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Priester gehörig; von sestra Schwester, sestrin der Schwester gehörig. So heißt Fjodorov, des Theodor u. s. w.

Am Substantiv ist uns das Fremdartigste, der gänzliche Mangel eines Artikels bei allen Slawen; gleich dem Römer macht der Slawe im Ganzen keinen Unterschied zwischen unserm das Haus und ein Haus, was für unser Ohr etwas ungelenkes hat. Es sezt aber zugleich eine reiner erhaltene Flexion voraus, die uns ebenfalls vorzüglich ans Latein erinnert. Zu den sechs Casus des Adjektiv kommt nun wie im Griechischen und Latein noch ein mangelhafter Vokativ, der nur für Maskulin und Feminin Singular noch besteht, sonst aber mit dem Nominativ zusammenfällt; in serbischen Liedern steht er gern für den Nominativ; er ist immer eine vokalische Erweiterung desselben. Es bestehen drei Genera, aber keine Differenz starker und schwacher Form wie im Deutschen; der Dual kommt noch von den doppelten Leibesgliedmaßen Augen, Ohren, Händen, Füßen vor. Diese so reiche Deklination macht viele Präpositionen unsrer Sprachen entbehrlich, was uns wieder fremd klingt; so ist es uns seltsam, wenn die Bewegung an einen Ort im Slawischen durch eine einfache Akkusativform, ohne Präposition und Artikel auftritt. Die Casusformen sind hier nicht so voll, wie im verstärkten Adjektiv, sondern geschwächter. Im Singular werden alle Casus bloß vokalisch abgeleitet, mit Ausnahme des Instrumental im Maskulin und Neutrum, der auf M schließt. Der Plural Nominatis hat immer Vokal (jedoch auch mit Sylbeneinschiebung) und dieser fällt sofort ab, um den Genitiv Plural zu bilden, der dann die kürzeste Form des Plural darstellt. Der Dativ schließt überall auf M, der Lokativ auf x, der Instrumental im Maskulin fast immer und im Feminin immer vokalisch, in einigen Maskulinen und im Neutrum auf mi. Der Akkusativ ist nur im Maskulin vom Nominativ durch einen andern Vokal geschieden.

Eine große Eigenheit der Deklination aller Neuslawischen Dialekte ist, daß durch die ganze Deklination sich eine Differenz ausgebildet hat, je nachdem das Nomen ein belebtes oder unbelebtes Wesen bezeichnet. Nach diesem Unterschied richtet sich die Form des Akkusativ. Es ist Regel, daß mit Ausnahme des Feminin und Neutrum im Singular, dieser Casus bei belebten Wesen mit dem Genitiv, bei unbelebten mit dem Nominativ gleich lautet.

Ferner ist merkwürdig, daß die Deklination des Neutrum in vielen Wörtern, mit Ausnahme des Nominativ und Akkusativ Singular, eine epenthetische Sylbe einschiebt; altslawisch lauten diese

Sylben en, jat und es; sie erinnern deutlich an die deutsche Grammatik, wo das Neutrum ebenfalls bald N (wie im angelsächsischen gif-en-a) bald R (wie im althochdeutschen hûs-ir-ô) einschiebt.

Ueber den Gebrauch der Casus wäre manches zu bemerken; wir wollen nur Eine Seltsamkeit hervorheben; das Verbum sein regiert seine Apposition gern im casus instrumentalis, was uns seltsam lautet. Z. B. sagt der Pole für: Tarquinius Superbus war der lezte römische König: Tárkvyn hárdy byl ostátnim rfhymjan krúlem, wo die drei legten Wörter auf M diesen Casus zeigen. Die Sprache hat keinen andern Zweck dabei, als das Prädikat des Sapes von seinem Subjekt zu unterscheiden; der specifische Sinn des Instrumental kann dabei nicht ins Spiel kommen. Etwas Aehnliches in unsren Volkssprachen, wenn man hört: Einen zum Narren haben oder für Narren haben, oder: er wird zum Narren. Niemals aber beim Verbum sein. Doch hat das flawische sein auch wohl den Dativ hinter sich, wie im russischen bytj dviganu, bewegt werden.

Endlich das Pronomen bietet durch manche Formen interessante Vergleichung mit allen verwandten Sprachen. Es heißt as, später ja für ego, ich; dazu die flektirten Formen mja, mene, mnje, mi, mnoju; du ist ty, flektirt tja, tebe, tebje, ti, toboju, wir und ihr lauten my, vy, fleftirt nas, nam, namy; vas, vam, vamy. Das Reflexivum hat auch hier wie anderwärts keinen Nominativ und flektirt für Singular und Plural sja, sebe, sebje, si, soboju. Die Possessive lauten moi, tvoi, svoi, nash und vash.

Nun ist aber für die Reflexivformen eine große Abweichung von allen europäischen Sprachen zu bemerken, die ihren Grund im Indischen findet. Der Indier und Slawe geht von einem Nomen sva aus, das ihm den Begriff eigen ausdrückt, und daß sich auch im Gothischen svês, Eigenthum wiederfindet. Aus diesem Nominalbegriff entwickelt er den Reflexivbegriff des Pronomen, und er muß jedesmal eintreten, wo das Pronomen als Subjekt sich auf sich selbst bezieht. Der Slawe sagt zwar wie wir: Ich sehe dich, du siehst mich, er sieht mich, ich sehe dein Haus, er sieht mein Haus, sie sehen unser Haus u. f. w. Ist aber Subjekt und Objekt identisch, so muß immer das Reflexiv folgen. Er sagt also im verbum reflexivum nicht nur: er schämt sich, sie schämen sich, sondern auch ich schäme sich, du schämst sich, wir schämen sich und ihr schämt sich, und ebenso, ich sehe sein Haus, d. h. das eigne, nämlich mein Haus; unser sein Haus müßte wie im Lateinischen

durch ein Genitispronomen ejus ausgedrückt werden. Jene Form des Reflexivverbums fällt übrigens mit dem lateinischen Passiv zus fammen, das bekanntlich durch ein beigefügtes S gebildet wird, das sich später in R verwandelte. Auch die neuscandinavischen Sprachen haben sich doch erst hinterher aus dem Pronomen sig. ein solches Passiv auf stehendes S gebildet. Der Slawe braucht bei Impersonalien zuweilen das Reflexivpronomen mit dem personellen vereinigt; so entspricht namentlich dem lateinischen videtur mihi, wenn man dieses in videt se mihi auflöst, vollständig der slawische Gebrauch, der in diesem Falle sagt: es scheint mir sich; ebenso es ekelt mir sich u. s. w.

Von den Pronomen der dritten Person wollen wir noch dasz jenige erwähnen, das dem lateinischen is, ea, id, und dem deuts schen er, es, entspricht. Es hat beim Slawen keinen Nominativ. Maskulin Akkus. i, Gen. jego, Dat. jemu, Lok. jem, Justr. im; Plural Acc. ja, Gen. Loc. ix, Dat. im, Instr. imi. Feminin Acc. ja, Gen. jeja, Dat. Lok. jei, Instr. jeju. Neutrum Accus. je; sonst alles wie im Masculin.

Somit hätten wir die merkwürdigsten Punkte der slawischen Flexion angezeigt; die Derivation und Composition entspricht völlig unseren Sprachen. Nur möchte hier noch auf den großen Reichthum aufmerksam zu machen sein, den die jüngern Dialecte in Deminutiv- und Augmentatis, Liebkofungs- und Verachtungsformen entwickeln, was von einer gemüthlichen Sprachausbildung zeugt und den Erfordernissen der einheimischen Poesie großen Vorschub leistet.

Alle slawischen Völker sind mit Gesang reich begabt, doch vorzugsweise wieder die ostslawische Hälfte, wozu sprachlich auch die Südslawen sich rechnen, also Serben, Russen, Kleinrussen (Ukrainer, Kosaken); am wenigsten vielleicht die Polen; diese haben aber, da sie den ersten slawischen modernen Staat hatten, schon im sechszehnten Jahrhunderte eine Kunstpoesie; sie war aber wie der Staat etwas übereilt, halb lateinisch halb französisch gebildet; in unsern Tagen hat der Littauer Mizkjewitsch den Lorbeer des polnischen Gesangs davon getragen. Die Russen, die im vorigen Jahrhundert mehr auf der Stufe der Nachahmung standen, haben in Karamsin den ersten geistreichen Schriftsteller und endlich in Puschkin ein bedeutendes Dichtertalent gewonnen. Die Serben, mit der

reichsten Volkspoesie begabt, haben erst in unserm Jahrhundert angefangen, sie aufzuschreiben; Wuk Stephanowitsch konnte sogar noch die Orthographie firiren; Milutinowitsch wurde der erste KunstDichter. Die bulgarische Mundart ist noch nicht einmal grammatisch firirt. Croaten und Böhmen zeichnen sich in unsern Tagen mehr durch wissenschaftliche Cultur, als durch Kunstpoesie aus. Die größten Sprachforscher gehören Dobrowsky dem böhmischen, Schaforik dem slowakischen, Kopitar dem krainischen Stamme an. An vergleichender Grammatik arbeiten mehrere; Mikloschitsch hat eine gute Grundlage in seinen Radices gelegt.

Eine Geschichte der slawischen Kunstpoesie liegt nicht in dem Plan unsrer Arbeit. Es ist in diesen Formen schon so vieles Gute und selbst Treffliche geleistet, daß nur ein geborner Slawe sich dieser Aufgabe unterziehen könnte. Wir denken später einzelnes zu besprechen, wie es uns bekannt geworden; an Ueberseßungen, namentlich guten, dieser Werke sind wir Deutschen in der That noch arm und die Originale aller Mundarten zu lesen, hat für den Deutschen immer seine Schwierigkeiten.

Dagegen denken wir in einem folgenden Artikel eine Uebersicht über die ältere und neuere slawische sogenannte Volkspoesie zu geben. Man kann das Material so abtheilen:

I. Kann man slawische alte Nationalpoesie nennen, was erst in neuerer Zeit von Dichtungen des Mittelalters wieder aufgefunden und durch gelehrte Kenner erklärt worden ist. Dahin rechne ich

1) das altrussische prosaische Gedicht vom Zuge Igors,
2) die altböhmischen Gedichte der sogenannten Königinhofer
Handschrift.

II. Stellen wir Dichtungen zusammen, die zwar nicht in alten Manuscripten, wohl aber im Munde der Völker vom Mittelalter bis auf unsre Tage sich vererbt haben. Sie sind, wie alle Tradition nicht rein geblieben, da im Lauf der Jahrhunderte immer neuer Stoff sich ansezte, sind aber um so lebenskräftiger und verständlicher. Dahin rechnen wir

1) die russischen Lieder aus dem Sagenkreise des Fürsten Wladimir,

2) die reichhaltige Sammlung serbischer alter Heldenlieder, die der unermüdliche Wut Karatschite gesammelt hat. Als zweite Abtheilung können wir die jüngern Volkslieder betrachten. Die Hauptquelle für sie ist die Sammlung von Tsches Archiv III,

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lakowsky, der sie in den Originalterten mit böhmischer Ueberseßung herausgegeben hat; für die serbischen wieder die Wutsche Sammlung. Sie theilen sich einmal nach den Volksstämmen in großrussische, kleinrussische, weißrussische, bulgarische, serbische, kroatische, krainische; sodann polnische, böhmische, slowakische und lausißische. Auch einen Rest altbulgarischer und norddeutschslawischer (drewanischer nach Schaforik) kann man beizählen. Nach dem Inhalt kann man unterscheiden:

1) Historische oder patriotische Lieder, die sich auf ein bestimmtes Factum beziehen.

2) Sociale, welche bestimmte Stände und Sitten characteris siren, wohin die vielen Hochzeitlieder, Festlieder u. s. w. gehören.

3) Erotische Lieder.

Da das nie ausgehende Thema der Liederkunst auf dem Verhältniß der Geschlechter beruht, so geht auch hier der Reichthum ins Endlose. So zart indessen viele dieser Lieder sind, denen meist ein liebliches Naturbild zur landschaftlichen Grundlage und zur symbolischen Einleitung dient, so läßt sich doch die Bemerkung machen, daß das slawische Weib im Ganzen weniger geachtet ist, als das Weib des Germanen und Römers, und auch diesen Zug könnte man griechisch nennen. Man kann in diesen komische, tragische, elegische, fröhliche und obscöne Lieder unterscheiden.

4) Comische, satyrische oder didaktische Gedichte finden sich mehr ausnahmsweise.

Tübingen.

Moris Napp.

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