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der Vermittelung, an mannigfachen Widersprüchen und Inconsequenzen nicht fehlt.

Verschieden, wie die Tendenz der drei Stücke, ist auch ihr Abschluss, die poetische Gerechtigkeit in denselben. Sganarelle und Arnolphe, deren Lebensrichtungen einseitig und irrig waren, sehen sich da getäuscht und betrogen, wo sie Liebe und Theilnahme gehofft, die überlegene Klugheit des Ariste und der einfache, natürliche Sinn der Isabella, gelangen zum Ziel ihrer Wünsche. Im Misanthrope büssen Alle schwerer oder gelinder die Fehler und Irrthümer ihrer Lebensrichtung. Am schwersten die Vertreter der höfischen Anschauungen, deren Handlungsweise nicht allein intellectuell verkehrt, sondern auch moralisch verderbt ist. Celimène, einst von Allen angebetet, sieht sich allein, von Allen verlassen, Arsinoe hat keinen anderen Triumph, als ihre Feindin gedemüthigt zu sehen, den Alceste gewinnt sie nicht. Die Marquis müssen unter Spott und Schande da weichen, wo sie zu triumphiren geglaubt. Alceste muss zwar auf die Geliebte verzichten, die ohne ihn in der geräuschvollen Hauptstadt, nicht mit ihm in der Einsamkeit leben will, doch er thut es freiwillig. Freiwillig verlässt er auch eine Welt, deren leichter Sinn seinen schroffen Grundsätzen zuwider, und die Schlussworte des Stückes:

Philinte (zu Eliante)

Allons, madame, employons toute chose

pour rompre le dessein que son coeur se propose

lassen uns die Hoffnung, dass Philinte im Bunde mit Eliante den grollenden Alceste der Welt wiedergewinnen, dass dieser nicht immer in der Einsamkeit bleiben wird.

Philinte und Alceste, die bei abweichenden Anschauungen stets Verständniss und echt menschliche Theilnahme für Alceste gezeigt, bleiben ungestraft.

So ist also der Grundgedanke psychologisch eben so tief, wie von universeller Wahrheit, Schuld und Sühne stehen in einem Ebenmaasse, wie selten in den Werken der dramatischen Kunst. Die persönlichen Beziehungen, die geheimen Andeutungen des eigenen Inneren, finden einen Ausdruck der grossartigsten Objectivität.

Archiv f. n. Sprachen. LVIII.

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Weder Alceste oder Philinte sind ganz Molière, noch entspricht das Verhältniss zu Celimène ganz dem des Molière und der A. Béjart. Wenn es scheint, dass Celimène mehr Neigung für Alceste als für seine höfischen Nebenbuhler habe, so mochte sich Molière's Eitelkeit dies auch von Armande Béjart einreden, aber jene crasse Rücksichtslosigkeit des Alceste, der die Geliebte zwingen will, sich in Gegenwart aller Anbeter für ihn zu erklären und allen Neigungen und Zerstreuungen in stiller Einsamkeit zu entsagen, liegt Molière's Charakter, wie gesellschaftlicher Stellung fern.

Ich darf wohl die Behauptungen einzelner Kritiker, welche jedes triftigen Beweises entbehren, übergehen. Da soll Alceste das Porträt des duc de Montausier sein, eines Zeitgenossen Molière's, und dieser vornehme Herr soll sich selbst darin erkannt haben. Aber wer von uns Allen fände nicht in einer Molière'schen Komödie dergleichen Aehnlichkeiten, welche Figur der Dichtungen Molière's könnte nicht das Porträt eines wirklich lebenden Menschen sein*). Ebenso will man in der Celimène, jenem so mustergültigen Bilde der Coquetterie, in das einzelne Züge, wie sie uns der Verfasser der Fameuse comèdienne und andere Zeitgenossen von A. Béjart überliefern, hineingezeichnet sind, die Madame de Longueville wiedererkennen, lediglich, weil diese Dame einen ähnlichen Zank mit der Montbazon gehabt, wie Celimène mit Arsinoe. Unsere deutsche Kritik hat es glücklicherweise verlernt, in den Meisterwerken Molière's ein Repertoir des Hofklatsches und der Scandalchronik zu sehen **).

Die sociale Tendenz des Misanthrope ist grundverschieden von der Form und äusseren Einrichtung. Denn in dieser Hinsicht schliesst sich der Misanthrope mehr als die anderen Komödien Molière's an den französischen Classicismus an. Das Stück spielt in der Hofsphäre, nicht wie andere Komödien Molière's, in den bürgerlichen Kreisen oder in den niederen Schichten der Gesellschaft. Alles hat ein höfisches Colorit, das

*) s. Fritzsche a. a. O. XXX.

**) Vergl. die Bemerkungen von A. Laun, Einl. zum Misanthrop und Fritzsche a. a. O. XXIX-XXXV.

nur durch Alceste's Rigorismus durchbrochen wird. Hier finden sich keine vulgären Ausdrücke, die das Ohr des Hofmannes verletzen könnten, keine possenhaften und grobkomischen Scenen, keine Derbheit, keine unverschleierte Nacktheit. Darum gilt den Vertretern des französischen Classicismus der Misanthrope als das Meisterwerk Molière'scher Dichtung gegenüber den mehr volksthümlichen Stücken. Boileau weist auf den Abstand des Misanthrope und den Fourberies de Scapin hin, und Voltaire bemerkt, der Misanthrope sei für Männer von Geist, nicht für die Menge geschrieben. Aber die Tendenz des Misanthrope hat Boileau wohl niemals durchschaut, denn sie ist dem Classicismus des 16. Jahrhunderts durchaus entgegen. Sie richtet sich eben gegen den Hof, den Boileau und Racine in ihren Dichtungen gefeiert und verherrlicht. Der Misanthrope soll uns nicht nur einen Menschenfeind schildern, wie uns der Avare ein Bild des Geizes vorführt, er hat Beziehungen zu den Zeitverhältnissen, eine bestimmte, sociale Tendenz. Darum ist Molière keinem seiner Vorgänger gefolgt, weder den Timon des Lucian, noch den angeblich Shakespeare'schen Timon hat er benutzt, denn Beide haben nur allgemeine moralische Tendenzen. Darum ist auch der Misanthrope Molière's so grundverschieden von dem Timon des Griechen und des Briten. Wie der Misanthrope in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse Molière's sich an die École des Maris und École des Femmes an. schliessen, so reiht er sich in seiner Tendenz an Don Juan und deutet auf Amphitryon und Tartuffe hin. Die beiden ersten sind eine bittere Anklage gegen das sittliche Leben der höfischen Kreise, Tartuffe geisselt die scheinheilige Frömmigkeit derselben. Im Amphitryon streift Molière's Opposition bis unmittelbar an den Thron*).

Misanthrope, Don Juan, Tartuffe zeigen, wie wenig Molière ein höfischer Dichter im Sinne des Racine und Boileau war, wie wenig er im Glanze des Hoflebens seine höchste Befriedigung findet. Nur die unbedingte Hingebung an die Person Ludwig XIV., dessen Gunst ihn gegen den Spott und Hoch

*) S. P. Lindau a. a. O. und meinen Aufsatz: Molière und die römische Komödie (Herrig's Archiv 56, 3. S. 249 u. 250).

muth eben jener höfischen Kreise schützte, theilt er mit jenen Dichtern. Man wird deshalb nicht, wie ein Jacobiner der französischen Revolutionszeit gethan, in Molière einen Vorläufer dieser Revolution sehen wollen, denn seine Abneigung gegen das Treiben des Hofes ging nicht bis zum Hasse des Fanatismus, bis zur Wuth der Zerstörung.

Halle a. S.

Dr. R. Mahrenholz.

Ueber Corneille's Anschauung

vom Wesen der Tragödie.

Wenn wir bei der Mehrzahl der grossen Bühnendichter alter und neuer Zeit über die Anschauungen, die dieselben von dem Drama hatten, nur durch eingehende Prüfung ihrer einzelnen Schöpfungen uns ein annähernd klares Bild machen können, wie z. B. Aristoteles aus den Werken des Aeschylus, Sophokles und Euripides die Regeln seiner Poetik abstrahirt hat, so sind wir bei Corneille in der glücklichen Lage, einen von ihm selber aufgezeichneten „discours sur la tragédie", sowie eine Menge von Vorreden und Untersuchungen zu seinen einzelnen Stücken zu besitzen, in denen er seine Anschauungen über die Tragödie zu fixiren gesucht hat: ein Umstand, der für unseren Zweck um so wichtiger ist, als es ausserordentlich schwer sein dürfte, aus seinen in Bezug auf diesen Punkt eine grosse Mannigfaltigkeit bietenden Tragödien allein über seine Anschauung ins Klare zu kommen. Wir werden, um diese festzustellen, uns um so mehr an jenen discours halten müssen, als er von Corneille erst in seinem späten Alter, nachdem er seine Tragödien bereits geschrieben hatte, niedergesetzt ist, und also die letzte und endgültige Meinung des Dichters repräsentirt. Die Vorreden und ,examens" zu den einzelnen Stücken aber können schon deshalb nicht unberücksichtigt bleiben, weil sie uns häufig den Weg zeigen, auf dem Corneille zu seinen Anschauungen gekommen ist, sowie die Einflüsse, die ihn bestimmt haben, über diesen Gegenstand so und nicht anders zu denken. Dabei werden wir in jedem einzelnen Fall zu untersuchen haben, ob diese Ansichten die richtigen sind, sowie eine kurze Betrachtung der geschichtlichen Data seiner Tragödien und der zu jener Zeit auf diesem Gebiete maassgebenden und einflussreichen Factoren

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