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vorliegt, so konnte doch nach Jahrhunderten die Synonymik der vermeintlichen Mutter für eigends gebildete Idiome nicht mehr bindend sein, welche die ererbten Formen ihren eigenthümlichen Geseßen unterwerfen mußten, und wiederum, durch ein Gemisch zweier Prinzipien, aus einem Stamme zwei Formen in verschiedener Bedeutung erhielten, wie décréditer und discréditer, district und détroit. Dem lateinischen Begriffe von de entspricht genau dé in découler; dagegen heißt dégeler lat. regelo; für demeurer findet man demoror und remoror, wenn auch bei verschiedenen Schriftstellern; in déparler hat dé einen förmlich negativen Sinn angenommen. Erwägt man ferner, daß in verschiedenen romanischen Zweigen, aus welchen das Französische fich allmählich herausbildete, dis, di, des, de und do häufig wechseln, so kann man sich nur darüber wundern, daß die Verwirrung nicht größer geworden ist: factisch ist nun, daß außer den oben aufgeführten kein Wort dé hat. Endlich ist es nicht dem Volke, welches das e in enorgueiller und enivré so ausspricht, wie in énerver, zuzuschreiben, wenn es dépenser, aber dispendieux, devoir, aber débiteur, delà, aber déjà, degré, aber débris, sprechen muß, weil das Volk nur Gefühl für Analogie hat, Etymologie aber Sache der Grammatiker ist. Irren würde man aber, wenn man annähme, daß alle Provinzen Frankreichs hierin gleiche Neigung haben: in den meisten Fällen, wo der Normand de und re hören läßt, spricht der Provençale *), welcher helle Laute liebt, dé und ré. Ob die an den Grenzen Belgiens herrschende ähnliche Neigung von germanischem oder altspanischem Einfluß herrühre, mag dahingestellt bleiben.

II. Ein fefter Gebrauch ist jeßt, daß bei jedem vocalisch angehenden primitivum zwischen dieses und dé das euphonische s eingeschoben wird, mag de von dis oder de herstammen: désarmer, fat. dearmo; désastre, von dis und astrum; daher auch désespérer, weil spero bereits ein e vorgeschoben war; doch nicht vor dem gehauchten h, daher déharnacher; früher scheint dieses Geset nicht bestanden zu haben, was aus den alten Kunstausdrücken déauration, déalbation, sowie déambuler, hervorgeht.

*) Man sehe: Reynier, Corrections raisonnées des Fautes de Langage et de Prononciation qui se commettent dans la Provence et quelques autres provinces du Midi. Marseille, 1829.

III. Da, wo de ober dé zu einem mit s angehenden primitivum tritt, geminirt das s, ohne daß dadurch der Laut verändert werde, wie dessus, dessous; in dessécher, desserrer, desservir u. a. m. wird der Accent nicht geschrieben, obgleich das e laut ist (fiche VII.); demgemäß hätte man dessoler für désoler, wie esseulé, gebildet, und dessuétude für désuétude geschrieben, wären soler und suétude bestehende primitiva gewesen *).

In Betreff der Vorsilbere oder rẻ, wo das Italienische ri, das Provençale bisweilen ro hat, herrschen im Allgemeinen dieselben Grundgeseze **).

IV. a) Ohne Lautzeichen ist re da, wo es als iterative Vorfilbe zu bereits bestehenden Formen dient, wie rebattre, recouvrir, relever; doch auch refuser. Hätte übrigens, bei dem Kampfe, welcher unter und nach Franz I. die Sprachbildner in zwei geschiedene Lager theilte, die italienische oder medicäische Partei die Oberhand erhalten, so bürgt die noch bestehende Neigung der Südländer dafür, daß diese sämmtlichen Silben mit dem aigu bezeichnet worden wären. b) A ccentuirt ist dagegen ré überhaupt in überlieferten Wörtern, oder folchen, welche unmittelbar dem Lateinischen entnommen wurden, wie répéter, référer, réciter, réciproque, réminiscence; in répit und répondre, wo das s mit einwirkte. Da indeffen diese beiden Gründe einander häufig in den Weg traten, so entstanden recueillir neben récolliger, réduire neben reconduire, réformer neben reformer, récréer neben recréer; rebelle, aber rébellion, rejouer aber réjouir; bei einem und demselben primitivum: remettre, aber rémission, reprocher, aber irréprochable, retenir, aber rétention, recevoir, aber réception, religion, aber irréligieux; ferner rhabiller, doch réhabiliter; endlich zwang die Noth zu répartir und repartir.

V. a) Accentuirt ist ré vor Vocalen und dem hauchlosen h, als réintégrer, réitérer, réunion, réhabiliter, réhabituer (gegen die Neigung des Volkes); vom lateinischen Gebrauche ist durch die

*) Unrichtig stellt Steffenhagen, p. 31, descendre, pressentiment, prescrire und prescription mit dessécher, dessiller, messeoir, messéance auf eine Linie, indem bei den ersteren e gleich ist è.

**) Auch hier kann die Definition der Académie zu nichts nüßen; was soll heißen:,,La particule re, dans repousser, réagir, indique un sens contraire ?“

Juristensprache noch das eingeschobene d in rédhibition übrig; b) nicht vor dem gehauchten h, als reharnacher, rehausser.

VI. Vor einem Vocale oder hauchlosen h contrahirt man re mit dem folgenden Vocale: raccourcir, rattacher, rétablir, réchauffer, rhabiller, ressuyer; jedoch réélir, réédifier (vergl. VII.).

VII. a) Da, wo der Consonant geminirt, desgleichen vor zwei trennbaren Consonanten, fällt der Accent, wie bei de oder dé weg (III.); daher ressentir, ressource, ressouvenir, welche lauten wie dessus, dessous; restituer, restaurer, restreindre haben keine französischen primitiva; nur der Willkür der Grammatiker kann man aber réestimer, réexposer, réexporter zuschreiben.

Aus vorstehender Zusammenstellung geht zur Genüge hervor, daß die Sprache ihre eigenthümlichen Geseze hat, die Schriftsprache aber aus der römischen Schriftspräche ergänzt wurde, wodurch zwei einander widerstrebende Elemente in Conflict geriethen. Weiteres erfährt man weder aus der Académie noch aus den ety= mologischen Wörterbüchern der Franzosen, welche zwar bei de noch die griechischen Partikeln dis und dia heranziehen, dadurch aber nichts fördern, weil sie durch einen Teufelssprung über die der römischen Volkssprache entstammten Anfänge des romanischen Elementes hinaus jedes geschichtliche Moment ignoriren, und folglich nichts erklären *). Es bleibt uns noch übrig, mit Hinweisung auf die nachgewiesenen Gründe die noch nicht einzeln aufgeführten und etwa zweifelhaft scheinenden Wörter nach der Académie und Boiste in alphabetischer Ordnung folgen zu lassen.

Accentuirt ist ré:

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Vor b in rébarbatif. Vor c in récalcitrer u. Abg., récapituler u. Abg., récépissé und Verwandtem, récidive u. Abg., récif, récognitif, récoler, récollets, rêcompense u. Abg., récon

*) Wie verführerisch die Aehnlichkeit, nicht nur der Form, sondern auch des Begriffs, ist, weiß Jeder, welcher sich um Etymologie bekümmert; so wie die französischen Etymologen loger und logis als unbezweifelte Nachkommen von locus ansehen, so dürften wenige Grammatiker daran zweifeln, daß ne in dem Saße: Il est plus riche que vous ne pensez, dic lateinische Partikel ne sei, indem der angenommene Sinn ganz gut dazu paßt. Ch. Nodier erkennt darin das italie nische ne, welches bei dem Altfranzösischen eben so hieß (Diez II., 387), jeßt en: più ricco che ne pensate, als ihr davon denkt.

Archiv f. n. Sprachen. IX.

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fort u. Abg., récriminer, récopérer, récuser u. Abg. Vor d: rédarguer, rédiger u. Abg., rédimer u. Abg., rédonder u. Abg. (nach Boiste und dem allgemeinern Gebrauche nicht), réduire u. Abg., réduplicatif, réduplication. Vor f in: réfaction, réfection, réfectoire, réfléchir u. Abg. (doch nicht in reflet und refléter); réfracter und Abgel., réfrangible, réfrangibilité, réfugérant u. Verw., réfringent, réfugier (nicht in refuge), réfusion, réfuter u. Abg. Vor g in régénérer u. Abg. Vor m in: rémora, réméré, rémunérer u. Abg. Vor n in: rénovation. Vor p in: répandre u. Abg., réparition für réapparition, répercuter u. Abg., répertoire, réplétion (nicht in replet), réplique u. Abg., répréhensible, répréhension; répudier, répugner u. deren Abg., répulluler, répulsif, répulsion, réputer u. Abg. réquisition, réquisitoire (doch requérir, requête). réserve, résider, résigner u. deren Abg., résilier u. Abg., résister, résonner, résoudre u. deren Abg., résorption, résulter, résumer u. deren Abg., résurrection. Vor t in: réticence, réticulé u. Abg., rétif, rétine, rétorquer u. Abg., rétracter u. Abg., rétribuer u. Abg. Vor v in révéler u. Abg., réverbère u. Abg., révérer u. Abg., réversal u. Abg., réviseur, révision (nicht in reviser), révivifier, révolte, révoquer u. deren Abg., révolu u. Abg., révulsif, révulsion.

Hadamar.

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Vor q in: Vor s in:

Barbieux.

Eigenthümliche Elemente der frißischen Sprache.

I. Die Endungen ens und lis.

Das innere selbsteigne Wesen der frisischen Sprache ist ungeachtet aller Bücher, Forschungsversuche und Abhandlungen über diese Sprache bisher so gut als unbekannt und unbegriffen geblieben. Daß ich berufen bin über meine Muttersprache zu schreiben, wird doch wol Niemand leugnen. Ich werde also zeigen, wie wenig man noch weiß von ihr, und werde darthun, daß sie kein Plattdeutsch ist.

,,Er is in Friesland een zeker zeldzam soort van Zelfstandige Naamwoorden in gebruik uitgaande op Ens, en beantwoordende aan de gewoone Nederduitsche uitgaande op Heid (heit) of Te. Zo zegt men Zwakkens, voor Zwakheid, of Zwakte, Bleekens, v. Bleekheid, Wittens, v. Witheid, Droogens, v. Droogte, Nattens, v. Natte, of Natheid, om Veerens, v. om veer, Djepens, Howeerdigens, Nedrigens, Gyrgens, Grootschens, Buitensporens, Kweeëns, Hietens, Bitterens, voor Diepte, Hovaardigheid, Nedrigheid, Gierigheid, Grootschheid, Buitenspoorigheid, Kwaadheid, Hitte, Bitterheid -"

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so schrieb im Jahre 1802 der sehr gesunde Sprachforscher Ev. Waffenbergh von Franeker in seinen „, Taalkundige Bydragen." Dieses ausschließliche frisische Element ist in dem Frisischen des Professor Wassenbergh, das noch im ganzen holländischen „, Vriesland", außer in Leeuwarden und Harlingen, gesprochen wird und zwar als ein Gemisch mit Holländischem, jezt schon großentheils erstorben. Ueber die Weser hinaus kannte Waffenbergh kein Frisisch. Das Landvolk der Westfrisen weiß außerhalb seiner Grenzen von keinem Frisland. Wo ich auch fragte, hatte Niemand von einem Nordfrisland gehört.

Die eigenthümlich frisische Substantiv-Form ens kommt am häufigsten auf den äußersten Außeninseln der Nordfrissen, wo ich geboren und aufgewachsen bin, vor, und wo die fristsche Sprache am

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