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diesem Verhalten kann, wie man sieht, gelegentlich auch der Fall eintreten, dass der zweite Vocal den Wortaccent zu tragen bekommt, was stets ein sicheres Kennzeichen abgiebt, dass man keinen Diphthongen vor sich habe.

Denn in einem Diphthongen ist der reine stets auch der Haupt-Vocal, der consonische stets der untergeordnete, so dass der Wortaccent, fällt er überhaupt auf den Diphthongen, seinen Sitz unbedingt auf jenem nimmt. Selbst wo der Diphthong ausserhalb des Wortaccentes steht, wird doch der erste, der Hauptvocal, stärker gesprochen als der zweite, dieser als der Nebenvocal stets von jenem übertönt. Eben hierin bekundet sich das organische Verhältniss, welches beide innerhalb ihrer diphthongischen Einheit zu einander haben. Ein Diphthong ist, was seine Bedeutung betrifft, dieses, dass einer der reinen und vollkommenen Vocale, nicht zufrieden mit einer bloss quantitativen Dehnung seines Lautes (die z. B. im Deutschen orthographisch durch Verdoppelung ausgedrückt wird, wie in Moos, Saal, Heer) sich über seine unmittelbare Lautsphäre hinaus entweder nach der Höhe oder nach der Tiefe zu erweitert, somit in diejenigen Laute ausklingt, welche die Höhe und Tiefe des Vocalklanges überhaupt repräsentiren. Dies ist der Grund, warum der Diphthong einen reinen Vocal (O, A, E) mit einem nachfolgenden consonischen (U, I) verbindet, dies der Sinn der organischen Einheit beider. Die Dichter zählen diese Verbindungen stets einsylbig; und nur wo, wie in den vorhin betrachteten Fällen, die beiden Vocale nicht das hier bezeichnete organische, sondern ein bloss zufälliges Verhältniss zu einander haben, zählen sie sie je nach Bedürfniss des Verses auch zweisylbig.

Es ist von Interesse, diese Diphthongen noch in ihrem wirklichen Vorkommen zu betrachten. Sie sind nur durch wenige Beispiele vertreten.

Ou fehlt im Italienischen ganz, wie bereits erwähnt worden; es hat auch im Lateinischen schon gefehlt.

Oi hat im Lateinischen gleichfalls gefehlt und somit nicht von dort ins Italienische übergehen können. Denn lat. proin oder proinde, coire u. dgl. sind Zusammensetzungen. Doch hat es sich im Italienischen gebildet in poi, noi, voi (lat. post, nos,

vos), wo das O durch seine diphthongische Erweiterung den Verlust der auslautenden Consonanz zu ersetzen sucht. Man kann auch die Interjection o (oh) hinzurechnen, wofür oi (ohi) vorkommt, besonders in der Zusammensetzung oimè, oitè (ohimè, ohitè wehe mir, dir). Aber in tuoi, suoi (Plur. von tuo, suo), scrittoi (Plur. von scrittojo Schreibstube) und ähnlichen ist i die für sich bestehende Pluralendung.

Au ist eigentlich der einzige Diphthong, der im Lateinischen vorkommt, wiewohl meist auf griechischer Grundlage. Er zeigt sich daher auch im Italienischen häufiger als alle übrigen. So in audáce, auditóre (neben uditore), auguráre, augústo, áula, aumentáre, áura (neben aria), áureo, auróra, ausiliáre, austéro, autóre, autúnno (lat. audax, auditor, augurare von avis, augustus von avis oder auch von augere, aula oder avλń, augmentare von augere, aura oder avoa neben aër und ano, aureus, aurora oder avquos &ça, auxiliaris von augere, austerus oder avoτηoós, auctor von augere, auctumnus) cáusa, cáuto, encáustico (causa, cautus von cavere, encausticus oder ¿ynavotixós) - fáuci, fáusto, fráude (fauces, faustus von favere, fraus) gáudio, glauco (gaudium, glaucus oder yλavxós) inesáusto (inexhaustus) -láuro (laurus) náufrago, náuta (naufragus, nauta, beide von navis oder vavs) plausibile (plausibilis). Wie jedoch dies Au häufig schon im Lat. als O gesprochen und geschrieben worden: so steht auch im Ital. häufig ein O dafür, wovon Weiteres nachher.

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Ai fehlt wieder im Lateinischen, man müsste denn das früh veraltete aulai für aulae in Anschlag bringen wollen. Im Italienischen ist láido, laidézza (hässlich, Hässlichkeit) wohl das einzige Beispiel; allenfalls auch mai, dessen i jedoch auch das in magis gegebene sein kann. In rai (für raggi), animai (für animali), hai, dai, sai, stai, fai, vai ist i die für sich bestehende Flexionsendung.

Eu hat das Lateinische in den Partikeln ceu, seu (sive), neu (neve) und in der Interjection heus oder heu, eheu, ausserdem nur in griechischen Wörtern wie rheuma (evμa), Europa (Evqwn), mit welchen es auch in's Italienische übergegangen ist: réuma, Európa.

Ei ist im Lateinischen (wenn wir das zusammengesetzte

deinde und die veraltete Schreibart omneis für omnes u. dgl. m. ausser Acht lassen) gleichfalls nur durch ein Paar Interjectionen vertreten: hei, eia, von denen die erste mit ins Italienische übergegangen ist: éi (oder ehi). Doch hat es sich auch in sei (lat. sex, sechs) gebildet, wie oben poi etc. für post, etc., desgleichen in lei 'aus illae oder ill-hae, ill-haec, und in colei, costei, cotestei aus ist-hae. Das aus egli verkürzte ei ist aber nicht als Diphthong zu beurtheilen. Eben so ist in sei (du bist, von essere, lat. es) das i als Flexionsvocal von dem stammhaften e zu trennen; dasselbe ist der Fall in rei (Plural von reo, reus). Von nei, pei und ähnlichen ist schon oben (S. 138) gezeigt, dass sie keine Diphthongen enthalten.

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Ausserdem liesse sich auch UI, die Verbindung der beiden consonischen Vocale selbst, als Diphthong ansehen, vorausgesetzt, dass die Etymologie nicht dagegen Einspruch thut, wie etwa in dem schon oben (S. 136 u. 137) angeführten fluido, ruina und ähnlichen. Das Lateinische bietet ein diphthongisches Verhältniss dieser beiden Vocale jedoch nur in der Interjection hui und in den Pronominalformen huic, cui, das Italienische in demselben cúi und in lúi (ill-huic), colúi, costúi, cotestúi, altrúi dar. Die Griechen bezeichnen ihr freilich nicht ganz gleichlautendes v (denn ihr v ist nicht u, sondern y, d. i. ü) als uneigentlichen Diphthongen, und auch ihr ŋv, wv nebst a, n, w nennen sie so.

Giebt es also Diphthongen im Italienischen? Ja gewiss; aber nicht 20 oder 49, sondern nur fünf oder (UI mitgerechnet) sechs, und auch diese nur auf Grundlage eines organischen Vorganges, der im Griechischen häufig, im Lateinischen und seinen romanischen Abarten nur sparsam auftritt und namentlich im Italienischen nur die vorstehenden *) Beispiele zählt. Die Dichter zählen sie stets einsylbig, und nur da nach Belieben auch zweisylbig, wo beide Vocale, wie in den vorhin (S. 138) angeführten Beispielen, nur zufällig zusammentreten und darum nicht diphthongiren.

*) Das Verzeichniss derer mit dem Diphthongen Au liesse sich allerdings noch durch die Ableitungen und einige andere seltnere Wörter um Etwas vermehren.

Es bleibt nur übrig, ein Wort über die Aussprache hinzuzufügen. Im Deutschen zeigt die Aussprache der Diphthongen eine wirkliche und vollkommene Vereinigung beider Laute zu einem gemeinsamen Mischlaute. Au ist ein wirklich einheitliches Zusammenklingen von a und u. Ai und Ei unterscheiden sich dabei wenig oder gar nicht von einander; ohnehin ist Ai bis auf wenige Ueberreste (Hain, Haide, Main, hie und da noch Getraide) aus unsrer Orthographie verschwunden. Beide lassen sich als den hohen Diphthongen bezeichnen, denen ein tiefer gegenübersteht, nämlich Eu, Di, wo die Vereinigung des hohen Hauptvocals mit dem tiefen Nebenvocal dasselbe Produkt liefert wie die des tiefen Hauptvocals mit dem hohen Nebenvocal. Doch findet sich Di nur in wenigen Ortsnamen (Boizenburg, Loiz, Mois oder Moys), die übrigens wohl nicht germanischen Ursprunges sind. Auf dieselbe Weise behandeln wir nach des Erasmus Lehre auch die Diphthongen des Griechischen. Die Neugriechen weichen (der Reuchlinschen Aussprache folgend) davon ab. Sie vereinfachen o und & in i, a in ä, av und ɛv in av und ev, und nur ov bleibt (freilich auch einfach) u. Eine noch andre Art der Aussprache befolgt das Französische. Zwar zeigt sich auch hier das Bestreben, statt des diphthongischen Lautes einen einfachen zu setzen; aber dieser einfache ist dann derjenige, welcher in der Vocalreihe (U, O, A, E, I) zwischen den beiden steht, aus welchen der Diphthong zusammengesetzt ist. Beide Laute neutralisiren sich zu ihrem Mittellaute. Ai lautet demnach (wie im Neugriechischen) wie e oder ä, Au wie o, Oi entweder wie a (mit kurz vorgeschlagenem o) oder wie e (ä), nur dass in letzterem Falle die neuere Orthographie nicht mehr oi, sondern ai schreibt. Dasselbe Gesetz findet auch auf Ou Anwendung. Denn da das französische u (wie griech. v) nicht unser u, sondern ü ist, welches zum Laute des i rückkehrend die Vocalreihe in einen Kreis zusammenschliesst: so nimmt der Laut u, mit welchem dieser Diphthong im Französischen wie im Griechischen gesprochen wird, zwischen o und ü die Mitte ein. Nur Ei hat keine Mitte; es lautet ä, d. h. wie ein offenes e. Was das Lateinische betrifft: so ist der Diphthong Au (nach dem Obigen eigentlich der einzige, den es hat) häufig schon dort in den O-Laut verfallen, wie

man an der Schreibart vieler Wörter erkennt. Denn für cauda, caudex, caulis, lautus, plaustrum u. a. findet sich auch coda, codex, colis (Kohl), lotus, plostrum, geschrieben; eine Menge von Wörtern zeigen daher auch in ihrer italienischen Form dies O an der Stelle des ursprünglichen au, wie coda, códice, odo (audio), cosa (causa), frode (fraus), lode (laus), oro (aurum), poco (paucus), roco (raucus) u. a. Wie nun im Italienischen? Die grosse Anzahl von Wörtern, in welchen irgend zwei Vocale neben einander stehen, ohne zusammenzugehören oder eine diphthongische Einheit auszumachen, folglich als zu verschiedenen Sylben gehörig ausdrücklich auch einzeln und neben einander gesprochen zu werden verlangen, ist ohne Zweifel die Ursache gewesen, dass beide Vocale auch in der verhältnissmässig viel geringeren Anzahl von Wörtern, wo sie wirklich diphthongiren, nach derselben Weise behandelt werden. Der Italiener spricht jeden Diphthongen zweisylbig: po-i, a ura, la-ido, se-i, re-uma. Das heisst, er lässt die Bestandtheile des Diphthongen in der Aussprache aus einander fallen und hebt dadurch den Diphthongen selbst gewissermassen wieder auf. Dieser Umstand wird es wohl gewesen sein, der Manche bewogen hat, das Vorhandensein von Diphthongen im Italienischen gänzlich in Abrede zu stellen.

Zum Schluss noch die Benennungen, welche sich die Italiener für ihre Diphthongen ausgedacht haben. Sie nennen diejenigen, welche, ihrer Meinung nach, aus zwei reinen Vocalen bestehen, Dittonghi distesi, d. i. getrennte; und dieselbe Benennung dehnen sie ohne Unterschied auch auf die wirklichen Diphthongen aus, bloss weil deren Bestandtheile in der Aussprache, unglücklich genug, ebenfalls getrennt werden. Valentini unterscheidet diese D. distesi weiter noch in Dittonghi sdruccioli, piani und equilibrati, je nachdem darin der erste oder der zweite Vocal oder keiner von beiden betont ist (z. B. áere, réuma paése, paúra corpóreo, laidézza). Diejenigen, in welchen U und I die erste Stelle einnehmen, nennen sie Dittonghi raccolti, d. i. ungetrennte. Diese Benennung soll sich darauf beziehen, dass eigentlich nur der zweite Vocal gehört und im Verse auch nur dieser eine gezählt werde. Dabei wird aber übersehen, dass in Wörtern wie quale, guisa oder wie ghianda, chiesa,

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