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Grundzüge

zu einer

Interpunctionslehre im Französischen.

Erster Artikel.

Daß die meisten der, sei es nun deutsch, sei es französisch geschriebenen französischen Grammatiken die Lehre von der Interpunction entweder gar nicht, oder nur sehr stiefmütterlich behandeln, indem sie höchstens die verschiedenen Saßzeichen und einige Abweis chungen im Gebrauch derselben von dem Deutschen angeben, ist eine Thatsache, von deren Richtigkeit uns ein Blick in die während der legten Decennien erschienenen Grammatiken überzeugt. Man hat diesen Punct eigentlich am liebsten ganz mit Stillschweigen übergangen, oder hat ihn verhältnißmäßig noch weniger berührt, als das Kapitel von der Bildung und Abtheilung der Silben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil leßteres, wenn man sich einmal darauf einließ, feste Regeln hierüber aufzustellen, mit ungleich weniger Res geln und Fällen zu erschöpfen war, und weil man hier in fast allen irgend möglichen Fällen viel leichter zu festen Grundsägen gelangen konnte, als in der Lehre von der Interpunction. Hierzu bedarf es einer Einsicht in den gesammten Sazbau und in die Lehre von der Wortstellung, der Inversion und alle ihre irgendwie denkbaren Fälle; dagegen bei der Aufstellung über die Silbenabtheilung eine einfache Betrachtung aller Vocal- und Consonantenverbindungen genügt. Somit hätten wir also schon, wenn auch nur relativ, nur im Vers gleiche mit der Silbenabtheilung die Frage beantwortet, warum das Gebiet der Interpunctionslehre in den vorhandenen Grammatiken so wenig zur Bearbeitung gekommen ist. Dazu kommt aber noch der

Grund, daß die meisten Grammatiker diese ganze Lehre für etwas fehr Unwesentliches, zum Gesammtgebiet der Grammatik nicht nothwendig Gehörendes, vielmehr höchstens als ein willkürlich hinzuzufügendes oder wegzulassendes Adhärens angesehen haben mögen,

worauf man sich eigentlich um so weniger einzulassen brauche, da ein aufmerksames Lesen guter, correct gedruckter Bücher uns hinlänglich beweisen könne, wie sehr selbst die in solchen Dingen sorgfältigen Schriftsteller hierin von einander abweichen; und da überdies die Mehrzahl der Schriftsteller dieses ganze Kapitel, diese bloße Aeußerlichkeit offenbar als etwas bei der Correctur ihrer Werke ziemlich Gleichgültiges, sich gleichsam von selbst Ergebendes, einer näheren Untersuchung kaum Würdiges behandelt. Deshalb also wagte man sich nicht recht auf dieses von wenigen Haupt- und vielen Nebenstraßen und Seitenwegen durchschnittenes Gebiet, weil man das Betreten der lezteren, auf denen es so oft an einem sicheren Anhaltspuncte fehlt, scheute.

Wenn ich es gleichwohl wage, mit einem nicht auf allen Wegen und Stegen bekannten Führer an der Hand, dieses Feld zu durch wandern, so geschieht es einestheils, um wenigstens einen Versuch zu machen, auf den Hauptstraßen und möglichst vielen Nebenwegen leitende Gesichtspuncte aufzustellen, anderestheils aber auch, um Andere durch meinen Versuch zu veranlassen, mich von etwaigen Irrthümern abzubringen und mir solche Nebenwege zu eröffnen, die meinem Blicke entgehen werden. Denn das Auge Eines Reisenden, mag dieser sich noch so sehr bemühen, ein Land kennen zu lernen, wird die Eigenthümlichkeiten desselben ebenso wenig erschöpfen, wie ein Baum auf Einen Hieb fällt.

Gleich von vorn herein muß ich bekennen, daß mir kein kundigerer Führer zu dieser Reise unter die Augen gekommen ist, als Girault - Duvivier, der Verf. der Grammaire des Grammaires*); aber kundig auf diesem Gebiete ist er keinesweges, sondern nur, so viel ich weiß, der am wenigsten Unkundige. Gesezt aber auch, es gåbe einen erfahrneren Führer, als der genannte ist, so wird der Unterschied doch eben nicht groß sein. Ein bischen Weniger oder Mehr thut hier Nichts zur Sache; die meisten Schritte müssen wir doch einmal auf einem ganz unbetretenen Boden thun.

In der von Beauzée (bei Girault-Duviv. S. 647) aufgestellten Definition von Interpunction: La ponctuation est l'art de distinguer par des signes reçus les phrases entre elles, les sens partiels qui constituent ces phrases, et les différents degrés de

*) Die ich stets nach der 9. Auflage (Bruxelles 1833) citire.

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subordination qui conviennent à chacun de ses sens ist wenigstens das Richtige, daß die Interpunction nicht bloß den Zweck hat, die einzelnen Säße (und Saßtheile) auseinander zu halten, sondern auch den Sinn der einzelnen Säße deutlich zu machen. Richtiger wäre es unsrer Ansicht nach, beide Zwecke in den Saz zu verbinden, daß die Interpunction durch Auseinanderhalten der einzelnen Säße und Sahtheile den Sinn derselben deutlich zu machen habe. Andere fügen sogar noch als Zweck hinzu, daß ste zugleich zur Andeutung der Hebung und Senkung der Stimme dient, was sich jedoch nur von einigen Saß und von den Tonzeichen fagen läßt und uns nicht so sehr ihr Zweck, als ihre Folge zu sein dünkt. Demnach wäre unfrer Definition zufolge das Auseinanderhalten der Säße und Sagtheile das Mittel, wodurch der Zweck, nämlich die Deutlichmachung des Sinnes, erreicht wird. Und nimmt man dieses als das einzige Mittel zur Erreichung jenes Zweckes an, so folgt daraus, daß man es auch so oft und so consequent als möglich anzuwenden hat. Geschieht dieses, so befolgt man das sogenannte logische System der Interpunction, welches sich lediglich an die Gefeße der Sazbildung hält. Und das ist bekanntlich das in der deutschen Sprache allgemein angenommene System. Sucht man dagegen jenen Zweck der Deutlichmachung des Sinns nicht so sehr durch strenge Auseinanderhaltung der Säße und gleichartigen Sattheile zu erreichen, als burch Andeutung der beim Lesen oder Sprechen zu machenden kürzeren oder längeren Pausen und der damit verbundenen Hebung und Senkung der Stimme, so ergiebt sich daraus ein anderes System der Interpunction, welches ich das declamatorische nennen möchte. Es ist das in der französischen Sprache geltende. / Daraus ergibt sich nun zunächst dieses, daß das logische System mit größerer Consequenz zu Werke geht, als das declamatorische, weil die Auseinanderhaltung der Säße und gleichartigen Saßtheile sich nur als das Mittel erweist zur Andeutung der Pausen und der daraus folgenden Hebung und Senkung der Stimme, diese Pausenandeutung dagegen wiederum nur das Mittel zur Deutlichmachung des Sinnes ist. Es versteht sich also von selbst, daß diese Andeutung der Pausen ungleich größerer Willkür unterworfen ist. Man hat daher schon häufig die Frage aufgeworfen, ob das logische Interpunctionssystem der deutschen Sprache mit vollkommener Consequenz durchzuführen ist, worauf die Antwort allerdings verneinend ausfallen muß. Diese

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Unmöglichkeit einer vollkommen consequenten Durchführung ist unfres Erachtens schon in der großen Freiheit begründet, welche wir in Bezug auf die Stellung der verkürzten Nebensäße haben, andererseits aber auch darin, weil wir uns des eben erwähnten declamatorischen Verfahrens doch nicht ganz zu entschlagen vermögen. Aber darum bleibt doch die Consequenz im deutschen Interpunctionsverfahren stehen. Ja, obwohl das französische Interpunctionssystem größerer Willkür unterworfen ist oder wenigstens zu sein scheint, als das deutsche, so ist doch auch hier die Consequenz bis zu einem hohen Grade möglich, also auch nothwendig. Denn in sprachlichen Dingen ist die Consequenz allemal dann nothwendig, wenn sie möglich ist. Versuchen wir also, das französische Interpunctionssystem in seinen oben angedeuteten Mitteln mit möglichst großer Consequenz aufzustellen und durchzuführen.

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Gehen wir, die Beckersche Lehre von der Sazbildung befolgend, von dem einfachen Saße aus, so finden wir, daß das Komma, welches dem nackten, nicht erweiterten Saße wenigstens im Deutschen nicht zukommt, im Französischen vielleicht nur dann zu sezen ist, wenn die Wortstellung der Frage eintritt. Da aber die Wortstellung der Frage eine Inversion ist, so ist weiter unten in dem Abschnitt von der Inversion davon zu handeln.

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Anders verhält es sich mit dem erweiterten einfachen Sage, welcher zwar im Deutschen keines Kommas fähig ist, im Französischen dagegen find in längeren, durch verschiedene oder gleichartige Umstände erweiterten Sägen diese Umstände durch Kommata zu unterscheiden, z. B. L'Amérique fut découverte par Christophe Colomb, en 1492, sous le règne d'Isabelle. Dieses geschieht gleichfalls, wenn, was neuere Schriftsteller sehr häufig thun, der durch ein Nomen ausgedrückte Umstand zwischen das Hülfsverbum und das Part. passé gestellt wird, z. B. Ascanis et ses compagnons avaient bien, par leurs arquebusades, mis hors de combat trois ou quatre assiégés. Le duc de Savoie s'était, par les conseils de sa nouvelle femme Béatrix, détaché du roi de France. Dies kann man eigentlich noch nicht für eine Inversion halten; eine solche tritt erst dann ein, wenn irgend ein Umstand (besonders der Ort oder die Zeit) an den Anfang des Saßes gesezt wird. Dann gelten natürlich die weiter unten bei der Inversion anzugebenden Regeln.

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Der zusammengezogene Saß erhält bekanntlich im Deuts schen ein Komma zwischen gleichartigen Factoren, die auf einen ge= meinsamen Factor bezogen werden, außer wenn sie durch und oder oder verbunden sind, woraus also folgt, daß, wenn die gleichartigen Factoren durch andere Conjunctionen oder durch keine Conjunction verbunden sind, ein Komma zu sehen ist. Dieses Gesetz ist mit fotgenden Modificationen auch im Franzöfifchen gültig: Sämmtliche durch keine Conjunction verbundene gleichartige Factoren werden durch ein Komma geschieden; und sind diese gleichartigen Factoren drei oder mehrere Subjecte, so wird auch der leßte Factor durch ein Komma vom Prädicat getrennt, z. B. Les plaisirs de l'esprit, la tranquillité de l'âme, la joie, la satisfaction intérieure, se trouvent souvent à la suite d'une médiocre fortune. Selbstverständlich ist von dieser Regel ein solches Subject ausgenommen, welches als lezter Factor die vorhergehenden zusammenfaßt oder als höchster Begriff derselben erscheinen soll. Ein solcher höchster Begriff oder zusammenfassendes Subject wird vom Prädicate nicht durch ein Komma getrennt, z. B. Grands et petits, riches et pauvres, personne ne peut se soustraire à la mort. Le peuple, la cour, le tyran même fut consterné.

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Ein Komma wird ebenfalls gefeßt nach mehreren einem Subjecte nachgestellten adjectivischen Attributen, mag nun durch diese Mehrheit der Attribute zugleich auch eine Verschiedenheit des Subjectes ausgedrückt werden, oder nicht; z. B. les Barbares francs, goths, burgondes, anglo-saxons, danois, normands, retenaient les usages et le caractère propres à leurs races. Daraus ist aber keinesweges der Schluß zu ziehen, daß dasselbe auch nach dem lezten von mehreren Prädicaten vor dem dazu gehörigen Objecte geschieht, weil jenes dem lezten Subjecte nachgestellte Komma die Reihe der Subjecte von dem darauf folgenden Prädicate scheiden soll; denn Subject und Prädicat stehen sich bekanntlich auch im Lesen unverbunden einander gegenüber, weshalb der Endconsonant eines Subjects nicht aufs Prädicat hinübergezogen wird, wovon bekanntlich nur das Pron. conjoint. eine Ausnahme macht; dagegen Prädicat und Object haben einen innerlich nothwendigen Zusammenhang, weil dieses nur jenem und keinem anderen Saßtheile angehört.

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Fragen wir nun weiter, wie es sich mit der Interpunction verhält, wenn gleichartige Factoren durch Conjunctionen verbunden sind,

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