht, durch äussere Verbindung derselben ein menschliches Ganze zu bilden. Man ermisst nach der Plan- und Taktlosigkeit, die Weise bei diesem Versuch zeigt, die Schwere der Aufgabe, die Gottsched eine Generation später sich stellte: die Regeln des französischen Kunstdramas auf der deutschen Bühne zur Anerkennung zu bringen.

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Somaize.

Im Jahre 1659 geriethen eines Abends zu Paris die Besucher des Theaters Petit- Bourbon in nicht geringe Aufregung und in nicht geringes Erstaunen, als Molière, der bisher eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, dasjenige, was damals unter ihnen als guter Ton galt, die seltsame geschraubte und räthselhafte Sprache, welche zu jener Zeit in den von Frauen, „den sogenannten Pretiösen“ geleiteten Zirkeln geredet wurde, den Einfluss, den die unerlässliche Lectüre damaliger Lieblingsromane auf die Anschauungsweise übte, auf der Bühne getreu abconterfeyte und damit in's Lächerliche zog. Ménage, der an jenem Abend im Theater war und als habitué des Hôtel Rambouillet die Abenteuerlichkeit der damaligen Sitte und Sprache mit durchgemacht hatte, war von jenem Spiegelbilde der Bühne überrascht und ging sofort in sich; denn, als er das Theater verliess, sagte er zu Chapelain: „Welche feine Satyre auf das, was wir bis jetzt für schön gehalten. Wir müssen verbrennen, was wir angebetet haben, und, setzte er später hinzu, an diesem Abend begann die Umkehr vom Galimathias und dem forcirten Styl." Mit einer einaktigen Posse hatte Molière die Sprache und die Lectüre Frankreichs verspottet und umgestaltet. Das Stück muss eine ungeheure. Wirkung gemacht haben; denn sofort wurde Molière ausgebeutet, man druckte die Précieuses ridicules nach. Herr Somaize (nicht Saumaise, wie wohl irrig geschrieben wird), ein Bücherfabrikant, von dem ich hier reden will, plünderte ihn aus, indem er erstens theilweise aus Molière sein grand dictionnaire des précieuses zusammenstellte, zweitens eine alberne Comödie,,les véritables précieuses" beging, deren

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