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esse,

de Bourgogne, sowie Molière's Critique de l'École des Femmes und das Impromptu de Versailles. Gegenüber Molière's besonnener und ruhiger Haltung, die ihn selbst die feindlichen Stücke ruhig mit ansehen liess, erscheint Boursault als ein frühreifer Mensch, ohne die nöthige Vorbildung, der die Grösse seines Gegners nicht zu erkennen vermochte, und dem es auch an Geschmack und Lebenserfahrung fehlte. Herr Scheffler besprach die Frage, ob Armande Béjart die Schwester oder Tochter Madeleine's sei. Die Heirath mit Armande wurde Gelegenheit, Molière des Incests beim Könige zu beschuldigen. Derselbe antwortete mit der Erklärung, bei dem ersten Kinde aus der Ehe Pathenstelle übernehmen zu wollen. Nichtsdestoweniger hat nähere Untersuchung gezeigt, dass Armande Tochter von Molière's früherer Geliebten Madeleine ist, aber als ihre Schwester figurirte. Letztere hatte ein Interdiese Täuschung aufrecht zu erhalten. Sie hatte vertrauten Umgang mit dem Grafen von Modena gehabt, welcher das Kind anerkennen und Madeleine heirathen wollte, als er in den Krieg musste, wodurch seine Rückkehr sich verzögerte. Ein zweites Verhältniss hatte ein gleiches Resultat. Es zu vertuschen, fand Molière den Ausweg, das Kind ihrer eigenen Mutter unterzuschieben. Dies gewinnt an Wahrscheinlichkeit durch die bei Verzichtleistung auf Erbschaft gerichtlich abgegebene, doch erlogene Erklärung der Mutter, ihre Kinder seien unmündig, während Madeleine und ihr Bruder mündig waren; dadurch wurden sie Beide vom Familienrathe ausgeschlossen, und es erschien weniger unwahrscheinlich, dass das Kleine das Kind der Alten wäre. Zu beachten ist, dass sie 53 Jahre alt war, und dass bei Molière's zweitem Kinde Madeleine und der Herzog von Modena Pathenstellen hatten. Als 1662 Armande Molière's Weib wurde, erhielt sie ausser einer Ausstattung von 16000 Fr. noch eine Mitgift von 60000 Fr., trotzdem die alte Béjart auf die Erbschaft ihres Mannes verzichtet hatte. Dagegen erhielt ihre zweite Tochter Geneviève bei ihrer Verheirathung keinen Sou, obgleich sie mit ihr zusammen lebte. Von der letztwilligen Verfügung Madeleine's, dass nach Auszahlung gewisser Legate an Geschwister und milde Stiftungen Armande den Rest erben sollte, stiess ein Codicill die erstere Bedingung um und ernannte Armande zur Erbin des Ganzen. Dies Alles macht es somit durchaus wahrscheinlich, dass Molière wirklich die Tochter seiner früheren Geliebten geheirathet, falls sich nicht nachweisen liesse, dass Madeleine gar nicht seine Geliebte gewesen. In der That ist nun festgestellt, dass Molière einer Béjart zu Liebe zur Bühne gegangen; und eine der vorhandenen Quellen verwechselt Mutter und Tochter. Ferner war auch Geneviève bei der Truppe, und es ist wahrscheinlicher, dass Molière sich in Letzere verliebt, denn sie war 19, Madeleine aber 27 Jahre; und die an Grafen und Barone Gewöhnte dürfte dem armen unbekannten Schauspieler kaum Avancen gemacht haben. Dass Molière's Ehe Schwierigkeiten in den Weg gestellt wurden, ist richtig; wahrscheinlich gingen diese

Wenigstens

eben von Geneviève, der verlassenen Geliebten, aus. wohnte die Mutter Madeleine der bürgerlichen sowohl wie der kirchlichen Trauung bei. Herr Boyle machte Mittheilung aus „, the Birth day Register", Verzeichnisse der Geburtstage bedeutender Männer auf alle Tage des Jahres mit meist glücklich gewählten auf sie bezogenen Citaten aus Shakespeare.

II.

Herr Förster besprach „Höfler, der Aufstand der kastilischen Städte gegen Karl V." (1520-1522). Die spanischen Historiker haben, den Sachverhalt zu trüben, das Ihrige beigetragen, da es nach Beendigung des Aufstandes im Interesse der Städte lag, sich als treu geblieben darzustellen, der Liberalismus dagegen später die Führer des Aufstandes zu Herren zu erklären strebte. Höfler hat das Verdienst, die richtige Mitte dazwischen gefunden zu haben. Gründe des Aufstandes waren hauptsächlich die Ausführung des durch neue Steuern aufgebrachten Geldes aus dem Lande und die Besetzung der Stellen mit Fremden. Der anfangs rein zufällige Umstand, dass die Hidalgos, der Städteadel, nicht die Granden, den Aufstand anfingen, führte im Verlauf einen Kampf dieser gegen jene herbei, in dem die Granden die vordersten Verfechter der Krone wurden; der Schluss war reiner Verzweiflungskampf. Der Vortragende verlas Stellen, die den vollständigen Wechsel des Tones zeigen, in dem man vor dem Aufstande und nach demselben zur Krone sprach, und die Charakterschilderungen Padilla's und des Cardinals Adrian. Der Stil ist schwerfällig und manierirt. Herr Rauch besprach den Unterricht in modernen Sprachen an Mädchenschulen. Das Ziel der „höheren Töchterschule" sei, das Mädchen als gebildete Jungfrau zu entlassen; sie sei eine Stätte für allgemeine Bildung; sie solle abschliessen für die meisten Zöglinge, während Gymnasium und Realschule nur Vorbildung für spä teres selbständiges Streben liefern; das Mädchen soll die erworbene Bildung sogleich verwerthen. Demgemäss muss jeder Mädchenlehrer sich in Theorie und Systematik Beschränkung auferlegen, den Kreis der Lehren möglichst verengen und sie so einüben, dass sie fertig abgeschlossen Eigenthum werden. Das Mädchen hat eine Abneigung gegen Systeme und Abstractionen; das lebendige Beispiel wirkt am kräftigsten. Ferner muss das Mädchen bis zum 17. Jahre, wo sie Jungfrau wird, fertig gebildet sein; sie muss in 10 Jahren die nöthigen Kenntnisse erringen, während der Gymnasiast 13 Jahre hat, um nur eine grundlegende Bildung zu erwerben. Während also der Knabe in den oberen Classen in das Kritische, Polemische eingeweiht wird, um ihm eine Richtung für den Weg in der Zukunft zu geben, dürfen dem Mädchen nur die Resultate in wohlgeordneter Weise vorgeführt werden. Auf Grund dieser Principien beleuchtete der Vortragende die von der

Archiv f. n. Sprachen. LVIII.

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im August 1873 zusammengetretenen Commission (zur Berathung der Frage der höheren Töchterschulen) aufgestellten Forderungen in den einzelnen Punkten und bezeichnete z. B. das Lesen mittelhochdeutscher Texte als Sünde; beim Eingehen auf die deutsche Grammatik dürfe nur die Elementargrammatik ins Auge gefasst werden; Sprachvergleichung herbeizuziehen, könne nur Oberflächlichkeit und Eigendünkel befördern. In der Literatur müsse dem Beibringen encyklopädischen Materials gesteuert, dagegen Einführung in die Meisterwerke bis zum Heimisch werden gefordert werden. Für den fremdsprachlichen Unterricht lauteten die Forderungen nicht eben hoch; aber „Bekanntschaft mit den vorzüglichsten Werken der Literaturen" sei ein so vager oder umfassender Ausdruck, dass man damit sehr wohl auch eine Forderung an den pro facultate docendi zu Prüfenden bezeichnen könne. Die Frage, ob in den obersten Classen auch Damen in diesen Disciplinen unterrichten sollten, bejahte der Vortragende entschieden, in Anbetracht, dass es nicht der Zweck sei, gelehrte Damen zu bilden, wohl aber neben der Bildung auch zu erziehen, und dass in dieser Hinsicht ein Weib in vielen äusserst wichtigen Punkten viel geeigneter sei, zu dem Mädchen zu sprechen, als ein Mann, der in vielen Fällen dafür nicht das Auge habe, gewiss aber in den meisten das geeignete Wort nicht finden könne. Allerdings werde, um diesen Zweck erreichen zu können, nach dem ersten Examen, welches im achtzehnten Jahre statt zu finden habe, ein zweites im dreiundzwanzigsten nothwendig, welches aber auch auf quellenmässige Studien und philologisch-historische Bildung zu verzichten hätte. Im Deutschen wären Stil- und Aufsatzlehre, in fremden Sprachen technische Fertigkeit besonders zu betonen, namentlich auch systematische Kenntniss der Grammatik. Kenntniss des Latein bis etwa zur Lectüre des Cornelius Nepos wäre wünschenswerth; ein Canon classischer Stücke müsste nothwendig gegeben werden. Eine Gleichstellung der höheren Mädchenschule mit Gymnasium und Realschule sei durchaus zurückzuweisen. Herr Löschhorn rechtfertigte die Forderung der „Sprachvergleichung" auf Mädchenschulen als in passender Beschränkung wohl realisirbar.

III.

Herr Michaelis lenkte die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf den 1708 in Neu - Stettin geborenen Professor der Beredtsamkeit an der Stadtschule zu Wismar, Joh. Daniel Denso, der in verschiedenen Schriften ein System der deutschen Rechtschreibung annahm, das Vieles bereits durchführt, was heute erst als Forderung auftritt. Namentlich in seinen „, pommerschen gegrabenen Seltenheiten", einer Einladungsschrift zu einem Redeactus 1748, beseitigt er jedes y, fast alle Dehnungszeichen und meist th, sowie die Consonantenverdoppelung (Her, herlich u. s. w.); schreibt ie, iemand; das auch als Conjunction; Fus,

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In den späteren

mas, blos, weis; sat, trit; Blikke; reisse; Saz, seze. „physikalischen Briefen" finden sich wieder dass, Sitz, Dehnungszeichen und Verdoppelungen; aber in der sechsten Auflage der „pommerschen gegrabenen Seltenheiten", in den „monatlichen Beiträgen zur Naturkunde" kehrt er zu den alten Principien zurück. Auch die Gottsched'che 6-Regel ist schon einigermassen bei ihm durchgedrungen. Auffallend ist, dass er nirgends irgend eine Aeusserung über diese seine Schreibweise macht. Wenn auch Luther schon mit Fus, mas u, dgl. vorgegangen war und Andere in anderen Punkten, so hat Denso doch in durchgehender Beseitigung der Dehnungszeichen und Verdoppelung keinen Vorgänger gehabt. Herr Vatke gab eine Uebersicht der Schriften, auf die eine Geschichte der englischen Pädagogik Rücksicht zu nehmen hätte. Als solche führte er für die Zeit vom zwölften Jahrhundert an: Education in Early England von Furnival". Ziel der Schule ist Bildung zur Courtesy, würdiges Benehmen, um als Page am Hofe dienen zu können; specifisch englisch die Bildung zum gentleman. Für das funfzehnte Jahrhundert sind die Briefe des Erasmus eine Quelle, doch Hallam's „Introduction into the Literature of the Middle Ages" weist auf seine Unzuverlässigkeit bei seinem Lobe der englischen Schulen, als den deutschen überlegen, hin. Roger Ascham's ,,The Schoolmaster", Th. 1 „The Bringing up of Youth" sieht sein Ideal in dem Deutschen Joh. Sturm. Bacon's, Advancement of Learning" bietet wenig. Milton's Abhandlung über Erziehung ist viel weniger wichtig als sein eigenes Leben; sein Buch ist Samuel Hartlieb, einem Deutschen, gewidmet; ein Anderer, der noch aus Deutschland kommen solle, habe auf ihn gewirkt, sagt die Vorrede: dies kann nur Comenius sein. Dieser kam auch um jene Zeit; seine Pläne aber, die schon dem Parlament vorlagen, zerschlugen sich. - Rowley's Drama „When you see me, you know me" enthält drastische und realistische Scenen über Hoferziehung aus Heinrich's VIII. Zeit. Ueber die grossen Schulen geben Nachricht Staunton,,,The Great Schools of England" 1872, und Lyte's,,Geschichte von Eton", welche nur Wesentliches und Geringfügiges mit gleicher Breite behandelt. Ein ganz neues Essay on Educational Reformers by Robert Herbert Quick" erörtert u. A. die Frage, warum Rousseau nie in England populär geworden, und sucht den Grund darin, dass der Engländer im Gegensatz zum Franzosen specifisch decent sei. Herr Förster macht Mittheilungen aus den „Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Wolfgang Menzel“, die das Buch als in jeder Beziehung höchst interessant erscheinen lassen.

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IV.

Herr Boyle machte Mittheilung von dem Kritiker des Athenaeum und des Saturday Review von Tennyson's neuestem Drama „King Harold". Beide sind darin einig, dass das Stück ein schwacher Ver

such sei, schwächer noch als „Mary Tudor", und rathen dem Dichter, auf das lyrische Gebiet zurückzukehren, wo seine Kraft liege. Herr Körner theilte grössere Stellen mit aus Georg Asmus, „Amerikanisches Skizze-Büchelche", eine Epistel in Versen, New-York 1874, und, Zweite Epistel 1875". Herr Bourgeois sprach über Jean Rotrou, der mit siebzehn Jahren zu dichten anfing und mit zweiundzwanzig schon eine Reihe von Stücken geschrieben hatte. Schlechter Geschmack des Publicums, Ansprüche der Schauspieler und Unvollkommenheit der sprachlichen Ausbildung stellten sich einer Reform des Theaters seiner Zeit entgegen. Die Dichter suchten nur die Neugier des Publicums zu reizen und zu befriedigen; doch fing Rotrou zuerst an, den Stil zu bessern, gab der Sprache mehr Stärke und Adel und erfand eine Menge von Figuren und Formen; Corneille fragte ihn oft um Rath und nannte ihn sogar seinen Lehrer. Wie Letzterer und Racine suchte auch Rotrou schon die Seele zu ergreifen und zu enthusiasmiren: beide haben Einzelnes von ihm nachgebildet; Molière sogar ganze Scenen. Zum Schluss recitirte der Vortragende Scenen aus Rotrou's Laure und Regnard's Joueur", in denen die Aehnlichkeit in die Augen fällt. Herr Rauch berichtete über die Fortschritte des 1873 in Hamburg gegründeten Vereins für niederdeutsche Sprachforschung; die Herausgabe des Correspondenzblattes mit kleineren Mittheilungen, um die verschiedenen Mitglieder in Verbindung zu halten; des jährlichen Jahrbuches für die grösseren Artikel. Von den Veröffentlichungen aus den Schätzen deutscher Bibliotheken liegt als erste das „,deutsche Seemannsbuch aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts" vor, der Vortragende meint, dass gewisse Sphären der Poesie sich niederdeutsch gleich gut, wo nicht besser als hochdeutsch würden behandeln lassen. Ueberraschende Resultate liefere die Untersuchung des geflügelten Wortes", der formelhaften Redensart (Beispiel: „ins Gebet nehmen", „das Pferd ins Gebiss" nehmen). Das neueste Erzeugniss ist der „Plattdütsche Husfründ“ von Klaus Groth, mit Beiträgen von Quitzow, Korner u. A.

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Der Vorsitzende theilt eine Aufforderung zur Betheiligung Seitens des Comite's der Diez-Stiftung mit: dieselbe will Preise für Schriften und Stipendien ertheilen.

V.

Herr Scheffler warf die Frage auf, ob die Stelle in Molière's Cocu imaginaire, welche den Punkt der Ehre behandelt und eine auffallende Aehnlichkeit mit den Worten Falstaff's in Heinrich IV. zeigt, auf eine Nachahmung oder eine gleiche Quelle Shakespeare's und Molière's schliessen lasse. Ersteres hat L. Fournier, „Le roman de Molière", zurückgewiesen. Dass Molière den Gedanken der Scene dem Jodelin Duelliste von Scarron verdanke, ist glaublich; im Uebrigen aber anzunehmen, dass Molière und Shakespeare vollständig unabhängig von

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