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gesagt, daß es der Jugend und dem Volk bis auf heut gesunde Nahrung gibt, von welcher es nicht ablassen wird, wie viel andere Speise man ihm vorschiebe.“ Und wie könnte es auch anders? Es müßte ja sein eigenstes Wesen aufgeben! Was im innersten Heiligthum seiner Seele ein Volk sinnt und denkt und ahnt und wünscht, das eben spricht es in lebendigen, bunten Bildern in seinen Märchen aus, über den Schmuß und die Verwirrung und die Leiden des alltäglichen Lebens mit frischem, heiteren Aufschwung in die reinen und klaren Räume der Dichtung sich erhebend sollte es nicht gern in seine Märchen hineinsehen, die ihm rein von den Flecken und Gebrechen, die es in der Wirklichkeit an sich trägt, sein Urbilo darstellen zur Freude und zur Erbauung? Warum follte es nicht jeden erquicken, wie hier das unschuldige, gesunde Gemüth des Volkes in unbewußter Tiefsinnigkeit Größtes und Kleinstes, Schmerz und Lust, Ernst und Scherz, Himmel und Erde verwebt hat?

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warum

Darum wollen aber auch nur solche Märchen recht gewinnen, die wirklich im Herzen des Volkes erwachsen sind. Wie haben nicht die Grimm'schen Kinder- und Hausmärchen überall im Vaterlande wiedergeklungen, und wunderbar! - gerade diese ächt deutschen Gewächse haben nicht blos Engländer, Holländer, Dänen, sondern selbst Franzosen wetteifernd sich bemüht, in ihre Heimath zu verpflanzen, zum deutlichsten Beweise, wie nur das Volk von andern geliebt und geachtet wird, das seine Volksthümlichkeit kräftig und unverkümmert bewahrt, wie es aber, sobald es sich selbst aufgebend an Fremde sich anschmiegt, verdiente Verachtung der Fremden trifft. Auch der Hauptreiz der köstlichen, jedoch schon freier behandelten Arndt'schen Märchen liegt darin, daß sie in volksthümlicher Ueberlieferung wurzeln, unter Andersen's Märchen zeichnen sich die nacherzählten von den frei gedichteten sehr vortheilhaft aus, die von Lied fonnten nie recht populär werden, weil sie vom Boden des Volksbewußtseins schon zu weit sich entfernten, und wenn Novalis und Göthe in ihren Märchen, was der Geist des Volkes bieten und fordern kann, vollständig vernachlässigten, so hat er sich dadurch gerochen, daß diese Märchen so gut wie ganz vergessen sind, abgesehen davon, daß sie die Wirkung der Volksmärchen schon um deßwillen nicht hervorbringen können, weil ihre Verfasser in Folge der Ansicht, es beruhe das Wesen des Märchens in einem vom Boden der Wirklichkeit völlig losgeriffenen durchaus willkührlichen Spiele der Phantasie, für sie neben dem wirklichen Leben oder jenseits

desselben ein fest begrenztes Land der Phantasie schufen, während der Reiz des wahren Mährchens eben darin beruht, daß es in die frische Wirklichkeit die Gestalten und Kräfte einer geheimnißvollen. Wunderwelt einführt.

Anders daher Clemens Brentano. Ueberall ziehen durch seine Märchen die Fäden hindurch, wodurch sie an das gebunden sind, was im Herzen unseres Volkes lebet und webt. Wo nicht ein Volksmärchen selbst die Grundlage bildet, da sind in seine Erzählung doch allwärts Sagen, Sprüchwörter, Lieder auf's sinnigste verwoben, oder die Wirklichkeit selbst wird höchst ergözlich mit kecken, glüdlichen Griffen zu der Wunderwelt der Märchen in Beziehung gesezt, so daß diese nicht als ein unerreichbares Jenseits zu einem nackten, düsteren Leben in Gegensaz tritt, sondern das Leben selbst mit all ihrem Blüthenschmuck und sonnigen Glanze freundlich umstrahlt und verklärt. Hanau und Gelnhausen, Trier, Mainz und Biberich, Bingen mit dem Bachusberg und Rüdesheim, das Binger Loch und der Mäusethurm, die Burgen Kaß und Maus die wunderschöne Frau Lureley - alle treten in diesen Märchen bedeutend hervor, und vor allen steht der liebe Vater Rhein in seiner Schönheit und Kraft, in seiner Freundlichkeit und in seinem Ernste so herrlich vor uns da, mit seinen sonnenbeglänzten grünen Wellen, mit seinen Städten und Burgen und Felsen und Rebenhügeln, daß dem, der einmal diese Freuden geschmeckt, die erblaßten Farben der Erinnerung wieder aufleuchten im heitersten Glänze und schon verklingende Töne sich sammeln zu lautem Freudengesang, daß mitten im Winter das Herz ihm so sehnsuchtsvoll wächst, als ob die laue Welle den nackten Fuß schon nege, und daß er sich hineinstürzen möchte in die Tiefe, wo der alte, ehrwürdige Vater mit den Vasallen seines Gebietes umgeben von lieblich schlummernden Kindergesichtern, Hof hält im krystallenen Palaste. Unvergleichlich schön und herrlich ist in dieser Beziehung eine Schilderung im ersten Märchen „von dem Rhein und dem Müller Radlauf:" durch die verführerische Pfeife des Prinzen Mauseohr von Trier sind alle Kinder von Mainz in die Fluten des Rheins gelockt, auch die schöne Prinzessin Ameley und ihr Pathchen, das blonde Ameleychen der armen Fischerin Marzibille. Das Goldfischchen, welches das fromme Kind besessen, trauert nun, da es seiner Pflegerin entbehren muß, und die Fischerin schickt es dem Töchterchen nach in den Rhein. Bald kommt es wieder und erzählt, was es da unten erlebt, unter andern folgendes:

„Als ich kaum einige Minuten nachgedacht hatte, was ich anfangen sollte, siehe! da ging der Mond auf und ergoß sein erquickendes Licht von den Rebenhügeln hinab bis auf den Grund des Rheines, und die Fluth schimmerte unter mir und ober mir wie ein fließender Smaragd, meine goldenen Floßfedern schimmerten, und die rothen Schuhe, in denen ich steckte, glänzten, wie eine Koralle; es war mir durch und durch wohl und selig; da rauschte etwas mit den gelben Wellen des Mainstroms an mich heran und bald erkannte ich eine heitere Schaar von Nymphen. Es zogen voraus zwei schöne, muthige Jünglinge, der weiße Main und der rothe Main, die kräftigen Söhne des Fichtelberges; sie schwammen mit verschlungenen Armen und sangen ein Doppellied, um sie her gauckelten viele schöne Nymphen, ihre Gespielinnen, Geliebten und Bräute; die freudige Urdach, die freundliche Itsch, die lustige Baunach, Lautenbach und Ellern, dann die edle Nordgauerin, die Reding, mit ihren Gespielen, die kunstreiche Regnig, der Wiesent und Aisch, weiter die kluge Saale, und die sinnreiche Sinna, dann die spielende Lohr, und die berauschte Tauber, und zulezt die liebliche Nidda; alle diese rauschten mit Weinlaub, Früchten, bunten Wimpeln, Harfen und Hörnern geschmückt, und die beiden Jünglinge singend und klingend, mit lautem Jubel in den mondglänzenden Rhein.

Als sie über mir waren, sangen sie alle miteinander:

Himmel oben, Himmel unten,
Stern und Mond in Wellen lacht,
Und in Traum und Lust gewunden
Spiegelt sich die fromme Nacht.

Welch entzückend laues Wehen!
Blumenathem! Traubendust!
Wie die Felsen ernsthaft sehen
In des Wiederhalles Kluft!

Rhein, du breites Hochzeitbette!
Himmelhohes Lustgerüst!

Wo sich spielend um die Wette

Stern und Mond und Welle füßt.

Und nun sangen die Brüder, der weiße und rothe Main:

Aus dem alten Fichtelberge
Rauscht zu dir das Brüderpaar,
Im Gestein die klugen Zwerge
Machten uns manch Märlein-klar.

Mit uns ziehen zu dir nieder
Viele Nymphen schön und flug
Und wir bringen alte Lieder,
Alte Märchen dir genug.

Rhein, du hast uns eingeladen
In dein grünes Wasserschloß
Zwischen jauchzenden Gestaden,
In dem fühlen Felsenschooß.

Und wir wollen jenen Kindern,
Die du drin gefangen hast,
Märchen singend bald vermindern
Ihres Heimwehs bittre Last.

Und nun sangen die Nymphen, eine nach der andern:

Freundlich bin ich, Urdach heiß ich,
Rothen Röslein manchen Strauß
Von gebückten Büschen reiß' ich,
Theil sie frommen Kindern aus.

Ich bin heimlich, heiße Itsche,
Wenn, wo Dorn und Schlehe blüht,
Still ich durch die Felsen witsche,
Lausche ich der Hirtin Lied.

Baunach, Lautenbach und Ellern
Sind wir, bringen Kiesel rund,
Die wir in den Felsenkellern
Ausgesucht, hübsch glatt und bunt.
Ich bin edel, heiße Regniß,
Stamme aus dem Nordgau' her,
Aisch und Wiesent und die Vegnig,
Tragen meine Gaben schwer.

Aisch bringt rothe Pfaffenhütlein,
Wiesenblümlein Wiesent bringt,
Und manch Märlein und manch Liedlein
Wissen wir, das lieblich klingt.

Ich, die Pegniß, sinnreich, heiter
Bring den Kindern Spielerei:
Trommeln, Pfeifen, Puppen, Neiter
Such' aus Nürnberg ich herbei.

Arche Noah, Gänsespiele,

Pfefferkuchen, buntes Wachs,

Bilderbücher, ei wie viele!

Ei! die Kindlein werden lachen
Weber all den lieben Tand,
Breit' ich erst die schönen Sachen
Ihnen aus im klaren Sand.

Heisa! lustig! Rockenstube,
Jahrmarkt, Niklas, heil'ger Chrift,
Freu dich Mägdlein, freu dich Bube!
Alles hier beisammen ist.

Ich die kluge Saale heiße,
Bin ein Nirchen wunderbar,
Stell verwandelt mancherweise
Bald als Kind, als Greis mich dar.
Sinnreich bin ich, Sinna heiß ich,
Wandle durch den Erlenwald,
Und vom Erlenkönig weiß ich
Auch manch Lied, das rührend schallt.

Rauschend durch die Mühlen spring' ich,
Spiele gern und heiße Lohr,
Von dem Müllerburschen sing' ich,
Der sein treues Lieb verlor.

Tauber heiß ich, Reben schwing' ich
Trunken in den Taubergrund,
Und den Kindern Tauben bring'ich,
Um die Hälse golden bunt.

Und ich heiße Nidda, Nibba,

Im Gebüsch versteck' ich mich,

Rufe immer: Nit da, nit da,

Und manch Liedlein von Hans Sachs. Mit den Kindern neck' ich mich.

Und nun sangen sie wieder

Seid gegrüßt ihr Nebenhügel!
Seid gegrüßt ihr Felsenstein'!
Die ihr unter Gottes Flügel

Also süß geschlummert ein.

alle zusammen:

Felder, Korn und Blumen tragend,
Hirtenflöten, einsam klagend,
Hohe Thürme Glocken schlagend,
Kirchlein, Schloß am Felsen ragend.

All ihr hochgeberzten Helden,

Die zu Bacchus Hochaltar

Sich zum blauen Spiegel stellten,

Seid gegrüßt von unserer Schaar!“

Ich glaube fest, man wird nicht leicht eine Dichterstellen finden,

in welcher ein so verschwenderischer Reichthum poetischer Fülle und

Archiv III.

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poetischen Glanzes zusammengedrängt wäre, wie über diese Schilderung und die weitere Erzählung des Goldfischchens ausgegossen ist. Zugleich zeigt diese Stelle, wie Brentano die Stoffe seiner Märchen mit dichterischer Freiheit gestaltet, und dazu bat die Poesie das Recht. Schon das Volksmärchen bewegt sich freier, als Mythos und Sage. Jener stellt zu einer Zeit, welche für den Gedanken die abstrakte Sprache des Begriffes noch nicht kennt, unbewußt in der Form bestimmter Gestalten und Thatsachen die religiösen Grundanschauungen eines Volkes dar und wird wirklich geglaubt; diese schließt sich an die wirkliche Geschichte an und gibt ihr, indem sie dieselbe zu allgemeinen Gedanken, die im Geiste des Volkes leben, in Beziehung seßt, eine höhere Weihe. Die Sage hat daher, wie J. Grimm sagt, eine halb historische Beglaubigung," einen örtlichen Halt, der sie begrenzt, und deshalb muß sie, nach dem Ausdrucke desselben Meisters, gehen, während das Märchen fliegen darf. Denn dieses wird weder geglaubt, noch ist ihm die geschichtliche Grundlage wesentlich, sondern es schließt sich an diejenigen Bestandtheile des Mythus und der Sage an, welche um ihrer eigenen Schönheit willen, den dichterischen Sinn und das Gemüth des Volkes besonders ansprechen, und darum mit Freiheit weiter ausgebildet und bereichert werden, besonders von der Zeit an, wo ein neuer Glaube die alte Mythe und Sage zu= rückdrängt, und nun das Schönste von ihnen, was das Herz des Volkes nicht lassen kann, ins neutrale Gebiet der Poesie zum harmlosen Märchen sich flüchtet. So sind auch bei unserm Volke, sobald durch das Christenthum der Glaube an die Mythen schwand, doch die mythischen Gestalten und Geschichten hauptsächlich die Grundlage seiner Märchen geworden, in dessen Bereiche denn freilich die alten, ernsten Götter- und Heldengestalten viel menschlicher, friedlicher und freundlicher auftreten: die erdumspannende, Schneeflocken schüttelnde, Ackerbau und Hauswesen, besonders die Spinnerei beaufsichtigende Göttin Hulda treibt als Frau Holle ihr Wesen, die von Wurtens Schlafdorn gestochene, vom Feuerwall eingeschlossene und von Sigfrid, dem heitern, starken Gotte der Sonne und des Frühlings, erlöste Walküre ist zum Dornröschen geworden, und die Schwanjungfrauen haben sich in Schneewitchen verwandelt. So finden wir denn dieselben Grundzüge eines Märchens, wie getreu man auch an den einzelnen Orten an der Gestalt der Ueberlieferung festhält, an verschiedenen Orten verschieden gestaltet, und so hat auch das hochverdiente Brüderpaar, dem wir die Sammlung

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