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altbegründeter Nationalglaube, sondern eine bloße Uebersekung aus dem Lateinischen zu Grunde liegt, die wahrscheinlich erst in den Zeiten der Antonine über den heidnischen Norden sich verbreitete. Nur Wodan ist von dem nur noch technisch benannten Mittwochen Caber engl. noch wednesday), und der germanische Stellvertreter des Saturn (aber engl. noch saturday) von dem nach jüdische, Weise benannten Samstag für Sabbathstag verdrängt wors den. Ein rein christliches Aequivalent ließ sich hier gar nicht schaffen, darum haben auch die romanischen Sprachen einen Mittelweg eingeschlagen, indem sie in diesem Punkte zwar römisch, aber nicht christlich geworden sind, mit alleiniger Ausnahme des Sonntags, der als dies dominica, ital, domenica, span. domingo, franz. dimanche dem Herrn (Christus) geweiht wurde. Am meisten hat sichtlich Thor den christlichen Priestern zu schaffen gemacht, die seinen Namen aus den heidnischen Flüchen zu verbannen suchten, indem sie lehrten, Thor sei der leibhaftige Teufel; aber nun fluchten die Germanen Donner und Teufel zusammen, und kaum ist es den Priestern gelungen, durch ein vorgeseztes Heilig oder Kreuz die grauenvollen Donnerwetter der altgermanischen Flüche einigermaßen zu mildern.

Darmstadt.

K. Dilthey.

Ueber Orthoëpie moderner Sprachen.

In den meisten Fällen legt die Orthoëpie neuerer Sprachen

dem Lehrer derselben beim Unterrichte so vicle Hindernisse in den Weg, daß aus diesem Umstande die verschiedensten Ansichten über ihre Wichtigkeit oder Unwichtigkeit, und demnach über ihre Behandlung im Sprachunterrichte sich entwickelt haben: der Eine meint, die Aussprache finde sich im Fortschritte des grammatischen Studiums und der Lektüre so allmälig von selbst; besondere Regeln darüber zu lehren sei überflüssig, überdies gelange der Schüler durch den lebendigen Gebrauch zu einer viel größern Sicherheit, als durch alle Theorie; der Andere gibt seinem Schüler das nothwendigste theoretische Rüstzeug, und überläßt ihn des Uebrigen wegen seinem guten Stern; ein Dritter wieder ist ganz für die Theorie und hält sich Monate lang bei den Regeln über Aussprache auf, che sein Schüler nur ein Wort defliniren oder konjugiren lernt. Ja, sehen wir die Grammatiken der verschiedenen neueren Sprachen selbst an, so tritt uns dieselbe Verschiedenheit der Ansicht und Behandlung des Gegenstandes entgegen; während dieser die theoretische Durchführung vor allem Andern empfiehlt und sorgfältig zu erstreben versucht, erklärt der Andere ein solches Beginnen für ganz unmöglich, und läßt daher in seiner Grammatik diesen Gegenstand unerörtert. Wenn nun die Grammatiker selber einander so schnurstracks ents gegenstehen, so muß der unbefangene Anfänger einer fremden Sprache völlig rathlos bleiben, und in einem noch viel schlimmern Falle befindet sich die nicht unbedeutende Zahl der Lehrer dieser Sprachen, welche, sich nicht zu einer eigenen Ansicht erhebend, dem ersten besten Lehrbuche, das sie vertrauensvoll zum Führer erkoren, sich in die Arme werfen, und nicht ahnen, daß ein Lehrbuch auders als so Seite für Seite durchgemacht werden könne, nicht ahnen, daß der Schüler gerade nicht Alles, was in seiner Grammatik steht, oder stehen könnte und sollte, strictissime aus

wendig zu lernen braucht, und es zur Zeit doch wissen könne, ja sogar wissen müsse, und bei richtiger Behandlung besser wisse, als das, was er dem Lehrer so aus dem Gedächtnisse, mente absente, vorgebetet hat. Es ist eine alt hergebrachte Sitte, eine leider von den lateinischen Schulen übererbte Schwachheit unseres Sprachunterrichtes, daß die ganze Grammatik bloß mit dem Gedächtniß aufgefaßt, und der Verstand dabei n.öglichst unthätig gelassen wird; denn einige Regeln kann der Schüler wohl lernen und mit dem Verstande lernen, und nachgehends anwenden, so daß sie ganz zu seinem Eigenthume werden; je mehr aber ihre Zahl wächst, desto leichter verwischen und verwirren sie sich gegenseitig, desto weniger Gewicht legt der Schüler selbst darauf, desto mehr überläßt er sich dem gedankenlosen Lernen und Herbeten, was ihn nachher, bei der Anwendung, ganz im Stiche läßt. Die Sprache ist aber ein so vielgestaltetes Wesen, daß mit einigen" Regeln, und wenn durch diese allerdings unbestimmte Zahl auch hundert und mehr gemeint wären, nicht auszukommen ist; ja, die, besonders für neuere Sprachen bestimmte Zeit reicht auch gemeinhin nicht aus, um eine für die Erlangung einer völligen Kenntniß der Sprachgescße hinreichende Zahl von Regeln lernen zu lassen. Eine Auswahl ist schwer zu treffen; denn lerut der Anfänger die eine Regel und die andere nicht, so heißt das, gegen die leptere mag er schon fehlen; und doch sind das eben so. gut Fehler als die gegen die anderen begangenen. Also drängt sich schon von dieser Seite eine ganz andere Behandlungsweise des Sprachunterrichtes auf, womit denn auch eine ganz andere Behandlung der Orthoëpie eng verbunden sein wird.

Mögen wir den Sprachunterricht als bloß formales Bildungsmittel auffaffen, oder mag man das positive Wissen, das Verstehen und Sprechen der zu erlernenden Sprache als Hauptziel desselben ansehen immer wird es doch darauf ankommen, eine möglichst ausgedehnte Kenntniß der Sprachgeseße zu erwerben, da wir nur durch diese, einerseits zu der Fertigkeit, uns in der fremden Sprache zu bewegen, andererseits zu dem Grade von geistiger Ausbildung gelangen, welche wir mit Recht von der nicht geringen Mühe des Erlernens einer Sprache erwarten dürfen. Wenn nun, wie gewiß allgemein zugegeben werden wird, die Zeit nicht ausreicht, auch nur einen verhältnißmäßig kleinen Theil der gesammten Sprachgeseze in der Stunde der Ordnung und Reihe nach zu besprechen, von dem Schüler zu Hause auswendig lernen zu lassen,

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und in der folgenden Stunde zu überhören; wenn überhaupt dieses Auswendiglernen grammatischer Regeln leicht und unvermeidlich zu einem gedankenlosen Lernen wird, sobald ein sehr beschränktes Maß überschritten wird, so bleibt nichts Anderes übrig, als den Echüler, durch die Art der an ihn zu machenden Forderungen, zu nöthigen, die Mehrzahl grammatischer Regeln durch eigenen Privatfleiß einzustudiren, die Grammatik gerade so zu benugen, wie er das Lerikon benußt, als ein Nachschlagebuch, wo er die einzelnen Artikel, wie sie bei der aufgegebenen Arbeit gerade vore kommen, aufschlägt, aufmerksam durchließt, und bei seiner Arbeit in Anwendung bringt. Der Schüler erlangt dadurch einerseits die nicht gering anzuschlagende Fertigkeit, ein Buch selbst zu ge brauchen; ist dics ene Grammatif mit einer streng durchgeführten Disposition, so ist der bildende Werth eines solchen Verfahrens desto bedeutender; andererseits erwirbt der Schüler eine so allscitige Kenntniß der Sprache, wie sie sonst auf keinem andern Wege zu erreichen ist. Derselbe Saß führt ihn durch alle möglichen Abschnitte hindurch, der nächste cben so, erheischt aber wieder ane dere Regeln, als jener u. s. f., so daß eine verhältnismäßig gez ringe Zahl von Säßen den Schüler in den Besit einer gro Een Anzahl von Regeln seßen, während bei einen ® systematischen Durchlernen gewisse Abschnitte, die zufällig bei der gewählten Dise position der Grammatik an's Ende zu stehen gekommen sind,im mer im Nachtheile bleiben, weil der Untericht vor Ablauf der für den Kursus festgesezten Zeit nicht bis dahin zu gelangen vermochte. Nur in dem Falle, wo die Grammatik aus einem kurzen Abriffe besteht, ist es möglich, seinen Kursus immer zu Ende zu bringen; aber was kann ein solcher Abriß dem Schüler helfen? Das Fehlente sind ebenfalls Sprachgeseße, die zu einer umfassenden Kennt niß der Sprache gerade eben so unentbehrlich sind, wie alle ans deren, und deren Mangel den Schüler, wenn er ihrer gerade bedarf, dann rathlos läßt. Die Kontrole, daß der Schüler sich wirklich die Mühe genommen habe, die betreffenden Regeln in der Grammatik nachzuschlagen, ist sehr leicht zu führen, leichter als die Kontrole des Fleißes in den meisten anderen Unterrichtsgegenständen, und zwar um so leichter, je besser der Lehrer schon selbst mit den Hauptgegenständen der in den Händen des Schülers befindlichen Grammatik vertraut ist, und sehr viel sicherer, als das gewohnte Ueberhören auswendig gelernter Regeln. Auch dies ist aus dem pädagogischen Gesichtspunkte ein Gewinn, für einen Unterrichts

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gegenstand eine leichte und sichere Kontrole des Fleißes der Schüler zu haben, denn Nichts wirkt verderblicher, als daß der Unfleiß nicht entdeckt und geahndet, der redliche Fleiß nicht anerfannt wird.

Wenn ich in dem Vorhergehenden in kurzen Umrissen anzudeuten versucht habe, wie die Grammatik überhaupt zu gebrauchen set, und sich daraus ergeben hat, daß namentlich nur eine recht ausführliche, wo möglich alle Sprachgeseze enthaltende Grammatik für einen solchen Unterricht zu gebrauchen sei, so wird sich daraus leicht ein Schluß auf die Orthoëpie machen lassen. Es ist jedoch nicht in Abrede zu stellen, daß dieses Gebiet für die allgemeinen Zwecke des Sprachunterrichts gerade nicht die Vollständigkeit und Umfänglichkeit des Unterrichts in Anspruch nehmen darf, wie die übrigen Theile der Grammatik, weil hier, auch selbst bei der oben angegebenen Behandlungsweise, die Zeit doch nicht ausreichen würde. Desfenungeachtet wird es auch hier immer mehr darauf ankommen, die wesentlicheren Gegenstände auf ein Gesez zurückzuführen, als etwa nur überhaupt bei dem Schüler eine richtige Aussprache zu erzielen, was man denn wieder auf demselben Wege eher, als auf jedem andern erreichen wird. Auch hier wird das systematische Lernen nur wenig fruchten, was gerade vorkommt, werde crörtert, einstudirt und angewendet. Dazu ist freilich nöthig, daß die Grammatik auch das nöthige orthoëpische Material liefere, bloße Auszüge können auch hier wenig helfen. Wenn nun gleich dem Schüler, rücksichtlich der Orthcëpie aus den angeführten Gründen Manches erlassen werden muß, so ist es doch doppelt wünschenswerth, daß der Lehrer einer fremden Sprache hinreichende Mittel besize, sich nach und nach auch eine durchgreifende Kenntniß der ortheëpischen Geseze anzueignen; denn ich weiß aus eigener Erfahrung in mehr als einer fremden Sprache, daß, so leicht und gewandt man sich auch darin bewegen mag, selbst wenn man Jahre lang unter dem Volke, das sie spricht, gelebt und ihre Aneignung sich zum Hauptaugenmerk gemacht hat, dennech öfters Fälle vorkommen, wo man rücksichtlich der Aussprache ungewiß bleibt; für manche Sprachen, wie z. B. das Englische, geben allerdings die Lerika die Aussprache an; allein in diesen findet man denn gerade nur die Aussprache des fraglichen Wortes, während es viel vorzüglicher ist, dasselbe auch unter das betreffende Gesez rangirt zu sehen. In anderen Sprachen kommen aber auch noch Beziehungen in Betracht, welche kein Lexilen angeben fann,

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