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haben sie gestern Abend in der Atmosphäre der schwimmenden Inseln gefangen." Sind nämlich die schwimmenden Einsiedler, wie man vermuthen darf, mit den schwimmenden Inseln in Verbindung zu sehen, so müßte man sich unter diesen hißige Politiker denken, welche so wenig sich mit Anderen vertragen können, daß sie sich auf eigene Inseln zurückgezogen haben und einsam auf dem unermeßlichen Meere umherschwimmen. An Einsiedler, die wirklich im Meere umherschwimmen, wie Andere sich im Sande wälzen und auf diese Weise Bußfahrten vollführen, möchten wir nicht denken. Oder sollten sie etwa für ihre politische Leidenschaftlichkeit Buße thun ?

Der Plan fährt fort: Finden die Residenz. Beschrieben. Tafel des Lebens 2c. 2c. Absteigen. Cadavers. Castellan. Besehen sich. Unleidiger Gestank. Einfall Panurg's. Werden (offenbar die „Cadavers") in die See geworfen. Die Residenz gereinigt. Man genießt." Die sittliche Verdorbenheit des Hofcs, in welchen der Dichter bei der Halsbandgeschichte einen so entfeßlichen Blick gethan hatte, sollte hier ohne Zweifel ihre gebührende Schilderung finden. Die „Cadavers" sind, wie wir aus einer Acußerung im legten ausgeführten Stücke des Romans schließen müssen, die Leichname tapferer Männer, die vor dem Eingange der Burg liegen und wahrscheinlich dem König, der, wie wir hören, mit seiner Geliebten entflohen ist, vertheidigt haben. Aber wogegen bedurfte der König Vertheidigung, wer hat ihn angegriffen? Auch hier kommen wir nicht über eine Vermuthung hinaus. Am Abende bemerkten die Reisenden die steile Küste, welche, obgleich langsam, gegen die Residenz zu ihre Richtung nahm. Am Morgen sahen sie, wie der Plan sagt, die Insel" nicht mehr. Sollte nicht die steile Küste an die Residenz angeschwommen sein und sich, nachdem sie alle Bewohner derselben getödtet oder vertrieben hatten, wieder entfernt haben, etwa um den König zu verfolgen? Diese Feindseligkeit der steilen Küste, der Aristokraten, gegen die Residenz, den König, würde nichts Auffallendes haben, vielmehr die feindliche Bekämpfung beider in's rechte Licht sezen. An die Reinigung der Residenz schließt sich unmittelbar das lezte ausgeführte Stück des Romans mit den Worten an: „Kaum befanden sich unsere Brüder in dem leidlichen Zustande, in welchem wir sie gesehen, als sie bald empfanden, daß ihnen gerade noch das Beste fehle, um ihren Tag fröhlich hinzubringen und zu enden." Die unentbehrliche Gegenwart schöner Frauen ist es, welche sie hier im königlichen

Schloffe, an der üppigen Tafel, desto unleidlicher vermissen, je mehr sie in allen übrigen Dingen sich begünstigt fühlen. Der alte Castellan hat freilich betheuert, daß sich im ganzen Schlosse kein weibliches Wesen befinde, aber Panurg hat gegen die rechte Seite hin, wo die hohen Felsen senkrecht aus dem Meere hervorstehen, ein eben so prächtiges als festes Gebäude entdeckt, das mit der Residenz durch einen auf ungeheuren Bogen stehenden Gang zusammenhängt. „Die Brüder wurden einig, daß man den Weg dahin suchen solle. Um kein Aufsehen zu erregen, ward Panurg und Alciphon abgesandt, die in weniger als einer Stunde mit glücklichen Nachrichten zurückkamen. Sie hatten nach jener Seite zu geheime Tapetenthüren entdeckt, die ohne Schlüssel durch künftlich angewandten Druck sich eröffneten. Sie waren in einige große Vorzimmer gekommen, hatten aber Bedenken getragen, weiter zu gehen und kamen, um den Brüdern, was sie ausgerichtet, anzuzeigen." Weitern Aufschluß gibt das lezte erhaltene Stück des Planes: Entdeckung des Panurg. Xaris. Eifersucht der Brüder. Prätension. Bedingung des Vaters. Sechse bereiten sich. Morgen. Entdeckung. Beschreibung. Venus und Mars. Trost der Anderen." Panurg hat die Schöne entdeckt, welcher der Dichter den Namen Charis, die Anmuth, gab; denn Xaris ist ein offenbares Versehen, wohl bloß Druck- oder Schreibfehler. Die Brüder werden auf einander eifersüchtig, Alle machen Ansprüche, zumeist wohl Panurg. Aber der Vater hatte für einen solchen Fall ihnen Bedingungen vorgeschrieben. Vermuthlich sollten Alle sich der Geliebten vorstellen, mit Ausnahme des Jüngsten, damit die Eifersucht keinen Streit errege, und die Geliebte sollte selbst entscheiden. Wenn es im Plane heißt: Sechse bereiten sich," fo muß dies wohl ein Irrthum sein, da ja die Zahl aller Brüder nicht über sechs hinaus ging, weshalb der Dichter einfach gesagt haben würde: „Bereiten sich," der Jüngste, Eutyches, der Glückliche ist ausgeschlossen; dieser hat aber, wie es scheint, bei Charis schon in der Nacht sein Glück gemacht. Die Brüder, welche Charis und Eutyches am Morgen zusammen finden, wie Venus und Mars in der bekannten Liebesgeschichte, müssen sich trösten. Bei dieser Episode wollte Goethe wohl auf die galanten Abenteuer hindeuten, welche aus dem weichlichen, üppigen Hofleben fast nothwendig hervorgehen und oft die ganze Thatkraft der Herrscher, die dem Besten des Volkes geweiht sein sollte, schmählich verzehren, wenn sie nicht gar die Herrschaft den Maitressen allein überlassen. Man denke

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an den,,modernen Sardanapal," Ludwig XV, auf den Goethe im zweiten Theile des Faust seine scharfen Pfeile richtet.

Wie die Brüder die Residenz verlassen, wissen wir nicht; vielleicht machte das Glück des jüngsten sie den übrigen verhaßt. Jedenfalls suchten sie zunächst die steile Küste auf, wo die verdorbene Aristokratie uns entgegentreten sollte, und wandten sich von dort zum „Lande," dem in sich tüchtigen und kräftigen Volke, in welchem die Söhne Megaprazon's in einer ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Thätigkeit sich und andere zu fördern bestrebt sind. Vermuthen könnte man etwa, daß der entflohene König sich zum „Lande“ gerettet habe und in Zukunft dem gemeinsamen Besten seine Thätigkeit zu widmen bestrebt sei. Hiernach kann es wohl keinem Zweifel unterworfen sein, daß Goethe die Ansicht, welche er in der natürlichen Tochter" in so lebendiger Klarheit herausgestellt hat, daß nur in der innigen Verbindung von Fürst und Volk zur gemeinsamen Förderung aller die Sicherheit des Staates beruhe, bereits in der „Reise der Söhne Megaprazen's", also im Jahre 1791, ausführen wollte.

Mit dem Besuche des „Landes“ hat aber der Roman sein Ente erreicht; keineswegs ist mit Rosenkranz anzunehmen, daß die Brüder nech andere Inseln, etwa gar das Orakel der heiligen Flasche, besucht hätten. Geethe hatte seine politische Ansicht in der Dichtung einer Insel der Monarchomanen niederzulegen gesucht, für die er eine poctische Form im Anschlusse an den Pantagruel von Rabelais fand, aus welchem er die Papefiguen und Papimanen herübernahm; die Laterneninsel aber dürfte eben so wenig, als das Orakel der heiligen Flasche zu seinem Zwecke gepaßt haben. War in den Papefiguen, wie wir annahmen, die Demokratie, in den Papimanen die Verdumpfung eines bigotten, jeder freien Geistesbildung feindlichen Volkes unter tyrannischer Priesterherrschaft dargestellt, so wurden in der Insel der Monarchomanen die ihre Macht zur Unterdrückung des Volkes mißbrauchende kraft- und sittenlose Monarchie und die gegen das Volk, aber auch gegen das Königthum verbündete, herrsch- und genußsüchtige Aristokratie versinnbildlicht. Wie bedeutend hiernach der Roman für Goethe's politische Ansicht und zur richtigen Ausdeutung der natürlichen Tochter sei, ergibt sich von selbst.

2. Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten.

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Während Goethe mit der lezten Durcharbeitung seines Wilhelm Meister“ beschäftigt war, kam ihm der Gedanke, gleichsam zur Erholung von der Last, welche dieser ihm aufgelegt hatte, eine Sammlung kleinerer Erzählungen zu liefern, welche, ähnlich wie in Boccaccio's Decamerone, durch ein äußeres Band zusammengehalten, in verschiedenem Tone und Sinne geschrieben, eine erfreuliche Abwechselung gewähren sollten. Schon während Schillers Besuch in Weimar, im September 1794, scheint Goethe diesem seinen Plan mitgetheilt und ihm unter andern den Inhalt der Erzählung vom Procurator vorgetragen zu haben. Am 28. Oktober schreibt Schiller: Da Sie mich auffordern Ihnen zu sagen, was ich für die ersten Stücke (der Horen) noch von Ihrer Hand wünsche, so crinnere ich Sie an Ihre Idee, die Geschichte des ehrlichen Procurators aus dem Boccaz zu bearbeiten." An demselben Tage verspricht ihm Goethe, die Erzählung" solle zu Ende des Jahres bereit sein. Indessen wurde die Sammlung von Erzählungen bei Goethe's Besuch in Jena, wie es scheint, weiter besprochen und der Procurator zunächst noch aufgeschoben. Am 27. November überrascht Goethe seinen Freund sehr angenehm mit dem Eingange zu den Erzählungen und spricht die Hoffnung aus, die erste Erzählung zum zweiten Stücke der Horen liefern zu können. „Nach meinem Urtheil,“ schreibt Schiller, „ist das Ganze sehr zweckmäßig eingeleitet und besonders finde ich den strittigen Punkt sehr glücklich in's Reine gebracht. Nur ist es Schade, daß der Leser so wenig auf einmal zu übersehen bekommt und daher nicht so im Stande ist, die nothwendigen Beziehungen auf das Ganze gehörig zu beurtheilen. Es wäre daher zu wünschen gewesen, daß gleich die erste Erzählung hätte können mitgegeben werden." Dabei bemerkt er: „Weil ich mich in meiner Annonce (der Horen) an des Publikum auf unsere Keuschheit in politischen Dingen berufen werde, so gebe ich Ihnen zu bedenken, cb an dem, was Sie dem Geh. Rath in den Mund legen, eine Partei des Publikums, und nicht die am wenigsten zahlreiche, nicht vielleicht Anstoß nehmen dürfte. Obgleich hier nicht der Autor, sondern ein Interlocutor spricht, so ist das Gewicht doch auf seiner Seite, und wir ha ben uns mehr vor dem, was scheint, als was ist, in Acht zu nehmen. Diese Anmerkung kommt von dem Redacteur. Als bloßer Leser würde ich ein Vorwort für den Hofrath einlegen, daß Sie

ihn doch durch den hißigen Carl, wenn er sein Unrecht eingesehen, möchten zurückholen und in unserer Gesellschaft bleiben lassen. Auch würde ich mich des alten Geistlichen gegen seine unbarmherzige Gegnerin annehmen, die es ihm fast zu arg macht."1) Goethe will darauf den Prologus" noch einmal durchgehn, dem Geh. Rath und Luisen Sourdinen auflegen und dem heftigen Carl vielleicht noch ein Forte geben. In's zweite Stück hoffe ich die Erzählung zu bringen; überhaupt gedenke ich aber, wie die Erzählerin in der Tausend und eine Nacht zu verfahren.

Unser Dichter, den leidige Erfahrungen gelehrt hatten, wie sehr leidenschaftliche Vertheidigung politischer Ansichten, mit größter Unduldsamkeit gegen abweichende Meinungen, nicht bloß den Frieden und die Ruhe zwischen Verwandten und Freunden, sondern selbst jede anständige Geselligkeit zu stören pflege, 2) bediente sich gerade dieser Erfahrung zur Gewinnung eines passenden Rahmens für seine einzelnen Erzählungen. Der heftige Streit zwischen dem Geheimenrathe und Carl, der den ersten durch eine verleßende Acußerung von dannen treibt, veranlaßt die Bestimmung, daß in Zukunft jedes politische Gespräch von der allgemeinen Unterhaltung ausgeschlossen bleiben solle. Laßt uns dahin übereinkomkommen," spricht die Baronesse, daß wir, wenn wir beisammen sind, gänzlich alle Unterhaltung über das Interesse des Tages verbannen. Wie lange haben wir belehrende und aufmunternde Gespräche entbehrt, wie lange hast Du uns, lieber Carl, nichts von fernen Landen und Reichen erzählt, von deren Beschaffenheit, Einwohnern, Sitten und Gebräuchen Du so schöne Kenntnisse hast.

1) Auch Ramdohr nimmt in einem Briefe an Schüß (Briefwechsel von Schüß II., 352.) an Luisen Anstoß. „Die Gespräche der Emigranten," sagt er, „haben mir im Anfange sehr gut gefallen. Weiterhin aber spricht die Baronin wie ein Buch und ihre Tochter wie eine Jungfernmamsell. Welch' wohlerzogenes Mädchen wird mit einem Pastor über lüsterne Anekdoten scherzen. Es ist unbegreiflich, daß Goethe, der so lange in der guten Gesellschaft gelebt hat, noch immer den Tackt des Schicklichen nicht erhalten kann.“ Der Dichter schildert uns mit Absicht Luisen als heftig und leidenschaftlich, wie Friederiken in den Aufgeregten," wodurch der etwas freiere, aber nicht gerade anstößige Ton sich wohl erklärt.

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2) Von Frankfurt aus klagt Goethe im August 1792 über die Langeweile, die man in allen Gesellschaften leiden müsse, da man überall das vierjährige Lied pro und contra wieder herab orgeln hören müsse und zwar das crude Thema ohne Variationen.

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