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Zwölf Sätze

über

wissenschaftliche Orthographie der Mundarten.

I. Gleiches ist immer gleich zu bezeichnen.

II.

III.

IV.

Verschiedenes ist immer verschieden zu bezeichnen.
Aehnliches ist, wo möglich, ähnlich zu bezeichnen.

Die Nebenzeichen über und unter den Buchstaben müssen möglichst einfach sein und sich untereinander leicht verbinden lassen. V. Für alle akustischen Erscheinungen deren Darstellung für die Dialektologie am nötigsten ist, muss man die Zeichenverbindungen so wählen dass wenn nicht alle, so doch die allermeisten sich in jeder grössern Druckerei bereits vorfinden.

VI. Jedem Buchstaben der gewöhnlichen Schrift wird derjenige Einzellaut zugetheilt welchen er in der neuhochdeutschen Orthographie gewöhnlich bezeichnet.

VII. Die herkömmlichen Zeichen ä, ö, ü sind durch die bequemern a, e, y zu ersetzen.

с

VIII. (oder ) über einem Buchstaben giebt an dass ein Laut zu sprechen ist dessen Verengung oder Verschluss etwas weiter nach hinten in der Mundhöhle liegt als bei dem Laut welchen der Buchstabe ohne bezeichnet.

IX.

hat die entgegengesetzte Bedeutung von .

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X. Die Nasalirung wird mit dem polnisch - litauischen bezeichnet.

XI.

Neu einzuführende Buchstaben sind:

1) ǝ für den Mittellaut zwischen A und Ö, den Vokal der

meisten deutschen Nebensilben.

1

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3) a für den mediopalatalen Reibelaut.

4) j für das tönende r.

5) v für das tönende f.

6) q für den faukalen Schlaglaut.

7) oder für den antepalatalen Reibelaut.

8)

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soder p für den stimmlosen interdentalen Reibelaut.

oder für den tönenden interdentalen Reibelaut.

XII. Die Länge wird durch bezeichnet.

Zur Begründung.*

$ 1. Sowohl praktische als auch wissenschaftliche Bedürfnisse haben schon längst dazu geführt eine neue Orthographie zur genauern Bezeichnung der Laute aufzustellen. Ueberblickt man was in dieser Beziehung bisher geschehn ist, so so überrascht vor Allem dass die gemachten Versuche zahllos zahllos sind und die allerverschiedensten Ergebnisse gehabt haben. Der Fall dass jemand die orthographischen Vorschläge eines Vorgängers ohne die leiseste Veränderung zu den seinigen macht, kommt beinahe nicht vor. Die Ursache dieser unglaublichen Zersplitterung springt sofort in die Augen: die grenzenlose Willkür und Prinziplosigkeit mit welcher jeder Einzelne verfahren ist und das häufige Fehlen aller orthographischen und physiologischen Vorkenntnisse; die Arbeiten eines Andern finden ganz beliebig in einigen Theilen Beifall, in andern Missbilligung meist ohne dass ein andrer Grund vorläge als zufällige Gewohnheiten oder sonderbare Grillen. Sehr Viele treten an die Aufgabe heran ohne nur im entferntesten zu ahnen dass sie nicht die Ersten sind welche dieselbe zu lösen versuchen. Am meisten Ansehn haben sich die Vorschläge von Lepsius errungen, trotz ihren nicht geringen Mängeln; aber kaum jemand der sich mit der Sache nicht bloss theoretisch beschäftigte, sondern zu praktischer Verwertung überging, hat dieselben unbedingt gutgeheissen; Jeder hat daran zn ändern gehabt, der Eine da, der Andre dort; zur Einigkeit ist man nicht gelangt.

§ 2. Dass es besser werde, ist nur dann zu hoffen wenn man allgemein die unerfreuliche Sachlage klar erkennt und die Lehren be

* Die Eintheilung in Paragraphen hat keinen andern Zweck als die Erleichterung des Zitirens.

herzigt welche sie uns in unschwer verständlicher Weise giebt. Es ist natürlich sehr leicht aus der Unzahl der möglichen Sprachlaute willkürlich einige herauszugreifen und dafür ebenso willkürlich irgend welche Zeichen aufzustellen; aber wird man auf diesem Wege eine Verständigung erzielen? Sehr wahrscheinlich nicht einmal zwischen den wenigen Mitgliedern eines beratenden Ausschusses; schwerlich in der germanischen Sekzion einer nicht ganz spärlich besuchten Philologen versammlung; ganz gewiss nicht zwischen der Mehrzahl der Betheiligten in Deutschland. Will man sich nicht der bedenklich nahe liegenden Gefahr aussetzen viel Lärm um nichts zu machen, so muss man sich bestreben allgemeine, fest begründete Prinzipien zur Anerkennung zu bringen aus welchen sich die Entscheidung für jeden Einzelfall mit Sicherheit ableiten lässt. Nur dann werden sich, was zum Zweck der Einigung unerlässlich ist, Viele dazu bequemen auf ihre zufällige Gewohnheit zu verzichten und Neues, Fremdartiges anzunehmen. Um dieses Ziel zu erreichen genügt es natürlich nicht bloss einige Thesen aufzustellen, sondern dieselben müssen von einer ausführlichen Begründung begleitet sein.

§ 3. Vor Allem sei ausdrücklich bemerkt dass die hier gemachten Vorschläge lediglich nur die Zwecke der Wissenschaft im Auge haben; auf Schriften welche zur Unterhaltung des grossen Publikums dienen, können und sollen sie keine Anwendung finden. Eine wissenschaftliche Orthographie ist durchaus unmöglich ohne die bisherige Gewohnheit des Auges sehr schwer zu verletzen; in dieser Hinsicht darf man sich keiner Täuschung hingeben.

§ 4. Die Sätze I und II geben allgemein als unerlässlich Anerkanntes in knappster und zugleich erschöpfender Fassung. Nach I darf z. B. der Reibelaut des Vordergaumens nicht bald durch CH, bald durch G, bald durch J dargestellt werden, wie dies in mitteldeutschen Dialektproben oft geschieht. Ferner der Ä-Laut nicht bald durch ä, bald durch æ oder å, bald durch e. Ferner der stimmlose S-Laut nicht bald durch S, bald durch SZ, bald (in Verbindung mit T) durch 7, bald (in Verbindung mit K) durch X. Ferner die grössere Zeitdauer nicht bald durch Längestriche, bald durch Verdopplung der Lautzeichen. Endlich die grössere Schallstärke nicht bald durch Beistrichelchen, bald durch Anwendung ganz verschiedener Buchstaben, wie etwa „,P“ für starkes „B". u. s. w. u. s. w.

§ 5. Nach Satz II darf z. B. für den stimmlosen S-Laut nicht f wie für den tönenden geschrieben werden. Ferner darf E nicht bald dem e-Laute, bald dem ä-Laute, bald (wie in Pein) dem ɑ-Laute, bald (wie in badete) dem a-Laute, bald (wie in euch, heute) dem ö-Laute dienen. Endlich darf für F nicht PH stehn, da P die labiale Tenuis, H den gutturalen (im Kehlkopf, nicht am Gaumen gebildeten) Reibelaut bezeichnet; aus ähnlichen Gründen sind auch TH für den interdentalen, CH für den palatalen Reibelaut unzulässig. u. s. w.

§ 6. Nach Satz III dürfen die verschiedenen Abstufungen einer und derselben Eigenschaft nicht durch ganz verschiedene Zeichen dargestellt werden, z. B. nicht ein Grad der Schallstärke durch', ein anderer durch. Auf die Bezeichnung der verschiedenen Lautarten kann Satz III nur in beschränkter Weise Anwendung finden; es ist z. B. nicht möglich die Gleichartigkeit der mit P, T, K bezeichneten Laute graphisch hervorzuheben ohne das lateinische Alfabet aufzugeben. Wir haben nur darauf zu sehn dass die notwendigen neuen Zeichen zu den alten in einer leicht erkennbaren Beziehung stehn; z. B. für den Mittellaut zwischen i und e ist eine Darstellung zu wählen welche dessen Verwantschaft mit i oder mit e anzeigt.

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е

a

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§ 7. Gegen Satz IV sündigt man häufig in der unbegreiflichsten Weise, so dass man ohne Not das Auge durch Ueberladung und Fremdartigkeit beleidigt und die Satz- und Druckkosten erheblich vermehrt; man denke sich z. B. zu dem an sich schon ungeheuerlichen å (Mittellaut zwischen ö und a) die Zeichen hinzu! Verwerflich sind daher a, e, a, o u. s. w. als Zeichen für Vokalklänge. Ferner alle Striche und Halbkreise deren Längsaxe nicht von oben nach unten läuft; stehende Zeichen lassen sich sehr leicht und raumsparend verbinden, liegende aber nicht; auch nehmen letztere natürlich einen breitern Raum ein, was über schmalen Buchstaben wie i leicht störend werden kann und einer allfällig nötigen Verlängerung des Zeichens im Wege steht. Einfachheit ist auch deshalb unerlässlich weil es bei der Menge der zu berücksichtigenden akustischen Erscheinungen üble Verschwendung ist zur Darstellung einer lautlichen Eigenschaft ein Zeichen anzuwenden das aus mehreren besteht (wie z. B. und aus ''; ferner <aus ·

- u. s. w).

A

·

§ 8. Satz V ist für Jeden selbstverständlich der jemals in die Lage gekommen für den Druck eines Werkes die Herstellung unge

wöhnlicher Typen fordern zu müssen; die Verleger verhalten sich solchen Zumutungen gegenüber sehr ungeberdig auch wenn sie Besitzer von Schriftgiessereien und von grossen, reich ausgestatteten Druckereien sind. Wie oft liest man in den Grammatiken von Missionaren sie hätten die Lepsiusschen Schreibungen nicht verwenden können und andere annehmen müssen, weil die Druckerei nicht darauf eingerichtet war. Wo bleibt dann die ersehnte Einheit? Die Veröffentlichung wissenschaftlicher Dialektschriften gehört ohnehin nicht zu den einträglichsten Kapitalanlagen. Der Verleger von Frommanns Zeitschrift „die deutschen Mundarten", auf deren Verhalten in dieser Frage sehr viel ankommt, hat für das Unternehmen bereits grosse Opfer gebracht und weigert sich ganz bestimmt noch viel weiter zu gehn. Je kostspieliger man eine Orthographie macht, desto hartnäckiger werden sich die Schriftsteller, Verleger und Drucker gegen deren Annahme sträuben, so dass alle Beratungen und Besprechungen welche diesen Verhältnissen nicht genügend Rechnung tragen, schliesslich leeres Gerede sind. Wer es entwürdigend findet dass die Wissenschaft auf Geldfragen Rücksicht nimmt, der möge einige tausend Thaler hergeben um allen wissenschaftlichen Bearbeitern von Mundarten die Mehrkosten einer ganz unabhängigen Schrift zu vergüten; will er dies nicht thun, so ist seine Entrüstung eine sehr wohlfeile.

§ 9. Selbstverständlich ist es ein Ding der reinen Unmöglichkeit eine Schrift aufzustellen welche allen Bedürfnissen der Wissenschaft genügt und dennoch nicht mehr Aufwand erfordert als der Satz irgend eines Dreipfennigromans. Aber dies verhindert nicht dass man die Zeichen welche voraussichtlich am häufigsten gebraucht werden müssen und der Dialektforschung am unentbehrlichsten sind, so wähle dass ungewöhnliche Typen möglichst vermieden werden. Von mehreren in wissenschaftlicher Hinsicht gleich guten Vorschlägen muss derjenige unbedingt den Vorzug erhalten welcher in den meisten Druckereien am leichtesten ausführbar ist.

§ 10. Man sollte hoffen dürfen dass die Sätze I bis V jedermans Billigung finden werden; ihre Beurtheilung ist reine Verstandessache und wird nicht durch die zahllosen Vorurtheile und Zufälligkeiten beeinflusst welche bisher jede Einigung vereitelt haben. Wer nicht stichhaltige Gründe dagegen vorzubringen vermag, der verzichtet auf jede Berechtigung gegen deren konsequente Anwendung

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