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Gegensätze in Brutus' Gemüth aufwühlen und in dem Sieg einer unerschütterlichen Ueberzeugung den schwer erkämpften Entschluss des furchtbaren Mordes erzeugen. Statt dessen weiss Brutus selbst nicht einmal recht, warum er den Mord begehen will und hilft sich mit Sophistik. Da er sich gesteht, dass Cäsar eigentlich keine Schuld begangen, beschliesst er auf die blosse Möglichkeit hin, dass Cäsar in Zukunft einmal eine Schuld begehen könnte, den Tod des geliebtesten Freundes und edelsten Mannes. Wie können wir an diese Freundesliebe noch glauben, wie können wir diese voreilige mordgierige Justiz, die nicht nach wirklichen, sondern nach möglichen Gründen richtet, als das Motiv eines tragischen Charakters gelten lassen:

Das

Es muss durch seinen Tod geschehn. Ich habe
Für mein Theil keinen Grund ihn wegzustossen,
Als für's gemeine Wohl. Er wünscht gekrönt zu sein:
Wie seinen Sinn das ändern möchte, fragt sich.
Der warme Tag ist's, der die Natter zeugt;
Das heischt mit Vorsicht gehn. Ihn krönen?
Und dann ist's wahr, wir leihn ihm einem Stachel,
Womit er kann nach Willkür Schaden thun.
Der Grösse Missbrauch ist, wenn von der Macht
Sie das Gewissen trennt; und um von Cäsarn
Die Wahrheit zu gestehn, ich sah noch nie
Dass ihn die Leidenschaften mehr beherrscht
Als die Vernunft. Doch oft bestätigt sichs,
Die Demuth ist der jungen Ehrsucht Leiter;
Wer sie hinanklimmt, kehrt den Blick ihr zu.
Doch hat er erst die höchste Spross' erreicht,
Dann kehret er der Leiter seinen Rücken,
Schaut himmelan, verschmäht die niedern Tritte,
Die ihn hinaufgebracht. Das kann auch Cäsar
Drum, eh er kann, beugt vor. Und weil der Streit
Nicht Schein gewinnt durch das, was Cäsar ist,
Legt so ihn aus: das was er ist, vergrössert
Kann dies und jenes Uebermass erreichen.
Drum achtet ihn gleich einem Schlangenei,
Das ausgebrütet, giftig würde werden,

Wie sein Geschlecht, und würgt ihn in der Schale.

So kann nur ein völlig haltloser Charakter sprechen, der aus einer hypothetischen Sophistik, nicht aus dem tiefsten Grunde seiner Ueberzeugung handelt. Und wenn solche Denk

weise noch den erschütternden Gegensatz zu seiner Freundesliebe bilden soll, so können wir an die Wahrheit dieser nimmermehr glauben. Die einzige Möglichkeit, aus Brutus einen tragischen Charakter zu machen, ist von Shakespeare darin versäumt worden, dass er uns nicht gezeigt, wie der Entschluss des Mordes der Sieg einer in Brutus tiefstem Innern wurzelnden, mit seinem Wesen verwachsenen republikanischen Gesinnung ist, die in ihrer freien Selbstbestimmung und ihren Grundsätzen thatsächlich durch Cäsar's Gesinnungen und Handlungen vor unseren Augen verletzt, durch die Liebe zu Cäsar in furchtbar schwankendem Gleichgewicht gehalten, endlich als das Gewaltigere und damit tragisch Entscheidende hervorbricht und damit auch sogleich die That vollführt. Aber weder Brutus republikanische Gesinnung wird vor uns entwickelt, noch deren Störung durch Cäsar's monarchische in vorgeführten Thatsachen dargestellt, und so der Conflict von vornherein abgeschnitten. Wenn Brutus freilich vor den Verschworenen Cäsar's Schalten als frechgesinnte Tyrannei bezeichnet, so ist dies ebensowenig seiner und seiner Freundschaft würdig, als es mit dem oben angeführten Monolog übereinstimmt; am wenigsten aber darf man darin einen Beweis von Brutus echt republikanischer Gesinnung erblicken, denn diese hätte doch zu viel Achtung vor Cäsar's Geist, um seine Tyrannei als frechgesinnte zu bezeichnen.

Noch schlimmer aber als mit Brutus Republikanismus steht es mit dem des hocharistokratischen Cassius, denn dieser begründet seine Gesinnung meist nur dadurch, dass er mit noch weniger Achtung vor Cäsar's Geist und mit noch mehr Hass gegen Cäsar's Machtstellung spricht als Brutus. Aus Grundsätzen handelt er nicht, Beweise und Thatsachen für Cäsar's Verletzung der Republik, für seine Tyrannei giebt er nicht an; er handelt aus Nichtachtung und Hass. Seine wie der übrigen Verschworenen Motive sind, wie auch Antonius am Schlusse des Stückes sagt, persönliche, sie handeln aus Missgunst gegen Cäsar. Warum sie aber Cäsar hassen, was er ihnen zu Leide gethan hat, welches ihre Motive sind, das erfahren wir nirgends. Im Drama aber wollen wir das wissen. Dafür erhalten wir von Cassius, Casca u. A. hasserfüllte Schilderungen. Cassius sieht in Cäsar den schwächlichen Mann, der der stolzen Welt

den Vorsprung abgewann und nahm die Palm' allein, der die enge Welt beschreitet wie ein Colossus, unter dessen Riesenbeinen die kleinen Leute wandeln und schauen umher nach einem schnöden Grab, er erkennt in ihm den Wolf, der in den Römern Schafe, den Leuen, der in ihnen Rehe sieht. Rom ist daher für Cassius ein Plunder, das zum schlechten Stoffe dient, der einem schnöden Ding wie Cäsar'n Licht verleiht. Hierzu nehme man noch des Casca Erzählung vom Ausschlagen der Krone, des Decius Aeusserung über Cäsar's Empfänglichkeit für Schmeichelei, so erscheint die Achtung seiner Gegner vor diesem grossen Manne nur sehr gering und andrerseits erscheinen solche Gegner seiner kaum würdig, die nicht einmal eine feste Parteigesinnung kundthun, noch auch durch Anführung von Thatsachen, die scenisch dargestellt werden mussten, ihn der Tyrannei bezichtigen konnten. Darum weiss auch Brutus in seiner Rechenschaftsrede auf dem Forum vor dem versammelten Volke kein triftiges Motiv der That anzugeben; er sagt nur: Cäsar war herrschsüchtig. Davon aber haben wir vorher im Stücke nichts gesehn, Brutus bleibt daher auch den Beweis und die Thatsachen schuldig und Antonius hat Recht, wenn er ihn und die anderen Verschworenen Schlächter nennt, denn tragische Helden sind sie nicht. Wie unendlich tief motivirt erscheinen dagegen die Thaten des tragischen Mörders Macbeth, der auch einen König tödtet, aber einen König, von dem man vorher gesehen, wie gut er ist, wie milde, wie er seinen Liebling hoch emporhebt, wie er ihn belohnt, wie er ihn zum Than von Cawdor macht, wie er in seinem Hause einkehrt als Gast, wie dies Alles den furchtbarsten Zwiespalt in Macbeth's Seele hervorruft, der einzig mit dem Ehrgeiz, der stärker ist als Alles, die Seiten seines Wollens anzuspornen weiss. Wenn man damit den Vorgang in der Seele des Brutus und dessen schwache Motivirung, die sich ausserdem auf gar keine scenisch dargestellte Beziehung zu Cäsar stützt, vergleicht, so begreift man kaum, wie diese beiden tragischen Charaktere, der eine aus dem Tiefsten wirkend, der andre aus gänzlich ungenügenden Motiven, aus Unklarheit handelnd, von einem und demselben Dichter sind.

Da also in unserem Stücke weder Cäsar wirkt noch die

Verschworenen recht wissen, was und warum sie es thun, so tappt die Handlung bis zum Tode Cäsar's eigentlich im Dunkeln, sie erscheint, um mit Brutus' Worten zu reden, mehr als ein Phantom, ein schreckenvoller Traum, der sich mit Cäsar's Tode erfüllt. Die Verschworenen standen eben nicht gegen Cäsar, sondern wie es Brutus ausdrückt, gegen Cäsar's Geist. Was aber Cäsar's Geist ist, davon haben wir im Stücke nichts gesehen, wir haben ihn nie von Angesicht zu Angesicht gesehen, und von vorn herein ist er dem geistigen Auge fast ebensosehr ein unerreichbares Gespenst, als da er im Zelte des Brutus diesem mit leiblichen Augen sichtbar wird. Daher auch an eine Symbolik dieser Geistererscheinung, wie an eine solche im Macbeth oder Hamlet, nicht recht zu glauben ist.

Mit dem Tode Cäsar's hört die eigentliche dramatische Handlung einer Tragödie Julius Cäsar auf. Dass die Verschworenen nunmehr schrecklich aus ihrem Traume erwachen, ist nur die Consequenz dieses Traums, keine dramatische Fortbewegung der Handlung, es ist epischer Zusatz, durch den man erfährt, wie es diesen Leuten nun geht. Der Conflict ist im dritten Acte gelöst, die beiden letzten Acte sind nur Ausmalung der als Folgen sich ergebenden Vorgänge, obgleich allerdings nicht zu leugnen ist, dass in Shakespeare's Drama unser Interesse für Cäsar erst im dritten Acte mit dessen Tode recht beginnt, was aber als Fehler zu bezeichnen ist. Man könnte nun der Meinung sein, dass in Folge dessen der Conflict doch noch nicht gelöst sei, indem die eine Seite des tragischen Gegensatzes, die monarchische, nur ihre Vertreter wechselt, indem für den nunmehr uns sympathisch werdenden Cäsar dessen Nachfolger und Erben Antonius, Oktavianus und Lepidus eintreten. Aber dadurch wird die Einheit des dramatischen Interesses gestört, welche nicht duldet, dass die Vertretung der Gegensätze von einer Person auf die andere übergeht, indem diese Gegensätze überhaupt nur interessiren, wenn sie mit den Personen verkörpert und gleichsam identisch mit ihnen siegen oder untergehen. Somit gehört die Erscheinung des Antonius, obgleich sie wohl die interessanteste im Stück ist, über den dritten Act hinaus nicht mehr in den Rahmen des Stückes. Im dritten Act aber, in der Leichenrede des Antonius, gipfelt

offenbar das dramatische Interesse, das Aeusserste in der Handlung, das Vorzüglichste im ganzen Stück ist erreicht, wir haben die Gewissheit und ethische Ueberzeugung, dass die Nemesis über die Mörder hereinbrechen muss, Alles ist gelöst, was in der Exposition und Schürzung des Knotens angeknüpft wurde, zu einem Mehr ist unser Interesse von vornherein nicht angespannt worden. Mit dem Wegfall der beiden letzten Acte fiele auch jenes unerfreuliche Zerwürfniss im vierten Acte weg, das, mag man es nun als Wirkung der schon nahenden Nemesis oder als einfache Thatsache auffassen, den Charakteren des Brutus und Cassius grossen Schaden thut, zumal da Brutus bekennt, der Schmerz über Porcia's Tod habe sein Gemüth so sehr ergriffen. Die Stimmung des Schmerzes um eine geliebte Person aber ist schwerlich die, in der man geneigt ist, sich mit Idem besten Freunde zu entzweien.

Nach der angestellten ästhetischen Kritik müssen wir gestehen, dass Shakespeare, der sonst immer seinem Stoff soweit überlegen ist, im Julius Cäsar, und wir können wohl sagen, in diesem Stücke von allen allein, unter seiner Aufgabe zurückgeblieben ist. Fast nirgends, wenigstens nicht in den grösseren Stücken, begegnen wir so wesentlichen Mängeln in den Grundbedingungen des Dramas, dass er den Hauptcharakter fast gar nicht agiren, dass er die Handlung aus ungenügenden Motiven hervorgehen und ohne Gegensätze sich bewegen lässt. Die ihm sonst in so hohem Grade eigene consequente, scharfe, kräftige und geschlossene Charakteristik vermissen wir ebenfalls in diesem Stücke, besonders im Brutus. Dass nun allerdings vieles Einzelne, der Charakter des Antonius, wie überhaupt die poetische Färbung und Lebhaftigkeit des Ganzen den Genius des Dichters verräth, ist trotzdem nicht zu leugnen. Wunderbar aber bleibt es doch, dass Shakespeare, der das allgemein und rein Menschliche so meisterhaft darstellt, es hier in der antiken Form nicht recht erfasst zu haben scheint. Sollte dies vielleicht daher kommen, dass er dieser antiken Form doch zu fern stand? Dafür spricht die Thatsache, dass Antonius und Cleopatra sowie Coriolan, das eine Drama grössere Vorzüge enthaltend, das andere offenbar vollkommener als Julius Cäsar, nicht so specifisch antik in Form und Geist wie dieser sind. So bauete

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