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Am häufigsten fällt aber die mißbräuchliche Änhäufung der Reflexivpronomen auf, z. B. Madame s'est accouchée statt a accouché oder est accouchée; il se croit de bon faîre; se languir statt languir.

Die beim Ausländer so häufig vorkommende Verwechselung der Pronomina son und leur finden wir auch beim Provenzalen. Alles dies aber tritt in den Hintergrund gegen die auffallende Unsicherheit, welche wir bei ihm in der Anwendung der Präpositionen bemerken. Ganz gewöhnlich ist die Verwechselung der Präposition à mit de in den Redensarten à bonne heure statt de bonne heure (in der Steigerung sagt man fälschlich vous venez fort à bonne heure statt de fort bonne heure); le fils à Mons. statt de Mons.; le livre à votre père statt de votre père; un homme à talent statt de talent; je suis aîné à vous statt l'aîné de vous; à l'avance statt d'avance, was freilich auch bei Voltaire vorkommt; faire une partie aux cartes für partie de cartes; dagegen une soupe de lait statt soupe au lait; je suis décidé de partir für à partir u. s. w. Ferner steht ȧ zuweilen, wo der Sprachgebrauch eine andere Präposition erfordert; so à statt dans in j'ai vu Monsieur à la rue statt dans la rue; mettez cela à la poche für dans la poche; ȧ statt chez in: aller au tailleur statt chez le tailleur; à statt en: prendre à grippe statt en grippe (wofür der Provenzale auch prendre à tic fagt); couper à morceaux statt en morceaux. Endlich steht à auch statt des Accusativs, wenn man sagt: cet enfant sent à la rose, ce ragout sent au brulé statt sent la rose, le brulé, und ganz pleonastisch in il marche à pieds nus statt pieds nus, wogegen es wieder in andern Wendungen, wo man es wegfallen läßt, stehen müßte, z. B. il aime jouer statt à jouer. Ebenso unterdrückt man vor dem Infinitis die Präposition de: avant partir statt avant de partir, je crains me tromper statt de me tromper, während sie in de depuis statt depuis, hors de lui seul statt hors lui seul und il fait plus de froid qu'hier statt plus froid qu'hier wieder rein pleonastisch steht. Zuweilen findet sich. de statt vers z. B. avancer de qu. statt vers qu. (vergleiche s'approcher de qu.). Schr unsicher ist man auch in der Bildung des Partitivs, indem de pain statt du pain nicht eben zu den Seltenheiten gehört. Einen fälschlichen Gebrauch der Präposition avec finden wir in den Redensarten compter avec les doigts statt sur les doigts; fermer avec le verrou für au verrou.

In einer auf unzähligen conventionellen Bestimmungen beruhenden Sprache, in der wie im Französischen das cela se dit und cela ne se dit pas bei so vielen Fällen die oberste Nichtschnur bildet, kann es nicht fehlen, daß Jeder, dem diese Gewohnheitssaßungen, welche man gewöhnlich als sprachliche Feinheiten bezeichnet, noch nicht vollkommen geläufig sind, gegen den Sprachgebrauch oft genug anstoßen muß. Bei der Besprechung der Fehler, in welche der durch die nahe Verwandtschaft seines Idiomes mit dem Französischen so leicht irregeführte Provenzale verfällt, würde uns, wie man wohl denken kann, das Kapitel der Phraseologie eine unerschöpfliche Ausbeute gewähren. Der Stoff würde sogar zu umfas send sein, wenn wir uns nicht selbst eine nothwendige Beschränkung auferlegten, indem wir hier nur solche falschen Redensarten aufstechen, welche in den südlichen Provinzen durch das häufigere Vorkommen wieder eine, wenn auch von der Akademie nicht anerkannte, Sanktion erhalten haben. Eine gewisse systematische Ordnung ließe sich hier freilich nicht beobachten, und wir bieten daher Das, was uns an eigenthümlichen Wendungen aufgestoßen ist, in zufälliger Folge. Dahin gehören die elliptische Phrase il faut toujours que la sienne (nämlich sa volonté) passe, die proverbiale Redensart: il dort comme une souche, wofür man französisch comme un sabot sagt; ferner tirez-vous de là statt ôtez-vous de la; faire tirer son portrait statt faire peindre son portrait; il est dans la troupe statt dans les troupes; avoir quelqu'un à la dent statt avoir une dent contre qu.; je vous le rends tel et quel statt tel quel; par cas statt par hasard; elle est pâle comme une morte statt comme un mort; vous périssez votre habit statt vous l'abimez; les oreilles me sifflent statt me tintent; il donne de l'air oder des airs statt il a les airs, dage= gen les airs de la campagne statt l'air de la campagne; tout ce que j'ai à écrire ne peut pas aller dans cette page statt entrer; il fait vent (nach Analogie von il fait nuit) statt il fait du vent; il est après diner statt il dine; il fait beaucoup froid statt bien froid; tann jouer à barre, wo man nur den Plural aux barres sehen darf; je manque de Paris depuis longtemps statt je suis absent; je lui ai bien rivé ses clous statt son clou; cela me fait besoin statt j'en ai besoin; il est dans les épines statt sur les épines; faire St. Michel statt deménager; mener du bruit statt faire du bruit; par contre statt en revanche; ton père te criera statt te grondera; je n'ai pas d'argent des

sus statt sur moi; je ne sais quoi faire statt je ne sais que faire und noch so viele andere Phrasen, welche, so häufig sie auch auftauchen, doch das Recht des Schriftgebrauches nimmermehr erlangen werden.

Bemerkenswerth sind endlich noch falsche Wortstellungen, wie mettre de l'eau à chauffer, du linge à secher statt mettre chauffer de l'eau, mettre secher du linge. Weniger auffallend dürfte im Allgemeinen die Anwendung alterthümlicher Phrasen oder solcher Wendungen sein, welche jezt als ungebräuchlich bezeichnet und deshalb von der modernen Conversationssprache vermieden werden, wenn man nämlich erwägt, daß dieses Festhalten an Dem, was der Pariser veraltet nennt, sich überhaupt in allen Provinzen zeigt. So finden sich die in der Provence gebräuchlichen Phrasen alentour de la table und écheler une muraille wohl auch noch an andern Orten. Ob dagegen auparavant statt avant, was auch etwa bei den ältern Schriftstellern eine gewisse Rechtfertigung hat, dem Provinzial - Sprachgebrauche überhaupt noch eigenthümlich ist, möchten wir in Zweifel ziehen.

Bernburg.

G. F. Günther.

Das lateinische Element der deutschen

Sprache.

Bis is auf wenige Trümmer zerfallen sind die Bauwerke, welche die Römer einst in den Rheinlanden aufgeführt haben, aber tief und unauslöschlich sind die Spuren geblieben, welche ihre Anwesenheit in unserer Sprache zurückgelassen hat, der ältesten aller auf unsere Geschichte bezüglichen Urkunden, deren Ausbeutung für geschichtliche Zwecke dermalen in ihrer Wichtigkeit erkannt, aber selten planmäßig und mit glücklichem Erfolg durchgeführt wird, weil trop aller Fortschritte unserer Sprachforschung dennoch deren Wege für die Mehrzahl unsicher, schlüpfrig, halsbrechend geblieben sind. Es ist unglaublich, welche Massen von lateinischem Sprachund Wortstoff auf deutschem Grund und Boden noch vorhanden sind, und wie es nur einer übersichtlichen Musterung (von monstrare) derselben bedarf, um daraus geschichtliche Thatsachen zu erschließen. Freilich müssen wir sie mit dem durch das System bewaffneten Auge betrachten, dessen Blick, wie der des Botanikers und Mineralogen, die zur Charakteristik geeigneten Merkmale fixirt. Kaum aber legen wir dieses sprachliche Mikroskop an, so finden wir zu unserer Verwunderung, daß auch das Nächste und Ureigenste unseres Volkes und unserer Persönlichkeit einen lateinischen Hintergrund oder Zuschnitt blicken läßt. Unsere werthe Person (persona) mit Kopf (caput) und Zopf (tufa), Auge (voc in oculus) und Ohr (auris), Hand (in prehendo) und Fuß (pes), Haut (cutis) und Haar (zu horreo), nicht zu gedenken der völlig lateinischen Nase (nasus), die ganze Familie (familia) mit Vater (pater) und Mutter (mater), Bruder (frater) und Schwester (soror), Ahnen (zu avus) und Kindern (gigno), das Haus (casa?) mit Dach (tectum) und Fach (zu nάyw pango), Thür (dúqa= fores) und Fenster (fenestra), Tisch (aus discus) und Bank (zu abacus), Küche (culinae aus coquilina) und Keller (cella) stehen mehr

Archiv III.

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oder weniger in Gefahr, von einem sprachgerichtlichen Arcöpag, der über das jus dominii aburthcilen soll, dem Deutschen ab- und dem Römer zugesprochen, oder doch für eine völkerrechtlich herrenlose res nullius erklärt zu werden. Nicht bloß auf ein kleines Besigthum von Fischen (piscis), Enten (anas), Käsen (caseus), Erbsen (eroum) und Wicken (viccia) ist es abgesehen, sondern es erstreckt sich das römische Attentat (von tentare) mit seinen destruktiven (von destruo) Tendenzen (von tendo) selbst auf Religion (von religio) und Christenthum (christianismus), Staat (status) und Kir che(von circus), Thron (thronus) und Altar(altare), Kaiser (caesar) und Bischof (episcopus), Glaube und Liebe. Freilich zeigt sich bei näherer Untersuchung, daß viele dieser Ansprüche ungegründet sind und auf etymologischen Chicanen beruhen, mittelst deren, wenn die geschichtlichen Momente uns unbekannt wären, selbst Bomben (hombus) und Granaten (von granum), Flinten (von plinchus, engl. flint) und Kanonen (von xávy, canna), die gesammte Infanterie (von infans), Cavallerie (ven caballus) und Artillerie (von ars) mit Pulver (pulvis), Proviant (ven providere) und Bagage (zu pango) den Römern vindicirt werden könnten *). Um die beiderseitigen Ansprüche einer gründlichen Prüfung zu unterziehen, müssen wir nicht bloß die sprachlichen, sondern auch die geschichtlichen Titel des Besizes in's Auge fassen und mittelst ihrer Combination jene Wahrheit zu erreichen suchen, welche in der höhern Einheit beider zu liegen pflegt. Danach werden die lateinischen Bestandtheile der deutschen Sprache in 5 Klassen vertheilt werden können.

1) Urverwandte Wörter, aus indogermanischen Wurzeln entsproffen und insofern Gemeingut aller indogermanischen Völker, aber in verschiedenen Formen von denselben zu gesondertem Besißthum ausgeprägt, so die oben angeführten Benennungen der Theile des menschlichen Körpers und Glieder der Familienverwandtschaft, so die Zahlwörter und viele andere Bezeichnungen von Begriffen, die niemals in einer Sprache fehlen konnten, wenn sie im Stande sein sollte, die alltäglichsten Objekte der sinnlichen Wahrnehmung sprachlich darzustellen. Daß vicle dieser Wörter eine antediluvianische

*) Selbst der moderne Knaster führt einen griechisch - lateinischen Namen von xávaστqov canistrum, sofern er ursprünglich in Körben verpackt nach Europa gelangte.

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