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wenigstens nicht durchweg, wie z. B. die liaison der Endkonsonanten im Französischen, und doch ist auch dieser Gegenstand für die Aussprache von der größten Wichtigkeit; auch bei ihm, und anderen, ihm ähnlichen, steht aber wieder das Gesez viel höher, als die bloße Erörterung eines einzelnen Falles. Es muß daher ein lebhafter Wunsch aller derer, die sich für ein gründliches Studium der neueren Sprachen intereffiren, sein, daß auch die Orthoëpie dieser Sprachen von wissenschaftlich gebildeten Männern in gründlicher, systematischer Ordnung, ausführlich behandelt werde, wobei überall, und in allen Fällen, das Gefeß aufgesucht und die Ausnahmen sämmtlich dabei angegeben werden.

Für das Französische bestzen wir ein solches Werk in A. Steffenhagen's französischer Orthoëpie. Parchim und Ludwigslust 1841. XX. u. 586 S.“, das den Gegenstand nicht bloß in allen Einzelnheiten erschöpft, sondern auch nach einem so leicht übersichtlichen Plane, und mit so viel wissenschaftlichem Scharfsinn bearbeitet ist, daß jeder Kenner des Gegenstandes dem Verfasser den lebhaftesten Dank für die mühevolle Arbeit gern zollen wird. Wir wünschen dieser tüchtigen Arbeit eine recht ausgedehnte Verbreitung, namentlich auch unter denen, welche dazu berufen sind, das Französische zu lehren, da sie gewiß Alle nicht selten Gelegenheit finden werden, sich darin_Raths zu ́er= holen, und das Buch nie unbefriedigt aus der Hand legen werden. Wie es überhaupt zu wünschen ist, daß Schulmänner bei ihren eigenen Studien (und welcher ächte Schulmann könnte das Fortstudiren lassen!) sich nicht an jene Machwerke der Spekulation, welche lauter werthlose ́ Kompilationen sind, halten, sondern ihre Nahrung in den tüchtigen Geisteswerken wissenschaftlicher Männer suchen, die zu solchen Arbeiten Beruf und Geschick haben: so muß dies auch ganz insbesondere von den Schriften über neuere Sprachen mit Nachdruck ausgesprochen werden; nirgends hat die Spekulation und Mittelmäßigkeit ihre Hand mehr im Spiele gehabt, als gerade hier; nirgends hat sie mehr Betregene und arg Getäuschte als Opfer gewonnen, als auf dem Felde der neueren Sprachen.

Daß irgend Einer, der sich mit dem Französischen beschäftigt, eine so umfassende Arbeit, wie die oben genannte, für sich oder Andere für überflüssig halte, ist wohl kaum anzunehmen; er wäre sonst leicht von seinem Irrthume zu überführen; jede Seite des Buches liefert Stoff genug zu einer solchen Ueberführung. Neh

men wir z. B. nur die Aussprache des anlautenden en gewiß bei weitem nicht der schwierigste Fall. Wir legen dem Leser aus diesem Artikel z. B. die Wörter vor: enarrher, enivrer, énigme, enhuiler, enhydre, enhacher, ennemie, ennoie, Ennius u. s. w.; er frage sich, ob er, ehne anderes Hülfsmittel die Aussprache von allen sogleich mit Sicherheit anzugeben, oder gar auf das Gefeß zurückzuführen wiffe; ich glaube, daß dieser und hundert andere Fälle dem Gedächtnisse des gebildetsten Franzosen Troß bieten, um so mehr werden Deutsche sich überzeugen, daß sie es nicht verschmähen dürfen, sich mit diesen, wenngleich anscheinend kleinlichen, doch zum Ganzen des sprachlichen Wissens nothwendigen, daher auch höchst wichtigen Dingen zu beschäftigen. Wenn es auch in der That nicht für Jeden unumgänglich nöthig ist, die Aussprache auch der seltensten Wörter zu wissen, so muß der Lehrer doch allerwenigstens die Mittel in Händen haben, sich auch über die seltensten Fälle zu belehren, wenn sie ihm vorkommen, und dazu kenne ich kein so geeignetes Werk, wie das erwähnte. Eine große Menge solcher Schwierigkeiten bieten die stummen Buchstaben, die Doppellaute, die Verbindung der Endkonsonanten mit dem folgenden Worte u. v. A. dar. Ich weiß wohl, man hält tiese Gegenstände in der Regel für leichter, als sie sind, und es wäre nicht schwer, französische Lehrer, die zwanzig Jahr und länger Nichts als Französisch docirt haben, aufzuzählen, die mit Rücksicht auf diese Punkte gewiß keine Seite lesen können, ohne ein Heer von Fehlern zu machen, und dessenungeachtet nicht ahnen, Taß sie noch so weit von einer erträglichen Kenntniß ihres Gegenstandes entfernt sind. Diese Leute bilden dann, wenn sie sich gar noch einfallen lassen, Bücher zur Belchrung für Andere zu schreiben, jene cupide médiocrité, gegen welche der Unbefangene nicht genug zu warnen ist.

Man würde sich aber sehr irren, wenn man glauben wollte, daß die Orthoëpie mit der weitern Aus- und Durchführung der= jenigen Gegenstände, welche die Grammatiken und sonstigen Schriften hierüber gewöhnlich enthalten, abgemacht sei. Das Steffenhagen'sche Werk belehrt uns auch über den Inhalt der Disciplin eines Bessern. Die Laute einer Sprache können nämlich in zweierlei Beziehung aufgefaßt werden: qualitativ und quantitativ; das qualitative Verhältniß bestimmt den Klang des Lautes, wie er durch die Stellung der verschiedenen Sprachwerkzeuge modificirt wird, das quantitative Verhältniß die Länge, Stärke

und Höhe des Lautes. Die Lehre vom qualitativen Verhältniß der Laute ist das, was man Lautlehre nennt, die des quantitativen gibt die Tonlehre, welche wieder in Quantitätslehre und Accentlehre zerfällt, welche der dritte Theil in der Grammatit nicht behandelt, sondern der Musik überlassen wird. Wir finden nun diese beiden Gegenstände der Tonlehre in dem angeführten Werke für das Französische zum ersten Male behandelt und zugleich auf ein geordnetes System gebracht. Veide Gegenstände sind für die Aussprache von der größten Wichtigkeit, so unbekannt sie auch den Grammatikern und Sprachlehrern sonst sein mögen; eine richtige Aussprache ist ohne sie eine Unmöglichkeit. Wie jeder gebildete Franzose bekanntlich selbst behauptet, daß Keiner seine Sprache richtig sprechen und schreiben könne, der sie nicht grammatikalisch gelernt, so gilt dies ganz insbesondere von der Aussprache, und namentlich spielen Zeitverhalt und Accent hier eine wichtige Rolle. Es liegt dies in der That in der Natur des Französischen; kein Engländer lernt seine Sprache grammatikalisch, unsere besten deutschen Schriftsteller haben auch nicht grammatisch Deutsch gelernt; der Franzose würde ohne Grammatik schlecht bestehen. Es ist übrigens zu bemerken, daß unter Zeitverhalt der Vokale hier nicht die gewöhnliche Prosodie zum Zwecke des Versbaues zu verstehen ist, denn die Verse werden immer nur nach dem Accente gebaut und gelcsen; sondern unsere Lehre vom Zeitverhalt bezieht sich lediglich auf die Aussprache beim Lesen und Sprechen; so z. B. gehört hierher die Bestimmung, daß ai furz gesprochen wird in je travaille, lang in funérailles, a lang in que je fasse, fur in face u. f. w. Es fkommen hier Gesche vor, die in der Rede, aus Unkenntniß, nur zu häufig verlegt werden. Nicht weniger wichtig sind die Geseße der Betonung, von denen keine Grammatik Etwas enthält; der Verfasser betrachtet hier die Betonung der Sylben im Worte, der Wörter im Saße und der Säge in ihrer Verbindung zur Rede, jedes grammatisch und oratorisch; zum Schluß des Ganzen werden noch die Regeln zur Betonung in den einzelnen Arten des Vortrags aufgestellt, nämlich: in der Konversation, Lektüre (Prosa und Poesie) und in der Deklamation. In dieser Ausführung bildet das Ganze ein System der französischen Aussprache, in welchem kein dahin gehöriger Gegenstand unerörtert geblieben, so daß es jedem Freunde der neueren Sprachen in mehr als einer Beziehung eine höchst willkommene Erscheinung sein muß, insofern dasselbe zugleich als

ein deutlicher Fingerzeig für die Behandlung desselben Gegenstandes in anderen Sprachen dienen kann. Ich glaube daher, Manchem einen Dienst erwiesen zu haben, wenn ich hier ein Werk zur allgemeinen Kenntniß gebracht, das in der Bibliothek keines moder= nen Philologen fehlen sollte. Eine vollständige Würdigung der Schrift konnte indeß hier nicht beabsichtigt sein, dazu wäre eine eigentliche Recension nöthig; vor Allem aber ist Jedem die eigene Ansicht des gehaltvollen Werkes zu empfehlen.

Dieselbe Wichtigkeit aber, welche der Orthoëpie für das Französische beigelegt werden muß, gebührt ihr unzweifelhaft auch für das Englische; wie viele Fälle gibt es auch da, die sich schwer unter ein Gesez fügen? oder, wenn dies gelungen, doch so viele Einzelnfälle und Klauseln erfordern, daß sie sich dem Gedächtniß gar leicht wieder entziehen? Man nehme z. B. das s; es hat nur vier Laute, aber wie kompliciren sich die Fälle? ob es als An- oder Auslauter steht, vor Vokalen oder Konsonanten, im Anfange oder in der Mitte des Wortes, ob ihm ein Vokal oder Konsonant vorhergeht, ob dieser Konsonant hart oder weich ist, ob es, als Auslauter, mitten im Worte, oder am Ende desselben steht, im ersten Falle, ob die folgende Sylbe wieder mit s, oder mit einem andern Konsonanten anfängt, im legtern, ob s der lezte Buchstabe des Wortes ist, oder ob ihm noch ein Konsonant folgt, ob ihm ein Vokal oder Konsonant vorhergeht u. s. w. Es würde überflüssig sein, noch von anderen neueren Sprachen zu sprechen, oder von den beiden genannten noch mehr Einzelnheiten heranzus ziehen; es reicht das Gesagte hin, um Jedem die Ueberzeugung zu geben, daß in der Orthoëpie irgend einer lebenden Sprache gar Manches zu lernen, daß in diese Disciplin, so gut wie in jede andere grammatische, System und Ordnung zu bringen ist, und daß da, wo Gesezmäßigkeit herrscht, wäre sie auch noch so komplicirt und voller Klauseln, der Geist eine Nahrung findet, ist allgemein anerkannt. Auf der andern Seite aber darf man die Sache auch wieder nicht für so leicht und überflüssig anschen, wie die bloßen Empiriker sie darstellen möchten; man benuze daher die vorhandenen Mittel mit Umsicht und zur rechten Zeit, so werden Uebung in der Aussprache und Kenntniß des Sprachgesezes einander die Hand bieten und jene Gewandtheit und Sicherheit erzeugen, welche das Ziel jedes Sprachunterrichtes sein muß. Dr. J. Heussi.

Parchim.

Köchly und Antiköchly.
Ein Wort über moderne Gymnasialbildung.

Erster Theil.

Die ie Zeiten sind nicht mehr, in denen man die Scala wissenschaftlicher Bildung auch an das Wissen und an die Kenntnisse im Griechischen und Lateinischen legte; vorüber sind die Zeiten, in denen man auf die richtige Seßung griechischer Accente höheren Werth legte als auf die gründlichste Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur: beide waren verachtet oder verkannt. Man hielt es wirklich unter seiner Würde, sich mit einer Sprache zu befassen, eine Sprache in den Kreis wissenschaftlicher Untersuchungen und Studien zu ziehen, die der Mund jedes Bauern sprach. Nachdem nun endlich der gesunde Menschenverstand die Oberhand gewonnen und Licht verbreitet hatte, fing man an, d'e alte Philologie in den gelehrten Schulen dadurch zu beschränken, daß man andere Unterrichtsgegenstände in den Lehrkreis aufnahm: deutsche Sprache und Literatur, Mathematik, Französisch, hier und da sogar Englisch und Italienisch, Physik u. s. w. fanden Eingang, und tüchtige Lehrer zeichneten sich im Vortrage dieser Gegenstände aus, welche wir moderne nennen wollen, weil die moderne oder Neuzeit sie mit sich brachte. Vernünftige Gymnasial - Direktoren und Lehrer sahen ein, daß man Bildung des Geistes ebensogut durch das Studium neuerer Sprachen, mathe= matischer Wissenschaften u. s. w. fördern könne, als durch das Griechische; ja daß ohne Mathematik und ohne neuere Sprachen gründlich zu erlernen, viele Fächer geradezu unbesegt bleiben müßten, deren Vertretung der Fortschritt der Zeit gebieterisch fordert.

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