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Seiten mit Spannung erwartet. Tobias Hübner legte seine erste Woche' zurück, um zu sehen, ob sie dem ihm noch unbekannten poetischen Kanon entspräche. Als Dietrich von dem Werder zwei Jahre später seinen Gottfried von Bouillon zum Drucke gab, rechtfertigte er in der Vorrede ausführlich seine Abweichungen von der neuen Regel. Paul Fleming, das bedeutendste Talent der Epoche, schlofs sich Opitz rückhaltlos an. Es würde uns wundernehmen, in Gryphius' lyrischen Dichtungen keine Spuren eines solchen Einflusses wahrzunehmen, da er von Jugend auf Zeuge des wachsenden Ruhmes des 'Boberschwanes' war, den Unterricht seiner Anhänger in Fraustadt und Danzig genofs, vielleicht ihm selbst an der Mündung der Weichsel persönlich nähertrat.

Dafs Härten der oben besprochenen Art sich bei ihm finden, lässt sich nicht leugnen. Das 'e' der Endsilbe 'er' wird elidiert, wenn ein Vokal voraufgeht; Beispiele wie 'saur', 'traur' weist jede Seite der Gryphiusschen Dichtungen auf. Verkürzungen der Kasusendungen liegen vor in 'kräftigs wort' (1. Buch, 20. Sonett, V. 3), Pharos prächtigs reich', 'durch sein befehl' (1. Buch, 9. Sonett, V. 11 und 4). Der Dativ Pluralis des Relativpronomens lautet 'den' statt 'denen'. Die Flexionssilbe 'et' wird abgeworfen bei Stämmen, die mit t auslauten; auch das Präformativ der Participia Präteriti fällt meistens fort. Seltener ist schon eine Verstümmelung wie 'trachst' für 'trachtest' (2. Buch, 21. Sonett, V. 8). Die häfsliche Elision eines vollen Vokals in 'allsichtbre lebenskertz' (1. Buch, 47. Sonett, V. 6) findet ihresgleichen nur in den Trauer- und Lustspielen an 'undanckbre schäfferin' (Der schwermende schäffer III, 265). Auch der unreine Reim je: Vieh' (1. Buch, 48. Sonett, V. 2 und 3) steht allein.

Im ganzen darf man sagen, dass Gryphius die Sprache nicht so vergewaltigte wie seine Vorgänger; Opitzens Reform steht er sympathisch gegenüber leider freilich auch in Bezug auf die von Ernst Schwabe von der Heide übernommene Vorschrift, den Hiatus durch Elision des auslautenden stummen e zu vermeiden. In anderer Beziehung entschädigt aber Gryphius' Folgsamkeit reichlich für diesen Mifsgriff. Fremdwörter sucht man bei ihm vergebens; nur in seinen Trauer- und Lustspielen deuten einige Neubildungen darauf hin, dass eine Übersetzung aus dem Hol

ländischen, einige undeutsche Wendungen, dafs ein Einfluss der lateinischen Sprache vorliegt. Dafür hat letztere auch ihm den Weg gewiesen, wie ein Dichter seine Rede schmücken und kunstvoll verzieren kann. Gryphius' Werke wimmeln von Epithetis, vor allem zusammengesetzten. Er treibt die Bilderjagd mit einer Leidenschaft, dafs fast jedes seiner Gedichte Anklänge an ein anderes aufweist ich erinnere nur an das 1. Sonett des dritten und das 26. Sonett des ersten Buches, in denen beidemal die. Höllenraben zur Strecke gebracht werden. Die Gefahr der Monotonie kümmert ihn wenig, noch weniger die bekannte Erfahrung, dass weniger begabte Schüler Eigentümlichkeiten ihres Vorbildes zur Einseitigkeit zu steigern pflegen, und gewil's hat die bei ihm zuweilen durchbrechende Neigung, das Allereinfachste mit grofsem Wortaufwand zu sagen, den späteren Bombast eines Lohenstein und Hoffmannswaldau mitverschuldet. Aber sein Vorgehen war eine notwendige Reaktion. Besser zu viel als zu wenig! Gegen die Plattheit und Trivialität, die bisher das Scepter geführt hatten, half nur eine feste Begründung der Herrschaft der Phantasie. Sie kam nun durch Gryphius auch in der metrischen Form zu ihrem Recht.

Opitzens Regeln über die Form des Sonetts

denn dies

steht im Vordergrunde der Gryphiusschen Lyrik - betrafen das Versmafs und die Reimstellung. Er liefs im Anschlufs an Ronsard dem Dichter nur die Wahl zwischen dem Alexandriner und dem sogenannten gemeinen Vers, also zwischen sechs- und fünffülsigen Iamben, setzte für die ersten acht Verse die Reihenfolge abba abba fest und schlug für die beiden folgenden Terzette die Form ccd eed vor, ohne geradezu eine andere Gruppierung zu verbieten. Auch der beständige Wechsel männlicher und weiblicher Reime war eine von der französischen Schule übernommene Vorschrift.

Selbst eine oberflächliche Betrachtung unseres Gryphius zeigt, dafs er sich diesen Lehren völlig unterworfen hat. Nur das 2., 14. und 23. der Festtagssonette ist in gemeinen Versen gedichtet; alle anderen Sonette, welche bis 1643 entstanden, sind in Alexandrinern abgefafst. In diesem Jahre vollzog sich in seinen poetischen Anschauungen eine Wandlung, offenbar unter dem Einflußs Philipps von Zesen, der in seinem Helicon die Allein

herrschaft des Alexandriners zu stürzen unternahm und für einen gröfseren Spielraum in der Wahl des Versmafses eintrat. In den nun umgearbeiteten Sonetten der Jugendjahre begegnen wir den schon von Fleming verwendeten vierfüfsigen Iamben (I, 49) und einer gröfseren Zahl gemeiner Verse (I, 15, 30, 64), sodann aber achtfülsigen Trochäen (I, 5, 31, 47, 54, 55), Iamben (I, 20 u. 46) und Daktylen (IV, 4), selbst gemischten Versarten (I, 11, 17, 18; II, 2, 9; IV, 48, 49; V, 1, 49, 54, 69). An der Zahl der Verse und der Stellung der Reime änderte der Dichter dagegen nichts. Mag man darüber streiten, ob ihm eine Befreiung von den Opitzischen Fesseln ohne Zesens Vorgang gelungen wäre, so ist nun aber augenscheinlich, dafs Gryphius den Gedankengang weit geschickter dem organischen Bau des Sonettes einordnet als sein heimisches Vorbild; die formale Trennung der sechs letzten von den acht ersten Zeilen tritt auch im Inhalt bei ihm klar zu Tage. Als Mittel dient im Fortgang der Entwickelung mehr und mehr eben jener schon erwähnte Wechsel des Versmafses. Das Enjambement wird mit Opitzens Erlaubnis reichlich angewandt und dadurch selbst der starre Alexandriner biegsamer und geschmeidiger gemacht.

Wäre nur den Bedürfnissen des Dichters die Entschlossenheit eines Reformators zu Hilfe gekommen! Versiktus und Wortaccent müssen zusammenfallen: darin gipfelten Opitzens prosodische Forderungen. Auch hier sehen wir Gryphius im Gefolge des Bunzlauer Meisters. Nun erfreute sich aber ein Quantitätsgesetz allgemeiner Anerkennung, dafs die einsilbigen Wörter, Nomina und Verba so gut wie Partikeln, nach Belieben in die Arsis oder in die Thesis gebracht werden dürften. Opitz hatte sich darüber nicht ausgesprochen. Anstatt die Inkonsequenz mit einem Schlage zu beseitigen, macht Gryphius von jener Freiheit den weitgehendsten Gebrauch. Das Gewand seiner Dichtungen mit den Forderungen der Gegenwart in Einklang zu bringen, darauf war er bedacht; aber auf diesem Gebiete selbst reformatorisch zu wirken, war nicht seine Sache.

Die wachsende Sicherheit in der Beherrschung der Form, welche wir an den Sonetten beobachteten, zeichnet auch den Oden- und Epigrammendichter aus. 'In den Pindarischen Oden... ist die orooq frey, vnd mag ich so viel verse vnd reimen darzue

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nemen als ich wil, sie auch nach meinem gefallen eintheilen vnd schrencken: avtiotooq aber muß auff die orooqúv sehen, vnd keine andere ordnung der reimen machen: ¿ndós ist wieder vngebunden.' So lehrte Opitz, und Gryphius folgte ihm. Auch er disponiert: Satz, Gegensatz und Abgesang; nur in der 12. Ode des dritten Buches ist der Abgesang fortgeblieben und eine Zweiteilung in Chor und Gegenchor an die Stelle getreten. Bei seiner Beschränkung auf Iamben und Trochäen verfällt er anfänglich einer gewissen Einförmigkeit im Rhythmus, die aber in den späteren Büchern gröfserer Mannigfaltigkeit Platz macht. In den geistlichen Liedern, teils Übersetzungen lateinischer Hymnen, teils freien Dichtungen, erhalten auch die Daktylen, die Gryphius wie die Anapäste aus den Oden verbannt hatte, Bürgerrecht. Gemischte Versarten finden sich in der 12. Ode des ersten, der 5., 8., 11. und 12. des zweiten und der 1. des dritten Buches. In den Epigrammen endlich streiten mit dem Alexandriner vier(III, 58), fünf- (I, 67), achtfüfsige Iamben (III, 100) und achtfülsige Trochäen (I, 81; II, 7, 29, 42, 70, 71; III, 18, 34) um die Wette. Für die in lateinischer Sprache verfafsten Epen war der Hexameter die gebotene Form.

Wir stehen in der Epoche der Renaissance. Noch gelten Homer, Äschylos, Sophokles, Euripides, Pindar, Vergil, Ovid, Horaz, Seneca als Vorbilder. Noch darf Opitz denen den Namen eines Dichters versagen, die unbekümmert um Griechen und Lateiner ihre eigenen Wege gehen. Immer wieder weist er im 'Buch von der deutschen Poeterey' den Anfänger auf die Klassiker hin: 'Eine guete art der vbung aber ist, das wir vns zueweilen auf den Griechischen vnd Lateinischen Poeten etwas zue vbersetzen vornemen: dadurch denn die eigenschafft vnd glantz der wörter, die menge der figuren, vnd das vermögen auch dergleichen zue erfinden zue wege gebracht wird. Auff diese weise sind die Römer mit den Griechen, vnd die newen scribenten mit den alten verfahren: so das sich Virgilius nicht geschämet, gantze plätze aus anderen zue entlehnen.'

Auch Gryphius hat sich früh an den Alten geschult. Als er seine Erstlinge in die Welt schickte, glaubte er sich entschuldigen zu müssen, dafs es darin an Gelehrsamkeit fehle (36. Sonett des 2. Buches, V. 13 und 14). Seine Epen zeigen ihn ganz

als Humanisten. Schon der Gebrauch des Lateins mufs auffallen bei einem Manne, der mit Opitz und anderen in einer Reihe gegen die Verachtung der deutschen Sprache kämpfte. Die epische Technik ist gleichfalls durchaus antik; die Schale, welche die göttliche Liebe dem Erlöser auf dem Ölberge reicht, damit er aus ihr die Sünden der schuldbeladenen Menschheit trinke, wird beschrieben wie der Schild des Achill bei Vergil (Olivetum 2. Gesang, V. 233–280). Auch die Allegorien ruft der moderne Dichter von neuem ans Licht; neben den Heerscharen der Engel bilden Frömmigkeit, Freude, Liebe, Wahrheit, Unschuld, Gerechtigkeit und Friede Gottes Gefolgschaft. Hades, Orkus, Tartarus, Erebos sind die Namen der Hölle, die vom Styx oder Acheron umspült, von den Furien bewohnt wird. Gott-Vater wird einmal der ewige Donnerer genannt (III, 538). Ja, sollte man es glauben, dafs ein bibelfester Lutheraner die Verse gedichtet hat, die wir im 1. Gesang des Olivetum lesen (V. 189–191):

Dies bitten mich Himmel und Erde,

Göttliche Liebe erheischt's, das unwendbare Gesetz auch,

Das in der Schrift dasteht zur Verheißung bis es erfüllt ist.

Der Gott Abrahams und Jakobs wie Homers Zeus der ewigen poiga unterworfen?

Arglos vermischt Gryphius die griechische Götterwelt mit den Gestalten des christlichen Himmels; dafs Antike und Christentum in ihm zu schöner Harmonie verbunden erscheinen, wird man schwerlich behaupten dürfen. Er hat die Alten studiert, aber nicht in dem Sinne der Italiener, um mit Hilfe der durch sie befruchteten und gesteigerten eingeborenen Geisteskraft seine Persönlichkeit um so freier zu entfalten und ganz auf sich selbst zu stellen, sondern mit anderer Tendenz, abhold dem individualistischen Zuge der Zeit. Seine Sprache, seine Verskunst sucht er nach klassischen Mustern auf eine höhere Stufe zu heben. Die Antike ist ihm keine Waffe gegen das Christentum; nur so weit versenkt er sich in sie, als er hoffen darf, neues Material für die Schutzwehr zu finden, die er dem Glauben der Väter errichtet. Gryphius ist ein Kind nicht der Renaissance, sondern der Reformation.

Durch seine streng kirchliche Erziehung war der junge An

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