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Bemerkungen über die Gedichte des Manthos Joannu von Jánnina aus dem ersten Viertel des 18ten Jahrhunderts.

S o großen Beifalls im westlichen Europa die neugriechische Volks poesie, seit Göthe's günstigem Urtheil darüber und besonders seit Fauriel's trefflicher Sammlung sich zu rühmen hat, so wenig hielt bis jezt die Literaturgeschichte, geschweige denn die Lesewelt, es der Mühe werth, von den Leistungen der wenigen genannten Dichter jenes unglücklichen Volks während der Jahrhunderte seiner tiefsten Erniedrigung Notiz zu nehmen; und stoßen wir ja einmal in Reisebeschreibungen oder andern Werken ethnographischen und historischen Inhalts auf beiläufige Bemerkungen über solche Productionen, so sind die Urtheile darüber durchweg entschieden wegwerfend und wohl geeignet, von jeder nähern Prüfung der verkümmerten und noch dazu schwer habhaft zu werdenden Früchte des rhomäischen Parnasses abzuschrecken. Läßt sich nun auch nicht leugnen, daß diese ungünstigen Urtheile vom Gesichtspunkt der ästhetischen Kritik aus nur zu wohl begründet erscheinen, ja daß die neugriechische Pocsie in der That, wie J. Grimm (im Sendschreiben an Lachmann über Reinhart Fuchs) bemerkt, seit ihren ersten Anfängen bis auf die neueste Zeit außer den Volksliedern wenig Tüchtiges, nichts Treffliches aufzuweisen hatte, so ist dadurch noch keineswegs die Gleichgültigkeit des Historikers gegen literarische Denkmäler gerechtfertigt, die, ob auch poetisch null, doch unbestreitbar zu den wenigen und schwachen, aber zuverlässigen Lebens - Symptomen eines der merkwürdigsten Völker der Erde während einer langen und dunkeln, fast dürfte man sagen asphyktischen Periode seis

ner Geschichte gehören. Eben diese Rücksicht erwedte in mir bet einer Stelle in des griechenfeindlichen J. L. S. Bartholdy,,Bruchstücken zur nähern Kenntniß des heutigen Griechenlands" (Berlin 1805), wo ein historisches Gedicht über die Eroberung Morea's durch die Türken (im 3. 1715) beiläufig mit der sous veränsten Geringschägung erwähnt wird, nur den lebhaften Wunsch, das verachtete Produkt, das ich in spätern Werken über neugriechische Literatur, so weit sie mir zu Gebot stehen, nirgends angeführt finde, selbst kennen zu lernen. Nachdem der genannte Reisende, dessen wüthende Erbitterung gegen Alles, was griechisch heißt, nicht selten ans Komische streift, ) aus einer versificirten Erzählung des russischtürkischen Krieges von 1768 bis 1774 einige Bruchstücke, aber nur in deutscher Ueberseßung angeführt hat, fertigt er, S. 410, das Gedicht über die Eroberung Morea's mit der Bemerkung ab, es sei wo möglich noch unendlich kläglicher," als jenes, und er wolle feine Zeit damit verderben, Proben daraus mitzutheilen." Die Gefälligkeit eines Freundes, dem ich schon manche interessante Mittheilungen dieser Art verdanke, des Hrn. Oberstl. Heinze in Leipzig, verschaffte mir endlich das lange vergebens gesuchte Gedicht und nach sorgfältiger Prüfung desselben, die Bartholdy sich erspart zu haben scheint, rechne ich auf die Nachsicht des Lesers, wenn ich nicht so vornehm, wie jener, darauf herabsehe und es nicht für Zeitverderb achte, meinen Bemerkungen darüber auch ein paar charakteristische Proben daraus in Original und Uebersezung beis zufügen.

Das Gedicht über die Eroberung Morea's füllt in dem mir vorliegenden Abdruck, dessen Neuheit für die noch fortdauernde Popularität desselben in Griechenland spricht, nur 44 Seiten einer Gedichtsammlung von 120 Seiten, der es jedoch den Titel gibt und worin die übrigen Gedichte nur für einen Anhang gelten. Der Titel lautet: Σύμφορα και αιχμαλωσία Μωρέως στιχολογηθεῖσα παρὰ Μάνθου Ἰωάννου τοῦ ἐξ Ἰωαννίνων μὲ προσθή

1) So wird, um nur ein Beispiel von vielen anzuführen, wo von der Erbärmlichkeit der griechischen Aerzte zu seiner Zeit (also vor etwa 40 Jahren) die Rede ist, (S. 337.) zum Beleg ein Ausfall des ältern Cato beim Plinius gegen die griechischen Aerzte seiner Zeit citirt eine enallage temporis, welche freilich vermöge der darin ausgesprochenen Identificirung der Neugriechen mit den Hellenen, dem, der auf das angefochtene Hellenenthum der erstern, großes Gewicht legt, für eine Schmeichelei gelten fann.

την άλλων άξιολόγων υποθέσεων καὶ ἀφιερωθεῖσα τῷ έντιμω τάτῳ καὶ εὐγενεῖ κυρίῳ Ἰωάννῃ Δημητρίου. Ἐν Βενετίᾳ, ἐκ τῆς ἑλλη νικῆς τυπογραφίας τοῦ φοίνικος 1839. Bartholdy hielt, wie es scheint, eine Glyky'sche Ausgabe von 1803 für die erste und das Gedicht für nicht viel älter. Die ganze Schreibart jedoch beurkundet unwidersprechlich ein mehr als hundertjähriges Alter und könnte noch ein Zweifel darüber obwalten, so beseitigt ihn des Dichters Erzählung, daß er selbst den unglücklichen Krieg auf venezianischer Seite mitgemacht habe und beim Fall Anapli's vom härtesten Mißgeschick persönlich betroffen worden sei 1) eine autobiographische Episode, welche, obgleich sie vier Seiten füllt, Bartholdy ganz übersehen haben muß. Des Leztern geringschäßiges Urtheil, wird man vielleicht nicht viel zu streng finden, wenn man das Gedicht nur als solches betrachtet, wenn man den gänzlichen Mangel poctischer Conception, die schleppende und unbeholfene, von gebildetem Geschmack keine Spur, von dichterischem Schwung nur selten eine Ahnung verrathende Darstellungsweise, die halsbrechend holprigen, ja zum Theil entschieden incorrecten, auch durch die gewaltsamsten Synizesen und Elisionen nicht zu berichtigenden politischen Verse und zu dem Allen die wirklich schauderhafte Barbarci der Sprache im Abgrund ihrer tiefsten Entartung berücksichtigt. Milder wird man dagegen richten, vernimmt man hier den ungefünftelten, aus der Tiefe des gepreßten Herzens sich emporringenden, ob auch rauhen und unmelodischen Laut der Klage eines schmählich niedergetretenen Volks, das nach kurzer Lüftung seiner Fesseln, plöglich die Hoff

1) Seite 48 am Schluß der Geschichte des Krieges heißt es:
Εγω 'ς τ' Ανάπλι εὑρισκόμουν, που γράφω τὴν στορία,
Καὶ τώρα καταστήθηκα 'ς τῆς Πούλιας τὴν 'ξορία.
Διὰ τοῦτο 'ξεύρω τὸ λοιπόν, τὰ ὅσα ἐγινῆκαν,
Κεἰς τὸ παρὸν εὐρίσκομουν ὅντας οἱ Τοῦρκοι ἐμβῆκαν,
Καὶ εἶδα μὲ τα μάτια μου τον θρήνον ποῦ ἐγίνη,
Καὶ ὅποιος να τ' α θυμηθῇ μαῦρα δάκρυα να χύνη.

Ich selbst war in Anapli, der ich euch die Kund' ertheilte
Und der ich in Apulien jezt in der Verbannung weilte.
Und darum weiß ich alles auch gar wohl, was vorgegangen,
Ich war dabei, als in die Stadt mit Sturm die Türken drangen.

Mit meinen Augen sah ich all den Jammer, der geschehen;

Blut weinen beim Gedanken dran muß noch, wer es gesehen.

Und nun folgt der ausführliche Bericht über sein eigenes Unglück, worauf wir später zurückkommen.

nung, derselben ganz und für immer ledig zu werden, grausam scheitern und sich der Willkühr seiner alten Tyrannen auf's neue preisgegeben sieht. Daß Manthos Joannu von Jannina, obgleich er sich genannt hat, ein Mann aus dem Volke, ein Naturdichter war, so gut wie die ungenannten Dichter der theffalischen Klephtenlieder, erhellt aus unzweideutigen Merkmalen, wie namentlich aus der ungebildeten Sprache, die man so verdorben in feiner Dichtung eines Aórios aus irgend einer Zeit finden wird. Der griechische Volkscharakter, wie er sich in den Hauptzügen bis auf den heutigen Tag erhalten hat, jene streng ascetische, doch vermöge ihres untrennbaren Zusammenhangs mit der Vaterlandsliebe von der dumpfen und unfruchtbaren Bigotterie einiger römisch-katholischen Völker wesentlich verschiedene Religiosität, das phrasenreiche, doch darum nicht minder aufrichtige und kräftige, wenigstens zähe, durch alle äußere Demüthigungen nicht zu vertilgende Nationalgefühl, der mit Furcht und Verachtung zugleich ge= paarte Haß gegen die Hagarener," die nicht viel geringere mißtrauische Abneigung gegen die Occidentalen, damals mit alleiniger Ausnahme der Venezianer, alles dies ist in dem ganzen Gedichte des Manthos auf's schärfste ausgeprägt; und schon diese Eigenschaft dürfte ihm, abgesehen davon, daß es fast allein die griechische Poesie jener Zeit repräsentirt, die Aufmerksamkeit des Literarhistorikers zuwenden. In weit höherm Grade jedoch nimmt es das Interesse des Historikers in Anspruch, der durch diese in einzelnen Partien sehr ausführliche und troß der poetischen Form ungeschminkte Erzählung eines Augenzeugen die abendländischen und türkischen Berichte über den lezten siegreichen Eroberungskrieg der Pforte in Europa in mehr als einem Punkte berichtigt und ergänzt findet, wie dies aus einer kritischen Vergleichung mit dem betreffenden Werke Ferrari's als der vornehmsten italienischen Quelle, und mit den Nachrichten des türkischen Geschichtschreibers Tarichi Naschio bei Hammer 2) sich ergibt. Da indessen seine historische und noch dazu meistens auf strategische Spezialitäten sich beschrän

1) Girolamo Ferrari, notizie storiche della lega tra l' imperatore Carlo VI. e la republica di Venezia, contra il gran soltano Acmet III. e de loro fatti d'armi dal anno 1714 sino alla pace di Passarovitz. Venezia, 1736.

2) Jos. v. Hammer's Geschichte des Osmanischen Reichs. Band VII. B. 63, p. m. 173. ff.

fende Untersuchungen hier nicht am Plaße sind, mögen mir nur noch einige allgemeinere Angaben über den Inhalt des Gedichts erlaubt sein.

Die vorausgeschickte Zueignung an einen gewissen Joannis Dimitriu ist, wie die lezten Zeilen ausweisen, nichts anders, als eine captatio benevolentiæ, um den wegen seiner christlichen Des muth und Menschenfreundlichkeit gepriesenen Gönner zur Ucbernahme der Druckkosten zu bewegen. In einem, vier Seiten füllenden gooiμov erzählt dann der Dichter, wie auf einer Seefahrt von Barletta (in der neapolitan. Prov. Terradi Bari) nach Venedig sein Schiff bei der Insel Pelagosa von zwei türkischen Piraten, einer Galiotte und einer Tartane, verfolgt worden sei, wie er sich mit dem übrigen Schiffsvolk bis auf den Kapitän, Marco Fachinetta von Rovigno, in der Schaluppe gerettet, wie er so glücklich nach der Insel Bissa (unweit der dalmatischen Küste,) und von hier, nach unverhoffter Wiedervereinigung mit dem heldenmüthigen, den Türken auch glücklich entkommenen, doch von dreitägigem Wachen am Steuerruder tödtlich ermatteten Kapitän, nach Slavonien 1) gelangt sei und wie er sich hier während der 18tägigen Quarantäne auf dem Schiffe gedrungen gefühlt, die Kunde von den Leiden Morea's, das nicht so glücklich, wie er diesmal, der Knechtschaft in den Ketten der Ungläubigen entronnen, niederzuschreiben. Scite 9 bis 52 folgt hierauf in 31 Kapiteln die Geschichte des moreotischen Krieges, eingeleitet durch allgemeine Klagen und Betrachtungen über das Jammergeschick Morea's, vor Allem Anapli's (d. i. Nauplions.) Auf eine Erörterung der nähern und fernern Ursachen des Krieges, der hier ohne Weitres durch ein Tel est notre plaisir tes Großherrn angeblasen wird, läßt Manthos sich nicht ein. Dem Leser aber drängt sich die Bemerkung auf, daß bei jener Gelegenheit zum ersten Mal die Geschicke eines Fürsten aus der Pfalz-Zweibrückischen Linie des Hauses Wittelsbach mit dem Verhängniß Griechenlands, obschon weder so unmmittelbar, noch unter so günstigen Auspizien, wie in unsern Tagen, vers flochten wurde. 2) Denn der Flüchtling von Pultawa, der eisen

2) Wenn nicht etwa bei Exhaßovvid hier an die Riva dei Schiavon in Venedig zu denken ist.

*) Die Verwandtschaft beider Fürsten weist diese Tabelle aus:

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