Ich stehe nicht an, wie die ganze Dichtung des Metastasio der des deutschen Dichters, so besonders den Schluss vorzuziehen. Bei Metastasio sind endlich alle Hindernisse, weggeräumt, und doch dem menschlichen Gefühl mit den Worten: ,,Ihr weint! Lebt wohl zum letzten male!" Genüge geschehen. Der Chor der Römer ist ein Nachhall der Abschiedsworte des Regulus, der dagegen bei Collin, um seinen Willen durchzusetzen, sich in Angesicht der Römer zu erdolchen droht, und dann seine Gattin mit dem Schlusswort: „Für diese sorget!" den Bürgern empfiehlt, während sie mit einer Aufforderung zur Rache ohnmächtig niedersinkt. - Wie ich übrigens dem in diesem Stücke keinesweges marklosen Ausdrucke des Metastasio gebührendes Lob.zolle, so verdient nicht minder bemerkt zu werden, dass Collin's Sprache eine zwischen Schiller's bilderreichem Schwung und Alfieri's trockener Kürze edle Mitte hält. Dieser Sprache ist es denn auch vielleicht zum Theil zuzuschreiben, dass dieses Trauerspiel vor ungefähr funfzig Jahren an mehreren Orten, insbesondre in Berlin mehrmals mit grossem Beifall aufgeführt wurde, wenn nicht etwa die wirkliche oder scheinbare sittliche Erhabenheit, die darin herrscht, den Hörer, wie den Leser, bestach, und gegen die erwähnten Schwächen und Mängel blind machte. Auch in dem Conversationslexikon von Brockhaus wird dies Trauerspiel das werthvollste des Verfassers genannt, und von seinen Schauspielen überhaupt gesagt: „Sie zeichnen sich durch Seelenadel, einfache Grösse, und das Bestreben nach antiker Einfachheit aus, doch leiden sie an Monotonie in der gesammten Anlage wie an Einförmigkeit in der Charakteristik. Mehr rhetorisch als dramatisch, und noch weniger theatralisch, sind sie mehr für den denkenden Leser, als für die Bühne gearbeitet." Um nicht parteiisch zu erscheinen, füge ich, wie vorher aus der Oper, nun auch aus dem Trauerspiel eine Stelle, und, wie ich meine, eine der gelungensten hinzu. Es ist die letzte Hälfte des zweiten Auftritts im zweiten Aufzuge. Regulus spricht vor dem Senat mit dem Consul Metellus und den versammelten Vätern. Regulus. Es ist doch hart, ihr Väter, dass ein Sklav' Der Leidenschaft, wie nur gelassene Vernunft der Väter Schlüsse leiten müsse. Metell. Wir hören's fromm wie eines Gottes Wort. Regulus. Was ist's, das Roms Senat so sehr entsetzt, ,, Sieh, Dein Tod erweckt doch auch dem Vaterlande Noch Heldensinn in mancher Römerbrust." Metell. O Regulus, o grosser, einzger Mann, Regulus. Wohl mir! Der Römergeist erwacht in euch. (kniend und gebeugt mit gesunkenen Armen.) Vor eurem Angesichte, Väter, Weih' ich nunmehr mein graues Haupt den Göttern auf mich, auf dieses Haupt Sei es gewälzt! O sehet doch, ihr Götter, Das meine ist vollbracht. Thut nun das Eure! Metell. Vielleicht vereinet uns der Schluss, den ich Dass diesen Schluss das Wohl von Rom erheische. Und selbst die Enkel werden ihm noch danken, Dass er als Opfer für das Vaterland Den Untergöttern sich mit Grossmut weihte. (geht mit dem grössten Theil des Senats in den Hintergrund des Tempels. Zurückbleibt Valerius.) Valerius. Mir nach, wer ihn vom Tod zu retten strebt! (geht mit einigen Senatoren vorwärts.) Regulus. Quirin, nun wache für das Wohl der Stadt! - Ich komme noch mit einigen Worten auf die Einleitung meines Aufsatzes zurück, nämlich auf Würdigkeit und Behandlung der Aufgabe, und auch hier lasse ich Goethe's Urtheil voraufgehn, welcher sagt: „Wollte man dieses Süjet in Einem, Act behandeln, so würde es ein Gewinn für die Bühne sein: denn es ist immer herzerhebend, einen Mann zu sehen, der sich aus Ueberzeugung für ein Ganzes aufopfert, da im gemeinen Lauf der Welt sich niemand leicht ein Bedenken macht, um seines besondern Vortheils willen das schönste Ganze, wo nicht zu zerstören, doch zu beschädigen." Nun habe ich bereits bemerkt, dass die Eintheilung in drei Aufzüge 'sich durch Metastasio's Leistung vertheidigen lässt, wie man denn nicht ahnen kann, durch welche Erfindungen und Zusätze ein grosser Dichter die Handlung auszudehnen vermöchte, um selbst fünf Aufzüge damit zu füllen; aber theils hat Shakspeare diesen Stoff nicht beliebt, und auch kein anderer bedeutender Bühnendichter ihn meines Wissens gewählt, theils wird wohl Jeder zugestehen, dass einige Stoffe sich weniger zur Vorführung auf der Bühne als zur Erzählung eignen. So ist es noch keinem dramatischen Dichter mit dem Codrus, obgleich Cronegk, oder mit Leonidas bei Thermopylae, oder mit Conradin von Schwaben, obgleich Mehrere sich an ihnen versucht haben, eigentlich geglückt. Zu dergleichen Stoffen scheint mir nun Regulus wegen seiner starren Römertugend vorzugsweise zu gehören, die eben so wenig wie das spanische Ehrgefühl, z. B. in Calderon's „Don Gutierre oder der Arzt seiner Ehre" bei uns Deutschen Anklang findet, und eher etwas Befremdendes und Abstossendes als Bewunderung und Mitleid Erregendes, und überhaupt Anziehendes hat. Berlin. Kannegiesser. Sitzungen der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen. 49. Sitzung, den 5. Februar 1861. Herr Schmidt las über das Ormulum. Nach einer kurzen Charakteristik der Sprachentwicklung, welche von den Engländern als Semisaxon bezeichnet worden ist, wies er darauf hin, dass die beiden Hauptwerke, des Ormulum und Layamon's Brut verschiedenen Localitäten angehören und schon gewisse dialektische Eigenthümlichkeiten des Altenglischen in scharfer Sonderung darbieten. Layamon's Werk sei unbestritten westsächsisch, das Ormulum dagegen müsse einem der anglischen Distrikte angehören; es entstehe die Frage, ob der Ursprung in den Osten oder in den Norden Englands zu verlegen sei. Der Vortragende sprach sich im Gegensatz gegen die Ansicht der meisten englischen Kritiker zu Gunsten eines ostanglischen Districtes aus, bekannte jedoch, die Frage nicht zum Abschluss bringen zu können, da gewisse Werke aus etwas späterer Zeit, in denen die Eigenthümlichkeiten der östlichen Dialekte bestimmt ausgeprägt sind, insbesondre Havelok the Dane, ihm nicht zu Gebote stehen. Nachdem er sodann den Inhalt des Ormulum's angegeben und die im Werke selbst vorhandenen Notizen über den Verfasser zusammengestellt hatte, suchte er die Vermuthung zu begründen, dasselbe müsse etwa 50 Jahre später fallen als Layamon's Brut; durch diese Annahme gewinne man Zeit für die grössere Zersetzung der Sprachformen. Es folgte eine Charakteristik der Versification und Mittheilung einzelner Sprachproben, bei welcher Gelegenheit die specifische Eigenthümlichkeit der Orthographie, die Verdoppelung des Endconsonanten einer kurzen Silbe, vorläufig erwähnt wurde; die eingehende Besprechung dieses Gegenstandes blieb einer spätern Betrachtung vorbehalten. Hieran schloss sich eine längere Auseinandersetzung der Besonderheiten, welche in der Vocalisation hervortreten, sowohl im Verhältniss zum Angelsächsischen wie zum Altenglischen. Herr Herrig gab einige Nachträge zu den Notizen des Vortragenden über die Handschrift der Bodlejana und erwähnte, dass die Gestalt geArchiv f. n. Sprachen. XXIX. 18 |