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Also soweit waren wir Hamlet in seiner Reflexion gefolgt, daß wir saben, er würde unter der Last der ihn drückenden Plagen den Tod aufs innigste wünschen müssen, wenn nicht der Gedanke an das Jenseits, an den Zustand nach dem Tode ihn zum Stillstehn zwänge. Dieses Alles noch einmal zusammenfassend, fährt er fort:

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Worte, aus denen man sicht, daß Hamlet den im Eingange des Monologs hervortretenden Wunsch nach Vernichtung, wieder zurückgeschoben hat. Würde er doch selbst durch den Tod, dem ja wieder ein Leben folgt, nicht sicher sein, die Ruhe nach der er sich sehnt, zu erlangen. Zu der ganzen bisherigen Reflerion getrieben in dem sehnlichen Wunsche, seine Plagen geendet zu sehn, muß er sich doch nun sagen, daß die Furcht vor dem Jenseits, entspringend aus der Stimme seines Gewissens, ihn an der dem Wunsche des Sterbens entsprechenden That des Selbstmordes hindere. Und diese Wahrnehmung, die er hier an sich selbst macht, führt ihn unwillkührlich zum Aussprechen des allgemeineren Erfahrungssages, mit dem der Monolog schließt:

„So macht Gewissen Feige aus uns Allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
Und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck
Verlieren so der Handlung Namen."

Des Gedankens Blässe ist es in der That, die überall in Hamlet Entschlossenheit und Energie überkränkelt, so daß sie keine frische. That erzeugt. Auch in diesem Augenblick ist der Wunsch, sein elendes Dasein abzuwerfen, bei ihm vorhanden, der Gedanke des Selbstmords tritt ihm nahe, aber die Reflexion über das etwas nach dem Tode“ macht die Schwingen dieses Wunsches sofort wieder lahm. Es ist überall nicht zum Entschlusse bei ihm gekommen, er hat eben nur gefragt, ob Sein oder Nichtsein vorzuziehn, und als er sich fragend findet, daß das Nichtsein doch wieder in ein Sein umschlage, bleibt er bei der Reflexion darüber stehn, ohne daß sie ihn zum Entschluß, noch weniger zur That triebe.

II.

Nach dieser ungezwungenen Interpretation des Monologs, wonach uns die herrschende Auffassung, welche eine Reflexion Hamlets über den Selbstmord darin findet, durchaus begründet erscheint, liegt uns nun zweitens ob, die Einwürfe, welche Tied dagegen vorbringt, einer Prüfung zu unterwerfen. Wir berücksichtigen hier jedoch zunächst nur die Einwürfe, welche nicht unmittelbar mit seiner neuen Ansicht zusammenhängen, da diese so sehr aus dem Charakter Hamlets begründet wird, daß wir sie erst im dritten Theile, als dem Orte, den wir uns zur Erörterung des Charakters des Helden vorbehalten haben, werden würdigen können.

Es frägt sich also, was hat Tied der obigen, von uns mit dem Monologe selbst begründeten Auffassung speziell vorzuwerfen? Welche Bedenken würde sie ihm erregen, auch wenn er zu der Aufstellung einer abweichenden Ansicht über das Ganze gar nicht gekommen wäre? Dieser Bedenken hat er drei: Er findet es unpassend, daß Hamlet, wenn er in unserm Monologe an Selbstmord gedacht habe, zu Anfange die Worte gebrauche:

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Wäre denn der Selbstmord, sagt er, ein opposing, ein wirklicher Widerstand? Würde dann take arms, die Waffen ergreifen, wohl richtig und passend sein, wenn diese Waffen sich nur gegen den richten sollten, der sie ergriffen." Man soll also nach Tieck von einem Selbstmörder nicht sagen können, daß er seine Plagen durch Widerstand ende. Ist das aber richtig? Ich meine, wir brauchen hier nicht einmal auf eine dichterische Redeweise zu recurriren, auch in der prosaischsten Rede würde man sich so ausdrücken können. Gerade der Selbstmörder ergreift ja recht eigentlich die Waffen gegen sich selbst und indem er sich selbst vernichtet, endet er zugleich alle die Plagen, die gegen ihn einstürmen. Diese Worte also, statt unsere Auffassung zu schwächen, dienen vielmehr dazu, sie zu bestätigen.

Gewichtiger könnte der zweite Einwurf erscheinen, da er eine Stelle der Ueberseßung als vom Original abweichend in Anspruch nimmt. Von der Stelle nämlich:

„Wenn er sich selbst in Ruhstand seßen könnte,

Mit einer Nadel bloß“

sagt Tied, daß sie etwas andres enthalte, als im Original stehe.

Der Leser erlaube uns deshalb die angefochtene Stelle im Original zu citiren; sie lautet:

"When he himself might his quietus make

With a bare bodkin?"

„Tod,“

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Tieck behauptet quietus“ könne „Ruhestand“ nur metaphorisch, nicht wörtlich bedeuten. Zugegeben nun auch, daß quietus" nicht in der nächsten, sondern in übertragener Bedeutung,,Ruhestand" heiße, so ist doch zunächst soviel gewiß, daß es diese metaphorische Bedeutung auch in unsrer Stelle haben könne. Und wie jedes bessere Lexikon Beispiele gibt, wo es offenbar den Sinn endliche Ruhe," "Tod," Rubestand" hat was ja auch Tieck nicht in Abrede stellt, so glauben wir auch in der That, daß es eben diesen Sinn hier habe, brauchen aber um so weniger darauf zu bestehen, als die wörtliche Bedeutung, welche Tied hier festhalten zu müssen glaubt, den Sinn der Stelle nicht um ein Haar breit altcrirt. Er sagt nämlich ganz richtig, daß das Wort quietus ursprünglich bezeichne: beim Gericht den Abschluß der Aften, wenn alles vorüber ist; bei Rechnungsabnahmen: die völlige auss tilgende Quittirung, den Rechnungsabschluß. Nach dieser ursprünglichen Bedeutung würde also die Uebersehung der Stelle, wie auch Tied angibt, wörtlich so lauten: „Wenn er selbst seinen Rechnungsabschluß machen könnte mit einem bloßen Dolch." Führt denn das aber auf eine andere als die obige Erklärung? Es soll schwer halten, das zu beweisen. Selbst seinen Rechnungsabschluß machen mit einem Dolche, wird, wenn man nicht einen vorher fertig ge= machten Sinn willkührlich hineinträgt, doch auch nichts andres heißen, als: selbst mit einem Dolche die Rechnung des Lebens abschließen. Ist doch das Wort ganz ähnlich von unserm Schiller in dem bekannten Monolog des Tell gebraucht, wenn er sagt: ,,Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Voigt" c. Wird aber so der Sinn der Stelle, mag man das Wort „quietus“ in seiner ursprünglichen oder in metaphorischer Bedeutung nehmen, durchaus nicht verändert, so fällt auch dieser zweite Einwurf in sich selbst zusammen.

Wie steht es denn nun mit dem Dritten? Vielleicht enthält der wenigstens etwas Wesentliches, da die früheren, sich so wenig stichhaltig erwiesen. Tieck legt allerdings selbst das größte Gewicht auf diesen leßten Einwurf. Es ist nämlich der Schluß des Monologs von den Worten an, uns Allen

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So macht Gewissen Feige aus

Verlieren so der Handlung Namen," die er

vorzugsweise gegen die bisherige Fassung geltend zu machen sucht. Er läßt sich wörtlich so darüber aus: „Wer aber, nun auch bis auf diese legten Verse, sei es selbst etwas gewaltsam, die bisherige Erklärung hat beibehalten können, dem sollte es doch wohl mit diesem Schluß, wenn er aufrichtig zu Werke geht, sehr schwer, wenn nicht ganz unmöglich fallen. Ist denn jeder Selbstmord eine Handlung, ein Unternehmen voll Mark und Nachdruck? Und könnte Hamlet sich wohl selbst so ungeheuer belügen, die gemeine Feigheit, sich jest, unter diesen Umständen, selber umzubringen, um nur seiner ihm lästigen Aufgabe zu entfliehn, so vornehm zu benennen?"

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Was haben wir nun darauf zu erwiedern? Dieses, daß, wie wir nicht wie Tieck meint, etwas gewaltsam, sondern — durch die Sache gezwungen, die bisherige Erklärung haben festhalten müssen, so auch dieser lezte Einwurf uns keinen Augenblick hat irre machen können. Wir haben bereits oben hervorgehoben, daß Hamlet, nachdem er den Gedanken des Selbstmords, der ja überhaupt nur als Gedanke, nicht in der Form des Entschlusses bei ihm hervortritt, durch seine Reflexionen über das Jenseits wieder fallen lassen und zurückgeschoben hat, seinen Monolog mit einem allgemeinen Erfahrungssaz schließt, zu dessen Aussprechung sein besonderer Fall ihm Veranlassung gab. Er nennt danach in diesen leßten Versen auch nicht direkt den Selbstmord ein Unternehmen voll Mark und Nachdruck, sondern er sagt viel allgemeiner, daß Unternehmungen voll Mark und Nachdruck wozu eine That wie der Selbstmord nur mitgehört durch Rücksichten aus der Bahn gelenkt werden. Hat Diese Fassung nur irgend etwas Gezwungenes oder Unwahrscheinliches? Denn selbst noch ganz abgesehen von dem besonderen Charakter Hamlets, der nach seiner Eigenthümlichkeit eine That wie den Selbstmord recht wohl auch direkt ein Unternehmen voll Mark und Nachdruck nennen könnte, was wäre überhaupt Auffallendes darin, wenn Jemand, der aus Gewissensskrupeln den Gedanken des Selbstmords verworfen hätte, sich eingestände, daß solche Skrupel und Bedenklichkeiten ihn schon oft von kräftigen Unternehmungen abgehalten hätten?! Erfordert es etwa gar keine Willenskraft, sich das Leben, daran der Mensch mit so mächtigen Banden gekettet ist, mit eigner Hand zu nehmen? Mag man den Selbstmord unter Umständen mit Recht eine Feigheit nennen und die wahre Tapferfeit in der muthigen Ertragung des widrigen Geschickes finden, nichts desto weniger ist so viel gewiß, daß zu dem Schritte der Selbstvernichtung, zu der That des Selbstmordes selbst doch immer

wenigstens eine augenblicklich ungewöhnlich gesteigerte, außerordentliche Willenskraft gehört. Aber, wie gesagt, es handelt sich in diesen lezten Versen gar nicht mehr ausschließlich um den Selbstmord, es wird dieser hier vielmehr als etwas Besonderes unter dem allgemeineren Begriff von: „kräftigen Unternehmungen“ nur noch mitgesezt, und es kann deshalb um so weniger befremden, daß der Dichter dem Hamlet eben die Worte in den Mund legt, welche Tieck so anstößig erscheinen.

Und damit glauben wir erwiesen zu haben, daß die speziellen Einwürfe, welche unser Kritiker der bisherigen Erklärung macht, keinesweges der Art sind, um sie uns aufgeben, ja, uns auch nur momentan darin schwankend werden zu lassen. Hat es aber diese Bewandtniß damit, so werden wir um so begieriger, die neue Ansicht zu hören, welche Tieck positiv der bisherigen gegenüberstellt. Es ließe sich ja denken, daß sie uns einen ganz neuen Gesichtspunkt eröffnete, von dem aus wir in unsrer Auffassung, so ungesucht und natürlich sie sich auch ergab, doch wieder irre gemacht würden. Sie hängt nun aber ganz eng mit der Vorstellung zusammen, die Tieck von dem Charakter Hamlets sich gebildet hat und so werden wir hier auf den dritten Haupttheil unserer Untersuchung geführt.

III.

Tied nun, die Ansicht, daß in unserm Monologe von Selbstmord die Rede sei, gänzlich verwerfend, faßt ihn, sagen, so: daß Hamlet darin zu ergründen suche,

-

um es kurz zu warum es ihm

Denn so schwer falle, den Entschluß, die That, die von ihm gefordert werde nämlich die Rache am Könige auszuführen.“ Da wir nun diese Frage: warum wird es mir so schwer, mich an dem Könige zu rächen? fonderbarerweise in unserm Monologe überall nicht antreffen, so ist er, um doch einen Schein für diese Annahme zu haben, genöthigt gewesen, dieses Selbstgespräch mit einem früheren, das den zweiten Akt schließt, in unmittelbare Verbindung zu sezen. In jenem früheren Selbstgespräch tadelt sich Hamlet bitter über seinen Aufschub der Rache, über seinen Mangel an Entschlossenheit zu einer That, zu der er sich durch die Stimme seines Gewissens, wie des ihm erschienen en Geistes gleich sehr ge= drängt fühlt. Er richtet darin die Frage an sich bin ich eine Memme?" Und an diese Frage soll sich, nach Tieck, unser Monolog so anschließen, daß er darin untersuche, was ihn denn eigentlich abhalte, als Rächer aufzutreten.

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