Page images
PDF
EPUB

Die vom Verf. als nicht richtig bezeichnete Betonung von „blútarm = sehr arm" ist im westlichen Norddeutschland die einzig übliche, trotz der Zweideutigkeit; ebenso (S. 12) sagt man dort nur: „Kruptüch, nie Kroptüch.“

Ueber germanische Wörter im Französischen. Von Dr. K. Hottenrott. Programm der Realschule I. O. zu Cöln 1876. 15 S. 4.

Die Arbeit will nicht das Thema erschöpfend behandeln, auch nicht Neues bieten, sondern nur für Gebildete überhaupt einen Auszug aus den Forschungen eines Diez, Littré u. A. geben. Es sind etwa 300 Wörter zusammengestellt. Voraus geht eine kurze Uebersicht über die Entwicklungsgeschichte der französischen Sprache. Der Einfluss des Germanischen in der Zeit der Völkerwanderung wird vom Verf. weniger bedeutend angenommen, als man gewöhnlich glaube; auf den Organismus der französischen Sprache sei das Germanische ohne Einfluss gewesen, es habe nur den lateinischen Wortschatz um einige hundert Wörter bereichert. Zeigt sich aber dieser Einfluss nicht in der Flexion der Nomina und Verba? Wenn man die Tabellen der germanischen Wörter im Französischen übersieht, muss man da nicht von Unwillen ergriffen werden, dass die Halbbildung unserer Commis voyageurs und anderer auf gleicher Stufe stehenden Gesellschaftsclassen so mächtig bei uns gewesen, dass die französische Form unserer heimathlichen Wörter auch bei uns die übliche geworden ist?

Einige sprachliche Eigenthümlichkeiten aus dem Wupperthale. Vom ordentl. Lehrer Dr. Bauernfeind. Programm der Realschule II. O. zu Barmen-Wupperfeld 1876.

Der Verf. versteht unter Wupperthal das, was auch wir im gewöhnlichen Leben darunter verstehen, nämlich den Theil des von der Wupper durchströmten Thales, welcher seiner Beschaffenheit nach zu einer dichteren Bevölkerung geeignet war, die heutigen grossen Städte Elberfeld und Barmen. Durch das Wupperthal ging die Scheide zwischen den Sachsen und Franken, zwischen der hochdeutschen und niederdeutschen Sprache, und da die industrielle Gegend von nah und fern einen starken Zuzug erfahren hat, so ist um so mehr hier die Sprache eine bunte Mischsprache geworden und weiset mancherlei Eigenthümlichkeiten auf. Unterschiede zeigen sich schon zwischen den östlichen und westlichen Stadttheilen Barmens. Ohne bestimmte Ordnung führt der Verf. eine Menge von Besonderheiten in lexicalischer und grammatischer Beziehung an, die ihm als solche erschienen sind; indessen vielleicht die Mehrheit davon kommt nicht bloss in dem Wupperthale vor, viele Erklärungen würde er sich haben sparen können, wenn er niederdeutsche Idiotika zu Rathe gezogen hätte; es hätte besonders LübbenSchiller's Wörterbuch nicht übersehen sein sollen. Dem Verf. klingt Vieles auffallend, was dem geborenen Niederdeutschen durchaus nicht auffällt, was uns in unserem Sprachgebiet überall begegnet; es scheint die niederdeutsche Sprache nicht seine Muttersprache zu sein. Das ist unter Anderem zu schliessen daraus, dass ihm das Wort staats oder staatsch so merkwürdig vorgekommen ist (S. 8). Der Niederdeutsche wird daber gar oft bei der Musterung dieser Wupperthaler Spracheigenthümlichkeiten sagen müssen : „Gar nicht eigenthümlich." Zum Schluss theilt der Verf. ein Lied

mit, das Bauernkinder, wie er sagt, Besen verkaufend anfangs November auf den Strassen singen, er nennt es das Lied vom „Mäten"; es beginnt: „Mäten is en goden mann, de us brav wat geben kann". Dies „Mäten“ ist nicht erklärt. Das Lied ist aber das bekannte verbreitete Martini-Lied: „Sünte Marten god mann, de us wat vertellen kann, de appel und de biren u. s. w." Der Schlusssatz des Liedes, wenn die Kinder leer ausgehen, ist im Wupperthale sehr abgeschwächt; die Kinder der rothen Erde haben eine viel drastischere Schlussstrophe. Leider kennt die Jugend der Gegenwart dies alte kräftige, theilweise sehr unsinnige Martinilied nur noch wenig; die moderne Schulmeisterweisheit hat ihr dafür ein recht frommes und mattes Lied eingeimpft. Wisst ihr, was ein Philister heisst?

[ocr errors]

Es

Die majuskeltheorie der grammatiker des neuhochdeutschen von Johann Kolross bis auf Karl Ferdinand Becker. Von Dir. Dr. Hagemann. Programm des Gymn. zu Graudenz 1876. Der Verf. ist schon als rustiger Mitkämpfer auf dem Gebiete der Reform unserer Orthographie den Lesern des Archivs bekannt geworden. Er hat wiederum seinen Fleiss daran gesetzt, einen speciellen Gegenstand zu durchforschen. Eine Majuskeltheorie hat es lange nicht gegeben; nach ihrer Willkür haben nicht die Gelehrten, sondern die Setzer lange sie angewandt; was so Usus der Officinen geworden, ward Usus des Publikums, und den jetzt so allgemein gewordenen Gebrauch in ein gewisses System zu bringen, ist allein die Aufgabe und Arbeit der Grammatiker gewesen. hat das Verfahren Verwandtschaft mit der Begründung der mittelalterlichen Dogmen durch die Scholastik. Aus den Schriftdenkmälern lässt sich eine Entwicklung der Majuskeltheorie nicht construiren, denn jene hängen eben von der Laune der Setzer ab, es ist nichts seltenes, dass in den Schriften der Grammatiker gegen deren Sätze von den Setzern wenige Seiten später direct gefehlt wird. Der Verf. hält sich also allein an die Theorien der Grammatiker, aus ihnen bringt er die vollgültigsten Beweise vor für die Entstehung der Majuskeltheorie und die vielen Unsicherheiten, an denen sie leidet. Zuerst findet sich eine solche Theorie bei Johann Kolross 1529; ausser den Eigennamen wird da der Name Gott in allen Buchstaben mit Versalbuchstaben zu schreiben befohlen. Aber die Praxis überschreitet schnell diese engen Grenzen. Da befiehlt Joh. Rud. Sattler 1607 auf Kolross Regeln zurückzugehen, 1641 setzt aber Christian Gulietz hinzu, auch diejenigen Appellative, welche einen Nachdruck haben (Namen der Künste, Tugenden, Laster, Festtage, Thiere), und die von solchen Subst. abgelei teten Adjective mit grossen Anfangsbuchstaben zu schreiben. Samuel Butschry giebt den Namen der Bücher und Tage die Majuskel. J. Georg Schottel ist nicht, wie vielfach gemeint ist, der erste, der eine Theorie aufgestellt hat. Joh. Girbert 1651 hat zuerst allen Substantiven unterschiedslos die Majuskel vindicirt. Aber Johann Bellin 1657 will nicht, dass man jegliches Substantiv gross schreibe; indess Joh. Bödiker 1690 konnte den Setzern nicht mehr widerstehen und geht auf Girbert's Standpunkt zurück. Weniger freigebig ist Casper Stieler 1691. Hieronymus Freyer 1722 räth in seiner weitverbreiteten Grammatik: obgleich Viele die Appellative mit einem kleinen Buchstaben schreiben, obgleich es nicht unrecht sei, doch bei dem Usus zu bleiben, aber demselben auch darin zu folgen, dass man durch eine Präposition zu Adverbien gewordenen Substantiven (anstatt, zu gaste gehen, zu fusse gehen, ins werk richten u. ä.) den kleinen Anfangsbuchstaben lasse. Gottsched in seiner deutschen Sprachkunst will alle Substantive mit grossen Anfangsbuchstaben geschrieben wissen. Nach Klop.

stock's Neuerungen trat eine grosse Unsicherheit ein. Dieser wollte Adelung steuern. Hervorzuheben ist, dass er allen Substantiven und als Substantiv gebrauchten Wörtern den grossen Anfangsbuchstaben giebt; auch wenn Substantive als Umstandswörter stehen, erhalten sie die Majuskel, wenn die substantivische Gestalt nicht ganz verloren geht (an Kindes Statt, Statt haben, Platz greifen); ebenso auch „Anfangs, es ist Rechtens, Falls, Abends u. s. w." Im 19. Jahrh. sind zu nennen Heinsius und A. Heyse. Heinsius setzt u. A. fest die Majuskel in allen von Eigennamen abgeleiteten Eigenschafts- und Umstandswörtern. Aus A. Heyse ist zu bemerken, dass das Adjectiv nach einer Präposition als Adverbium anzusehen und nicht gross zu schreiben sei, z. B. aufs neue, in kurzem, mit den usuellen Ausnahmen im Ganzen, im Allgemeinen, im Einzelnen, im Besonderen“; dagegen das Wort „sich" in Briefen bei der Beziehung auf „Sie“ sei gross zu schreiben; Hauptwörter als Verhältniss- oder Nebenwörter gebraucht verlieren die Majuskel, so ,,theils, flugs, anfangs, laut, zum besten haben, preis geben, zuwege bringen" mit Ausnahme der zeitbestimmenden Genitive: Morgens, Nachts u. s. w., ferner: im Stande sein, Trotz bieten, Statt finden, Willens sein u. ä. K. F. Becker bietet nichts Neues.

Zur Geschichte der Kritik und Erklärung des Hildebrandsliedes. Von Dr. Schulze. Programm des Gymn. zu Naumburg 1876. 33 S. 4.

Die vorliegende Abhandlung ist alles Dankes werth; sie soll einen Ueberblick über die gesammte Literatur des Hildebrandsliedes geben, denjenigen Lehrern und Freunden des Liedes, die nicht über die vielfachen Bearbeitungen und einzelnen erklärenden Beiträge gebieten können, zu Hülfe kommen. Es bietet die Abhandlung denn auch in der That wohl Alles, was in Kritik und Erklärung des Liedes erschienen ist, übersichtlich geordnet; in dem angehängten literarischen Nachweis findet Ref. nur eine Schrift nicht citirt: W. Mohr: Das Lied von Hiltibraht und Hadubrand mit einigen seiner schwierigsten Stellen erläutert. Marburg 1636. Die Lesebücher, welche das Gedicht enthalten, hat der Verf. nicht alle citiren wollen, so ist z. B. das Lesebuch von Kehrein, welches bekanntlich auch ausführlichere Erklärungen giebt, nicht benutzt. Vielen wird es gewiss erwünscht sein, den jetzt seltenen berühmten Druck Lachmann's von 1833 ganz mit Lachmann's Uebersetzung aufgenommen zu finden; manchem der alten Schüler Lachmann's mag dabei wohl der Gedanke gekommen sein, ob nicht immer noch der Druck der Vorlesung Lachmann's Anklang finden würde.

Die Nibelungen in der deutschen Poesie. Von C. Rehorn. Programm der Musterschule zu Frankfurt a. M. 1876.

Es ist doch immer ein erfreuliches Zeichen, dass unsere deutsche Vorzeit mit der Zeit dem deutschen Volke immer bekannter, dass namentlich das Nibelungenlied und die Nibelungensage allmälig so in die Masse einzudringen scheinen, wie einst die Homerischen Lieder den Hellenen vertraut waren. Wie sich diese Kenntniss immer mehr verbreitet hat, das zeigt uns die vorliegende fleissige ausführliche Abhandlung.

Mit dem Interregnum fing das deutsche Volk an seine früheren Dichtungen zu vergessen. Es ist eine vereinzelte Erscheinung, dass Martin Opitz

das Annolied herausgab und erläuterte.

Im Norden wurde mehr als in Deutschland ein wissenschaftliches Interesse an den Denkmälern der Vorzeit rege; aber hüben und drüben hat die eigentliche Poesie noch nicht die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Gottsched's Bemühungen hatten noch wenig Erfolg. Auch Bodmer's Ausgabe von 1757 regte wenig an. Aber erfolgreich war die Ausgabe des Nibelungenliedes durch Chr. H. Müller 1782, zu so grossen Verwirrungen auch der in dieser Ausgabe hervortretende Mangel an Kritik geführt hat.

Klopstock hat für das Mittelhochdeutsche ein Interesse gehabt; schon der Reim der mhd. Gedichte war ihm unangenehm. Lessing war mit Bodmer's Ausgabe bekannt, er geht aber kühl über das Nibelungenlied hinweg, wohl aus Antipathie gegen den Herausgeber Bodmer. Als durch Herder's Einfluss die literarische Revolution anbrach, das subjective Gefühl sich geltend machte, in der musikalischen Wirkung das Wesen der Poesie gesucht wurde, das Volkslied als das Ideal galt, da hatte man keine Zeit, an einer einzelnen poetischen Erscheinung lange zu verweilen; Herder berührt nirgends die Nibelungen, dann wurde Ossian bekannt, er über alles vergöttert, da konnte die Epik der Nibelungen keinen Boden finden. Nach dem Untergange der politischen Nationaleinheit, nach dem verloren gegangenen Bewusstsein der sittlichen Zusammengehörigkeit verflüchtigte sich die Begeisterung über Friedrich's des Grossen Thaten in einen gegenstandslosen Kosmopolitismus. Dazu kam die mangelhafte geschichtliche Bildung; diesem Mangel und seiner ganz anders angelegten Natur ist es zuzuschreiben, dass Schiller dem deutschen Mittelalter fern geblieben ist. In Göthe's langem Leben zeigt sich erklärlich ein verschiedener Standpunkt zum deutschen Alterthum; absprechend urtheilt er 1773 über die alte vaterländische Dichtkunst, 1827 beurtheilt er Simrock's Uebersetzung des Nibelungenliedes höchst anerkennend, 1807 hatte er zum ersten Mal das Nibelungenlied gelesen. Der Historiker Johannes Müller sprach sich schon 1783 günstig über das Gedicht aus, der Grammatiker Adelung aber hielt es 1784 nicht der geringsten Beachtung werth. Die Romantiker sind es gewesen, welche die Nibelungen in die deutsche Poesie eingeführt und auch die philologisch-kritische Nibelungenfrage wesentlich gefördert haben. Friedrich und Aug. W. von Schlegel heben begeistert den poetischen Gehalt und die historische Bedeutung des Gedichtes hervor, Tieck war es ein vollendetes Gedicht, er dachte an eine vollständige Bearbeitung; aber sie hatten alle noch geringe Erfolge, weil die grammatischen Vorarbeiten noch ganz fehlten. Es ist bekannt, dass das nationale Unglück von 1806 die Blicke auf die Denkmäler der Vorzeit lenkte, um durch eine männliche Poesie den gesunkenen Volksgeist zu heben. Es erschien 1806 des Knaben Wunderhorn, 1807 aus Beiträgen von Arnim, Brentano, Görns, Tieck, Uhland, J. Grimm die Einsiedlerzeitung, v. d. Hagen's Sammlung deutscher Volkslieder, 1808 die deutschen Gedichte des Mittelalters, 1807 v. d. Hagen's halb umgedichtetes Nibelungenlied. Bald erhob sich die Wissenschaft der deutschen Philologie zu ihrer Höhe, die nachromantische Dichtkunst schöpfte immer neue Nahrung aus den Quellen des Mittelalters. In Schenkendorf's Liedern klingt die Erinnerung an das Nibelungenlied wieder; Uhland's Natur ist vor Allem der mittelalterlichen Volksdichtung verwandt, auch als gelehrter Forscher ragt er vor Vielen hervor, unter seinen Vorlesungen steht zu oberst die Erklärung des Nibelungenliedes. Auch Platen ist ein Herold der grossen Vergangenheit, in seinem Aufsatz über das Theater als ein Nationalinstitut dringt er darauf, die Jugend so früh als möglich mit den Nibelungen bekannt zu machen. Auch seinem Gegner Heinrich Heine ist das Nibelungenlied eines der gewaltigsten Gedichte, welches kein Franzose begreifen könne.

Inzwischen hatten aber Andere bei aller Hochachtung der Nibelungen die Form der poetischen Einkleidung für verbesserungsfähig gehalten; man hatte Umarbeitungen begonnen. Bodmer schon fing 1767 solche in schlechten

Hexametern und in Romanzenstrophen an; 1783 folgte eine Nachahmung von Hagewisch in Amphibrachen; 1805 ein Stück von Chr. Niemeyer in ungereimten Iamben, 1807 von Hinsberg in freien Stanzen; Friederike Naubert brachte 1792 das Märchen vom Horte der Nibelungen in Prosa. Erst als Lachmann das Wesen der alten Nibelungenstrophe dargelegt hatte, bemühte man sich um getreue Uebersetzung. Auch die dramatische Dichtung bemächtigte sich des Stoffes; voran gehen die Arbeiten Fouqué's 1803 und 1808. 1819 erschien die begeisterte Schrift v. d. Hagen's: die Nibelungen, ihre Bedeutung für die Gegenwart und für immer, voll wunderlicher Etymologien, mit dem Grundirrthum der Auffassung des Liedes als eines christlichen Heldengedichts, aber dennoch anregend; man fing an tiefer in den Mythus einzudringen. Es folgten die dramatischen Arbeiten von Fr. R. Hermann 1819, Joh. W. Müller 1822, C. F. Eichhorn 1824, Zarnack 1826, Raupach 1834, Reinold Reimar 1835, Fr. Hebbel 1862, W. Hosäus 1865, der Rüdiger von Bechlarn von W. Osterwald 1849, von Lothar Schenck 1866, von Felix Dahn 1875, die Brunhild von E. Geibel 1857 und von Robert Waldmüller 1863, endlich Richard Wagner's Bühnenfestspiel.

Der Verf. vorliegender Abhandlung erörtert hierauf das, was er als die Poesie der Nibelungen bezeichnet. In dem Gedichte spiegelt sich noch die ganze Geschichte des Mythus von seinem Ursprung im grauen Heidenthum, seiner Wanderung von der Nordsee bis an die Donau wieder. Selten ist etwas weiter ausgemalt, und doch kommen alle Regungen des menschlichen Herzens, feindliche und freundliche, vor; die Personen zeigen sich menschlich im Fühlen, Denken, Handeln, aber ibre Leidenschaften sind noch dämonischen Ursprungs. Neben der fortlaufenden geschlossenen Handlung ist der Phantasie eine schrankenlose Freiheit gestattet. Von Haus aus war mit diesem Stoffe die epische Form verbunden. Die Motivirung ist durch den gewaltigen Strom des Epos in den Hintergrund gedrängt. Indem man über die Motive zu reflectiren anfing, wurde man zu dem Versuche der dramatischen Bearbeitung gedrängt. Indess da treten Schwierigkeiten hervor: die Situationen des Epos lassen sich auf der Bühne nicht wiedergeben; für das Auge sind die Greuelscenen zu grässlich, die übermenschlichen Charaktere lassen sich nicht darstellen. Die Helden dieses Epos müssen unserem modernen Verständniss, und das Drama wendet sich doch an Menschen der Gegenwart, fremd bleiben, es müsste also die heidnische Grundanschauung umgewandelt werden, aber das hat auch seine Grenzen. Die Charaktere aber lassen sich unmöglich in die Sphäre des allgemein Menschlichen herabsetzen. Und die Hauptforderung der Tragödie, der sittliche Conflict, ist weder bei Siegfried noch bei Krimhild zu finden. Rüdiger ist eine echt tragische Gestalt, aber er ist eine passive Gestalt, er sucht den Tod; das Tragische, was in seinem Untergange liegt, ist ergreifend, aber es ist episch, nicht im Sinne der Tragödie.

Ein Denkmal der fortlebenden Sage ist Hans Sachsens Tragödie: Der hören Sewfriedt 1557, in roher Weise Siegfried's Leben vor seinem Abschied aus dem Elternhause bis zu seinem Tode behandelnd. Fouqué behandelte dramatisch Siegfried's Jugend 1808 in dem Sigurd, der Schlangentödter, Heldenspiel in sechs Abenteuern. Die Figuren sind kräftig gezeichnet. Seine Quelle ist die Edda. Die oben genannte Bearbeitung von F. R. Hermann verfahrt mit dem Stoffe willkürlich, zeichnet die Personen im Sinne des romantischen Ritterthums, psychologische Verknüpfung fehlt ganz. Müller's Chriemhildens Rache, Trauerspiel in drei Abtheilungen, mit Chören, ist mehr lyrischer als dramatischer Art, die Charakteristik der Personen ist eine ganz unsichere, die Sprache ist aber edel und würdig. C. F. Eichhorn's Chriemhildens Rache, welches auch heissen könnte, der rasende Hagen, besteht grösstentheils in Exclamationen, Geistererscheinungen, Mordscenen u. s. w. Raupach's Nibelungenhort ist in der Sprache klar, weicht zum Theil von der Sage ab, ist in der Charakteristik matt. Reinold Reimar's

« PreviousContinue »