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zu haben glaubt! Die Zukunft des Deutschen Reiches, die Weltstellung der deutschen Kultur ist gesichert, wenn dem so ist.

Aber steht denn dieser so notwendige Wirklichkeitssinn in der That in unvereinbarem Gegensatze zu Schillers Idealismus? Freilich, das grofse Publikum ist von jeher gewohnt gewesen, in Schiller nicht sowohl den gedankentiefen, besonnenen Idealisten, als vielmehr so etwas wie einen liebenswürdigen Ideologen und Phantasten zu sehen. Seine philosophischen Abhandlungen studiert man nicht, obgleich sie u. a. für die Handhabung einer geschmackvollen und allgemein verständlichen philosophischen Ausdrucksweise ebenso vorbildlich sein sollten, wie dies seine geschichtlichen Darstellungen auf ihrem Gebiete geworden sind, und an den Erzeugnissen seiner unvergleichlichen Gedankenlyrik bewundert man den erhabenen Schwung der Sprache, die Pracht der Bilder, ohne vom Inhalt und seiner logischen Verknüpfung kaum mehr als eine verschwommene Vorstellung zu erlangen. Es ist Sache des deutschen Unterrichts auf der obersten Stufe unserer höheren Lehranstalten, den im Grunde sehr einfachen Gedankengang in den kleineren ästhetischen Aufsätzen oder in Gedichten wie Ideal und Leben verständlich zu machen. Lehmann schreibt: 'Was nun aber den Gehalt der Schillerschen Dichtungen, die Weltanschauung des Dichters angeht, so ist es nicht zu verkennen, dafs der Idealismus, der sein tiefstes Wesen bezeichnet, etwas Weltentsagendes, Weltabgewandtes hat' und weiter: 'Dieser entsagende, völlig nach innen gerichtete Idealismus hat das ist nicht zu leugnen etwas, das von fern an die Klosterzelle erinnert: er ist ein Kind von Mächten, die der Vergangenheit angehören'. Wie gesagt, neu ist diese Auffassung nicht, aber sie erweist sich bei näherer Betrachtung als ebenso unbegründet wie die von anderen zum Überdrufs wiederholte Behauptung, dafs die Schüler durch die dialektische Behandlung moralischer Themata zum 'Moralisieren' verführt werden könnten. Wenn sich Schiller vorzugsweise, besonders in seinen reiferen Jahren, mit der höchsten Stufe des Idealismus beschäftigt hat, so ist das noch lange kein Beweis, dafs er die niedrigeren Stufen, die mehr praktische Formulierung des Ideals, nicht gekannt oder nicht gehörig gewürdigt hätte. Der echte Realismus verstand

sich für den Dichter des Wilhelm Tell ganz von selbst, er bildet in Hinsicht auf die Praxis die natürliche Vorstufe des xat' Coy sogenannten Idealismus. Wie Schiller die sittliche Freiheit, die den Schlufsstein jeder idealistischen Entwickelung darstellt, verkündet hat, so ist er auch der Anwalt der persönlichen, der politischen und nationalen Freiheit gewesen. Ich bestreite es, dafs sich Schillers Idealismus psychologisch darauf zurückführen liefse, dafs jener einer Zeit angehörte, 'die den edelsten Trieben jede Möglichkeit, sich praktisch zu bethätigen und auf den Zustand der Nation gestaltend einzuwirken, versagte'. Vielmehr möchte ich behaupten, Schiller würde sich, seiner geistigen Eigenart entsprechend, selbst wenn er heute, in unserem machtvollen, wirtschaftlich aufblühenden Deutschen Reiche lebte, mit Vorliebe ethisch-ästhetischen, ja metaphysischen Problemen zuwenden, um so mehr, wenn er mit Erich Schlaikjer und anderen bemerkt hätte, dafs der Wirklichkeitssinn unseres Zeitalters hier und da eine verzweifelte Ähnlichkeit mit seinem Zerrbilde, dem öden Materialismus, verrate. Mag sein, dafs er daneben als Historiker und Politiker thätig wäre nach der Art von Treitschke, oder für wirtschaftliche und sociale Reformen einträte wie Naumann! Sehr wahrscheinlich sogar, denn, wie gesagt, Schillers Idealismus und jener Realismus sind begrifflich auf das engste miteinander verwandt, wie sich der erstere aber praktisch bethätigt, das hängt freilich von den Verhältnissen ab.

'Der Sieg des Geistes über das Sinnenwesen ist das höchste Ideal, das der Mensch erstreben kann, und dieser Sieg kann eben nur im Innenleben errungen werden.' Kein Zweifel, dafs Lehmann mit diesen Worten die Meinung Schillers (wie die des Christentums) richtig wiedergiebt, aber sie sind heute gerade so gültig wie vor hundert Jahren. 'Das Charakteristische dieser Art von Idealismus ist, dafs er nicht nur den Sinnengenufs als des Menschen unwürdig verwirft, sondern überhaupt die Absicht, nach aufsen zu wirken, die Aufsenwelt zu gestalten, als aussichtslos und thöricht geringschätzt.' Das riecht allerdings nach der Klosterzelle, ja, nach dem Idealismus der Fakire und Styliten! Nur schade, dafs Schiller weit entfernt war, ein Säulenheiliger zu sein! Vielleicht thut man recht, wenn man Kant vorwirft, er habe das Übergewicht der Vernunft über die Sinnlichkeit zu

stark betont und seine Ethik trage infolgedessen einen asketischen Charakter, aber wir wissen ja, dafs gerade Schiller neben der höchsten Ausbildung der Vernunft die volle Entwickelung der sinnlichen Kräfte gefordert hat, und dafs er die ideale Schönheit und die ideale Tugend in der vollkommenen Harmonie zwischen dem sinnlichen Begehren und dem sittlichen Wollen sieht. Wenn Lehmann darauf hinweist, es seien 'Worte des Wahns', dafs die Tugend je siegen, dafs je in der Welt Gerechtigkeit herrschen werde, so übersieht er, dafs Schiller in jenem Gedichte, gerade so wie in der Einleitung zu der Abhandlung über das Erhabene lediglich die unbestreitbare Wahrheit betont, dafs das Ideal auf Erden nie ganz zu erreichen ist. Der Dichter unterscheidet genau zwischen dem wahren Idealismus, der die Wirklichkeit ins Auge fasst, die Wirklichkeit so weit wie möglich zu gestalten sucht, und der Ideologie, der utopistischen Schwärmerei, die ewig in 'trauriger Abhängigkeit von dem Zufall', den Verhältnissen bleibt.

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'Wahrem Eifer genügt, dass das Vorhandene vollkommen sci; der falsche will stets, dafs das Vollkommene sei.'

Übrigens bilden 'die Worte des Glaubens' die natürliche Ergänzung zu den 'Worten des Wahns'.

Zum Überfluss mache ich darauf aufmerksam, dass eine Anmerkung zu der Abhandlung über das Erhabene lautet: 'Wie überhaupt nichts wahrhaft idealistisch heifsen kann, als was der vollkommene Realist wirklich unbewusst ausübt und nur durch eine Inkonsequenz leugnet.' Endlich bieten die letzten Seiten der Abh. über naive u. sent. Dicht. bekanntlich eine sorgfältige, antithetisch gefärbte Parallele zwischen den einzelnen Erscheinungsformen des idealistischen und des realistischen Geistes, die uns zeigt, wie scharf Schiller jenen Gegensatz ins Auge gefafst hat. Die praktische Bethätigung des Idealismus setzt vor allem eine kräftige Initiative des Willens voraus. Schiller hat wiederholt darauf hingewiesen. Das Wort des Horaz: Sapere aude! das im achten der ästh. Briefe behandelt wird, oder auch jener Satz des zehnten Briefes: 'Die Energie des Charakters ist die wirksamste Feder alles Grofsen und Trefflichen im Menschen', bieten Aufsatzthemen, deren Bearbeitung gewifs geeignet ist, den Wirklichkeitssinn der Primaner zu kräftigen.

Während Lehmann an der heutigen Jugend eine Hinneigung zum Realismus, Schlaikjer eine solche zum Materialismus bemerkt,1 glaubt Gerhard von Amyntor der Schule schuld geben zu müssen, dafs sie vielfach einen völlig verschrobenen Idealismus pflege. In einem kürzlich veröffentlichten kleinen Aufsatze dieses durch sittlichen Ernst und warme patriotische Empfindung gleich sehr ausgezeichneten Schriftstellers liest man: 'Der gesunde, praktische Idealismus spendet den Hungernden zuerst Brot und hinterher die guten Lehren.' Das ist sicherlich auch der Standpunkt Schillers und die Meinung aller vernünftigen Leute. Ich wiederhole: der gesunde Idealismus äufsert sich praktisch allemal in altruistischen - wirtschaftlichen, socialen, nationalen Bestrebungen. Man erkennt ihn an seinen Früchten. Gleichwohl reichen die Wurzeln dieses realistischen Idealismus, wie man ihn nennen kann, in die abstrakten Tiefen der Spekulation hinein. Der letzte Grund dieser Thätigkeit für andere, für das Ganze liegt doch jederzeit in mehr oder weniger bewussten Anschauungen und Überzeugungen, vielleicht blofs Ahnungen von den höchsten Zielen der Menschheit und den Zwecken der Schöpfung. Wer diesen Anschauungen, mögen sie nun philosophisches oder religiöses Gewand tragen - die innere Verwandtschaft zwischen der idealistischen Philosophie und der Religion ist unbestreitbar keinen Raum giebt, der ist weder Idealist wie Schiller, noch Realist wie Bismarck, sondern lediglich Egoist. Auch Bismarck hat die Dinge allezeit sub specie æternitatis betrachtet, wenn er auch keine philosophischen Abhandlungen geschrieben hat wie Schiller.

Ich glaube Gerhard von Amyntor recht zu verstehen, wenn ich annehme, dafs die eben wiedergegebene Auffassung durchaus die seine ist. Nicht beistimmen kann ich ihm, wenn er fortfährt: 'Dummheit, Vorurteil und Überhebung das wagt man euphemistisch Idealismus zu nennen, und unsere Schulen, in denen vielfach noch der mönchische und ascetische Geist einer längst überwundenen Kulturepoche spukt, sind mit schuld daran, wenn

1 Beide Seiten hat Volkelt wahrgenommen. Er schreibt a. a. O. S. 160: 'Es hat eine mehrfache Bedeutung und einen teils erfreulichen, teils bedenklichen Hintergrund, wenn ich von dem geschärften Wirklichkeitssinn der Gegenwart rede.'

tüchtige Jünglinge oft in falsche Bahnen geleitet werden und Armut und Edelsinn für Korrelate halten.' Es wäre interessant, zu erfahren, ob auch der Schillersche Idealismus zu den Kräften gerechnet wird, die jene Rückständigkeit verschulden. Der Gedanke liegt nahe, denn der 'mönchisch - ascetische Geist einer längst überwundenen Kulturepoche' gemahnt jedenfalls an die 'Klosterzelle' Rudolf Lehmanns. Zum Henker mit dieser Zellentheorie! Die trotz alledem sympathische Erscheinung des weltentrückten doctor umbraticus, der sich Herr von Gerhardt vielleicht aus seiner Gymnasialzeit erinnert, begegnet uns kaum noch in den Räumen unserer höheren Lehranstalten. 'Ach, nur in dem Feenland der Lieder lebt noch deine goldne Spur!' Wenn es die Angehörigen adliger Familien zuweilen noch für vornehmer halten, auf der ererbten Scholle ein dürftiges und unthätiges Dasein zu fristen, statt sich irgend einem gewinnbringenden bürgerlichen Berufe zuzuwenden, so hat Gerhard von Amyntor ohne Zweifel recht, diesen höchst fragwürdigen Idealismus zu geisseln, aber die Schule hat ihn sicher nicht gezüchtet. Oder ist es denkbar, dass Lehrer solchen Abiturienten, die für einen praktischen Beruf ganz besonders geeignet scheinen, davon abraten könnten, blofs weil das akademische Studium seiner Natur nach vornehmer, idealer sei? O nein, die heutigen Lehrer finden es durchaus begreiflich, wenn Gerhard von Amyntor die Armut einen Pestpfuhl' nennt, aus dem man sich so bald wie möglich herausarbeiten solle, sie wissen aber auch, dafs materieller Überflufs für die sittliche Entwickelung mindestens ebenso gefährlich ist wie drückende Armut.

Auch der Wirklichkeitssinn Schillers hat sich nie darüber getäuscht, dafs der gebildete Mensch in der Tonne des Diogenes oder etwa um moderner zu reden in der Haut des altersgrauen wissenschaftlichen Hilfslehrers nicht gar glücklich sein kann. Genug, wenn er nicht ganz unglücklich ist und die Würde behauptet.

Vor Unwürdigem kann dich der Wille, der ernste, bewahren,
Alles Höchste, es kommt frei von den Göttern herab.

Einer der hervorragendsten Professoren der Universität Berlin hat kürzlich im Abgeordnetenhause bei der Beratung des Kultus

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