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bianco, piuma, fiore das U und I gleichwohl mit in die Aussprache eintritt, und dass vollends, wo U und I, betont oder unbetont, selbständigen etymologischen Werth haben, wie in prúa, virtuóso oder vía, glorióso, die Dichter allerdings von der Freiheit Gebrauch machen, auch beide Vocale zu zählen. Die Benennung passt also höchstens auf diejenigen Fälle, wo U und I Nichts weiter als die orthographischen Zeichen der Lautöffnung eines O und E sind, wie in buono, lieto, oder wo I den Quetschlaut eines G, C, gL bezeichnet, wie in giorno, bacio, meglio. Blanc empfiehlt hier deshalb die Benennung „Monophthongen“ oder „Diphthongoiden." Endlich ist in Fällen wie guaína (lat. vagina), buói (boves) oder figliuói (neben figliuoli), wo nicht einmal ein Diphthong vorliegt, gar noch von Trittonghi und Quadrittonghi die Rede. Man werfe doch den Plunder über Bord und sehe die Sache mit Verstand an!

Professor Dr. Staedler.

Ueber die Nothwendigkeit

einer

grösseren Ausbildung in unsrer Muttersprache.

Den Herren Schulmännern, welchen die nachstehenden Bemerkungen hauptsächlich gewidmet sind, wird es hoffentlich nicht unwillkommen sein, über Dinge, welche ihren Wirkungskreis betreffen, bisweilen auch die Urtheile von Leuten aus andern Fächern zu vernehmen, um so mehr, als diese in vieler Beziehung Gelegenheit haben, genauer zu prüfen, welche Anforderungen das praktische Leben an die zur Vorbereitung für dasselbe dienenden Bildungsanstalten zu machen berechtigt ist. Ohnehin dürfte es nicht mehr als billig sein, den ehemaligen Zögling der Schule, welcher seiner Zeit mit dem Zeugniss der Reife entlassen wurde, darüber zu hören, ob er später gefunden, dass die Schule auch ihrerseits ihre Pflicht gegen ihn überall erfüllt habe, oder nicht? Und wenn er nun bemerkt hat, dass diese Pflicht in einem Punkte von besondrer praktischer Wichtigkeit nicht genügend erfüllt wurde, und dass dieser Uebelstand fortdauert, so erscheint es gewiss geboten, denselben zur allgemeinen Kenntniss zu bringen. Ich stehe daher nicht an, hiermit auf einen solchen mir stark bemerkbar gewordenen Mangel aufmerksam zu machen, nemlich auf die meines Erachtens ungenügende Vervollkommnung der Jugend in unsrer Muttersprache, und zwar insbesondre auf den höheren Bildungsanstalten, mit Einschluss der Universität. Die Hebung des Unterrichts für die niederen Bildungsclassen, in welchen naturgemäss die Muttersprache ihre gebührende Berücksichtigung findet, ist bereits in erfreulicher Weise Gegenstand der all

Archiv f. n. Sprachen. XXIX.

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gemeinen Aufmerksamkeit wie der Fürsorge der Behörden, und ich nehme daher von einer Erörterung in dieser Beziehung Abstand. Einer desto eingehenderen Besprechung scheint mir der beregte Mangel in den höheren Bildungsanstalten zu bedürfen. Wenn ich hiermit in einer Zeit hervortrete, welche vor Allem auf thatkräftiges Handeln hinzudrängen scheint, so geschieht es in der Ueberzeugung von der Wichtigkeit des Gegenstandes, bei welcher längeres Zögern um so weniger am Platze sein möchte, als ich bis jetzt vergebens gehofft habe, diesen Gegenstand von den Herrn Schulmännern selbst in Betracht gezogen zu sehen.

Ich formulire meine Ansicht im Allgemeinen dahin:

Dass die bisherige Art und das bisherige Maass der Ausbildung der Jugend in der geschickten Behandlung der deutschen Sprache auf den höheren Bildungsanstalten den Anforderungen der neueren Zeit nicht mehr entspricht.

Betrachten wir zunächst den Unterschied, welcher zwischen der Zeit vor den letzten vierziger Jahren unsers Jahrhunderts und der Zeit nachher in Bezug auf die Nothwendigkeit einer möglichst allgemeinen und vollkommenen Beherrschung unsrer Muttersprache obwaltet, so wird der ungeheure Abstand einem Jeden so einleuchtend sein, dass ich kaum nöthig habe, darauf näher einzugehen. Unter der absoluten Monarchie wurde die Verwaltung des Staats, abgesehen von der beschränkten Selbstverwaltung der Städte, Gemeinden etc., beinahe lediglich durch Beamte geführt und den übrigen Staatsbürgern war nur eine begrenzte berathende Theilnahme daran eingeräumt. Das amtliche Verfahren war meistens ein schriftliches und nichtöffentliches, und die Aspiranten zu den Aemtern wurden hauptsächlich erst durch ältere Beamte in der Aneignung der Form und der amtlichen Schreibart unterwiesen. Die auf eine vorzügliche Anwendung der Rede Angewiesenen waren höchstens: Lehrer, bei denen es sich doch meist nur um Fragen und Antworten handelte, Prediger, die bei ihren Vorträgen schon durch mehrtägige Vorbereitungszeit, langsames Sprechen und eine Fülle biblischer Ausdrücke und Wendungen unterstützt werden, Professoren, die gewöhnlich ihre Collegienhefte den Vorträgen

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zum Grunde legten, - die langjährig geübten Dirigenten der Collegien, ferner einzelne besondre Posten, wie Landtagsmarschälle u. dgl. Die Schriftsteller von Profession betrachteten eigentlich die grössere Sprachfertigkeit als ihr besondres Eigenthum; die Presse selbst aber war durch Censur und sonstige Ueberwachung an freiem Aufschwunge gehindert. Bei dieser Sachlage genügte denn wohl die bisherige Ausbildung in unsrer Muttersprache auf den Schulen.

W.

Jetzt dagegen nimmt unter der constitutionellen Monarchie das Volk durch seine Vertreter directen Antheil an der Staatsverwaltung, insbesondre an der Gesetzgebung, und die öffentliche Meinung wirkt als Regulator in der Staatsmaschine. Die Wohlhabenderen und Gebildeteren werden sogar zu den Schwurgerichten als Richter berufen. In den Kammern, in den Gerichtshöfen, in den Stadtverordnetenversammlungen u. s. findet mündliches und öffentliches Verfahren statt. Die von der Censur befreite Presse ist in der Lage, eine bei weitem freiere und grössere Thätigkeit als früher entfalten zu können; das Vereins- und Versammlungsrecht ist, unter gewissen Beschränkungen zur Verhütung des Missbrauchs, verfassungs- und gesetzmässig gewährleistet; und so suchen nicht blos die politischen Parteien durch Schriften und Reden möglichst ihren Ansichten Geltung zu verschaffen, sondern auch nach unendlich vielen anderen Richtungen hin und in allen Classen und Ständen herrscht ein bemerkenswerthes Streben, durch Austausch der Ideen Fortschritte herbeizuführen.

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Wozu soll ich noch genauer auseinandersetzen und begründen, was beinahe Jedermann fühlt und weiss? Man wird mir ohne Weiteres einräumen, und darum handelt es sich für uns hier, dass die Rede (im weiteren Sinne) und ihr freier Gebrauch als vorzüglich wichtiges Medium sowohl für die Verwaltung des Staats und seiner einzelnen Zweige, wie für unsre ganze Entwickelung anerkannt ist, und dass demzufolge nicht nur theils viel grössere Anforderungen an die sprachliche Fertigkeit gegen früher gestellt werden, sondern auch das bedeutende Uebergewicht und der grosse Einfluss, den eine hervorragende Geschicklichkeit in der Behandlung der

Sprache und des zu besprechenden Stoffes verleiht, sich immer mehr geltend und fühlbar macht.

Hiernächst fragt sich nun, ob eine allgemeine Beherrschung der Sprache wirklich in zufriedenstellender Weise jetzt stattfindet, oder nicht? Ich glaube, dass wir diese Frage verneinen müssen. Anfänglich hoffte man, dass die neue Zeit, und namentlich das mündliche Verfahren, selbst ein genügender sprachlicher Lehrmeister sein werde. Allein diese Erwartung hat sich, obwohl wir die Resultate eines mindestens 13jährigen Zeitraums überblicken, nur in mässiger Weise erfüllt. Man lasse sich bei der Prüfung des jetzigen Zustandes nur nicht blenden von dem helleren Licht, in welchem die ganze neuere Zeit erscheint; man halte die eigene Eitelkeit ein wenig nieder, die uns grade auf dem Gebiete der Rede so gern unser eigenes Lob zuflüstert, und übersehe endlich den Umstand nicht, dass in der Hauptstadt Berlin, gegen das übrige Land betrachtet, ein unverhältnissmässiger Zusammenfluss grösserer Talente stattfindet. Sonst zeichnen sich durch eine angeborne bedeutendere Sprachfertigkeit doch nur einzelne Theile unsres Vaterlandes aus. Betrachten wir die Sache etwas genauer, so dürfte, was zunächst den mündlichen Vortrag betrifft, nicht in Abrede zu stellen sein, dass selbst in den Kammern, wo wir doch die Elite der oratorischen Talente des ganzen Landes zu suchen haben, der wirklich tüchtigen Redner verhältnissmässig nur wenige sind. Im Auslande ist man offenbar derselben Ansicht; hat doch erst vor Kurzem eine bedeutende englische Zeitung (Daily News) Herrn v. Vincke bei Gelegenheit seines bekannten Amendements in der italienischen Frage ,,vielleicht den einzigen wahrhaft parlamentarischen Redner Deutschlands" genannt. In den Gerichtshöfen ist die Redekunst zwar in besonders vielfacher Weise vertreten, sie wird aber von den meisten Juristen doch zur unerlässlichen Nothdurft gepflegt; die geschickteren Redner sind auch hier zu zählen, und diese sind meist natürliche Talente. Nicht wenige, und keineswegs bloss ältere Herren, sehen das öffentliche Sprechen immer noch als eine entschiedene Unannehmlichkeit an, der sie sich möglichst zu entziehen suchen, und oft genug kann man gradezu stümperhafte Vorträge zu hören bekommen. Ich selbst habe während einer mehrjährigen

nur

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