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Ausgabe von 1640* und Massey** für Liebesgedichte gehalten, während Knight, Anonymus und Kreyssig die ersten drei für Freundschafts-Sonette ansehen. Abgesehen davon aber, dass die ersten beiden denselben Gedanken aussprechen, wie 15 (CXLIX) und 85 (XLIX) *** und mit demselben Rechte Liebesgedichte sein können; abgesehen davon ferner, dass V. 4 in LXXXVIII

treten.

I'll prove thee virtuous, though thou art forsworn

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doch wohl nur auf eine Frau und zwar auf die Eidbrecherin des 11. (CLII.) Sonettes sich beziehen kann: handeln wir gewiss im Interesse Shakspere's, wenn wir dieser Auffassung beiDie äusserste Selbstverleugnung dieser Sonette, die einem hochgestellten Freunde gegenüber würdelos erscheinen müsste, kann einem verzweifelnden Liebhaber ,,in the distraction of this madding fever“ immer noch verziehen werden.† Die beiden letzten scheinen in einem wirklichen LiebesDelirium gedichtet zu sein, und es scheint mir ebenso unbillig, aus ihnen nachtheilige Schlüsse auf die Handlungsweise und den Charakter Shakspere's zu ziehen, als es unmöglich ist, die den Wahnsinn streifende Gemüths-Aufregung des Dichters für dramatisch concipirt, für gemacht zu halten. Wir gewinnen wiederum Nichts mit dieser Auffassung. Man lasse die furchtbare Wirkung des 43. (CXL.) Sonetts über sich ergehen. Wer könnte sich für einen dem Publicum diese wilden Phantasien vorführenden Poeten begeistern? Wer aber könnte dem so unendlich hoch schwebenden Dichtergenius, den wir hier so menschlich schwer erkrankt sehen, ein anderes Gefühl entgegen bringen, als tiefste Ergriffenheit?

Wer es nicht über sich gewinnen kann, an jene stürmische

* LXXXVIII-XCI „A Request to his Scornfull Love".

** LXXXVIII--XC sind von Southampton an Miss Vernon gerichtet, das erstere nach ihrer Treulosigkeit, die letzteren beiden, nachdem er (1597/98) wegen eines thätlichen Streites vom Hofe verwiesen ist. CXXXIX und CXL wenden sich an Lady Rich.

*** In allen Dreien nimmt der Dichter gegen sich selbst Partei.

Massey bemerkt zu Sonett 41 (XC): The poetry is quick with the feeling of a wronged, heroic soul; written in the very life-blood that runs from wounds unjustly given, and having the pathetic force of a strong man in tears."

Jugendzeit einer aus tausendjährigem Traumdasein endlich zum wirklichen Leben erwachenden Menschheit einen andern sittlichen Massstab zu legen, als Den unseres heutigen gesetzten Alters; wer es nicht zugeben kann, dass die Herrschaft ruhiger Besonnenheit, eines sittlich bewussten Willens, die wir heutigen Menschen auch in Herzens-Angelegenheiten überall anerkannt wissen wollen und unter der derartige Ausbrüche der Leidenschaft gewiss viel seltener vorkommen, eben auch erst eine Errungenschaft fortschreitender Gesittung ist der halte sich bei den Shakspere'schen Liebes-Sonetten an die gezwungene, kalte fictive Auffassung, die diesen saft- und kraftvollen Organismen so recht eigentlich das Lebensmark aussaugt, aus lebhaft, heiss pulsirenden, jugendfrischen Geschöpfen finstere, unheimliche Nachtgespenster macht. Wer es aber kann, der erkenne in Shakspere das Kind einer genusskräftigen, üppigen und nicht sehr sittenreinen Zeit, in dieser stürmischen Liebe einen Tribut, den er ihr entrichtet; der bedenke, dass ein Mensch ohne grosse Leidenschaften auch wohl nie der gewaltige Dichter der Leidenschaft geworden sein könnte; der werde sich in Bescheidenheit bewusst, dass Shakspere sich aus dieser jugendlichen Herzens-Krankheit zu einer moralischen Gesundheit erhoben hat, die den Besten unserer sittenstrengeren Zeit doch nur ein unerreichbares Muster ist. Der möge sich dann auch rückhaltlos dem Genusse hingeben, den es unter allen Umständen gewährt, mit dem Dichter eine an überschwänglichem Glück und furchtbaren Leiden gleich reiche Zeit seines Lebens durchzuleben.

Wir sind jetzt am Ende des Liebes dramas angelangt, womit jedoch nicht ausgesprochen sein soll, dass dieses etwa die zeitlich letzten Gedichte seien, die das Verhältniss behandeln. S. 20 (CXLVII) mag um dieselbe Zeit, 11 (CLII) noch später entstanden sein, und gewiss hat Shakspere auch nach der definitiv eingetretenen Entfremdung, wie schon früher (Archiv, Bd. LIX, pg. 257 ff.) zu entwickeln versucht wurde, in unbewachten Augenblicken, des gewesenen Glückes gedenkend, sein neuentflammendes Liebesfeuer erstickt in Sonetten, die zum Theil erfüllt sind von schmerzlich-liebevollen Gefühlen, ähnlich Denen, wie sie der Geist des alten Hamlet seiner ungetreuen

Königin bewahrt hat, zum Theil von Selbstvorwürfen. Es sind Das diejenigen Gedichte, die, nicht als blosse Stimmungsbilder, sondern als Begleiter von entsprechenden Handlungen aufgefasst, die moralischen Anschauungen unseres Dichters in einem höchst bedenklichen Lichte erscheinen lassen müssten und in einen offenbaren Widerspruch brächten mit Allem, was uns seine übrigen Werke von seinem Charakter enthüllen. Wir wollen deshalb einer viel wahrscheinlicheren, weil edleren Auffassung folgen, und sie für eine Art von Nachruf ansehen.

Nur ein Gedicht bleibt noch für die Betrachtung übrig, das, vielleicht viel später entstanden, dennoch von Bodenstedt dem ganzen Cyclus der Liebes-Sonette als Schluss angereiht ist. Wir können den ethischen und ästhetischen Tact dieses Arrangements nur anerkennen: es zieht aus den erotischen Erfahrungen des Dichters ein moralisches Facit, das unsere etwaigen Bedenken über die eigentliche Herzensmeinung des Dichters auf diesem Gebiete vollkommen zu beruhigen geeignet ist.

Der sehr klare Text dieser fünf Sonette bietet an sich zu keinerlei Bemerkungen Anlass. Nur mögen noch einige falsche Deutungen erwähnt werden, die man gewissen Stellen gegeben hat.

Dahin gehört Gervinus' Ansicht, dass Shakspere in S. XC, wo er von einem bestimmten Kummer spricht (,, when my heart hath scap'd this sorrow"), auf den 1596 erfolgten Tod seines Sohnes Hamnet angespielt habe. Das ist nicht gut möglich, weil er denselben Kummer in einem folgenden Verse mit "petty grief" bezeichnet. Das Gedicht ist gewiss früher entstanden.

Ferner muss wohl die Ansicht von der Lahmheit Shakspere's erwähnt werden, die, wenn man ihr überhaupt irgend eine Berechtigung zugestehen will, durch das LXXXIX. Sonett auf das Entschiedenste widerlegt wird: Der Erfinder dieser Lahmheit ist schon Capell gewesen, er hat sie in den Versen So I, made lame by fortune's dearest spite,

Take all my comfort of thy worth and truth
So then I am not lame, poor, nor despis'd

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entdeckt. So unwahrscheinlich es ist, dass Shakspere, selbst wenn er lahm gewesen wäre, einen so kläglichen Gedanken

ausgesprochen haben sollte, so hat doch selbst Scott sich nicht gescheut, in seinem Roman ,,Kenilworth" Shakspere als stumme Figur unter der Beschreibung „a halting fellow" einzuführen. Ein anderer Kritiker ist sogar so weit gegangen, die Lahmheit Shakspere's von einem Unfalle während seines Kriegsdienstes in den Niederlanden (!) herzuleiten.* Und auch Simpson (a. a. O.) führt obige Stelle, in der sich Shakspere als lahm darstelle, als Beweis für die theilweise Fingirtheit der Sonette an. S. LXXXIX zeigt die Unmöglichkeit dieser Annahme auf's Klarste: „Ich thue Alles, was Du von mir haben willst," sagt Shakspere, verlange, dass ich lahm sei, und gleich will ich hinken" (Speak of my lameness, and I straight will halt). Das Shakspere-Lexicon bietet verschiedene Stellen für die an jener andern Stelle ** vorkommende übertragene Bedeutung von „lame disabled in any manner."

An trefflichen Uebersetzungen dieser in ihrer Art schönen Sonette haben wir eine Fülle. Gleichmässig gut gelungen ist die von Bodenstedt, aber auch die andern lassen wenig zu wünschen übrig, man lese z. B. das CXL. Sonett bei Gildemeister, oder CXXXIX und CXL bei Tschischwitz, Das sind bedeutende Leistungen. Auch Jordan tritt mit seiner dichterischen Originalität hier weniger hervor als sonst; die Uebersetzung des CXXXIX. Sonetts ist eine Classische zu

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** H. Brown hat es verstanden, sogar moralische und intellectuelle Bedenken gegen jene Auffassung geltend zu machen: What excuse would the friend have for leaving him if he was lame? To sever friendship on that account would indeed be folly."

*** Parallelstellen:

Zu LXXXVIII, 6. 7: „But yet I could accuse me of such faults, that it were better, my mother had not borne me." H. III, 1, 124.

Zu CXXXIX, 3:,,he's already dead; stabb'd with a white wench's black eye." Ro. II, 4, 14.

3 H. VI, V, 6, 26.

Ah, kill me with thy weapons, not thy words.
Zu V. 14:

Thy looks with me, thy heart in other place.

S. XCIII.

Ganz im Tone der beiden letzten Sonette sind die Worte des Silvius zu Phebe (As Y. III, 5, 1):

44. (CXXIX.)

Ein eigenthümliches Sonett, so eigenartig, dass ihm von den übrigen wohl nur Eins an die Seite gestellt werden kann: 61 (LXVI).* Ob vor oder nach Shakspere ein Dichter einmal etwas Aehnliches in dieser Form geleistet hat, kann ich nicht sagen, ich möchte es fast bezweifeln; von seinen Zeitgenossen hat Keiner ein annähernd grossartiges Sonett componirt.

Man fragt sich hier staunend: Ist denn Das wirklich ein Sonett? jene tändelnde, zierliche, schmuckreiche, und doch so steife, unbequeme Form, in der die Dichter einherzuschreiten pflegen wie in einem ungetragenen, kostbaren Festtagskleide, das jede freie Bewegung, jede unvorsichtige Berührung zu schädigen droht? jene unglückliche Form, in welcher die Dichter den einen Gedanken strecken und dehnen müssen, damit er 14 Zeilen lang werde, weil der andere nicht mehr ganz hineinpasst? Wo ist hier der behutsame, gleichmässige SonettSchritt? Wo sind die Schranken geblieben, in die sich sonst der Gedanke hier eingezwängt sieht? Das eine Sonett giebt eine erschöpfende Schilderung der finstersten Leidenschaft, das andere malt uns das gesammte Welt-Elend. Was soll's hier

mit einem oder mehreren Gedanken? eine Fluth von Gedanken ergiesst sich über uns, jedes Wort ein Gedanke, jede Zeile ein moralischer Keulenschlag. Der Dichter kennt keine Schranken, er schüttet uns sein ganzes Herz aus. Und doch ist Nichts übersehen oder geändert, was das Gesetz dieser strengen Form ausmacht, ein festgefügter Bau steht das Sonett in seinen drei Quatrains mit Schluss-Couplet vor uns. Man muss einen

Sweet Phebe, do not scorn me; do not, Phebe;

Say that you love me not, but say not so

In bitterness. The common executioner,

Whose heart the accustom'd sight of death makes hard,
Falls not the axe upon the humbled neck

But first begs pardon: will you sterner be

Than he that dies and lives by bloody drops?

Vergl. die Stelle aus As Y. zu S. 6 (CXLIII), Archiv, Bd. LIX, Pg. 264.

* Nahe heran reichen die Sonette 57 (XXIX), 19 (LXXV), 124 (LXIV), 142 (CXVI).

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