Page images
PDF
EPUB

Es läßt sich nun schon von vornherein nicht verkennen, daß es sehr mißlich ist, eine solche unmittelbare Verbindung zweier Monologe, die vom Dichter gar nicht weiter angedeutet wird, für eine ganz neur, der gewöhnlichen zuwiderlaufende Auffassung in Anspruch nehmen zu müssen. Die Art und Weise, wie Tieck sich dabei zu helfen sucht, sezt auch das Bewußtsein dieses Mißlichen bei ihm selbst voraus. Er sagt nämlich: „Shakespeare, es ist wahr, muthet uns oft viel zu, aber hier noch etwas mehr, als gewöhnlich; doch konnte er auch dem Kommentar feines Schauspielers vertrauen. Lassen wir freilich zwischen jenen heftigen Monolog und diesen ruhigen den Vorhang niederfallen, so wird die Gedankenverbindung, die der Dichter bei uns vorausseßt, die wir schnell wieder anknüpfen follen, etwas zu gewaltsam unterbrochen." Er sucht dann diese geforderte Gedankenverbindung dadurch zu erleichtern, daß er den zweiten Aft erst nach diesem berühmten Monolog und der Rede des Königs über den Prinzen schließen läßt. Auch dieses Mittel, zu dem er in Widerspruch mit der stehenden Eintheilung der Akte, seine Zuflucht nimmt, ist nicht geeignet, die von vornherein aufsteigenden Bedenklichkeiten gegen seine Auffassung zu verringern. Solche künstliche Annahmen und Aenderungen erwecken wenigstens fein günstiges Vorurtheil; bei der herrschenden Auffassung sind sie gänzlich überflüssig.

Doch nun zur Sache! Welches Licht verbreitet denn nun Tiecks Auffassung, wonach, wir wollen es noch einmal wiederholen, Hamlet hier, weit entfernt an Selbstmord zu denken, vielmehr einzig zu ergründen versucht, warum er die geforderte Rache an dem Könige nicht vollziehe, über den ganzen Monolog? In der That, ein so trübes und verworrenes, daß man schon völlig von der Tieckschen vorgefaßten Meinung inficirt sein muß, um wenigstens mit einigem Scheine einen Zusammenhang in dem Ganzen nachzuweisen. Während bei der herrschenden Auffassung, sich Alles, wie der Leser bezeugen wird, einfach und natürlich ergab, hier überall Gesuchtes, Hineininterpretirtes, Gezwungenes und doch keine Möglichkeit, das Einzelne mit dem Ganzen und das Ganze mit dem Einzelnen in Harmonie zu bringen! Das ganze Verfahren Tieks erscheint in der That als Willkühr!

Bevor wir dies jedoch im Einzelnen an den betreffenden Stellen nachweisen, müssen wir die Schlußfolgerung selbst, die der ganzen Tieckschen Argumentation zum Grunde liegt, in Frage ziehn. Ist es denn wahr, was Tieck als ausgemacht voraussezt und voraus

sezen muß, um doch den Schein für seine Fassung zu retten, daß Hamlet, wenn er den König ermordet, sein Leben auf das Spiel sext? Er, als rechtmäßiger Prinz, vom Volke, wie wir im Stücke sehn, eben so allgemein geliebt, wie der König verhaßt, hatte durch die Ermordung dieses Königs für sein Leben eben gar nichts zu fürchten. Und deshalb siebt man auch nicht ab, wie Hamlet den Gedanken an seinen eignen Tod mit der Ermordung des Königs in Verbindung seßen kann was er auch nachweislich im ganzen Stücke nicht thut ohne welche Verbindung aber die ganze Argumentation Tiecks zusammenfällt. Hat Hamlet, wenn er den König ermordet, für sein Leben nichts zu fürchten, so kann er auch durch den Gedanken an die Ermordung des Königs nicht auf die Betrachtungen geführt werden, denen wir in unserm Monologe begegnen. Aber gesezt auch, es machte Jemand eine solche Verbindung ausfindig, so bliebe dennoch bei jeder einzelnen Stelle des Monologs der Vorwurf auf Ticck haften, daß er uns zumuthe, den Gedanken des Königsmordes hineinzutragen, da auch keine cinzige nur die Andeutung davon enthält. Deshalb nannten wir sein Verfahren vorhin ein willkührliches, da er seine Ansicht nicht aus dem Monologe heraus, sondern sie überall in ihn hineininterpretirt. Indem wir dem Leser zur Begründung unserer Behauptung die betreffenden Stellen mit der Tieckschen Interpretation kurz vorführen, bitten wir ihn im Voraus auf die mit: d. h. (das heißt) bes ginnenden Säße zu achten, von denen er leicht erkennen wird, daß fie stets nur die eigne Ansicht in den Text einschwärzen.

Dies geschicht gleich bei den Anfangsworten: „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage," wenn Tied sagt: „d. h. mehr als das Leben kann ich nicht wagen und verlieren, wenn ich den König ermorde." Dies geschicht ferner bei den Worten: Obs edler im Gemüth, die Pfeil' und Schleudern des wüthenden Geschickes ertragen, oder 2c.," wenn er sagt: „Dies geschieht dadurch, daß er feinem Gegner den Garaus macht."

[ocr errors]

Dies geschieht ferner bei den Worten: „Sterben Schlafen es ist ein Ziel aufs innigste zu wünschen," wenn er sagt: es ist aber freilich nicht der Augenblick des Todes und der Schmerz, der ihn begleiten mag, was uns abhält entschlossen zu sein um unserm Feinde es unmöglich zu machen, uns ferner zu schaden." — Dies geschieht ebenso bei den Worten: Denn wer ertrüg' der wenn er sich selbst in Ruhstand sezen wenn er fagt, der Sinn sei: „wer

Zeiten Spott und Geißel

könnte mit einer Nadel bloß,

"

ertrüge alle jene Drangsale, wenn er mit einem kleinen, bloßen Dolch seinen völligen Rechnungsabschluß zu Stande bringen könnte, d. h. wenn er den Gegner zum Schweigen brächte".

Dies geschicht endlich bei den Schlußversen: „So macht Gewissen Feige aus uns Allen und Unternehmungen 2c.", wenn er sagt: ,,Unternehmungen voll Mark und Nachdruck, z. B. (dies z. B. steht auf ganz gleicher Stufe mit den früheren d. h.!) z. B. einem Usurpator das Reich entreißen, einen ermordeten Vater rächen, die Stelle als König einnehmen, auf welche Geburt und Landesrecht Anspruch geben 2c., diese, wie ähnliche große Plane werden aus der Bahn gelenkt, weil der Unternehmer zagt, weil cs ihm nicht gleichgültig ist, ob er in diesem Kampfe selbst zu Grunde geht."

Es wird dem Leser aus diesen mit den ipsissimis verbis angeführten Proben schon deutlich sein, daß Tieck, was Inhalt des Monologs sein soll, von Anfang bis zu Ende mit d. h., mit z. B. nur hinzuseßt. Die Ansicht des Kritikers wird, wie schon gesagt, nicht aus der Stelle heraus, sondern in sie hinein interpretirt. Das ist nun aber ein Verfahren, über welches L. Tieck in andern Fällen gewiß selbst den Stab brechen würde.

[ocr errors]

Es drängt sich uns deshalb die Frage auf, wie es denn komme, ja wie es nur möglich sei, daß eine allgemein herrschende und sich so entschieden als die rechte ergebende Fassung jenes Monologs von Tieck so vornehm desavouirt und durch eine so ganz außerhalb des Textes liegende, mithin willkürliche und das Ganze wie das Einzelne dennoch im Unklaren belassende Ansicht zu verdrängen versucht wird? Das Vorurtheil Tieck's denn als solches müssen wir seine Ansicht icht bezeichnen erklärt sich nur aus seiner Auffassung des Charakters Hamlets, womit ihm die herrschende Ansicht von unserm Monolog nicht verträglich schien. Er meint nämlich, der Charakter Hamlets verliere bei unserer Ansicht zu sehr, er erscheine dabei allzu schwach. Wir führen die betreffende Stelle, weil sie für Tieck's Fassung entscheidend ist, selbst an. Er sagt aber p. 118, nachdem er zuvor zugegeben, daß Hamlet überhaupt kein Held sei, daß er, wie er auch Ophelien gestehe, Schwächen aller Art zeige, daß fast alles Gute und alles Böse des Menschen in ihm zur Sprache komme. Aber, es hieße doch allzu tief sinken, wenn er jegt darüber nachsinnen könnte, ob er sich nicht lieber umbringen sollte, und selbst dieses nur wieder aus Furcht unterließe. Mich wundert nur, fährt er fort, daß ihn

"

seine Freunde und Bewunderer so tief haben sinken lassen, ohne sich mit Unwillen von ihm abzuwenden."

Hier also erhält der Leser den Schlüssel zu dem Räthsel; der Charakter Hamlets, wie er ihn faßt, hat ihn verleitet, der herrschenden Ansicht über unsern Monolog entgegenzutreten und eine neue aufzustellen. Sehr zu bedauern ist es nun, daß Tieck es unterlassen hat, uns diesen Charakter Hamlets näher darzustellen; er sagt: dies würde ihn in zu vielfache Untersuchungen, Widerlegungen und Erklärungen verwickelt haben. Und doch wäre dies zur Begründung seiner paradoren Ansicht unumgänglich nöthig gewesen. Denn wenn wir nun Behauptung gegen Behauptung seßten, wenn wir sagten, der Charakter Hamlets harmonire vortrefflich mit der herrschenden Auffassung des Monologs, so hätte unsere Behauptung wenigstens das vor der Tieckschen voraus, daß sie sich nicht, wie die seinige, auf künstliche Annahmen, sondern auf ein allgemein herrschendes Urtheil stüßt. Indessen, da er nun einmal wegen des Charakters des Helden leugnet, daß er in unserm Monologe Reflexionen über den Selbstmord anstellen könne, so wollen wir, was er uns schuldig geblieben, unsererseits erfüllen, nämlich aus der genauen Charakterisirung Hamlets, wie sie das ganze Stück uns an die Hand gibt, den Beweis führen, daß gerade unsere Auffassung des Monologs mit dem Gesammtcharakter des Helden im vollsten Einklang stehe; ein Nachweis, der, wenn er schlagend ist, das obige aus der Interpretation des Monologs schon gewonnene - Resultat nicht nur auf's Neue bestätigen, sondern überhaupt unsere Aufgabe zum vollständigen Abschluß bringen wird.

,,Die Zeit ist aus dem Gelenke; wehe mir, daß ich geboren ward, sie wieder einzurichten." In diesen Worten,

[ocr errors]

läßt

Göthe den Wilhelm Meister sagen, liegt der Schlüssel zu Hamlets ganzem Betragen und mir ist deutlich, daß Shakespeare habe schildern wollen: eine große That auf eine Seele gelegt, die der That nicht gewachsen ist. - Und bald darauf fährt er so fort: Ein schönes, reines, edles, höchst moralisches Wesen, ohne die sinnliche Stärke, die den Helden macht, geht unter einer Last zu Grunde, die es weder tragen, noch abwerfen kann; jede Pflicht ist ihm heilig, diese zu schwer. Das Unmögliche wird von ihm gefordert, nicht das Unmögliche an sich, sondern das, was ihm unmöglich ist. Wie er sich windet, dreht, ängstigt, vor- und zurücktritt, immer erinnert wird, sich immer erinnert und zuletzt fast seinen Zweck aus dem Sinne verliert, ohne doch jemals wieder froh zu werden!

Der Hauptsache nach stimmen wir Göthe, deffen Charakterist rung der ganzen Tragödie überhaupt zu dem Geistreichsten und Gediegensten gehört, was darüber geschrieben ist, in dem Gesagten vollkommen bei.

Ganz ähnlich wie Göthe findet Franz Horn in denselben Worten, in denen jenem der Schlüssel zu Hamlets ganzem Betragen liegt, das offenherzigste Bekenntniß über sich selbst, das Bewußtsein davon, wie wenig er auf sich vertrauen dürfe. Hamlet habe mit seinem Vater die Säule verloren, an die er sich bisher habe leh= nen dürfen und wanke nun einsam hin und her und arbeite sich ab in irren Planen, während die Kraft, die er für das stete Umschaf fen dieser Plane anwende, vielleicht ausgereicht hätte, um mit ihr durch eine einzige besonnene kräftige Handlung zum Ziele zu gelangen.

[ocr errors]

Auch Aug. With. Schlegel, wenn er sagt, das Ganze zwecke dahin ab, zu zeigen, wie eine Ueberlegung, welche alle Beziehungen und möglichen Folgen einer That bis an die Grenzen der menschlichen Voraussicht erschöpfen will, die Thatkraft lähmt trifft, obwohl in etwas speziellerer Fassung, toch wesentlich mit den beiden vorangehenden Urtheilen zusammen. Alle drei Männer, deren Stimme hier schwer wiegt, weshalb wir es auch nicht für nöthig halten, noch andere Kritiker zu erwähnen, kommen also bei der Charakteristik Hamlets darin überein, daß sie Mangel an sinnlicher Stärke, Schwäche des Willens, Lähmung der Thatkraft in ihm finden.

Und das ist so richtig, daß wir dies von Anfang bis zu Ende des Stückes werden nachweisen können. Ja, wir müssen noch bestimmter, als es von jenen Männern geschehen ist, dieses hervors heben: Hamlet ist eine durch und durch reflektirende Natur. Solche vorzugsweise reflektirende Naturen haben, wie die gewöhnlichste Erfahrung lehrt, es in der Art, in Gedanken und Worten zwar auch zu handeln, aber nicht durch Thaten. Von diesem Gesichtspunkte aus, glaube ich, will der Dichter das Ganze betrachtet wissen. Es wird von Hamlet eine That gefordert, die Bestrafung des Königs, der seinen Vater ermordet hat. Zu dieser That, zu welcher der Geist seines Vaters durch wiederholte Erscheinungen ihn immer dringender anspornt, fehlt ihm die Entschlossenheit, das kühne, rasche Wagen, die Energie. Er sucht Ausflüchte, Entschuldigungen, um sich selbst wegen seines Zauderns zu rechtfertigen. Er hat durch die Offenbarung des Geistes zwar schon die Gewißheit, daß sein Oheim der Mörder ist. Aber der Geist kann ja ein Lügengeist sein, sagt er

« PreviousContinue »