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Sprachbegriff, das an und für sich betrachtete Sprachmittel, den nunmehr herrschenden Sprachorganismus von einem ausschließend linguistischen Standpunct_zum Wesentlichen, zur herrschenden Macht, dem Maaßstab für die Nazionalität, Vollkommenheit und Cultur in eines Volkes Rede- und Schriftsprache. Es ist ja nicht die Sprache, welche die Cultur macht; es ist nicht die Idee, welche die Idee schafft; es ist nicht der Styl, welcher den Verfasser macht; es ist nicht die Grammatik, welche die Literatur der Sprachkunst beim Dichter und Redner hervorbringt. Die Literatur ist ein Bild von der Geistigkeit des Volkes in einem gewissen Zeitpunkt; die Sprache ist das Organ, durch welches diese Geistigkeit sich offenbart. Wir müssen deßhalb, wenn von der Schriftsprache bei dem Volke die Rede ist, zuerst fragen: wie verhält es sich mit der Etymologie und Grammatik der Sprache? Das Lezte ist der Punct, wovon der wissenschaftliche Svrachforscher ausgeht und wozu er wieder zurückkehrt; aber es ist weder der ausschließliche, noch der einzige Gesichtspunct, wenn wir den geistigen Zustand und die Cultur einer Nazion mittelst ihrer Sprache und Sprachwerke betrachten und beurtheilen wollen oder wenn ein Volk sein Selbstbewußtsein und seine Anschauung von den eignen Sprachverbältnissen abklären will. Es ist genugsam bekannt: Man schreibt die englische Sprache jezt nicht mehr, wie zu König Alfreds oder Chaucers Zeiten; man schreibt auch weder in Dänemark, noch in Schweden die Sprache noch, welche die Isländer im 13. Jahrhundert schrieben; man spricht auch nicht die Sprache, welche das Volk in Island jezt redet. Die alte Sprachverwandtschaft ist nicht aufgehoben; sie wurde nur abgeschwächt, die alte isländisch-norwegische Literatur ist für Jahrhunderte abgeschlossen und veraltet. Hier kann somit blos, was Skandinavien angeht, von einer dänischen, einer schwedischen Literatur die Rede sein: und in dieser müssen wir die Bedingungen aufsuchen, welche historisch bildend auf die neuere Schriftsprache im Norden gewirkt haben.

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Wollen wir ihren Ursprung untersuchen und Rechenschaft von ihrer Bildung und Entwicklung geben, soweit die Spuren derselben erkenubar sind: so müssen wir daran erinnern, daß man in der Sprachgeschichte sich so wenig, wie in einer andern Geschichte, mit halben Wahrheiten begnügen darf. So verhält es sich auch mit der Bildung unserer Muttersprache und unserer Schriftsprache, mit der Ges schichte der Veränderungen, die sie in den verschiedenen Perioden ihrer Entwicklung erfahren. Sagt man uns in dieser Beziehung: jede levende Sprache ist Veränderungen unterworfen, nicht blos im mündlichen, sondern auch im schriftlichen Ausdruck: sie ist nichts „Fertiges“, „Stillstehendes“, sondern, wie W. Humboldt sagt, etwas jeden Augenblic Wechselndes"; so ist dies, in jener Allgemeinheit ausgesprochen, etwas so Bekaunies, daß es keines Beweises bedarf und keinen Widerspruch finden wird. Sagt man dagegen: die Veränderungen der Sprache sind jeder Zeit die nehmlichen, immer gleich durchgreifender, umwälzender, neu: schaffender Art und so wie eine Schriftsprache sich aus Dialecten bildete und firirte (was ja bei jedem Volke uuter besondern Bedingungen stattfand), so kann sie auch, nachdem sie einen hohen Grad von Literaturbildung erreicht hat, wieder zu einem Jugendalter und Dialectzustande zurückkehren, oder durch Aufgeben ihrer in der Literatur consolidirten Eigenthümlichkeit mit einer andern, verwandten Sprache verschmelzen und ihren Organismus umbilden, ihren Sprachgebrauch revoluzioniren, ihre Classiker veralten lassen: wenu man das Obige behauptet, so gibt man uns eine Meinung zum Besten, für die sich nirgend ein historischer Beweis findet. An dies müssen wir uns halten: Sprachlehre und Sprachkritik haben ihren eigentlichen Stoff in der Sprache, wie sie ist; die Sprachgeschichte muß ihre Quellen in der Sprache suchen, wie sie war; und muß ebenso sorgfältig und mit derselben Kritik und Treue diesen Quellen in der neuern Zeit, wie in den längst verschwundenen Jahrhunderten nachforschen.

(Schluß folgt.)

Studien über englische Dichter.

P. B. Shelley.

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In nobil sangue vlta umile e queta
Ed in alto intelletto un puro core;
Frutto senile in sul giovenil fiore
E in aspetto pensoso anima lieta.
Petrarca.

Jede Persönlichkeit*) schließt im_innersten Schooße ihres Wesens etwas Räthselhaftes in sich, ja sie ist selbst je größer und bedeutsamer, desto mehr ein Räthsel, dessen Lösung und Aufhellung nur annäherungsweise möglich wird, wenn uns die gesammte Kenntniß aller einzelnen Beziehungen, Anlässe und Hemmnisse zu Gebote steht, deren Anknüpfungspunkte allerdings der Aeußerlichkeit des persönlichen Daseins anheim zu fallen scheinen, deren Fäden aber oft genug bis in das innerste Mark des Seelenlebens hinübergreifen. Je versteckter und der Weltbühne entrückter ein Leben verfließt, desto kleinlicher spißen sich oft die Motive deffelben zu; wenn aber Kunstwerke aus der verborgenen Werkstätte hervorgehen, so müssen wir diese aufsuchen, um jene zu verstehen. Shelley ist als Dichter in Deutschland wenig bekannt; erst in der neueren Zeit lernte man seine satirische Bitterkeit und die melancholische Ader seiner lyrischen Muse kennen und wurde besonders deshalb auf ihn aufmerksam, weil Byron mit einer seltenen, treuen Freundschaft an ihm hing und sich so ganz von dem Zauber seiner Persönlichkeit angezogen fühlte. Er fand bei ihm jenen Humor, nach welchem er sich sehnte und jenes Pathos, welches die Herzen bewegt.

Percy Bysshe Shelley, der älteste Sohn des Baronet Timothy Shelley, wurde zu Fieldplace bei Warnham am 4. August 1792 ge= boren und stammte aus einem der ältesten und angesehensten Geschlechter Englands. Wie es fast bei allen aufgeweckten Köpfen der Fall war, sagte ihm der unleidliche Pennalismus der Grammar

*) Vergl. Medvin's Memoiren im Magazin für d. Lit. des Auslandes 1834. 50.

School, welcher er anfangs anvertraut wurde, wenig zu, und oft sträubte sich der regsame Knabe gegen die versteinerten Sagungen der Anstalt. Neben dieser Hartnäckigkeit zeigte er in frühester Kindheit nicht nur große Lernbegierde, sondern auch die erfreulichsten Anlagen. Während seines Aufenthaltes in Eton lebte er in großer Einsamkeit. Es war ihm unerträglich, bei seinem Eintritte daselbst den „Fuchs“ (fag) zu spielen, und er zog sich durch seinen Stolz die Abneigung der Lehrer und Mitschüler zu. So beschäftigte er sich denn großentheils mit Speculationen und Lesen. Leider geschah Lezteres nicht immer mit bester Auswahl, und das Studium franzöftscher Philosophen entfremdete ihn den Grundsäßen der englischen Kirche. Von früher Jugend an besaß er eine eigenthümliche Leichs tigkeit, Verse in der englischen und in fremden Sprachen zu schreiben, und es wurden ihm dafür manche Belobungen zu Theil. Die Dichter Griechenlands las er mit dem größten Eifer und vertiefte sich in die Schriften des alten Testamentes, vorzüglich aber in die Psalmen, den Hiob und Jesaias.

Als er die Universität Orford bezogen hatte, ergab er sich mit dem angestrengtesten Eifer dem Studium der deutschen Sprache und Literatur, und seine Vorliebe für Poesie und metaphysische Untersuchungen ist in Allem bemerkbar, was er damals dachte und schrieb. Er studirte den Spinoza, begeisterte sich für die Lehren Hume's, machte sich vertraut mit der Metaphysik des Baco, Priestley, Price und Smith und kam dadurch zu einer Philosophie, welche durchaus irrig und verwerflich war und welche obgleich ihr reine und ehrenhafte Motive zu Grunde lagen zu einem Fluche ward, der schwer auf seinem ganzen Leben lastete.

Leider argumentirte er bei den wichtigsten Fragen nur ex abusu und verfiel gerade dadurch in eine Sophistik, welche ihn zu dem Irrthume führte, Staat und Kirche als etwas rein Aeußeres und Ge= machtes, als bloßes Menschenwerk zu betrachten. Da ihm für seine Liebe nur Haß, Verläumdung und Hochmuth entgegentraten, so verlor er den Glauben und verfiel einer unseligen Skepsis. Nach seiner jugendlichen Ansicht gründeten sich die meisten menschlichen Einrichtungen auf Eigennuß; Staat und Kirche, in ihrer damaligen Bes schaffenheit, erschienen ihm von einem Krebse angefressen, welchen man den Muth haben müsse offen darzulegen und ohne Erbarmen auszuscheiden. Er wähnte sich zum Reformator bestimmt und schwärmte

mit der edlen Begeisterung eines Märtyrers, aber mit jugendlicher Unbesonnenheit für eine rasche und vollständige Weltverbesserung. Voll von Entzücken über die wunderbare Schönheit und Harmonie, welche sein sinniges Auge in den Wundern der Natur erblickte, glaubte er an eine goldene Zukunft der Menschheit, in welcher das Böse auf Erden verschwinden müsse, welches nur durch eine Abweichung von den Bahnen der Natur entstanden sei. Hieraus ist es erklärlich, daß sich der phantastische Jüngling in einer Zeit, wo die Orthodorie in England viele Angriffe erfuhr, dem dogmatischen Christenthume entfremdete und den Sinn und Werth der göttlichen Lehre in der heis ligen Schrift nicht zu erfassen vermochte. Die Verirrungen seines Geistes trafen auf heftigen Widerstand, und der Troz seines Charakters machte ihn nur noch entschiedener, fefter und hartnäckiger.

Sein Aufenthalt in Orford war von nicht sehr langer Dauer; denn wie es schon in Eton der Fall gewesen, vermochte sein aufstrebender Geist es hier noch bei weitem weniger, sich den alterthümlichen Gesezen zu unterwerfen. Er gab freilich zahlreiche Beweise feines ungewöhnlichen Talentes; aber die große Freimüthigkeit, mit welcher er seine religiösen und politischen Kezereien aussprach, erregten vielfachen Anstoß.

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Mit besonderer Vorliebe hatte er die alten nationalen Balladen studirt und in Folge dieser Lectüre ein lyrisches Epos in 6 Gefängen verfaßt, welches sein Jugendfreund Medvin als eine wilde chaotische Geburt bezeichnete, wüft und titanenhaft. In diese Zeit fällt auch die Abfassung von zwei Novellen: 3 afterozzi“ und „die Rosenkreuzer," Nachbildungen deutscher Vorbilder, eines „Panegyricus auf Charlotte Corday" und der Nachgelassenen Papiere meiner Tante Margaret Nicholson," welche sämmtlich nicht unter seinen Werken mitabgedruckt sind und von ihm und Anderen für unbedeutend gehalten wurden. Ein Tractat über den Atheismus, welchen er die Kühnheit hatte den Häuptern der Universität zuzusenden, verursachte seine Relegation.

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Bruderliebe erschien ihm als die höchste Tugend, und durch fte, glaubte er, würden die Menschen am besten vervollkommnet, könnte auf Erden das Himmelreich am erfolgreichsten näher gebracht werden. In einem Alter von siebenzehn Jahren, schwach an Körper, rein in seinem sittlichen Denken, voll von Großmuth und Liebesgluth, eifrig strebend nach Weisheit, fest entschlossen, troz aller noch so

schwerer Opfer nur das Rechte zu thun, brennend vor Sehnsucht nach Sympathie und Gegenliebe ward er wie ein Verworfener behandelt und verbannt, und Niemand fand sich, der ihn zum Wege des Lebens und Heils hätte führen mögen. Er hielt seinen Wahn für Wahrheit und er liebte die Wahrheit mit der Begeisterung eines Märtyrers; seine gesellige Stellung und persönliche Neigungen war er fest entschloffen seinem Streben zu opfern. Das Opfer wurde verlangt, und der siebenzehnjährige Jüngling brachte es dar ohne Murren.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung in der Geschichte civilifirter Nationen, daß kein Fehltritt so unvergeßlich ist, als derjenige, welchen man in der Jugend beging. Wenn ältere Leute sich ihren Mitmenschen entgegenstellen und die Geseße der Gewohnheit überschreiten, so sind sie gewöhnlich durch den Schild einer gewissen Vorficht beschirmt; die Jugend aber ist rasch und kann nicht glauben, daß man ihre langerkämpften Meinungen für unwahr und wohl gar lasterhaft halten könne. Shelley kannte die Welt nicht, und war er auch unempfindlich gegen viele Beweise von Geringschägung, so hatte er sich doch unrichtig beurtheilt, wenn er meinte, alle Lieblosigkeit ruhig ertragen zu können; er hatte zu viel Gefühl und Sehnsucht nach Sympathie, um sich nicht in seiner Verlassenheit unendlich unglücklich zu fühlen.

Er war nun ganz auf sich selbst beschränkt, zog sich von der Welt zurück und belebte mit seiner reichen Phantaste die leblose Natur, welche ihn umgab. In dem Alter von 18 Jahren schrieb er das wilde Gedicht: „Die Königin Mab“ in dem Versmaße von Southey's Thalaba, welches viele Stellen von wahrer Kraft und lieblicher Melodie enthält. Wordsworth, Coleridge und Southey waren ihm überhaupt von allen englischen Dichtern die liebsten Vorbilder, weil ihre theils einfache, theils düstere und phantastische Naturschilderung ihm völlig zusagte. Der eigentliche Stachel des Gedichtes: „Königin Mab" liegt vorzugsweise in den Anmerkungen, welche das Werk begleiteten und nichts weiter enthalten, als die vielfach widerlegten Träumereien der philanthropischen Theoretiker. Als Shelley mit der Abfassung dieses Gedichtes sich beschäftigte, verlebte er seine Zeit großentheils auf Reisen durch die anmuthigsten Gegenden von England, Schottland und Irland. Berge, Seen und Wald waren feine Heimath, und Naturbegebenheiten sein Lieblings

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