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Ja dort spricht die Kunst, hier die Natur; dort braust der Strom der Begeisterung in dithyrambischem Schwunge dahin, hier herrscht einfaches, unmittelbares Leben, und was das Volkslied an Schönheit der Form einbüsst, das ersetzt es reichlich durch die Naivität seiner Darstellung und die Mannigfaltigkeit seiner Gedanken. Denn da giebt es keinen Zug in dem Lager- und Kriegesleben, der nicht seinen poetischen Ausdruck findet, kein Verdienst, das nicht seine Krone empfängt; im bunten Wechsel zieht der Sturm der Schlacht und der langwierige, ermüdende Festungskampf, das gemüthliche Wachtfeuer und die lustige Munitionscolonne, der schmerzvolle Verbandplatz und das jammerreiche Krankenlager an uns vorüber, und der heldenkühne Officier, der löwenmuthige Wachtmeister, der unerschrockene Tambour, der terrible Ulan", sowie der unermüdliche Arzt und die sorgsame Schwester Salome, der Trost der Verwundeten, treten nach einander auf die belebte. Kriegesbühne und neben Moltke, dem schweigsamen Denker der Schlachten, steht der redselige, selbstbewusste Soldat und Politiker Kutschke; weit über Alle aber ragt empor der Kaiser mit dem weissen Haare und dem Jünglingsherzen in der Brust, und neben ihm sein Heldensohn, der tapfere und doch so gemüthliche Kronprinz mit seiner kurzen Pfeife, in scharfem Contraste zu dem grimmigen Kriegshelden im rothen Attila, dem gefürchteten Prinzen Friedrich Karl. Und wenn sie dabei auf Kosten eines übermüthigen Feindes, des „Ritters von dem Grossmaulsorden", über dessen

„Dickpelzige gloire,

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Die uns lassen musste Haut und Haare"

die ganze Lauge derben Volkswitzes sich ergiesst, ihre eigenen Thaten erheben und sich des Gefühles ihrer Ueberlegenheit mit gemüthlichem Wohlgefallen erfreuen, so ist doch immer das Ende vom Liede: „Nicht wir, sondern Gott war in uns mächtig, der den Hochmuth zu Falle bringt; auf die Kniee, gebt ihm die Ehre!"

So giebt uns das historische Volkslied von 1870 ein vollständiges in sich abgeschlossenes Bild jener weltbewegenden Epoche, und dies ist die Quelle, an die wir gehen müssen, um nicht bloss jene ewig denkwürdigen Tage der Erhebung, nein den Geist unseres Volkes überhaupt in seiner Grösse und Lauterkeit richtig zu verstehen und zu würdigen. Dann werden uns auch nicht mehr die Schatten der Gegenwart, die jenen Geist zu umnachten streben, erschrecken; wo so viel Gottvertrauen und Königstreue in einem Volke mächtig ward, da vermag der böse Feind, mag er nun von Aussen oder von Innen seine verführerische Stimme erheben, doch nichts mehr auszurichten. Und diesen Geist des Glaubens und der Stärke von Neuem herauf zu beschwören, das soll heute, an dem Geburtstage Desjenigen, der ihn erweckt, meine Aufgabe sein; ist doch gerade diese Gesamint-Erhebung des deutschen Volkes seine Kaiserthat, die wir nie genug preisen können. Ich will also ein Bild entwerfen, wie sich jene grosse Zeit in dem Volksliede abspiegelt, ich werde aber dabei nicht sowohl dem Gange der Ereignisse selbst folgen, sondern die grossen Persönlichkeiten, Staatsmänner und Heerführer, die sie bestimmt und geleitet, sowie das Volk in Waffen zum Mittelpunkt meiner Darstellung machen, muss mich aber auch hier bei der Reichhaltigkeit des Stoffes und der Kürze der mir zugemessenen Zeit auf die hervorstechendsten Züge beschränken.

Der Grundtypus dieser Dichtung ist nun von vorn herein Witz und Humor, und es ist dies zugleich ein charakteristischer Zug, der sie- wie Ditfurth dies mit Recht hervorhebt *) von den Liedern der Freiheitskriege, mit denen sie sonst so vielfach, namentlich in der Einmüthigkeit patriotischer Gesinnung übereinstimmt, beachtenswerth unterscheidet - ein Umstand, der freilich in der politisch verschiedenen Lage seine natürliche Erklärung finde. „Damals nämlich galt es den heimischen Boden erst von dem kühnsten, gewaltigsten Feinde zu befreien, während jetzt ein wohlgerüstetes Deutschland den Gegner sofort im eigenen Lande angreifen konnte. Dort, in so schwankenden Verhältnissen, war der Boden mehr für den

*) Ditfurth a. a. O. I, III, p. 8.

Ernst der Poesie, als für den Humor geeignet, der erst mit günstigerer Gestaltung der Lage mehr hervortrat; hier aber liess volles Kraftbewusstsein und Sicherheitsgefühl den Humor schon gleich anfangs in allen Farben aufblitzen." Freilich ist der Spott in dem ersten Liede „der Ohrenzwang von Ems", das noch unmittelbar unter dem ersten Eindrucke jenes frevelhaften und so unerwarteten Attentates entstanden ist, mehr ein bitterer, und gellend tönt der Ruf nach Rache des in seinem treuen Könige beleidigten Volkes hervor:

„Der Benedetti sprach uns Hohn,
Dem König und den Preussen;
Drob soll er dir Napoleon

Ein Maledetto heissen."

Bonaparte hat sich zwar für solche Botschaft den rechten Knecht erkoren; aber sie passt schlecht für Wilhelms Ohren; ihm fährt der Ohrenzwang von Ems in die Glieder; darum geht er jetzt zur Kur nach Paris und restaurirt sich wieder

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Und in diesem Tone tiefster Bitterkeit und Empörung macht sich der Unmuth des Volkes über diese „teuflische Leichtfertigkeit“, wie sie genannt wird, einen Völkerkrieg anzuzetteln und alle Welt in Hass und Streit zu verwickeln, noch öfters Luft, z. B. in dem nicht weniger schneidigen Liede „Der Franzmann ist toll"; indess auch an leichtem Spotte fehlt es nicht über jenen kläglichen Diplomaten und seinen verblendeten Kaiser,

und in wahrhaft prächtigem Humor sind die Lieder gehalten: „Benedetti der Franzose“ – „König Wilhelm sass ganz heiter“ und das „Littauische Soldatenlied na den Leed vom Dannenbohm, abersch e bösske fixer on schlömmer":

,.Benedetti" nämlich,,der Franzose"
Dacht', es wäre ganz famose,
Wenn der König gäb' klein bei!
Das würd' Louis Freude machen

Und die Kaiserin würd' lachen,

Frankreich schrei'n ein Siegsgeschrei."

Flugs macht er sich also an's „Drängeln; schwänzelt, tänzelt und scharwünzelt" um den König herum und verlangt endlich von ihm, er soll es ihm schwarz auf weiss geben, dass nie ein Hohenzoller den spanischen Thron besteigen werde:

,,Schreib's auf Louis sein Geheiss."
,,Da sieht unser Wilhelm Rexe

Sich das klägliche Gewächse

Mit den Königsaugen an:

Sagte gar nichts weiter, sundern

Wandte sich, so dass bewundern

Jener seinen Rücken kann."

Aber für ihn antwortet der littauische Volkssänger, der hier entrüstet ausruft:

So'n Rackertieg! Wat denke ju

Von onsem Landesvader,

So got, so friedlich, fest on tru,

Det Vaderlands Berader?

He sull ju allen Wöllen dohn,

Na june Piepe danze?

Wacht man, Franzos, dat findt sek schon,

Wi ware di kuranze!"

Doch in Paris grosser Sturm:

Grammont, Olivier rufen Krieg,
Bazaine, Mac Mahon hoffen Sieg

Und die Kaiserin Eugenie
Ist besonders noch diejen'ge

Die in's Feuer bläst hinein."

-

Und Er darauf: So sei's entschieden,
In Königsberg dictir' ich Frieden."

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Und damit zieht er sich die Stiebeln", die vordem sein Oheim trug, grausam an, und auch der zarte Lulu nach den seinen frug, und nun treten viele tausend rothe Hosen untern Chassepot,

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Ja der alte Marschall Vorwärts wird bei diesem Anblick selbst

wieder ganz kriegslustig; er verlangt in dem Liede „Vater Blücher" von Scharnhorst seinen Degen und will mit dazwischen fegen „Soll'n die Funken fliegen sehn!"

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