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derung werther ist, als die wohl zu Rathe gehaltene Armuth manches Anderen. Auf der anderen Seite trifft jenes Verwerfungs urtheil der Kritik diese zum bei weitem größten Theile jezt erst bekannt gewordenen Märchen wenig oder nicht. Befriedigen seine übrigen Dichtungen nicht wegen des unversöhnten Zwiespaltes zwischen Idee und Ausführung, Tendenz und poetischer Unbefangenheit, zwischen dem Reichthum eines ungezügelten Geistes und der Rundung der Form, so gestattete das Märchen gerade so viel Freiheit, als er brauchte, und forderte nicht mehr Einheit, als er zu leisten im Stande war. Und wenn Göthe bei seiner klaren Anschauung die Wirklichkeit und seiner plastischen Auffassung für Dichtungen dieser Art keinen Beruf fühlen, und wenn er sich in ihnen versuchte, es nur dadurch konnte, daß er für sie eine mit der Wirklichkeit ganz unverflochtene eigne Sphäre der Phantasie schuf, wodurch er aber seinen Märchen mit dem Boden der Wirklichkeit zugleich das Interesse raubte: so war dagegen Clemens Brentano, der im Alter noch mit Kindersinn die Erde mit dem Himmel unmittelbar und unbefangen verknüpfte, und mit Kinderauge überall die „Himmelskräfte auf und niedersteigen und sich die goldnen Eimer reichen, und mit segenduftenden Schwingen vom Himmel zu der Erde dringen sah, zum Märchendichter recht eigentlich geschaffen.

Fassen wir den Totaleindruck dessen, was er auf diesem Gebiete geleistet, mit einigen Hauptzügen zusammen, so ist es zunächst das volksthümliche Element, was in diesen Märchen freundlich uns anspricht: nicht blos, daß er seine Stoffe meist aus Volksmärchen entlehnt, sondern er zeigt, daß er in den Kreisen des Volkes, namentlich in reichsstädtischem Markt- und Straßenleben_heimisch ist, und wie er für das Treiben des Volkes ein offnes Auge hat, so weiß er es auch mit Liebe und Freundlichkeit auf's lebendigste und heiterste darzustellen. Damit hängt nahe zusammen jener fromme, sittlich ernste Sinn, jenes Gefühl für Treue und Dankbarkeit, das, wie es unserm Volke eigenthümlich ist, auch überall diese Märchen durchzieht, und den heiligen Boden bildet, in welchem die bunten Blüthenbäume der Poesie feste Wurzel schlagen, um unvergängliche Früchte zu bringen. Weiter schließt sich hieran der mit dem innersten Wesen des Germanen verwachsene tiefe Sinn für das stille Weben der Natur, der in den Blüthen lesen, die Sprache der Vögel erlauschen möchte und das Leben der Natur mitlebt; überall weht aus Brentano's Märchen die frische Waldluft uns erquickend entgegen, Thiere Vögel, und Fische, Bäche und Ströme, Mond

und Sterne reden und handeln mit in dem bunten Schauspiele dieser Wunderwelt. Theilen unsre Märchen diese Eigenschaften mit denen unseres trefflichen Arndt, so unterscheiden sie sich von diesen durch die weit größere Freiheit der Umdichtung oder der Erfindung, welche Brentano sich gestattete, und durch welche seine Subjectivität viel stärker hervortritt. Wir verdanken dieser Freiheit vor Allem die Menge von Sprüchen und Liedern, die der Dichter zur schönsten Zierde seiner Märchen überall in diese eingewebt; dann das Verflechten derselben mit bestimmten Verhältnissen, Namen, Orten, Personen der Wirklichkeit, was dann nicht selten zur Satyre benut wird. So verführerisch derartige Beziehungen sind, so ist der Dichter doch eigentlich nur in den später umgearbeiten Märchen, dem neueren Gockel und dem Fanferlieschen, ihnen zur Beute geworden, während ihn sonst die erste frische Begeisterung für seinen Gegenstand auch an diesen gefesselt hat, und auch wo er sich weiter verirrt hat, ist, bei der späteren Richtung des Verfassers, aller Anerkennung werth, daß er von störenden Erinnerungen an confessionellen Zwiespalt das heilige neutrale Gebiet des Volksthums und Kinderherzens durchaus frei gehalten hat; auch der Herausgeber, den wir sonst als allezeit fertigen Streiter auf diesem Gebiete kennen, ist ihm darin gefolgt, wie er denn sein eignes schönes Talent schon früher zu harmloser Ergözung unbefangenen Kindersinns mit schönstem Erfolge, und, wie uns scheinen will, zu edlerem Zwecke gc= braucht hat, als wenn er es zur Verherrlichung der Trierer Rockfahrt benußte.

Wenn wir nun nicht anstehen, diese Märchen für die vollendetsten Dichtungen ihres Verfassers zu halten, so hat er selbst viel geringer davon gedacht. Um's Jahr 1811, also in seinen männlichen Jugendjahren gedichtet, waren sie ursprünglich bestimmt, die Kinder seines Schwagers „Savigny und seines Freundes Schinkel zu unterhalten, und wenn gleich Brentano öfter damit umging, sie durch den Druck bekannt zu machen, so gestattete ihm doch seine Ansicht über die Unvollendetheit und gänzliche Unwürde dieser Produktionen“ nicht, sie in der jezt uns vorliegenden Gestalt zu veröffentlichen; ein neuer Beweis, wie sehr Dichter geneigt sind, für ihr Bestes zu halten, was ihnen am schwersten geworden, und was sie leicht und fast spielend hingeworfen zu verachten, obgleich diese Leichtigkeit der Schöpfung darin ihren Grund hatte, daß die schaffende Kraft des Genius in regster Thätigkeit war, und also das en peu d'heure dieu labeure sich bewährt: daß seine Freunde

,,das Myrtenfräulein" in der Frankfurter Iris hatten abdrucken lassen, nahm er ihnen sehr übel, er selbst kam bei seinen Lebzeiten nur zur Herausgabe des Gockel; und wie er deffen Ertrag zum Besten Gelnhausens verwandte, so hat auch nur die Rücksicht auf die Armen ihn bewegen können, die Herausgabe seiner Märchen durch Herrn G. Görres in seinem leßten Willen zu verfügen. Um dieses Zweckes willen ist dem Buche doppelt die Verbreitung zu wünschen, welche es um seiner inneren Vortrefflichkeit willen verdient. Allerdings kann ein Theil seines Inhaltes nur von dem literarisch Gebildeten vollständig verstanden und genossen werden, das Meiste aber, mehrere Märchen ganz, und die andern doch ihrem eigentlichen Kerne nach, ist wohl geeignet in Volk und Jugend überzugehn und würde dahin leicht und sicher seinen Weg finden, wenn der Vater oder Lehrer von dem, was ihn ergöst, das, was Kinder ergößen kann, in mündlicher Erzählung ausschiede; und in solcher Form dem Kinde überliefert zu werden, ist ja eigentlich des Märchens angestammtes Recht. Brentano's Märchen verdienen die Popularität vollkommen, die sonst seine Produkte nicht gefunden. Davon mit Görres die Schuld zum größten Theil dem Publikum zuzurechnen, tragen wir Bedenken, und glauben vielmehr, daß er selbst, wie dies Schicksal, so auch diese Schuld mit der ganzen romantischen Schule theilt. Diese erkannte zwar die Gebrechen der Zeit, die Gesunkenheit des Volkes, aber sie ging nicht mit lebensvoller Hingebung auf Sinn und Bedürfniß des Volkes ein, um das Bessere, was sie gefunden zu haben glaubte, zum Gemeingute zu machen, behielt es vielmehr als etwas Apartes für sich und bildete, trop vielseitiger Anregung, die von ihr ausging, doch stets ein auf ihre Prärogative vor der Masse stolze literarische Aristokratie, wie denn die orthodoxen Anhänger dieser Schule, wo sie noch irgend hervortreten, als literarische Separatisten dastehen. In seinen Märchen aber schließt Clemens Brentano seinem Volke sein ganzes Herz auf; und je mehr wir wünschen, daß auch ihnen das Herz des Volkes sich öffne, desto weniger dürfen wir hier den Wunsch unterdrücken, es möge durch einen niedrigeren Preis der schönen Sammlung auch die Verbreitung in die Kreise des Mittelstandes möglich gemacht werden, eine Möglichkeit, die jezt wirklich fast fehlt. Vielleicht fiele durch Erfüllung dieses Wunsches der materielle Erz trag für die Armen nicht größer aus, aber es würde, und gewiß im Sinne des Verfassers, mehr geistige Freude aus seinem Liebeswerke hervorgehen und bald wohl manches von seinen Sprüchlein

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und Liedern in Volfs- und Kinderschulen aufmerksam gehört und gern behalten werden; auch der Heiland hat ja nicht blos den Hungrigen Brod gegeben, sondern auch das Evangelium den Armen gepredigt.

Aber sind denn dies Alles nicht vergebliche Wünsche und thörichte Hoffnungen? Hat nicht jüngst erst ein Mann, der als Volksschriftsteller sich bereits Ruf erworben, ausgesprochen, daß das Märchen seine Mission erfüllt habe, daß es beim Volke jest nicht mehr verfange, sondern dies anderer Nahrung bedürfe? Wir nun können nicht glauben, daß beim Volke nicht verfangen soll, was seinem eigensten innersten Wesen selber entsprossen, und können uns nicht überzeugen, daß es räthlicher sei, das Volk für diese oder jene Forderung des Augenblickes äußerlich zuzurichten, als seine innere Eigenthümlichkeit auszubilden, damit es dann überall sich selbst treu und seiner selbst würdig auftrete; wir schließen darum, nicht um -Autorität gegen Autorität zu halten, sondern um von einem Ausspruche, der unsere Ueberzeugung so vollkommen ausdrückt, nochmals Gebrauch zu machen, mit den Worten von Jakob Grimm, daß Märchen und Sagen der Jugend und dem Volk bis auf heute gesunde Nahrung geben, von welcher es nicht ablassen wird, wie viel andere Speise man ihm vorschiebe;" und wünschen, daß aus der weiten Verbreitung auch dieser Märchen dem Verfasser Liebe, dem Herausgeber Ehre, den Armen Brød und Allen viel Freude erwachsen möge.

Gießen.

G. Baur.

Gedichte von Friedrich von Schiller. Stuttgart und Tübingen 1845. (Elegante Ausgabe in Taschenbuchformat, besorgt von Prof. Joachim Meyer.)

Diese Ausgabe, von welcher die Kritik bisher noch nicht gebührend Notiz genommen, darf wenigstens nicht in einem der modernen Philologie gewidmeten Archiv unberücksichtigt bleiben: denn wir haben an ihr die erste mit wahrhaft philologischem und kritischem Sinne besorgte Edition von Schiller's Gedichten erhalten, die in ihrem Kreise denselben Rang behauptet, den die Lachmann'sche Ausgabe unter den Editionen Lessing's einnimmt.

Ueber das Bedürfniß einer neuen Ausgabe der Werke Schiller's überhaupt hat sich der verewigte Dr. Karl Hoffmeister kurz vor seinem Tode in dem Archiv für den deutschen Unterricht, wenn auch flüchtig, doch eindringlich ausgesprochen. Er verlangt, daß die Körner'sche Anordnung und Auswahl, deren Willkürlichkeiten und Uebelstände er in seiner Nachlese zu Schiller's Wer

ken vielfach aufgedeckt, nun doch endlich beseitigt werde. Mit demselben mimu tiösen Fleiße, welchen die Philologen an die alten Classiker wenden, wollte er zunächst einen durchaus richtigen Text wieder hergestellt wiffen; dann forderte er weiter, daß sowohl die kleineren Gedichte, als die Dramen und die prosaischen Schriften, jede Abtheilung für sich, streng chronologisch geordnet, ferner, daß die Varianten und die später ausgelassenen Stellen unter den Tert geseßt, und endlich, daß die unterdrückten Stellen gehörigen Ortes eingefügt würden. Nach einer solchen Musterausgabe Schiller's sollte dann jede kleinere Ausgabe für den weitern Leserkreis mit Weglassung der Varianten und der eingeschlossenen Nachträge veranstaltet werden.

Es dürfte noch eine gute Zeit währen, ehe sich die allein berechtigte Verlagshandlung zu einer solchen Musterausgabe, wie sie Hoffmeister im Sinne trug, entschlösse, und er selbst hat durch seine „Nachlese und Variantensammlung" dazu beigetragen, die Zeit ihrer Erscheinung hinauszurücken. Denn so lange die starke Auflage jener Nachträge noch nicht vergriffen ist, möchte sich die Cotta'sche Buchhandlung schwerlich dazu verstehen, eine Gesammtausgabe der Schiller'schen Werke zu veranstalten, in welche die Nachträge nothwendig aufgehen und sich verlieren müssen. Mittlerweile kann indessen für die dem größern Leserkreise zugedachten Editionen, Gesammtausgaben wie Einzelausgaben besonderer Werke, das Nöthige geschehen, und damit ist nun in der vorliegenden eleganten Taschenausgabe der Schiller'schen Gedichte ein vortrefflicher Anfang gemacht. Die Verlagshandlung hat sich hierbei gerade an den rechten Mann gewandt, der seinen Beruf zu dergleichen Arbeiten durch seine höchst sorgfältige Abhandlung über den Wilhelm Tell dargethan. Sr. Prof. Meyer machte es sich, wie er uns selbst berichtet, bei der Correctur der vorliegenden Ausgabe zum strengen Grundsaße, auf's Neue eine genaue Recognition des Tèrtes anzustellen und die einzelnen Veränderungen in demselben durch die verschiedenen Editionen hindurch zu verfolgen. Zu dem Ende verglich er jedes Gedicht mit dem ersten Druck, wie er sich in der Anthologie, dem Teutschen Merkur, der Thalia, den Horen und drei Almanachen findet, so wie mit denjenigen Ausgaben der Gedichte, welche für die Kritik Werth haben, und schenkte auch den betreffenden Erläuterungen der Interpreten die gehörige Berücksichtigung.

Außerdem sind Schiller's eigene handschriftliche Verbesserungen benußt worden, welche Hoffmeister 1844 in meinem Archiv für den deutschen Unterricht veröffentlicht hat. Hoffmeister verlangte mit Recht, daß diese Varianten bei einer neuen Ausgabe von Schiller's Gedichten in den Tert aufgenommen würden, abgesehen von ihrer Trefflichkeit schon deßwegen, weil sie Veränderungen von Schiller's leßter Hand, gleichsam testamentarische Verfügungen seien. Hr. Meyer hat nun diesem Wunsche entsprochen, mit Ausnahme von zwei Stellen im Alpenjäger und im Antritt des neuen Jahrhunderts. jenem Gedichte hatte Schiller in Strophe 6 statt der jezigen Lesart: Hängt sie auf dem höchsten Grat

eigenhändig geschrieben:

Hängt sie auf dem steilen Grat,

In

was schon Hoffmeister, weil sich einige Verse nachher das Wort steile wiederholt, für eine bedenkliche Veränderung erklärte. In dem andern Gedichte schließt die erste Strophe:

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Und das neue öffnet sich mit Mord,

Archiv III.

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