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studirte. Bei dem zunehmenden Alter und der Kränklichkeit des Vaters nahm er erst beim Magistrat, dann bei der Kammer in Königsberg einen Dienst in der Canzlei an, hielt es aber nur ein halbes Jahr aus. Auf eine ihm von F. C. v. Moser in Darmstadt angebotene vortheilhafte Anstellung ging er nicht ein, da er auf einer Reise nach Frankfurt a. M., um Moser kennen zu lernen, diesen nicht fand *), und blieb dann von 1765-1767 beim Hofrathe Tottien in Mietau, den er auf seinen Geschäftsreisen nach Warschau begleitete. Auf die Nachricht vom Tode seines Vaters kehrte er zu Anfang 1767 nach Königsberg zurück, wo er zum Theil durch Kants Empfehlung die Stelle eines Schreibers und Überseßers bei der Accise direction erhielt, bis ihm nach zehn Jahren des beschwerlichsten Dienstes das Amt eines Packhofsverwalters (garde-magazin) mit einem Gehalt von 300 Rthlrn., Wohnung und einigen Nebeneinkünften verliehen wurde. Ein Machtspruch der GeneralAccise Administration entzog ihm 1782 den größten Theil dieser Nebens einkünfte und verseßte ihn in Dürftigkeit. - Er war eine Gewissensehe mit einem Landmädchen eingegangen, worüber wir ihn sich selbst in den gegebenen Beispielen aussprechen lassen wollen, aus welcher er einen Sohn und drei Töchter hatte, welche er mit großer Treue erzog, aber ihrer Zukunft mit Besorgnissen entgegen sah, da er nach dem Tode seines in Blödsinn versunkenen Bruders große Einbußen des eignen und ererbten Vermögens erlitten hatte. In dieser Noth nahm sich ein wohlhabender Jüngling, Franz Bucholz, Herr von Willbergen zu Münster in Westphalen, von Lavater auf Hamann aufmerksam gemacht, seiner an und schenkte ihm oder vielmehr seinen vier Kindern ein bedeutendes Capital. Als er nun nach dreijährigem vergeblichen Anhalten um Urlaub zu einer Reise 1787 seinen Abschied mit einer Pension erhielt, folgte er dem Drange seines Herzens und reiste mit seinem Sohne nach Deutschland, wo er sich bei seinen Freunden, in Münster bei der Fürstinn Gallitzin, in Düsseldorf oder Pempelfort bei F. H. Jacobi und in Willbergen bei Bucholz, ein Jahr lang aufhielt, nur immer mit seinem schwächlichen Körper kämpfend. Als er wieder nach Königsberg zurückreisen wollte, überfiel ihn plötzlich am 20. Juni eine gänzliche Entkräftung, welche am folgenden Tage den 21. Juni 1788 seinem Leben ein Ende machte. Er fand im Garten der Fürstinn von Gallißin seine Ruhestätte, welche seine Freundinn mit einem Denkmaale zierte.

Er hat sein äußres und innres Leben in seinem Briefwechsel mit Herder, Lindner, Reichardt, Bucholz u. a. aufrichtig und einfach darge legt, wie nicht leicht ein andrer, und das ist wohl zum Theil der Grund,

*) Cf. Gorthe. Aus m. Leben. Werke. Th. 26. S. 106,

weshalb er sehr harten Urtheilen zuleht von Gervinus' ausgesetzt worden ist. Ihn wegen des äußerlichen Zufalls, daß Goethe mit ihm und Winkelmann sympathisirte, mit Winkelmann zu vergleichen, dem er allerdings sehr unähnlich war, kann freilich wohl nicht das rechte Bild von ihm geben, welcher doch von Männern wie Herder, Claudius und Jacobi so innig geachtet und geliebt wurde, Männern, welche wir uns scheuen würden den thörichten Bewunderern zuzuzählen. Gewiss ruhen viele Mängel auf Hamann sowohl von Seiten seines frühern sittlichen Lebens als von Seiten seiner rhapsodischen literarischen Hervorbringungen und seines unschönen, dunkeln Stils voll sibyllinischer Aussprüche, welcher ihm den Namen des Magus aus Norden verschaffte. Gegen das erste aber hat er muthig gekämpft, seitdem ihm Trost im Worte Gottes gekommen, und seine ungemessene Aufrichtigkeit, sein strenges Urtheil über sich selbst, seine innige Liebe zu den Seinen, sein Bemühen, seine Freunde durch treue Vermittlung in Einigkeit zusammen zu halten, sein frommes Festhalten am väterlichen Glauben und dem patriarchalischen Leben in seinem Mamrehain stellen uns sein Bild als das einer edlen und ehrwürdigen Natur dar. In Rücksicht des zweiten müssen wir dennoch seine anregende und einflussreiche Wirksamkeit rühmen. Denn Er vor allen hat von der Unnatur, Willkühr und falschem Schmuck der Dichtkunst hingewiesen auf Natürlichkeit und Einfachheit der ältesten wahren Poesie, auf das Kindesalter der Völker, und kindlichen Glauben; er hat die Wahrheit verkündet, daß in Rückkehr zum Evangelium Einfachheit und Frische der Dichtkunst wiederzufinden sei (wie würde er, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, die altsächsische Evangelienharmonie kennen zu lernen, gejauchzt haben!), und hat, wie er alles Große und Schöne nur von der vollkommnen Einheit aller geistigen Kräfte gewirkt wissen wollte, auch die geistigen Erzeugnisse aller Völker, auch der fernsten des Orients, zur Bildung des deutschen Volkes anwenden wollen, was Herder, von ihm angeregt, gründlicher und vollkommner ausgeführt hat.

Seine Schriften bestehen nur in kleineren Bruchstücken und seine Eigenthümlichkeit beschränkte sie immer auf wenige Bogen. Diese zerstreuten Abhandlungen und Blätter nebst dem Nachlass seiner Briefe find erst lange nach seinem Tode, nachdem Goethe und Jean Paul es gefordert hatten, gesammelt und von Roth herausgegeben worden.

Hamanns Schriften. Herausg. v. Friedrich Roth. Th. 1-7. Berl. Reimer 1821-1825. 8. Inhalt. Theil 1. a. Beylage zu Dangeuil (Anm. üb. Vortheile u. Nachtheile des Handels u. s. f. von

1. Neuere Gesch, der poet. Nationallit. der Deutschen. Erst. Th. Von Gottscheds Zeiten bis zu Goethe's Jugend (Th. 4. des ganzen Werks). Lyz. 1840. S. 436 flg. Vergl. daneben Goethe l. c. S. 108 flg.

Frankreich, Großbritt.). S. 1-50. Geschrieben 1756. — b. Biblische Betrachtungen eines Chrißten. S. 51—124. Lond. 1758.

. 125-148. London 1758.

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S.

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c. Brocken.

d. Gedanken über meinen Lebenslauf. . 151-243. Geschrieben in London 1758. 59. Umfasst f. Leben bis 1759. e. Briefe. Von 1752-1760. S. 245-518. Theil 2. a. Sokratische Denkwürdigkeiten für die lange Weile des Publicums, zusammengetragen von e. Liebhaber der langen Weile. Mit e. doppelten Zuschrift an Niemand u. an Zween. Amsterd. 1759. S. 1–50. - b. Wolfen. E. Nachspiel Sokratischer Denkwürdigkeiten. Altona 1761. . 53-102. c. Kreuzzüge des Philologen in 12 flei neren Abhandlungen. S. 103–342. d. Essais à la Mosaïque. . 343-376. e. Schriftsteller u. Kunstrichter geschildert in Lebensaröße. 1762. S. 377-394. f. Lehrer u. Kunstrichter nach perspectivischem Unebenmaße. 1762. . 395-413.g. Fünf Hirtenbriefe das Schuldrama betreffend. 1763. S. 414-450. h. Hamburgische Nachricht; Göt tingische Anzeige; Berlinische Beurtheilung der Kreuzzüge des Philologen. Mitau 1763. S. 452-518. Theil 3. a. Briefe. Von 1760 bis Mai 1764. S. 1-228. b. Kleine Auffäße. 1764. S. 229–292. c. Briefe. Von 1764-1769. (Hier beginnen die Briefe an Herder. Juni 1764.) S. 295-403. d. Kleine Auffäße aus den Jahren 1768 u. 1769. Theil 4. a. Zwey Recensionen betreffend den Ursprung der Sprache. (Auf Herders Preisschrift sich beziehend, wie auch b. u. c.). 1-21. b. Des Ritters von Rosencreuz lehte Willensmeynung. S. 21-37. c. Philologische Einfälle u. Zweifel über e. akademische Preisschrift. Entworfen vom Magus im Norden. Im Weinmonde 1772. S. 37-73. d. Selbstgespräch eines Autors. Mit 45 Scholien. 1773. e. Beilage zu den Denkwürdigkeiten des seligen Socrates. Von e. Geistlichen in Schwaben. 1773. S. 97-115. f. Neue Apologie des Buchstabens h. Pisa 1773.

. 115-138. S. 140-148.

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g. Neue Apologie des Buchstabens h von ihm selbst. h. Lettre perdue d'un Sauvage du Nord à un Financier de Pe-Kim. 1773. S. 141-168. k. Au die Hexe zu Kadmonbor. Berl. 1773. (Gegen Nikolai, der c. u. h. nicht drucken wollte.) — 1. Christ. Zacchaei Telonarchae IIPOAETOMENA oder über die neueste Auslegung der ältesten Urkunde des menschlichen Geschlechts. In zweien Antwortschreiben an Apollonium Philosophum. 1774. (An Kant in Beziehung auf zwei Briefe desselben über das Her dersche Werk.) S. 183-200. m. Le Kermes du Nord. 1774. S. 201-210. n. Mancherley und Etwas zur Bolingbroke-Hervey Hunterschen Übersehung von einem Recensenten trauriger Gestalt. 1774. (Früher erschienen als 1. u. m.) S. 211-222. - o. Versuch einer Sibylle über die Ehe. 1775. (Glückwunsch zur Hochzeit des Buchhändlers

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Hartknoch mit Rücksicht auf Hippels Werk üb. d. Ehe.) S. 223-232. — p. Vettii Epagathi Regiomonticolae hierophantische Briefe. 1775 (Gegen den Hofpred. Stark in Königsb., der e. Freimaurerlied: „der Hierophant" gedichtet u. e. Dissertation tralatitia ex gentilismo in religionem christianam geschrieben hatte. Es ist derselbe Mann, der als Hofprediger in Darmstadt 1816 starb und des Kryptocalvinismus von Gedicke u. Biester angeklagt und höchst verdächtig war. Auch Hamann erkennt schon Papistisches in ihm u. Geringschäßzung Luthers.) S. 23-286. q. Zweifel u. Einfälle über e. vermischte Nachricht der allg. deutschen Bibliothek. An Vetter Nabal. 1776. S. 291-338. r. Kleine Auffäße von 1770-1776. (Enthält Übersetzungen, wie Geschichte der wel schen Schaubühne, aus d. Engl.", Recensionen u. a. Auffäße, wie: Kleiner Versuch über große Probleme.) S. 341-472. Theil 5. Briefe von 1770-1778. (Vorzüglich an Herder, von dem auch einzelne Briefe mitgetheilt sind, u. an Capellmeister Neichardt.) Theil 6. a. KOгZOMILAZ: Fragmente über apokalyptische Geheimnisse. (Bezieht sich auf Starks Apologie des Ordens der Freymaurer u. Hephästion, Meiners Schriften und Lessings Ernst u. Falk.) S. 1-23. b. Zwei Scherflein zur neuesten Deutschen Literatur. (Gegen Campe u. Klopstock.) S. 23-44. — c. Recension der Critik der reinen Vernunft. 1781. . 46-54. d. Briefe. Von 1779-1784. Theil 7. a. Metakritik über den Purismum der reinen Vernunft. . 1-17. b. Golgatha und S. Scheblimini. Von e. Prediger in d. Wüsten. (Gegenstück zu Mendels sohn's Jerusalem.) 1784. S. 17-70. c. Fliegender Brief an Niemand den Kundbaren. (Vertheidigung von b. Hamann's letzte Schrift. Den Schluss, den er in Wellbergen arbeiten wollte, hat er nicht vollendet.) S. 72—128. — d. Briefe von 1784-1788. (Nur die Briefe an Jacobi fehlen, welche sich in Jacobi's Werken Bd. IV. Abth. 3. finden.) G. 130-432. Der achte Theil dieser Ausgabe, welcher nur kleinere Nachträge früherer Ausgaben und Schriften anderer, worauf die Hamannschen sich beziehen, umfassen sollte, ist nicht erschienen. Dafür hat G. A. Wiener in Erlangen herausgegeben 1842. Theil 8. 1. Abth. enth. Nachträge, Erläuterungen und Berichtigungen.

Bruchstück I.

Aus den biblischen Betrachtungen eines Christen. (Th. I.) a. Motto. (S. 50.)

Jede biblische Geschichte ist eine Weissagung, die durch alle Jahr. hunderte, und in der Seele jedes Menschen erfüllt wird. Jede Geschichte trägt das Ebenbild des Menschen, einen Leib, der Erde und Asche und nichtig ist, den sinnlichen Buchstaben; aber auch eine Seele, den Hauch

Gottes, das Leben und das Licht, das im Dunkeln scheint und von der Dunkelheit nicht begriffen werden kann. Der Geist Gottes in seinem Worte offenbart sich wie das Selbstständige -in Knechtsgestalt, ist Fleisch und wohnt unter uns voller Gnade und Wahrheit.

b. 1. B. Mose 11. (S. 71.)

Wir finden hier eine ungewöhnliche Einigkeit unter den Menschen, eine Einigkeit, die in den bösen Gedanken ihres Herzens ihre Stärke erbielt. So wie sie auch ohne Sündflut sich vermuthlich bald würden aufgerieben haben, und die Sündslut in dieser Absicht nicht einmal als eine Strafe anzusehen ist, sondern als eine Wohlthat; so würde die Zerstreuung und das Mißverständniß auf eine betrübtere Art aus dieser Vereinigung, wie ein Sturm auf eine Windstille, erfolgt seyn, als die Gott durch ein Wunder unter ihnen hervorbrachte.

Mose beschreibt den Eifer Gottes, das Vorhaben der Menschen zu verhindern, mit eben den Worten, womit er die Menschen den ihrigen ausdrücken läßt. Kommt laßt uns niederfahren. Dieß ist das Mittel, wodurch wir dem Himmel näher gekommen sind. Die Herunterlasung Gottes auf die Erde; kein Thurm der Vernunft, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und durch dessen Ziegel und Schleim wir uns einen Namen zu machen gedenken; dessen Fahne der irrenden Menge zum Wahrzeichen dienen soll.

Gott hat sich die Vereinigung der Menschen vorbehalten zu einer einzigen Sprache, zu der einzigen wahren Erkenntniß. Die Ausbreitung des Evangelii ist das Hülfsmittel, unsere Herzen, unsere Sinne und Vernunft zu vereinigen. Die Propheten des alten und neuen Bundes vertrösten uns auf die Zerstörung Babels, und daß die Zerstreuung des menschlichen Geschlechts sowohl ein Ende nehmen wird, als des jüdischen Volkes seine. Die Erhaltung und Regierung der Welt wird ein fortdauerndes Wunder bleiben, bis das Geheimniß Gottes zu Ende seyn wird.

C. 1. B. d. Kön. 29. (S. 89.)

Der Gott, der den Sturm, das Erdbeben, das Feuer zu seinen Boten hat, wählt eine stille, leise Stimme zum Zeichen seiner Gegenwart. Diese Stimme hört ein Elias, der den Sturm, das Erdbeben und das Feuer gesehen und gefühlt hatte unbewegt, diese Stimme hört ein Elias, und verhüllt sein Gesicht im Mantel. Dieß ist die stille, leise Stimme, die wir mit Zittern in Gottes Wort und in unserem Herzen hören.

d. Nahum. (E. 107.)

Nächst dem Reichthume Gottes in der Natur, der aus Nichts entstand, ist keine größere Schöpfung als diese der menschlichen Begriffe und

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