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Eine characteristische Schilderung der Persönlichkeit Lessing's möchte um so mehr Schwierigkeit darbieten, als nicht allein die seit seinem Tode verstrichenen 66 Jahre mit ihrem Flügelschlage manche Erinnerung verwehet und verwischt haben dürften, sondern weil Lessing überhaupt weder ein Mann von auffallendem AeuBern, noch von Sonderbarkeiten und Manieren war. Deßhalb fiel es schon bei seinen Lebzeiten schwer, sein Aeußeres characteristisch aufzufassen. Wenn dem nicht so gewesen wäre, so würden wir sicherlich von seinen Zeitgenossen mehr über diesen Punkt erfahren haben; denn bei einem so bedeutenden Manne, wie er war, intereffirt auch das Aeußere. Mit diesem ging es ihm aber, wie mit seinem Geiste, der sich ebenfalls fern von allerlei Manier zeigte; weßhalb denn auch wenige Schriftsteller gleich wenig Nachäffer gefunden haben, wie er, gerade weil der Geist nicht zu copi= ren ist.

Wie sich bei Lessing keine einzelne Geistesthätigkeit auf Kosten einer andern geltend machte, sondern wie eine harmonische Bildung das Gepräge seines Geistes war, so entsprach derselben auch die harmonische Gesundheit seines Körpers. Seine Gestalt war fast über mittlere Größe; denn wenn er auch weit entfernt von Corpulenz war, so muß man doch eine gewisse Gedrungenheit seiner Figur mit in Anschlag bringen, welche den Menschen immer kleiner erscheinen läßt, als er wirklich ist; und Lessing erschien keinesweges klein. In den Augen eines Friedrich Wilhelm's I. freilich würde er eben so wenig Gnade gefunden haben, wie der berühmte Baumgarten zu Halle, der seinem Landesvater als ein großer Mann geschildert worden war; aber nicht eben günstig angelassen wurde, nachdem sich dieser König der Soldaten hatte überzeugen müssen, daß sich die Größe des Profeffors nur auf den Geist beziehe. Zum Flügelmann war daher Leffing allerdings verdorben. Die Haltung seines Körpers war gerade und höchst natürlich; nichts Gezwungenes, nichts Forcirtes, weder in der Stellung, noch im Gange, noch in den Bewegungen. Seine Figur war ebenmäßig, ohne gerade in ihren einzelnen Theilen auffallend schön zu sein; aber der Gesammteindruck war, wegen der harmonischen Zusammenwirkung, ein wohlthuender. Deßhalb läßt sich über seine Hände und Füße im Stehen, Gehen, Sißen und Liegen nichts weiter bemerken, als was von dem natürlichen und graziösen Anstande seiner ganzen äußern Erscheinung gilt. Das Gefühl für das Schickliche war so mit seinem Wesen verwachsen,

daß er sich, auch selbst im engsten Familienkreise, niemals eine anstandswidrige Nachlässigkeit, oder auch nur eine nachlässige Bequemlichkeit in seiner Haltung erlaubte. Nur beim Meditiren und Schreiben pflegte er mehr gekrümmt zu sißen, welcher Uebelstand denn auch wahrscheinlich zu seinem spätern Brustleiden nachtbeilig beitrug. Das Schönste an ihm war das Haupt, welches er auf dem gedrungenen Halse natürlich und frei emporzurichten pflegte. Aber vor Allem dominirte auf dem geistvollen Antlige von blühender, nicht gerade rother Gesichtsfarbe das offene, klare, tiesdunkelblaue Auge. Der Blick war nicht stechend, nicht herausfordernd; aber entschieden und unbefangen, gleichsam ein ungetrübter Spiegel, der sein Objekt rein und scharf auffaßt. Rascher Gedankenflug, schalkhafte Grazie und ein herzgewinnendes Wohlwollen sprüheten aus seinem Blicke ihre siegreichen Geschoffe. Dieses Auge war aber von um so gewaltigerer Wirkung, als dasselbe in leuchtender Milde schon aus weiter Ferne seinen Gegenstand zu firiren vermochte. Sein Haar trug er von der Stirn nach dem Nacken zu gekämmt, an beiden Seiten der Schläfe zu einer Locke gekräuselt und hinten in einem Haarbeutel endend. Nach der Locke zu schließen, welche ihm im Tode abgeschnitten, und mir von seiner Tochter geschenkt worden ist, war die Farbe des Haares ein schönes Lichtbraun, mit nur einzelnen Silberfaden, als Spuren des Kummers und der Sorgen, durchmischt. Ref. gesteht offen, daß er, in Hinblick auf den damaligen Zeitgeschmack und auf mehre Portraits Lessing's, auf welchen unverkennbar eine Perrücke angedeutet ist, anfänglich in die Behauptung bescheidenen Zweifel seßte, daß sich Lessing, bei seinem langen, üppigen Haarwuchse, der seiner Zeit herrschenden tyrannischen Perrückenmode nicht unterworfen, sondern sein eigenes Haar nach dem damals üblichen Schnitte habe frisiren und pudern lassen. Allein für die obige Behauptung spricht wirklich der Umstand, daß Lessing als Bräutigam, als er bei einer Kahnpartie in Hamburg das Unglück hatte, in's Wasser zu fallen, nur seinem Haarbeutel, den eine hülfreiche Hand ergriff, die Errettung aus dem feuchten Elemente zu verdanken hatte.

Als die gelungenste Abbildung ist das Portrait zu empfehlen, welches dem sogenannten „Freundschaftstempel Gleim's angehört, einer Portrait - Sammlung der bedeutendsten, um Kunst und Wissenschaft verdienten Zeitgenossen Gleim's, welche höchst interessante Gallerie jezt dem Halberstädter Domgymnasium als Eigen

thum zugefallen ist. Dieses Gemälde, dessen Meister leider nicht bekannt ist, hat, außer dem Verdienste treuester Aehnlichkeit, auch das einer hohen technischen Vollendung. Goethe, der auf einem Besuche in Halberstadt sich dieses Meisterwerk auf kurze Zeit mit nach Weimar erbat, konnte sich nur schwer wieder von diesem, lange in seinem Arbeitsstübchen heilig behüteten Schaze trennen. Fast noch interessanter jedoch, als dieses Portrait, ist die höchst sorgfältig gearbeitete Todtenmaske Lessing's, welche sich unter dem Nachlasse des kürzlich verstorbenen Dr. Körte zu Halberstadt befindet.

Auch in seiner Kleidung bot Lessing nichts Auffallendes dar. Er kleidete sich, wie es Sitte und Anstand mit sich brachten, zwar elegant und stets sehr sauber, doch nie stußerhaft. Gewöhnlich sah man ihn in kurzem Beinkleide, im Winter mit einem Rocke bekleidet. Einen Mantel trug er, wenigstens in Wolfenbüttel, nie. Mit der Farbe der Kleidung wechselte er freilich, doch war ihm am liebsten ein nicht auffallendes Grau. Als er einst von seiner Tochter gefragt wurde, warum er denn Rock und Weste von gleichem grauen Stoffe gewählt habe, erwiederte er: „Man muß sparen, mein Kind!" Bei dieser Sauberkeit eines sorgsam gewählten Anzuges, der bei einem wohlproportionirten Körper und bei einem natürlichen Anstande vortheilhaft kleidete, machte seine äußere Erscheinung einen angenehmen Eindruck. Dieser aber wurde vorzüglich gehoben durch ein unbeschreiblich freundliches, zuvorkommendes, wenn auch entschiedenes, doch anspruchloses Wesen; durch die Anmuth, mit welcher seine lebhaften Bewegungen von seinem rastlosen Feuergeiste geleitet wurden; vor allen Dingen aber durch den zum Herzen dringenden Ton seiner, zwischen Tenor und Bariton schwebenden, klangreichen Stimme. So gehörte denn Lessing zu den wenigen großen Geistern, welche durch ihre persönliche Erscheinung nicht verloren, sondern vielmehr gewannen. Einem pedantischen Gelehrten sah er freilich nicht ähnlich; aber dafür ahnete man in ihm auf den ersten Blick den wahren Weltweisen, den harmonisch gebildeten Mann.

Wir wollen ihm nun auch einmal in seine Häuslichkeit folgen, um zu sehen, ob auch da der große Geist Stich hält. Denn gewöhnlich ziehen ja die Menschen ein Sonntagskleid an, wenn sie die Schwelle des Hauses verlassen, und sie ordnen ihre Mienen, wie Tacitus (mit dem vultu composito) so schön sagt, wenn es darauf ankommt, sich zu zeigen. Bei Lessing, dem unver

wüstlich Gleichmüthigen, war das freilich nicht der Fall, und es lag mehr in seinem Wesen, das Beste gerade für den geweihten Kreis seines Hauses und seiner Freunde zu bewahren. Seine häusliche Einrichtung zeigte Eleganz, ohne Verschwendung. Der größte Schmuck darin war Sauberkeit und Ordnung. Dies gilt namentlich auch von seinem Arbeitszimmer. Welch eine niederschlagende Nachricht für alle diejenigen, welche glauben, daß ein großer Gelehrter nur im schmußigen Chaos seiner Studirstube gedeihen könne! Allein Lessing, der ein wahrer Gelehrter war, wollte darum auch keiner scheinen. Dieser äußeren Ordnung entsprach auch die Eintheilung seines Tagewerkes. Gewöhnlich stand er mit dem Schlage sechs Uhr auf; als er am „Nathan“ arbeitete, also in der Zeit, wo ihm die sich anspinnende Brustwassersucht bereits bedeutende Qualen verursachte, schon um fünf Uhr. Wenn er dann eine geraume Zeit am Arbeitstische zugebracht hatte, pflegte er auch wohl die Kinder zu wecken. Als dies einst bei seinem Töchterchen Amalie der Fall war, entschuldigte diese ihr langes Schlafen mit der Bemerkung, es sei ihr, als ob die Bohnen blüheten; worauf er schalkhaft erwiederte: Bei Dir scheinen die Bohnen das ganze Jahr zu blühen!" Da seine Hauptarbeitszeit in die Frühstunden des Tages fiel, so brachte er auch bis zum Mittage den ganzen Morgen, nachdem er den Kaffee eingenommen hatte, in seinem behaglichen Schlafrocke auf seiner Studirstube zu. Von dieser Regel wich er nur ab, wenn ihn die sehr häufigen Besuche fremder Gelehrten störten, oder wenn ihn sein Amt auf die Bibliothek führte. Gegen halb ein Uhr war seine Essenszeit, zu der er sich pünktlich einstellte. Als aber einst seine Frau und Tochter anfingen, das Essen auf die Minute anzurichten, so erschien ihm doch, so ordnungsliebend er auch war, diese Pünktlichkeit unangenehm. Bei seiner großen Gastfreiheit kam es denn sehr häufig, daß er unmittelbar vor Tisch ausgehungerte Bibliothekbesucher als Tischgäste mitbrachte, und sich dann auch wohl bei den Damen seines Hauses treuherzig zu entschuldigen pflegte: „Ich habe die Leute bitten müssen; wenn Ihr nicht reicht, so geht nur Schinken und Eier." Die Seinigen aber, die von gleich gastfreundlichen Gesinnungen beseelt, und an derartigen unvermutheten Tischzuwachs schon gewöhnt waren, kamen daher nie in Verlegenheit. Leckerbissen gab es freilich an seiner Tafel nicht, denn Lessing, kein Freund der Gourmandise, der sich bekanntlich noch nach Jahren der bei seinem Freunde genossenen Linsen mit Speck dankbar erinnerte, begnügte sich mit einer

anständigen und kräftigen Hausmannskost. Wie man ihn im Hause über Leiden niemals hat klagen hören, wie ihn die Seinigen auch niemals verdrießlich gesehen haben, so ließ er auch bei Tische niemals über das Essen einen Tadel laut werden. Vielmehr war er seelenvergnügt und konnte auch wohl recht herzlich lachen. Ein Gläschen Wein bot er seinen Gästen gern, ohne im Genuß desselben jemals das Maß zu überschreiten. Die beste Würze des Mahles war ein heiteres Tischgespräch, an welchem auch, selbst in Gegenwart gelehrter Männer, die Familie Theil nehmen konnte, weil sich die Unterhaltung nur um allgemein interessante Dinge drehete, und Lessing den Gelehrten gern auf der Studirstube und Bibliothek zurückließ. Deshalb wurde es ihm in den Hamburger Zirkeln stets unheimlich zu Muth, wenn ihn Klopstock in eine Ecke zu drücken suchte, um in pedantischer Breite den Gegenstand des Gespräches zu erschöpfen. Lessing war zwar gesprächig, er redete nicht allein rasch, sondern auch interessant, besonders seines sprudelnden Wißes wegen; aber er riß nie die Unterhaltung an sich, und war jederzeit mehr bemüht, auch Andere dazu anzuregen. Obgleich er von Natur zur Heftigkeit geneigt war, und bei literarischen Streitfragen sehr lebhaft werden konnte, so wußte er sich doch in hohem Grade zu beherrschen und vergaß in seinem Hause nie die Rücksichten, welche er als Wirth und als Familienvater zu nehmen hatte. Nach Tisch einer Mittagsruhe zu pflegen, war ihm kein Bedürfniß, da er sich überhaupt eines gesunden Schlafes erfreuete. Er wandte aber den Nachmittag stets zu seiner Zerstreuung und Erholung an. Der Spaziergang um den wolfenbüttler Schloßwall, gewöhnlich in Begleitung seines Freundes, des Kammerherrn von Döring, wurde nicht leicht versäumt. Lustpartieen zu Roß und Wagen waren seine Sache nicht. War er im Kreise des Hauses, so zeigte er sich als zärtlichster Familienvater. An den Spielen der Kinder nahm er unermüdlich Theil, selbst an solchen, die körperliche Anstrengung erforderten, wie das sogenannte Knickerspiel." Er war aber ein von den Kindern um so gesuchterer Spielkumpan, weil er sich großmüthiger Weise das Geld dabei abnehmen ließ. Auch zeigte er sich häufig in der Rolle des neckischen Schalkes. So machte es ihm herzliches Vergnügen, durch allerhand Kriegslist die Briefe aufzufangen, welche seine Tochter Amalie mit ihrer Herzensfreundin, einem Fräulein von Brandenstein, oft mehrmals des Tages wechselte, so daß eigends ein kleiner Junge ats Postillon d'amour engagirt wurde, der zwischen den beiden,

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