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Ueber Nasalirung und Brechung der Vokale

im Französischen.

Eine sprach physiologische Studie.

*

Die französische Vokalisation ist schon vielfach zum Gegenstand des Studiums gemacht worden, und man hat schon eine Menge von zutreffenden Beobachtungen darüber veröffentlicht, sich jedoch bis jetzt darauf beschränkt, nur Tatsachen aufzusuchen und zu registriren, ohne viel darnach zu fragen, durch welche Ursachen die einzelnen sprachlichen Erscheinungen hervorgebracht worden sind. So sagt Dietz über den Konsonanten N: „Von weit gröfserem Belang ist ein anderes Ereignis, vermöge dessen diese Liquida als articulirter Laut verschwindet, aber nicht ohne dem vorhergehenden Vokal etwas von ihrer Natur mitzuteilen, ihn nasal zu machen. Dieses Phänomen kommt im Südund Nordwesten sowie im Osten vor, überall aber nur partiell: in Portugal, nicht in Spanien, in Frankreich, nicht in Provence, in einem Teile von Oberitalien, nicht in den übrigen Gegenden, nicht in der Walachei. Nach dem Grunde desselben wird man nicht fragen."

Warum nicht? Ist es doch möglich, beim Suchen einer Antwort auf diese Frage wenn nicht sofort das Richtige zu finden, so doch wenigstens die richtige Beantwortung anbahnen zu helfen. Sollte der in dem Folgenden gemachte Versuch nicht sogleich in allen Einzelheiten glücken, da er nicht von einem Romanisten ausgeht, sollten

* Grammatik I, S. 204 f, 2. Ausg.

namentlich einige zu Beweis gestellte Spracherscheinungen sich auch anders und besser erklären lassen, so wollen die Fachmänner, deren geneigter Beurteilung ich diese Zeilen vorlege, mehr darin eine Aufforderung zur Hilfsleistung beim weiteren Ausbau als zum Einreifsen des Gebäudes erblicken.

Zuerst wurde ich auf meinen Gegenstand aufmerksam gemacht durch die Wörter vingt und trente. Warum konnte nicht aus viginti und triginta ebenso gut vengt resp. trinte hervorgehen? Daran reihten sich andere Fragen:

Warum wird aus imbarbatus embarbé, aber warum wird aus imberbis imberbe?

Es fragt sich kann dieser Wechsel nach den Gesetzen der lateinischen Vokalisation erklärt werden? Ich glaube, dass das unmöglich ist. Ist die Vokalveränderung willkürlich oder zufällig? Diese Frage mit Ja zu beantworten würden wir uns doch nur dann entschliefsen können, wenn jeder andere Versuch einer Erklärung missglückte; bis jetzt ist aber noch keine Erklärung aufgestellt worden. Gehen wir also ans Werk selbst für den nicht unmöglichen Fall, dass ein glücklicherer Forscher nicht nur unseren Versuch widerlegt, sondern auch selbst eine richtigere Lösung findet.

Im Lateinischen gab es keine nasalirten Vokale, und daher sind auch die romanischen Sprachen im Grofsen und Ganzen frei davon. Wenn sie sich dessenungeachtet im Französischen finden (vom Portugiesischen und den oberitalischen Dialekten sehe ich vorläufig ab), so fragt sich, wie sind sie hineingekommen? Als folgerichtige Weiterentwickelung des Lateinischen nicht, denn sonst müssten alle romanischen Sprachen Nasal-Vokale haben. Etwa durch das Celtische? Ob das Celtische nasalirte Vokale hatte, wissen wir nicht. Vom Bretonischen wissen wir's allerdings; es lässt sich jedoch schwer begreifen, wie sich durch diese verhältnismäfsig schwache, räumlich sehr beschränkte und politisch einflusslose Einwanderung ein weitreichender Einfluss auf räumlich entfernt liegende Gebiete habe erstrecken können.

Viel eher konnte ein derartiger Einfluss ausgeübt werden durch die Franken, deren Einwanderung eine numerisch sehr starke war, die mitder ganzen sesshaften Bevölkerung in Berührung traten und als das herrschende Volk sehr wohl in der Lage waren, auf die Gestaltung der Sprache bestimmend einzuwirken. Wenn etwa der Hof die Nasalirung der Vokale bevorzugte, konnte es da nicht leicht Modesache

werden, diese Aussprache nachzuahmen, namentlich wenn sämmtliche Franken als Vertreter dieser Hofsprache gelten konnten? Doppelt leicht musste dies in einem Lande geschehen, wo die Mode von jeher einen bedeutenden Einfluss ausgeübt hat. Dass die Franken Veranlassung zu dieser Aussprache gegeben, lässt sich mit um so grösserer Wahrscheinlichkeit vermuten, als ja heutigen Tages noch ihre Stammesgenossen in der bairischen Rheinpfalz dieselbe Lautbildung zu erkennen geben. Ob dies damals wirklich so geschehen, dürfte sich schwerlich beweisen lassen; schwerlich aber dürfte sich eine Ansicht aufstellen lassen, die mehr Wahrscheinlichkeit für sich hätte; noch weniger aber wird je bewiesen werden können, dass sie unrichtig sei. Für das Französische dürfte somit der Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür geführt sein, dass die nasale Aussprache der Vokale auf fränkischen Einfluss zurückzuführen sei, und dem widerstreitet auch nicht das Vorkommen derselben Erscheinung an anderen Orten des romanischen Sprachgebiets. Dass sie sich in Südfrankreich und Spanien nicht findet, wohl aber in Portugal, lässt sich so erklären, dass das Gothische nachweisbar keine nasalirten Vokale gehabt hat, daher finden sie sich in dem ganzen Gebiete, welches sie besetzten, nicht; sehr wohl möglich dagegen ist, dass die Alanen, ein scythischer Stamm, welcher durch die Westgothen nach Lusitanien gedrängt wurde, die Veranlassung dazu gegeben haben. Dass einige Dialekte Oberitaliens (von Mailand bis Bologna) nasalirte Vokale haben, andere, wie der von Bergamo, dagegen nicht, wird vielleicht dadurch erklärlich, dass die Langobarden das nördliche Italien nur mit Unterstützung grofser Schaaren aus anderen Völkern erobern konnten, der Pannonier, Bulgaren, Sarmaten, Noriker, Sueven, welche sämmtlich von Alboin. gezwungen wurden, wenigstens das Volksrecht der Langobarden, wenn nicht damit zugleich auch Einiges aus deren Sprache, anzunehmen. Jedenfalls hat in Oberitalien eine sehr starke Einwanderung fremder Völkerschaften stattgefunden, durch welche die Nasalirung in die Vokale gekommen sein kann. Wissen wir auch nicht, ob die Langobarden selbst Nasal-Vokale gehabt haben, so wird es doch immer

* Wie die Franken zu ihren nasalirten Vokalen gekommen seien, das zu beantworten gehört nicht mehr hierher; ich bemerke nur, dass sich physiologische Gründe dafür ausfindig machen lassen, weshalb bei einem Dialekte, der zwischen dem vollen härteren Oberdeutsch und dem breiten weicheren Niederdeutsch in der Mitte stand, gerade diese Vokalisation sich entwickeln konnte.

wahrscheinlicher bleiben, dass die Nasalirung durch fremde Völkerelemente in das Romanische hineingebracht, als dass sie durch folgerechte Entwickelung aus dem Lateinischen entstanden sei. Giebt man

das Letztere zu, so hat man keinen Grund, für das Französische den fränkischen Einfluss zu bezweifeln.

Wie mag es aber zugehen, dass in allen Sprachen, welche diese Laute entwickelt haben, nur die Vokale a, å (e), 0, ö nasalirt werden, niemals aber i, ü und u?*

Es hängt dies zusammen mit der Stellung der Sprechorgane beim Hervorbringen der Nasal-Vokale. Der beim Sprechen durch den Kehlkopf gehende Luftstrom kann überhaupt nur drei Wege einschlagen:

1) Er kann wie bei den reinen Vokalen ganz und voll in die Mundhöhle geleitet werden dies geschieht dadurch, dass das Gaumensegel gehoben wird und dadurch die beiden Choanen (die weiten hinteren Nasenöffnungen) verdeckt werden. Wer einen reinen Vokal von langer Dauer spricht, lässt dabei keine Luft durch die Nase entweichen, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man ein brennendes Licht so vor das teilweise verdeckte Gesicht hält, dass die Flamme vom etwa vorhandenen Hauch der Nase, nicht von dem des Mundes, getroffen werden könnte. **

2) Wer den einfachen palatalen Nasen-Laut ausspricht, welcher in deutschen Wörtern (z. B. in lange) durch die beiden Buchstaben ng dargestellt wird, sperrt durch das Gaumensegel die Mundhöhle vollkommen ab, so dass der ganze Luftstrom in die Nase geleitet wird. Durch abwechselndes Verdecken der äufseren Mundoder Nasenöffnung vor einer Lichtflamme kann man sich leicht davon überzeugen.

3) Wer endlich die französischen nasalirten Vokale ausspricht, lässt das Gaumensegel schlaff herunterhängen, so dass weder Mundnoch Nasenhöhle dadurch geschlossen werden. Man erkennt dies daran, dass die Lichtflamme sowohl vor der Mund- wie vor der Nasenöffnung flackert, wenn sie beim Herausbringen dieser Laute vor das Gesicht

* Man wende mir nicht dagegen ein, dass ja im Französischen in den I-Nasal habe; das ist unrichtig: der Vokal wird als nasalirtes ä (â) gesprochen. Ebenso ist der Aussprache nach in un kein nasalirtes u, sondern ein ö. Ein nasalirt gesprochenes i, ü oder u kommt im Französischen nicht vor.

** Vgl. Brücke, Physiol. d. Sprachl., S. 28.

gehalten wird. Die hierzu erforderliche Teilung des Luftstroms wird durch das Gaumensegel bewirkt. Dieses findet bei Nasalirung der Vokale von mittlerer Tonhöhe (a, ä, o, ö) hinreichenden Raum für seine Function; versucht man dagegen ein nasales I hervorzubringen, so wird man leicht fühlen, dass die hintere Mundpartie zu eng ist, um eine mühelose Hervorbringung des Lautes zu gestatten; denn beim Sprechen des reinen I-Vokals gleicht die Mundhöhle einer Flasche mit langem engem Halse und kurzem Bauch. Sehr eng ist namentlich die Stelle, wo diese Flasche angeblasen wird, d. h. der Weg, welchen der Luftstrom zwischen Zunge und oberem Gaumen nehmen Zur Hervorbringung des Nasal-Vokals, des I, muss an dieser schmalen Stelle noch das Gaumensegel herabgelassen werden, um den Luftstrom zu teilen; es muss noch Platz für die zur Nase gehende Luft geschaffen werden, und das gelingt nur unter zerrender Spannung der Sprechorgane, die sich auch für das Auge durch Hinaufziehen der Nasenflügel bemerkbar machen kann. Dasselbe findet bei Hervorbringung des U-Nasals statt.

muss.

Anders ist es beim U. Spricht man den reinen U-Vokal, so gleicht die Mundhöhle einer weiten bauchigen Flasche mit sehr kurzem Halse. * Das reine U erfordert also eine verhältnismässige Weitung und Wölbung der hinteren Mundhöhle. Will man diesem U die nasale Klangfarbe verleihen, so muss wiederum das Gaumensegel herabgelassen werden, um den Luftstrom zu teilen. Dann wird aber die Wölbung beeinträchtigt: die Sprechorgane nehmen, abgesehen von den geöffneten Choanen, fast die O-Stellung an, so dass es nur mit grofser Mühe gelingt, noch allenfalls einen leidlichen U-Nasal hervorzubringen; bei geringerer Anstrengung aber nehmen die Sprechorgane die bequemere Stellung des O-Nasals an, der des U-Nasals nächster Nachbar ist. So erklärt es sich, dass in den bekannteren Sprachen nur a, ä, o, o als Nasenvokale vorkommen. „Ellis schreibt den Portugiesen nach den Mitteilungen eines Spaniers vermutungsweise ein i nasale zu“;** mir ist dies jedoch höchst unwahrscheinlich; sagt ja doch Dietz (Gramm. I, S. 376), dass die portugiesischen Nasalvokale auch konsonantisches Element enthalten. Das portugiesische ruim lautet also

* Bläst man eine solche Flasche an, so hat der Ton allerdings die Klangfarbe des U, während man auf einer engen Röhre, z. B. einem Hohlschlüssel, nur einen Ton mit I-Klang hervorbringen kann.

** Vgl. Brücke, Phys. d. Spr., S. 29.

Archiv f. n. Sprachen. LXII.

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