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den Tod des Geliebten der verzauberten Prinzessin dar. Als die schöne Lilie den todten, in einen Onyx verwandelten Mops an ihren Busen drückt, geräth der unglückliche Prinz in die äußerste Verzweiflung, in welcher er seinen Leiden ein Ende machen will. Wenn Steine an ihrem Busen ruhen können, so will auch er zu Stein werden; wenn ihre Berührung tödtet, so will er von ihren Händen sterben. Er stürzt auf die Geliebte los; diese streckt die Hände aus ihn abzuhalten und berührt ihn nur desto früher. Das Bewußtsein verläßt ihn und mit Entseßen fühlt sie die schöne Last an ihrem Busen. Mit einem Schrei tritt sie zurück, und der holde Jüngling stürzt entseelt aus ihren Armen zur Erde.

Wie aber erfolgt nun die Erlösung der schönen Lilie? Durch die thätige Hülfe der Schlange und des Mannes mit der Lampe, der zur rechten Zeit erscheint, denn seine Lampe sprayelt immer, wenn man seiner bedarf, und irgend ein Meteor oder ein Vogel zeigt ihm den Weg, wohin er sich wenden muß. In ihrem auf Leichen erblühenden Garten kann die schöne Lilie nicht vom Zauber befreit werden, sie muß zunächst zum jenseitigen Ufer, wo der unglückliche Prinz, indem die Schlange sich opfert und die Weissagung der Brücke zur Erfüllung bringt, wieder zum Leben erwacht. Aber noch ist der Geist des Jünglings nicht zurückgekehrt. Der Alte führt ihn in den unterirdischen Tempel, wo er zum mächtigen Herrscher geweiht und der Zauber von der schönen Lilie, die sich mit ihm vereinigt, genommen werden wird. „Nach einiger Pause fragte der goldne König: Woher kommt ihr? Aus der Welt anwortete Der Alte.

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Wohin geht ihr? fragte der silberne König. — In die Welt, sagte der Alte. Was wollt ihr bei uns, fragte der eherne König. Euch begleiten, sagte der Alte." Also die Könige, welche bisher in der tiefen Felsenkluft verborgen gesessen, sollen jezt in die Welt, die sie beherrschen werden. Der zusammengesezte König fragt den Alten mit stotternder Stimme, wer denn die Welt beherrschen werde. Wer auf seinen Füßen steht, antwortete der Alte. Das bin ich, sagte der gemischte König. Es wird sich offenbaren, sagte der Alte; denn es ist an der Zeit." Die schöne Lilie, welche am heutigen Tage zum dritten Male das ahnungsvolle Wort: „Es ist an der Zeit!" vernimmt, fällt dem Alten vor Freude um den Hals und küßt ihn auf das herzlichste. Alle Zeichen sind jest geschehen, bis auf das lezte, das unmittelbar darauf erfolgt. Der Tempel bewegt sich wie ein Schiff, das sich sanft aus dem

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Hafen entfernt, wenn die Anker gelichtet sind; er zieht unter dem Flusse weg zum jenseitigen Ufer, wo er aufwärts steigt an der Stelle, an welcher die Hütte des Fährmanns steht, die, von ihm aufgenommen und zu einem herrlichen kleinen Altar von getriebener Arbeit verwandelt, in der Mitte des Tempels stehen bleibt. Die schöne Lilie steigt die äußern Stufen des Altars hinauf, da sie noch immer sich von ihrem starr vor sich hinsehenden Geliebten entfernt halten muß; erst wenn dieser zur völligen Herrschaft gelangt ist, wird ihre Erlösung vollbracht sein. Der Alte tritt zwischen den Prinzen und die schöne Lilie, und ruft die Worte, in welchen sich die neue Weltordnung ausspricht: Drei sind, die da herrschen auf Erden, die Weisheit, der Schein und die Gewalt.” Bei dem ersten Worte steht der goldne, bei dem zweiten der silberne, bei dem. dritten der eherne König auf, während der gemischte, aller lebendigen Einheit entbehrende König in sich zerfallen muß. Die Bedeutung rer drei Könige ist hiernach unzweifelhaft. Guhrauer (S. 103) vergleicht hierzu nicht unpassend die freimaurerische Lehre, wonach Weisheit, Stärke, Schönheit (wisdom, strength, beauty,) die Pfeiler der Loge sind. Daß Goethe hierdurch und durch die Aufnahmeacte der Freimaurer zu seiner Dichtung vom unterirdischen Tempel ge= kommen, ist wahrscheinlich; vielleicht aber hatte auch die in einem obenerwähnten Briefe Schiller's erwähnte Sage daran Antheil, daß zu Baireuth bei Oeffnung eines alten Gebäudes die alten Markgrafen erschienen sein und geweissagt haben sollen. Aber entschieden Unrecht hat Guhrauer, wenn er hier unter dem Scheine die Schönheit versteht und Göschel's richtige Erklärung (S. 94) verwirft, doch scheint er sich selbst nicht gleich zu bleiben, wenn er einmal unter Schein den wirklichen bloßen Schein versteht, ein andermal die Schönheit, insofern sie erscheint." Der Schein ist hier der Glanz, der Nimbus, welche den Namen und die Würde des Herrschers umgibt; die Person des Herrschers ist geheiligt und fein Ansehen erweckt Ehrfurcht. Diese Heiligkeit des königlichen Namens ist neben der Weisheit, unter welcher die Gerechtigkeit mitbegriffen ist, und der Gewalt die Hauptstüße der Herrschaft. Hiermit stimmt ganz vortrefflich die Darstellung des silbernen Königs von langer und eher schmächtiger Gestalt," sein verziertes Gewand, seine Heiterkeit des Stolzes und die Attribute der Krone, des Gürtels und Scepters, welchen er dem Prinzen mit den Worten übergibt:,,Weide die Schafe!" Zu unserer Deutung paßt es auch sehr wohl, wenn der silberne König den Irrlichtern sagt, sie

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sollten sich auswärts, nicht an ihm sättigen, und ihm ihr Licht bringen; denn die Heiligkeit des königlichen Namens beruht auf Anerkennung anderer. Sehr Bedeutsam ist auch die Antwort des Alten auf die Frage des silbernen Königs, seine Herrschaft werde spät oder nie endigen. Die drei Könige verleihen dem Prinzen ihre Macht, welche die neue Herrschaft fest und sicher gründet. „Nach umgürtetem Schwert hob sich seine Brust, seine Arme regten sich und seine Füße traten fester auf; indem er den Scepter in die Hand nahm, schien sich die Kraft zu mildern und durch einen unaussprechlichen Reiz noch mächtiger zu werden; als aber der Eichenkranz seine Locken zierte, belebten sich seine Gesichtszüge, sein Auge glänzte von unaussprechlichem Geist und das erste Wort seines Mundes war Lilie." Dem Alten ruft er zu: „Herrlich und sicher ist das Reich unserer Väter, aber du hast die vierte Kraft vergessen, die noch früher, allgemeiner, gewisser die Welt beherrscht, die Kraft der Liebe," worauf dieser aber lächelnd verseßt: „Die Liebe herrscht nicht, aber sie bildet, und das ist mehr." Die Herrschaft darf nicht auf die Liebe gegründet sein; diese ist es aber, welche den Grundboden des Staats, die Familie, begründet. Auch auf den Prinzen hat ihre bildende Kraft gewirkt, sie hat ihn aufrecht ge= halten, sein Herz dem Schönen, Guten und Wahren zugewandt; denn die wahre Liebe ist Entäußerung unserer selbst und aller selbstsüchtigen Neigungen. So ist der Tempel am Flusse gegründet, in welchem die wahre Herrschaft, auf Weisheit, Schein und Gewalt gegründet, waltet und die schöne Lilie zum reinsten Leben gedeiht. An demselben Ufer, wo früher der Todesgarten der Lilie sich befand, hat sich jezt der Tempel einer festen und gesicherten Herrschaft erhoben. Muß hiernach die schöne Lilie offenbar den Gegensaß zu einer solchen Herrschaft bilden, so können wir unter ihr nur die falsche Freiheit der Revolution verstehen, die alles Lebende tödtet, alles Bestehende umstürzt, aber das Todte belebt, und Lebendigtodtes in's Leben ruft. Diese falsche Freiheit, welche keine Schranken kennt, muß entzaubert, sie muß zur wahren Freiheit werden, die nur unter einer auf jenen drei Mächten begründeten Herrschaft gedeihen kann; denn das Gesez nur kann uns Freiheit geben." Wir erinnern hierbei mit Göschel an den Anfang der Unterhaltungen, wo es von Carl heißt, er habe sich „von der blendenden Schönheit verführen lassen, die unter dem Namen Freiheit sich erst heimlich, dann öffentlich so viele Anbeter zu vers schaffen wußte, und so übel sie auch die einen behandelte, von

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den anderen mit großer Lebhaftigkeit verehrt wurde." Man vergleiche die in dieselbe Zeit fallenden Verse:

Alle Freiheitsapostel, sie waren mir immer zuwider;

Freiheit suchte doch nur jeder am Ende für sich.
Willst du Viele befreien, so wag' es Vielen zu dienen.
Wie gefährlich das sei, willst du es wissen? Versuch's!

Wenn aber Göschel meint, die Freiheit habe ihr wahres Wesen, nach langer Entstellung in das Gegentheil, entwickelt und erneuert, fie sei zur Liebe geworden, welche die Herrschaft wieder in ihre Rechte einseße, so müssen wir dies für einen entschiedenen Irrthum erklären, da Freiheit und Liebe sich keineswegs auf diese Weise entgegengesezt sind und es neben der falschen Freiheit auch eine wahre gibt; die entzauberte Liebe ist gerade die lettere. Man meine aber nur nicht mit Guhrauer (S. 95), die Lilie könne nicht die falsche, revolutionäre Freiheit sein, weil diese nicht zugleich mit der Legitimität, dem Prinzen, ihre Erlösung von dem Banne feiern könne. Hiergegen können wir zunächst bemerken, daß der unglückliche Prinz in der verzauberten Lilie die wahre Freiheit liebt, deren Zauber er lösen möchte, und daß, wenn er von ihrer Hand stirbt, dies gerade der Zauberfluch ist, welcher auf ihr ruht. Dann aber ist wohl zu beachten, daß nicht alle einzelnen Züge und Ereignisse des Märchens einen symbolischen Sinn haben, wie Goethe selbst andeutet, sondern manche bloß zum Zwecke der Fabel erfunden sind, um die Handlung zu einer belebten, wohl fortschreitenden, in sich abgerundeten zu machen, 1)` weshalb es ein großes Versehen von Guhrauer ist, wenn dieser Nebenhandlungen und Nebenzüge, die zu der symbolischen Bedeutung der einzelnen Figuren nicht passen, zur Widerlegung der versuchten Deutungen mißbraucht. Oder glaubt etwa Guhrauer, seine eigene Erklärung sei von dieser Seite unangreifbar, so möge er einmal den Versuch machen! Beim Namen der Lilie ist am wenigsten an die Lilien Frankreichs zu denken, überhaupt nicht, wie ich glaube, an die Blume, sondern an den alchymistischen Gebrauch des Wortes. Goethe nennt im Faust die aus dem Silber gezogene reine Substanz Lilie. Bei Paracelsus steht Lili für den Stein der Weisen selbst, für das höchste Ergebniß der Alchymie. In den drei Dienerinnen der Lilie möchte ich

1) Bu solchen Zügen ohne tiefere symbolische Bedeutung zählen wir auch die Beschreibung des Prinzen, der mit glänzendem Harnisch und einem Purpurmantel, aber mit unbedecktem Haupte und načten Sohlen erscheint.

bloß phantastische, nicht symbolische Figuren sehn. Dasselbe gilt von dem Fährmanne, der nur an's jenseitige Ufer, aber nicht zurückfahren kann und als Fährgeld Früchte der Erde verlangt, ebenso von der durchaus sinnlich gehaltenen Frau des Alten mit der Lampe. Während des verworrenen Zustandes der Herrschaft der verzauberten Lilie ruht die feste sichere Herrschaft, die allein wahre Freiheit gewähren kann, am jenseitigen Ufer in der Tiefe der Erde. Die Verbindung zwischen beiden Ufern ist eine ganz unzureichende und seltsame. Des einseitigen Fährmanns gedachten wir eben; neben ihm sehen wir den großen Riesen, dessen Körper ganz kraftlos ist, wogegen sein Schatten vieles vermag, ja alles. ,,Deswegen ist er beim Auf- und Untergang der Sonne am mächtigsten, und so darf man sich Abends nur auf den Nacken seines Schatten sezen; der Riese geht alsdann sachte gegen das Ufer zu und der Schatten bringt den Wanderer über das Wasser hinüber." Später richtet der Schatten seiner Fäuste auf der neuentstandenen stehenden Brüde großen Schaden an. Als er aber auf die Thüre des Tempels losgehen will, wird er auf einmal in der Mitte des Hofes am Boden festgehalten, wo er als kolossale Bildsäule von röthlich glänzendem Steine stehen bleibt und sein Schatten die Stunden zeigt, die in einem Kreise auf dem Boden um ihn her nicht in Zahlen, sondern in edlen und bedeutenden Bildern eingelegt waren. Hierbei schwebt dem Dichter, wie jezt auch Guhrauer (S. 106) bemerkt, der große Obelisk vor, der zu Rom auf dem Campus Martius als Sonnenzeiger diente, und den Goethe selbst (B. 24, 97) als das älteste und herrlichste vieler Monumente bezeichnet. Die Dichtung vom Schatten des Riesen ist offenbar durch den riesigen Schatten, wie ihn etwa ein Berg am Abende über den Fluß wirft,1) veranlaßt, roch deutet sie symbolisch auf die wilde rohe Gewalt der Massen, die, wenn sie nicht zweckmäßig verwandt und geleitet wird, das größte Verderben anrichtet. Ganz anderer Natur sind die fackelnren, ohne Ziel und Zweck hinstreifenden Irrlichter, die in einem geordnetem Staate, wo jeder zum Zwecke des Ganzen mitwirken foll, keine Stelle finden. Sie öffnen freilich, weil dies ihrer genußsüchtigen Natur zusagt, den Eingang zum Tempel, aber sie müssen selbst außerbalb des Tempels bleiben und entfernen sich am Schlusse, wo sie allein unverändert erscheinen. Die Irrlichter bezeichnen die Selbst- und Genußsüchtigen, welche keinen Antheil am

1) Berühmt war im Alterthume der ungeheuere Schatten des Berges Athos.

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