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allgemeinen Besten nehmen. Dagegen zeigt sich die schönste Thätigkeit in der Schlange. Sie ist es, welche am Mittage eine sichere Brücke bildet, auf welcher man nach beiden Seiten hingelangen kann. Sie entdeckt zuerst den unterirdischen Tempel, den sie mit ihrem Lichte erhellt (daß dies Licht von dem Golde der Irrlichter kommt, ist rein phantastisch), sie zeigt sich bei der Erlösung der Lilie überall thätig, sie opfert sich endlich selbst auf. Wenn sie bemerkt, sie opfere sich, damit sie nicht geopfert werden, so spricht sich darin nur die Ueberzeugung aus, daß ihre Aufopferung zu der vom Schicksale bestimmten Gründung der neuen Herrschaft nothwendig sei. Sie bezeichnet ohne Zweifel die Verständigen und Besonnenen, die sich mit Liebe dem allgemeinen Besten widmen und bei der allgemeinen Verwirrung auf die Herstellung der Ruhe und festen Sicherheit des Staates hoffen 1) und im Stillen auf diesen Zweck hinwirken, frei von der Eigensucht derjenigen, welche überall nur sich selbst, ihren Vortheil und ihre Ehre suchen. Die Schlange ist freilich nach der mosaischen Vorstellung das Bild des Bösen, aber bei den Griechen erscheint sie als Heilschlange, Wahrsagerin, Symbol der Fruchtbarkeit, des Lebens und alles Einheimischen. Bei den Indern und Phöniziern bezeichnet sie vie Welt, den ewigen Kreislauf der Dinge, und die Schlangengötter sind wohlthätiger Natur. Auch in unserm Märchen ist die Schlange wohlthätig, sie befördert das allgemeine Heil. Ob auch die Schlangenflugheit dem Dichter bei ihr vorschwebte und bei dem Lichte, das sie verbreitet, der glühende Blick der Schlange zur Auknüpfung diente, lassen wir unentschieden. Wie die in den Klüften umherkriechende im Stillen wirkende Schlange Licht verbreitet, so erscheint uns ein höheres Licht, welches alle Steine in Gold, alles Holz in Silber, alle todte Thiere in Edelsteine verwandelt und alle Metalle zernichtet, in der heiligen Lampe des Alten, der an den „Alten der Tage" in der Bibel erinnert. Hier erkennen wir im Gegensage zum niedern Lichte der Schlange, der menschlichen freithätigen Kraft, die höhere, ewig waltende Vorsicht, welche die Geschicke der Völker wägt und zur Zeit alles zum Besten lenkt. Den vollsten Gegen

1) Als die Irrlichter wünschen von der Schlange zur schönen Lilie geführt zu werden, bemerkt diese mit einem tiefen Seufzer, diesen Dienst könne sie sogleich nicht leisten; leider wohne diese jenseit des Flussef worin sich das Verlangen nach einem andern Zustande der Dinge, aus den sie hofft, bestimmt ausspricht.

saß zu dieser höhern, überirdischen Macht bildet die dem Alten als Contrast beigegebene durchaus irdische und sinnliche Frau, die blos zur Belebung und leichtern Entwickelung der Handlung erfunden ist.

Uns ist demnach das Märchen der phantastische Ausdruc des Gedankens, daß das wahre Glück nicht in schrankenloser, unbedingter Freiheit bestehe, die nie verwirklicht werden kann, und wo sie erstrebt wird, nur Unheil und Verderben anrichtet, sondern in der auf Weisheit, Schein und Gewalt und Gewalt gegründeten Herr= schaft, unter welcher allein wahre Freiheit gedeihen kann. Der von Schiller im Märchen aufgefundene Gedanke vom gegenseitigen Hülfeleisten der Kräfte und dem Zurückweisen derselben aufeinander würde hierzu vortrefflich passen, doch tritt dieser nur nebensächlich darin hervor, daß alle sich zur Wiederbelebung des Prinzen vereinigen, bei welcher der Alte bemerkt: „Ein einzelner hilft nicht, sondern wer sich mit vielen zur rechten Stunde verbindet." Hält man daran fest, daß die Haupthandlung in der Erlösung der Lilie und der Erhebung des Tempels besteht, so fallen alle abweichende Erklärungen von selbst weg, wie wenn Guhrauer den Sieg über die rohe Natur und die stupide Materie, Wied den Entwickelungsgang der im Individuum und im Geschlechte sich entwickelnden und vollendenden Menschheit im Märchen dargestellt findet. Uebrigens ist es ein schön berechneter Zug Goethe's, daß die Politik, welche von der Unterhaltung ausgeschlossen ist, sich in der Form des Märchens doch Eingang zu verschaffen weiß.

Daß Goethe neben diesem Märchen noch ein anderes, allegorisches im Sinne hatte, wodurch wir vier Gruppen von je zwei Erzählungen erhalten haben würden, ist oben bemerkt worden. Bei der Gleichartigkeit von je zwei zusammengehörigen Erzählungen, wie wir sie in den Unterhaltungen finden, dürfen wir vermuthen, daß auch dieses Märchen einen politischen Sinn haben sollte. Vielleicht sind wir nicht zu kühn, wenn wir diesen darin suchen, daß in politischen Revolutionen, wo eine Partei immer die andere stürzt, indem keine die Herrschaft der andern ertragen will, sondern alle Willkühr für sich suchen", das Volt, welches man beglücken. will, am schlimmsten fährt. Wir erinnern in dieser Beziehung an das gleichzeitige Epigramm (Venediger Epigr. 15):

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Diesem Ambos vergleich' ich das Land, dem Sammer den Herrscher

Und dem Volke das Blech, das in der Mitte sich krümmt.

Wehe dem armen Blech, wenn nur willkührliche Schläge

Ungewiß treffen und nie fertig der Kessel erscheint!

Ein paar Jahre später hatte Goethe etwa ein halb Dußend Märchen und Geschichten im Sinne, die er als zweiten Theil der Unterhaltungen seiner Ausgewanderten bearbeiten, dem Ganzen noch auf ein gewisses Fleck helfen und alsdann in seinen Schriften herausgeben wollte. Vgl. Goethe's Brief an Schiller vom 3. Febr. 1798. Hierzu gehörten ohne Zweifel das Märchen von der neuen Melusine, die nach einer französischen Quelle, aus welcher Goethe bereits 1797 „der Müllerin Verrath" genommen hatte, bearbeitete Erzählung „die pilgernde Thörin“, und andere, später in die Wanderjahre aufgenommene Geschichten, nicht aber die Novelle, aus der er noch damals ein episches Gedicht die Jagd" zu machen gedachte.

Köln.

H. Dünzer.

Ueber „wer“ und „was“ und die entsprechenden Wortformen in der französischen und der englischen Sprache.

Mit Rücksicht auf: „Ueber eine Art Attraktion des Relativs“ u. s. w. von Dr. Teipel in Band II. S. 344 des Archivs.

Die Fragen: wer ist gekommen? was ist geschchen? seßen in

dem Fragenden eine gänzliche Unsicherheit in Bezug auf die fragliche Person oder die fragliche Begebenheit voraus; und wenn auch der Fragende je nach den Umständen, in welchen derselbe sich befindet, Unwahrscheinliches zu hören nicht erwarten wird, so liegt dennoch in den Fragen eine solche Unbestimmtheit, daß, die Sache rein grammatisch betrachtet, selbst Unmögliches auf dieselben erwiedert werden könnte. Wenn nun auf jene Fragen die Antworten erfolgten:,, mein Bruder ist gekommen;", dein Haus ist abgebrannt," so würden diese Antworten eine Bestimmtheit enthalten, die der Unbestimmtheit in den Fragen nicht entspräche, vielmehr würden die Fragen erst dann die Bestimmtheit der Antworten erreichen, wenn sie lauteten: wessen Bruder ist gekommen? “ wessen Haus ist abgebrannt?" Wollte ich in derselben unbestimmten Form antworten, in der ich oben gefragt worden, so würde ich sagen müssen: derjenige welcher (der) gekommen, ist dein Bruder. Dasjenige welches (das) geschehen, wird dich erschrecken. Dein Haus u. s. w." Man sieht hieraus, daß die Frage-Fürwörter wer derjenige welcher, was = dasjenige welches“ jedes zwei Fürwörter enthalten (demonstratives und rela= tives), wie dieses denn, wenn sie affirmativ gebraucht werden, sich klar herausstellt. Wer schmeichelt betrügt. Suchet wen ihr wollt. Was du fragst, will ich beantworten." Wer, was" in affirma

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tiven Säßen gebraucht, vertreten mithin Subject oder Object für Hauptsag und Nebensaß. Vor zweierlei hat man sich hier zu büten.

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Einmal, daß man nicht, wer, was mit welcher, welches verwechselnd, in Säßen obiger Art der das hinzufügt. Wer schmeichelt, der betrügt. Was du fragst, das will ich beantworten.“ Dann, daß man nicht das relative welches oder das mit dem Frage-Fürwort was verwechselt. Ein Resultat, was mich überrascht."

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Ein anderer Gebrauch des „was“ findet da Statt, wo dasselbe nicht einen Gegenstand sondern einen Sag zu vertreten hat. ,,Man sagt mir du seiest krank, was mich beunruhigt (was ich nicht glaube)." Im Französischen, so wie was in obigen affirmativen Säßen ce qui, ce que.

Nicht genug, daß wer was, wie wir gesehen, für Hauptsaß und Nebensaß hinreichen, es mögen diese nun Subject oder Object (Nominatis oder Accusativ) darstellen, sondern was kann auch in demselben Sage als beides zugleich auftreten. Was ich sehe überrascht mich. Was geschehen soll vermag ich nicht gutzuheißen.“ Zwar wird man nicht sagen können: Wen ich hier sehe kömmt mir freundlich entgegen. Wer mich grüßt grüße ich wieder" aus einem leicht erkennbaren Grunde, weil nämlich nicht hier wie dort Nominativ und Accusatis gleiche Form haben.

So die Sache betrachtet, was läßt sich gegen Säße wie: „ich stand dir nicht Rede auf was du sprachst" wohl Erhebliches einwenden, als daß wir unser Ohr nicht daran gewöhnt haben? Ist denn was in jenem Sage etwa anders zu beurtheilen als in: „Was ich sehe überrascht mich?" Hier wie dort steht was für das welches, und hier wie dort erheischt was im Hauptsaze wie im Nebensaße dieselbe (Accusativ) Form. Es scheint viclmehr zu bedauern, daß wir von unserm was nicht einen eben so freien Gebrauch machen als die Engländer von ihrem what (that which), woran wir freilich auch schon durch den Umstand gehindert werden, daß viele unserer Präpositionen das neutrale Relativum alteriren, was im Englischen bekanntlich nicht der Fall ist. Daher würden Säge wie die folgenden: „Ich verstehe nichts von was du sprichst. Du beschäftigst dich mit was ich verabscheue. Du nimmst deine Zuflucht zu was ich nicht billigen kann," in welchen den Engländern of what, with what, to what feinen Anstoß erregen würden, sowohl die oben aufgestellte Regel als unser sprachliches Gefühl verleßen. Angenommen nun Säße wie: „Ich verstehe nichts von was du sprichst" wären im Deutschen eben so üblich als sprachlich nichts dagegen zu erinnern sein könnte, wenn das oben erwähnte Bedenken Archiv IV.

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