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Kritische Beleuchtung

der Ansicht L. Tieck's über den Monolog in Shakespeare's Hamlet Act. III. Sc. 1., nebst Erörterungen über den Charakter Hamlets und die Tendenz der Tragödie.

L. Tied hat im 2. Bändchen seiner dramaturgischen Blätter (Breslau 1826) über den bekannten Monolog Hamlets,,Sein oder Nichtsein 2c.“ eine Ansicht aufgestellt und zu begründen versucht, die der in den weiteren Kreifen des Shakespeare lesenden Publikums herrschend gewordenen eben so sehr zuwiderläuft, als sie nach unserer Ueberzeugung auch die Probe wissenschaftlicher Kritik nicht bestehen kann. Da nun diese Ansicht, weder von Tieck seitdem zurückgenommen, noch auch, so viel wir wissen, eine Widerlegung derselben erschienen ist, so wollen wir hier eine solche versuchen, um so mehr, als dieser spezielle Punkt uns von selbst zu weiteren und interessanteren Erörterungen über den Charakter Hamlets und die Intention des ganzen Stückes führen wird.

Tied sagt zwar bevorwortend (p. 104 in den angeführten dramaturgischen Blättern),,Ich weiß, welche angewohnten Vorurtheile man mir entgegenseßen wird, wie schwer es mir selbst geworden ist, Alles abzuweisen, was ich in Büchern darüber gelesen hatte; aber dennoch ist mir schon seit Jahren, und immer fester und klarer die Ueberzeugung geworden, daß sich Erklärer und Bewunderer des Dichters geirrt haben, daß dieses Selbstgespräch unmöglich den Sinn haben kann, den sie ihm unterlegen."

Wenn wir es nun troß dieser entschiedenen Sprache eines so gefeierten Kritikers wie Ludwig Tieck, der sich anerkanntermaßen um das feinere Verständniß der Shakespeareschen Meisterwerke die bedeutendsten Verdienste erworben hat, wagen, ihm gegenüber der herrschenden Auffassung des fraglichen Monologs das Wort zu

reden, so geschieht dies nur nach wiederholter strengster Prüfung, sowohl jener herrschenden Auffassung, als der ihr entgegentretenden Tieck'schen Ansicht und der aus beiden gewonnenen Ueberzeugung, daß diese lettere, so scharfsinnig auch Einzelnes für sie geltend gemacht wird, der Hauptsache nach doch alles Grundes entbehre.

Der Leser wird sich davon ebenfalls überzeugen, wenn er dem Gange unserer Untersuchung vorurtheilsfrei folgt. Diese wird aber so verlaufen, daß wir zuerst die herrschende Auffassung, welche auch die unsere ist, hinstellen und sie durch eine genaue Interpretation des Monologs selbst begründen, sodann aber die ihr von Tieck gemachten besonderen Einwürfe beleuchten, und endlich drittens die neue Ansicht Tiecks, die, wie sich ergeben wird, auf einer irrthümlichen Fassung des Charakters des Hamlet beruht, eben aus einer genauen Charakterisirung des Helden als unhaltbar zurückweisen.

Obgleich wir nun vorausseßen können, daß den Meisten unserer Leser das Shakespeare'sche Stück zur Hand sein wird, so wollen wir doch der bequemeren Uebersicht wegen den Monolog in der Schlegelschen Ueberseßung (gegen welche auch Tieck bis auf eine einzige weiter unten zu beleuchtende Stelle nichts einzuwenden hat) hier folgen lassen;

„Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:

Ob's edler im Gemüth, die Pfeil' und Schleudern
Des wüthenden Geschickes erdulden, oder

Sich waffnend gegen eine See von Plagen,

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Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir den Drang des Ird'schen abgeschüttelt,

Das zwingt uns still zu stehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.

Denn wer ertrug der Zeiten Spott und Geißel,
Des Mächt'gen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Uebermuth der Aemter, und die Schmach,
Die Unwerth schweigendem Verdienst erweis't,
Wenn er sich selbst in Ruhstand seßen könnte,
Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten,
Und stöhnt' und schwißte unter Lebensmüh?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod
Das unentdeckte Land, von deß Bezirk

Kein Wanderer wiederkehrt

den Willen irrt,
Daß wir die Uebel, die wir haben lieber
Ertragen, als zu unbekannten fliehn.
So macht Gewissen Feige aus uns Allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
Und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen.“

I.

Es müßte wunderbar zugehn, wenn der unmittelbare Eindruck, den der Leser durch diesen Monolog empfängt, nicht mit der allgemein darüber herrschenden Ansicht zusammenstimmte. Es ist nämlich von jeher eine Reflexion Hamlets über den Selbstmord darin gefunden worden. Dies zieht sich als der Grundgedanke so sehr durch das Ganze hindurch, daß wieder jede einzelne Gedankengruppe, ja jedes einzelne Wort hierin seine ungesuchte Erklärung, seinen unmittelbaren Zusammenhang hat. Ja, es liegt dies so sehr auf der Hand, daß ein Nachweis im Einzelnen als etwas Ueberflüssiges erscheinen könnte, wenn nicht eben eine ganz abweichende Ansicht in 2. Tied einen so entschiedenen Vertreter gefunden hätte.

Gehn wir also dem Gedankengange des Monologs Schritt vor Schritt nach. Daß Hamlet, wie es seinem Grundcharakter, den er im ganzen Stücke entfaltet, angemessen ist, auch in diesem Monologe vorzugsweise reflektirt, erwägt, untersucht, darauf weist schon sein Anfang: das ist hier die Frage" ganz bestimmt hin. Der Gegenstand seiner Reflexion wird aber ebenfalls gleich in diesem ersten Worte mit: „Sein oder Nichtsein“ sehr deutlich bezeichnet. Es ist die Frage, handelt sich ihm darum, ob er noch ferner sein“ d. i. leben, oder ob er das „Nichtsein," d. i. den Tod vorziehen foll; ob er, wie er's gleich selbst noch individueller ausdrückt „die Pfeil' und Schleudern des wüthenden Geschicks erdulden, oder sich waffnend gegen eine See von Plagen durch Widerstand sie enden soll. Enden würde er sie durch einen Selbst= mord. Aber wäre denn mit dem Sterben alles abgethan? Einer reflektirenden Natur, wie Hamlet, liegt das Verfolgen dieses Gedankens nahe. Deshalb fährt er auch fort: Ster ben schlafen nichts weiter! und zu wissen, daß ein Schlaf die tausend Stöße endet, die unsers Fleisches Erbtheil — 's ist ein Biel aufs innigste zu wünschen." Auf dieser Stufe seiner Reflexion

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erscheint ihm also der Tod höchst wünschenswerth, er ist ja nichts als ein Schlaf, ein bewußtloser Zustand, in welchem der geplagte Mensch von seinem Herzweh nichts mehr fühlt. Allein kaum ist er zu diesem Resultate gekommen, so drängt sich ihm auch schon der beunruhigende Gedanke auf, daß der Tod doch wohl noch etwas andres sei, als jener bewußtlose Zustand. Schon die Analogie des gebrauchten Bildes vom Schlafe führt ihn weiter. Deshalb das neue: Sterben schlafen - Schlafen! Vielleicht auch träu

men! Ja, da liegt's:" Ist es mit dem Tode vielleicht nicht ebenso, frägt er sich, wie mit dem Schlafe, der ja im Grunde doch kein bewußtloser sondern ein von Träumen durchzogener und beunruhigter Zustand ist? Und in dieser Frage ist ihm, wie wir sehen, schon die uns angeborne Ueberzeugung wieder aufgegangen, daß der Mensch auch im Tode nicht stirbt, sondern fortlebt. Und da liegt's, oder, wie es im Grundtext heißt, das ist der Anstoß, der seinen Wünschen wieder eine andere Nichtung gibt. Die Furcht vor den Träumen in dem Schlafe nach der Abschüttelung des Irdischen, die zwingt ihn still zu stehn, den Gedanken an Selbstmord zurückzuschieben. Ohne diese Rücksicht auf das unbekannte und eben deshalb mit Furcht uns erfüllende Jenseits würde ja Niemand die vielen und drückenden Plagen erduloen, von denen er nur einzelne namhaft macht: der Zeiten Spott und Geißel, des Mächt'gen Druck, des Stolzen Mißhandlungen, verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub" und wie sie weiter heißen. Ja, wer ertrüge das Alles, sagt er,

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„Wenn er sich selbst in Ruhstand seßen könnte

Mit einer Nadel blos ?"

Und dies ist nun das entscheidende Wort, was wenn Jemand bisher noch einer andern Auffassung als der herrschenden hätte Raum geben können, diese als nothwendig erscheinen läßt. Denn sich mit einer bloßen Nadel in Ruhstand sehen," das kann, wenn man den Worten nicht jeden beliebigen Sinn andichten will, durchaus nichts anderes heißen, als: sich mit einer geringfügigen Waffe das Leben nehmen, so daß man Ruhe hat. (Um den Zusammenhang nicht zu unterbrechen, nehmen wir hier noch keine Rücksicht auf das, was Tieck gegen die Schlegelsche Uebersehung des grundtextlichen »quietus« durch „Ruhestand“ vorbringt; wir werden aber nachher zeigen, daß auch bei der von ihm beliebten Substituirung von „Rechnungsabschluß" der Sinn der Stelle nicht alterirt wird.)

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