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beutsche Sprache in Frankfurt a. M. (1817) und in Berlin (1820) erinnern.

Es ist allerdings in unserer Zeit auf dem Gebiete der deutschen Sprache Erstaunliches geleistet worden, um so mehr aber ist cs zu verwundern, daß man im Allgemeinen der wieder überhand nehmenden Sprachmengerei so gleichgültig zusicht. Wie gewöhnlich schaut man in die Ferne und übersieht dann, was vor den Füßen liegt. Man sollte sich in die große Arbeit theilen und jedem ein ihm angemessencs Feld zuweisen. Im siebenzehnten Jahrhundert suchte man vor allem Andern einem Uebel abzuhelfen, welches jezt fast in gleicher Stärke fühlbar ist und gleich dringend zur Abhülfe mahnt; dieses Uebel war auch damals die bis zum Uebermaße gesticgene Sprachmengerci. Hören wir einmal eine vollgültige Stimme aus dieser Zeit. Im Jahr 1618, also vor 230 Jahren schrieb Opiß den Aristarchus, sive de contemtu linguæ teutonicæ, worin er sich über die Verunstal.ung der deutschen Sprache also äußert: Diese bisher so reine und vom fremden Schlamme befreite Sprache beginnt nun zu sinken, und sie artet in die selzamsten Redformeln aus. Es entstehen Ungeheuer von Wörtern und Wortfügungen. Unsere Sprache gleicht einem efclhaften Behältniß, wo gleichsam der Unrath aller andern zusammenfließt. Beinahe nirgends keine Periode, keine Interpunktion, ohne ausländischen Zusaße." ,,Es sind die Wörter, dero Fügungen und kunstmessig - geordnete Sprüche der deutschen Sprache so schicklich, fein und wohlständig, daß sie der spanischen Pracht, der welschen Zierlichkeit und der Franzosen liebliche Geschwindigkeit in feinem nichts bevor geben. Und fann und soll ja niemand mehr verborgen sein, daß keine Hinderniß, sondern die höchste Zeit da sei, auch unsere Sprache aus dem Staube zu heben und ans Tageslicht zu bringen; diese uhralte Sprache, diese zierliche Sprache, die prächtige Sprache, die allein würdig gewesen die deutsche Welt, das Wohnhaus so vieler großen Helden, zu bewohnen: die Sprache, die vollständig und unvermengt durch die grimme Flucht so langer Jahren gedrungen und sich bei uns erhalten hat. Diese ist die Sprache, o ihr Deutschen, die euch einzig zu lieben — die ihr müsset in Ehren und Würden halten, die ihr müsset zieren und schmücken und so ihr was könnet hierin ein Meisterstück thun. Ermannet euch, ihr Deutschen, mißgönnet euren Nachkommen nicht dasselbe, was von Gott durch eure Vorfahren auf euch gebracht worden. Bemühet euch, daß diese cure Sprache bei eurer Treu und Tapferkeit, wo

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mit ihr alle Welt übertreffet, die rühmlichste Nebenstelle dermaleins überkommen möge."*) So ehrenvoll sprach man vor mehr als 200 Jahren von unserer Sprache.

In den Schriften der Kurfürstlichen Deutschen Gesellschaft in Mannheim 3. Band 1787, woraus auch obige Stelle genommen ist, heißt es S. 198 ferner: Opig bewirkte eine wichtige Veränderung, aber sie allein macht die fünfte Denkzeit**) in unferer Sprachgeschichte nicht aus, sondern sie und der gleichzeitige Einbruch des ausländischen Lapp- und Flickwesens zusammengenommen. Schon zu Ende des 16ten und zu Anfang des 17ten Jahrhunderts hatten sich viele Spanische, Italienische und Französische Wörter in den Gebrauch eingeschlichen und im Jahre 1624 jammerte Opis sehr, daß diese Thorheit allenthalben so einreiße; aber noch größer ward sie, je mehr fremde Völker im dreißigjährigen Kriege einrückten, und je mehr Deutschland entvölkert und verödet wurde. Es ist erstaunlich, wie zerstörend dieser Krieg auch in Ansehung deutscher Sitten, Gewohnheiten und Denkart gewesen ist. Mit dem Westphälischen Frieden ward dicfe Sprachmengerei nicht aufgehoben, sondern jezt erst, sagt Leibniz, hat sowohl die französische Macht als Sprache bei uns überhand genommen. Man hat Frankreich gleichsam zum Muster aller Zierlichkeit aufgeworffen, und unsere junge Leute, auch wohl junge Herren selbst, so ihre eigene Heimath nicht gekennet, und deßwegen alles bei den Franzosen bewundert, haben ihr Vaterland nicht nur bei den Fremden in Verachtung gesezet, sondern auch selbst verachten helfen***) und einen Eckel der deutschen Sprache und Sitten aus Ohnerfahrenheit angenommen, der auch an Ihnen bei zuwachsenden Jahren und Verstand behenken blieben; und weil die meisten dieser jungen Leute hernach, wo nicht durch gute Gaben, so bei einigen nicht gefehlet, doch wegen ihrer Herkunft und Reichthums oder durch andere Gelegenheiten zu Ansehen und fürnehmen Aemtern gelangt, haben solch Franz- Gesinnte viele Jahre über Deutschland regiert, und solches fast, wo nicht der französischen Herrschaft, doch der französischen Mode und Sprache unterwürffig gemacht. An=

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jezo scheinet es, daß bei uns das Uebel ärger worden, und hat

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***) Man sollte glauben Leibniz lebte noch und spräche von unserer Zeit! Der Verfasser.

ver Mischmasch abscheulich überhand genommen, also daß die Pres diger auf der Canzel, der Sachwalter auf der Canzlei, der Bürs gersmann im Schreiben und Reden, mit erbärmlichem Französischen sein Deutsches verderbet; mithin es fast das Ansehen gewinnen will, wenn man so fortfähret und nichts dagegen thut, es werde Deutsch in Deutschland selbst nicht weniger verlohren gehen, als das Engelsächsische in England." So spricht über unsere Angeles genheit ein Mann von großem Gewicht, dem bei seinen tiefen Fors schungen in der Philosophie und Mathematik unsere Muttersprache Werth genug hatte, um sie zum Gegenstande seines ernsten Nachs denkens zu nehmen.

Als ein Beweis, welche schönen Früchte jene erwähnten Sprachvereine des 17ten Jahrhunderts erzeugten, zugleich aber auch, um eine Vergleichung jener Zeit mit der unsrigen zu veranlassen, folgt hier das Juhaltsverzeichniß des ersten Buches einer Sprachlehre von Christian Gurinzen, gedruckt zu Köthen im Jahre 1641. Die Sprachlehre besteht aus zwei Büchern. „Das 1. Hauptstück des ersten Buches handelt von der deutschen Sprachlehre überhaupt. Das zweite Hauptstück von der Wortschreibung. Das dritte von der Wortforschung. Das vierte von der Wortsprechung (Prosodie). Das fünfte vom Nennworte. Das sechste vom Geschlechte der Nennwörter. Das siebente vom Geschlechte der selbstständigen Nennwörter aus der Bedeutung. Das achte von dem Geschlechte der selbstständigen und beiständigen (adjectivorum) aus der Endung. Das neunte von der Endung (casu). Das zehnte von der Verwandlung (declinat.). Das eilfte von der Aenderung (motione) der Nennwörter. Das zwölfte von der Theilung. Das dreizehnte vom Vornennworte (pronom.). Das vierzehnte vom Zeitworte. Das fünfzehnte von seinen Veränderungen (conjugat.). Das sechszehnte von der Theilung des Zeitworts. Das siebzehnte vom Mittelworte (particip.). Das achtzehnte vom Bei- oder Zuworte (adverb.). Das neunzehnte von dem Vorworte (præposit.). Das zwanzigste vom Fügcworte (conjunct.) Das ein und zwanzigste vom Bewegewort (interject.)." (2. Band d. Schriften der kurf. deutschen Gesellsch. in Mannheim 1787). Nun vergleiche man unsere Sprachlehren damit, und sage dann, zu welcher Zeit man reiner geschrieben, damals oder jeßt.

Wenn wir jest darauf dringen, daß unsere Sprache von Fremdwörtern gereinigt werde, so ist das nur eine Wiederholung gleicher Stimmen aus dem 17ten, 18ten und 19ten Jahrhundert.

Es sind nun dabei nech die Fragen zu bedenken: Sind alle Fremdwörter, in gleichem Grade nachtheilig? Sollen alle Fremdwörter oder soll nur ein Theil derselben ausgeschieden werden? Im Allgemeinen darf man wohl behaupten, daß fremde Eigennamen und solche Nennwörter, welche sinnliche Gegenstände bezeichnen am unschädlichsten sind z. B. Philipp, Omar, Sophie —, -, Bouillon, Cider, Portier, Kopie, Villet, Platin, Komet, Kanone u. s. w. sobald sie sich aber zur Begriffsbezeichnung erheben sind sie viel rachtheiliger. Wir können demzufolge Magnet, Elektron u. s. w. beibehalten, aber nicht Elektricität, Magnetismus *) wenigstens nicht grundsäglich. Es ist gewiß immer viel werth, wenn aus dem Worte auch gleich die Bedeutung spricht, aus dem Körper der Geist. Im Ganzen ist es doch nur ein sehr kleiner Theil des reutschen Volkes, der in den Fremdwörtern zugleich lebendige, bcscelte Wörter vernimmt; den meisten erscheinen sie leblos. Ich meine, die Gelehrten müßten es sich zum Grundsaße machen, bei Entdeckung einer neuen Wahrheit oder Erscheinung nicht eher zu ruhen, bis sie ein deutsches Wort zur Bezeichnung gefunden hätten. Ich weiß wohl, daß das schwer halten wird; wir wollen uns des= halb vor der Hand damit begnügen, wenn der Versuch auch nur zum Theile glückt. Anfänglich könnte man beim Gebrauche solcher neuen Wörter die Fremdwörter beifügen, sie einschalten, bis sie allgemein bekannt wären. Zuerst erscheinen allerdings solche deutsche Neulinge etwas seltsam, nach und nach wird man vertraut mit ihnen und findet sie schöner als die Fremdlinge, die oft in dem Grade an Achtung abnehmen als jene zunehmen. Welch ein schnöder Mißgriff, wenn jezt es jemand wagte, die Tochter eines vornehmen Mannes, ja auch eines Mittelbürgers Mamsell zu nennen; noch beleidigender würde ein deutscher Herr es finden, wenn ihn jemand mit monsieur anredete. So haben sich die Zeiten geändert. **)

*) Schon längst verdeutschte man Elektricität mit Bernsteinkraft oder Bernkraft, Blißfeuer, Bligstoff und Magnetismus mit Polkraft.

**) Noch im Jahre 1815 vernahm man in einem öffentlichen Blatte folgende Bemerkung: „Man würde sich nicht bloß lächerlich machen, sondern sich auch Unwillen zuziehen, wenn man die Gattinn eines Bankiers, eines angesehenen Kaufmannes, eines berühmten Gelehrten ohne Titel Frau und ihre Töchter Jungfer nennen wollte, wie man dies bei den Weibern und Töchtern der Tagelöhner, Handwerker und anderer Klassen der Staatsbürger thut. Kein Wort ersetzt bei den titellosen höhern Bürgerklassen die Benennung Madame oder Demoiselle, und jeder Vorschlag zu

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Nach den glorreichen Befreiungskricgen war man eifrigst darauf bedacht, unsere Muttersprache von den französischen Wörtern zu befreien, wie unser Vaterland von den Franzosen war befreit worden. Uebrigens war es auch Zeit, daß die Russen uns verlicßen; manche ihrer Wörter z. B. Wodka, Kantschu, Knute u. s. w. ließen sich schon oft aus deutschem Munte hören. Ich erinnere mich, daß damals ein allgemeines Verdeutschungswörterbuch der Kriegessprache erschien, worin viele Fremdwörter mit ziemlichem Glück durch deutsche erseßt wurden, z. B. ammunition Schießbedarf, anciennité = Alterfolge, Bataillon = Schlachthausen, Breche Sturmlücke, Bülletin – Tagbericht, cadet = Kriegszögling, courier = Eilbote, dressiren einschulen, Armee Heer, Regiment Stab, u. s. w.; manches Ersagwort fand aber keinen Beifall z B. Offizier Schalter, souslieutenant Schichtjunker, Premierlicutenant = Wachtjunker, Brigadegeneral = Span oder Spanhauptmann, Brigadegeneral der Cavallerie = Ritt- Spanhauptmann, Batterie = Zeugel u. s. w. Noch sonderbarer waren die Verbesserungen in rer Tonsprache: Arie = Luftfang, Altistin Hochsangwerkerinn, Bassist = Grundsangwerker, Chor = Vollsang, Justrumentalmusik Klangmachwerkerci, Musik Tenwerkerei, Eymphonie = Zusammenklangwerk, Tenor = Hebsang oder Dünnsang, Trompete = Schmettermessing, Trompeter Schmettermessingwerker u. s. w.

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In Betreff der Beibehaltung und der Ausscheidung fremdsprachlicher Wörter erlaube ich mir sprachkundigen Männern folgende Vorschriften zur nähern Prüfung zu übergeben:

1. Alle Fremdwörteer, welche seit Jahrhunderten bei uns eingebürgert sind und in dieser Zeit deutsche Form, Lautung und Natur angenommen haben, mögen, ja müssen beibehalten werden. Dahin rechnen wir: Fenster, Kirche, Kapelle, Altar, Schule, Bibel, Kapitel, Vers, Amen, Orgel, Almosen, Religion, Evans gelium, Kanzel, Testament, Vers, Text, Klasse, Person, Körper, Krone, Thron, Natur, Wein, Kaiser, Soldat, Pforte regieren, predigen, siegeln, schreiben, marschiren, frönen. II. Alle Fremdwörter, welche Eigennamen oder Nas men für Kunst- und Naturerzeugnisse, überhaupt für sinnliche Gegenstände sind, für welche sich

ihrer Ausscheidung grenzt an das Unmögliche." Was würde der Verf. (Herrmann), wenn er noch lebte, jezt von seinem Urtheile halten?

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