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den ersteren übergehen liess in en (em), den andern in in (im). Aber das hat nicht durchgehende Giltigkeit: es giebt genug Wörter, deren Praefix in (im) nicht negativen, sondern praepositionalen Sinn hat, z. B.

incarnat, incision, incliner, inclus, incruster, inventer, imbiber, immanent, imminent, impératif, importer, irrigation, irriter u. s. w.; es giebt andere, die, mit en (em) beginnend, doch nicht den Sinn der lat. Praeposition in haben, z. B.

enfuir, enlever, emmener, emporter, entrainer, wo en dem lat. inde entspricht ;

und es giebt sogar einige, wo en statt der praepositionalen geradezu negative Bedeutung hat:

ennemi in neg.

entier von integer

amicus;
in neg. + TAG (tango);
neg.TAG

engoncer von inconsus inconditus (vgl. Scheler Dict.).

Hiernach dürfte die Vermutung nicht von der Hand zu weisen sein, dass in imberbe das I der ersten Silbe sich gehalten habe, weil ein E in der zweiten Silbe folgte, dass dagegen in embarbé das I in E verwandelt worden sei in Rücksicht auf das A der folgenden Silbe, ähnlich wie in den Ableitungen vom lat. imbuere und imbibere: in em boire, imbu und imbiber die Praeposition den Vokal wechselt, ohne den Sinn zu differenziren, wo auch vielleicht die erste Silbe im sich gehalten hat, weil der hohe I- resp. Ü-Laut darauf folgt, dagegen vor dem tiefen O in em übergegangen ist.

*

Ein anderes differenzirtes Praefix ist inter entre. In den Wörterbüchern wird gewöhnlich bei entre die Ableitung von lat. inter angegeben, obwohl es Gründe genug dafür giebt, um eine andere annehmbarer erscheinen zu lassen, nämlich die von intra. Für diese Ableitung lassen sich folgende Gründe anführen :

1) Das Verb entrer hat seine gegenwärtige Gestalt durch VokalAbstufung (Brechung) erhalten aus dem lat. intrare.

Die Praeposition entre kann nach derselben Analogie von intra abgeleitet sein.

2) Der Unterschied in der Bedeutung der beiden Praep. inter und intra ist nicht grofs, denn intra ist abgeleitet von intera, scil.

* Wäre die Vokalabstufung im Franz. vollständig durchgedrungen, so würde emboire conjugirt werden: j'embois, nous imbuvons, ils emboivent, j'emboirai, j'imbus, j'ai imbu.

parte, und darum wenden wir es namentlich an, um dadurch auszudrücken die Ruhe, den Aufenthalt oder das Sichbefinden inmitten eines oder mehrerer Dinge; inter fügt derselben Bedeutung den Begriff hinzu sich nach einem inneren Orte hinbegeben. Vergleichen wir nun alle die Wörter, welche mit beiden Praepositionen, inter und entre, zusammengesetzt sind, wie interdire und entredire, so finden wir den Unterschied der Bedeutung genau übereinstimmend mit dem von lat. inter und intra, denn

entre-céder bezeichnet die Situation, wo zwei Menschen sich an den Grenzen ihres Besitztums befinden und sich gegenseitig davon etwas gewähren ;

intercéder bezeichnet das Einschreiten d. h. das Sichbegeben an einen Ort und den Fortgang einer Sache hemmen.

Aehnlich ist der Unterschied bei

s'entre-dire colloqui; interdire interdicere, vetare
s'entre-mettre de qc. conciliare; intermission dilatio.

entre-poser in horreis collocare; s'interposer intercedere
pro alq.

Bei allen diesen Wörtern steht entre auf die Frage Wo? inter auf die Frage Wohin?

3) Es giebt kein mit inter zusammengesetztes Wort, welches an der Commissur ein trait d'union hätte, während fast alle Zusammensetzungen mit entre (entr') stets mit trait d'union geschrieben werden, ein Beweis dafür, dass die Verbindungen mit entre weniger fest sind (uneigentliche Zusammensetzungen etwa wie im Deutschen heruntergehen), die mit inter dagegen engere (eigentliche Zusammensetzungen etwa wie unterdrücken). Hiernach hat entre die mehr adverbiale Bedeutung des intra, inter aber die praepositionale des gleichlautenden lateinischen Wortes.

Nach allem diesem möchte es scheinen, als ob entre besser vom lat, intra als von inter abzuleiten sei.

Aufser den bis jetzt aufgeführten Wörtern dürften u. a. die folgenden Vokalabstufung erfahren haben:

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Ausser den S, 101 aufgeführten: quel, chétif, clef, nef, menace müssten von Fachmännern genauer geprüft werden die folgenden: 1) lat. caput, Wurzel capit-, franz. chef;

2) die Endung -alis, welche in einigen Wörtern unverändert bleibt, z. B. in naval, annal, canal, natal, fatal, vénal, général; in anderen aber sich ändert in -el, z. B. tel, annuel, réel (réalité), mortel (mortalité), formel (formalité), spirituel, mutuel, naturel;

3) die Endung -arius und -aris, welche sich in aire oder ier verwandeln :

lat. primarius fr. primaire und premier

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aufserdem légionnaire, argentier, sicaire, capillaire, militaire, vulgaire, articulaire.

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Die ältesten deutschen Sprachdenkmäler, welche bis zum achten, vielleicht bis zum siebenten Jahrhundert p. Chr. hinaufgehen, zeigen nicht mehr durchgehend die Vokalfolge a — i, wie sie ehemals bestanden haben muss, sondern in einigen Wörtern hat sich das a schon in e verwandelt (Grimm Gr. I, 76 ff.). In dieser Uebergangszeit brauchte man z. B. im Franz. noch die folgenden Wörter:

alise sorbus torminalis,

aliberge (alberge, auberge für hariperga) de versorium, chamois (gamz) ibex,

harban (hariban) convocatio populi,

sarquel (saruhc) sarcophagus,

garer (wahren) servare,

garir (warjan, wehren) defendere u. a. m.

Einige dieser Wörter sind unverändert geblieben, wie garer, weil kein I vorhanden war, welches Vokalabstufung bewirken konnte; - andere, wie alise, chamois, haben gleichfalls die alte Form bewahrt, obwohl im Deutschen später Vokal-Abstufung eintrat: Else, Gemse; noch andere aber haben die ursprüngliche Vokalfolge a i verwandelt in e i, gerade wie die entsprechenden deutschen Wörter:

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sarquel: cercueil Sarg: Särgel,

garir: guérir = ahd. warjan: nhd. wehren,

renardragin-hart: Reinhard.

Mag auch erwiesen werden können, dass die Vokalisation einer grofsen Anzahl der hier angeführten Wörter auf andere Weise besser erklärt werden kann, so wird immer noch eine genügende Anzahl übrig bleiben, bei denen die von mir gegebene Erklärung sich als stichhaltig erweisen wird. Bei der Nasalirung der Vokale und deren Abstufung gemäfs der vokalischen Tonhöhe treten offenbar Lautgesetze in die Erscheinung, welche, auf der natürlichen Beschaffenheit aller menschlichen Sprechorgane beruhend, auf die Gestaltung aller Sprachen einen tiefgreifenden Einfluss ausgeübt haben müssen. Die in der Philologie herrschenden Richtungen nehmen zwar bis jetzt noch zu derartigen physiologischen Untersuchungen eine äufserst zurückhaltende Stellung ein; da sich jedoch durchaus zuverlässige Beurteiler meiner oben genannten Schrift, wie Max Müller u. A., mit den Grundgedanken meiner Forschungen einverstanden erklärt haben, so sollten diese Lautgesetze, welche nachweisbar im Deutschen, Lateinischen, Griechischen und Hebräischen eine Harmonie zwischen Vokalhöhe und Wortbedeutung, zwischen sinnlichem Eindruck und sinnigem Ausdruck, zwischen der äusseren Welt des Seins und der inneren des Gedankens bewirkt haben, nunmehr auch in ihren Beziehungen zum Vokalismus der französischen Sprache einer eingehenden Untersuchung gewürdigt werden.

Oppeln.

Dr. Aug. Grabow.

Beurtheilungen und kurze Anzeigen.

Lessing's Hamburgische Dramaturgie. Für die oberste Classe höherer Lehranstalten und den weiteren Kreis der Gebildeten erläutert von Dr. Friedrich Schröter und Dr. Richard Thiele. CXXXVI u. 630 S. Halle 1877/78. Waisenhaus. Lex.-8. Eine commentirte Ausgabe der Hamburgischen Dramaturgie war längst ein Bedürfniss, das jeder empfand, der dies Meisterwerk ernstlich studiren wollte. Galt es doch viele, oft minutiöse Beziehungen klar zu legen und Anspielungen aufzuhellen, welche der Lauf der Zeit den Epigonen verdunkelt hatte. Was an der Hamburger Bühne vor reichlich hundert Jahren zur Darstellung gelangte, ist längst vom Repertoire verschwunden; selbst zur Lectüre dienen heut nur wenige jener Stücke, so dass uns der Stoff, an dem Lessing seine Kritik übte, von dem er ewig geltende Kunstgesetze abstrahirte, fremd und veraltet erscheint.

Ihn aus Schutt und Trümmern hervorgegraben zu haben, ist das Verdienst der Herren Schröter und Thiele. Sie bieten den Lachmann - Maltzahn'schen Text, dessen Zeitenzahlen zu bequemer Orientirung am Rande verzeichnet wurden, und erläutern ihn in höchst sorgfältiger, gewissenhafter Weise, indem sie sich über die verschiedensten Dinge verbreiten und stets die besten Quellen zu Rathe ziehen. So ist es ihnen gelungen ein Buch herzustellen, welches für das Studium der Literatur des vorigen Jahrhunderts überhaupt wichtig ist, da nicht nur über die Dramaturgie Licht verbreitet wird, sondern die Bemühungen der Herausgeber, besonders in der umfangreichen Einleitung, auch vielen anderen, oft sehr interessanten Erscheinungen zu Gute kommen. In erster Linie erscheinen biographische Angaben und die Analysen der von Lessing besprochenen Dramen: so der Hautontimoroumenos, die Aulularia, Richard III, Cronegk's Olint und Sophronia, sein Codrus, Molière's l'Avare, l'Ecole des Femmes, Voltaire's Semiramis, Zaïre, l'Ecossaise, Regnard's Démocrite, Gresset's Sidney, Weisse's Amalia u. v. a. Leider gelang es nicht, ein Exemplar von Pfeffel's "der Schatz" (Frankfurt a. M. 1761. 8°) aufzufinden, obgleich auf 31 deutschen Bibliotheken Nachfrage gehalten wurde. Neben diese werthvollen Analysen treten culturhistorische Notizen und sachliche Erläuterungen: so spricht sich eine Anmerkung zum siebenten Stück über die in Lessing's Tagen herrschende absprechende Auffassung der Kreuzzüge aus; zu Stück 22 wird die Andrienne (nicht

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